»Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kunst« – der Ausstellungstitel als Hommage an den Künstler, der den Satz geprägt hat: Joseph Beuys. Mit seinem Plakat für Neapel von 1972 empfängt das Lindenau-Museum Altenburg den Besucher. Nach Beuys erweitertem Kunstbegriff war jeder Mensch ein kreatives Potential und die Kunst eine veränderungsstiftende Kraft. Im Abschluss der von Benjamin Rux kuratierten vielschichtigen, hochverdichteten Ausstellung mit über 80 Arbeiten von Malerei, Skulptur, Grafik, Collage, Plakat, Fotografie und Video ruft Jonathan Meese die »Diktatur der Kunst« aus. Nach seiner hochgemuten Auffassung sei nur die Kunst in der Lage, den totalen Paradigmenwechsel einzuleiten und eine neue Gesellschaft herzustellen.
Kürzlich wurde der Kunst der Novembergruppe vorgeworfen, dass es ihr nicht gelang, die Volksmassen zuinnerst zu berühren. Damit kehrt die kurzschlüssige Bewertung von Kunst nach dem Kriterium des politischen Zweckes wieder. Bei dieser Sicht bleibt unberücksichtigt, ob das Publikum willens und in der Lage war, nach Bertolt Brecht, die Bestecke des Kunstgenusses schwingen zu können, »selbst in gewissem Umfang produktiv zu sein, einen gewissen Aufwand an Phantasie zu treiben, seine eigenen Erfahrungen der des Künstlers zugesellen oder entgegenzuhalten und so weiter«. Unberücksichtigt bleibt außerdem die andere Seite des Kunstprozesses, denn Kunst sei den Menschen, nach Thomas Mann, »ein schwebendes Angebot«, vor allem wenn die Künstler Anfang 20. Jahrhundert auf die Krisenhaftigkeit in der Gesellschaft und deren Weltbilder höchst unterschiedlich reagierten, die Gestaltungsmittel umwälzten und die Kunstrichtungen nach ihrer Intention ausdifferenzierten. Die Avantgarden wollten »den Dingen auf den Grund« gehen (Palmbaum, 2/1918, 100 Jahre Revolution in den Künsten). Beim Expressionismus wird das Gefühlselement der Kunst betont. Mit der schöpferischen Orientierung auf ursprüngliche Traditionen führte ein romantisiertes, utopisches Verhältnis die Expressionisten zum Volk. Die Novembergruppe war mit gewissen Diskrepanzen ein Zusammenschluss radikaler Künstler, die sich ganz auf den Boden einer neuen, werdenden Gesellschaft stellen und mit ihrer Kunst dieser dienen wollten. In Max Pechsteins Aufruf »An alle Künstler!«, den die Novembergruppe 1919 veröffentlichte, legt eine beschwörende Mannesgestalt seine Linke auf das sichtbar gemachte Herz. Dessen Rot flammt und strahlt ganz wie die Lyrik Karl Ottens von 1917, wie eine »Thronerhebung des Herzens«. »Es lebe die Weltrevolution« ruft 1920 in seinem Holzschnitt Conrad Felixmüller aus. Eindringlich wirbelt »Der kleine Trommler« im Gemälde Elisabeth Voigt von 1926 dafür mit beiden Stöcken. Manche Künstler, so die proletarisch-revolutionären oder die vom Bauhaus, suchten ein Volk, doch sie stellten wie Paul Klee fest: »Uns trägt kein Volk.« Aber sie suchten es und berührten viele mit den Gedenkblättern zum Tod von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Käthe Kollwitz und von Conrad Felixmüller, der sich mit seinem Holzschnitt »Toter Genosse«, 1919, vor ihm verneigt und ihm politisch nah ist. »Für die Idee« sich zu opfern bringt Heinrich Ehmsen mit der Radierung von 1919 »Erschießung im Kasernenhof« Hochachtung auf. Und mit der tragikomischen Dada-Satire »Krüppel als Kartenspieler«, 1920, verurteilt Otto Dix bitter den Krieg.
Anders revoltierten die Futuristen mit gattungsüberspringender Simultanität, so in den Bild-Musik-Stücken von Otto Griebel, oder die Konstruktivisten, die mit dem erkenntnismäßigen Element den modernen Kulturmenschen erreichen wollten. Alexander Archipenkos Lithographie »Frau«, 1921, will mit seiner kubistischen Form den Inhalt fassen, die Einheit von Natur, Kosmos und Mensch (nach Henri Bergson). Die Ismen ergänzten, widersprachen und bekämpften sich, ebenso wie im Sozialismus die Meinungen von Lenin, Luxemburg, Trotzki, Stalin …
Der die Formenwelt revoltierende Bildbegriff verknüpfte auch in der DDR die Gattungen der Kunst mit dem Leben, zu sehen bei A. R. Penck, bei der Künstlergruppe Clara Mosch oder bei Ingo Arnolds Metrischer Montage »Demonstration«, 1982, im Metrum der Musik und in der Metrik der Verskunst zum Bild montierte Fotosequenzen.
Wie die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss für die politische Kultur eminent und weltweit wichtig war, demonstriert eine raumgreifende Wandinstallation mit Buchseiten und Kunstwerken, darunter Fritz Cremers Aquatinta-radierung »Vor dem Pergamonaltar«, 1983. In den Widerstand gegen den US-Krieg in Vietnam treten Wieland Förster und Helmuth Diehl ein (Blätter aus der Mappe »Vietnam-Protest«). Den »Anachronistischen Zug« westdeutscher »entnazter Nazis«, ihre verlogene »Freiheit und Democracy«, entlarvt nach Bertolt Brecht Heinz Zander 1964 im vierteiligen Gemälde. Bilder des Widerstandes gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings schuf der oft als unpolitisch vermutete Gerhard Altenbourg in subversiver Form mit »Erzgebirge: 20. August 1968«, 1968 (die Lithographie zeigt einen Panzer im Verdeck einen Tag vor dem Einmarsch). Anders feierte die gelöste Atmosphäre des politischen Aufbruchs mit selbstbewussten Frauen Petra Flemming im Gemälde »In Prag«, 1968. Die fehlende Gleichberechtigung wiederum nimmt Klaus Staeck im Plakat von 1973 »Jeder zweite Abgeordnete ist eine Frau« ironisch aufs Korn. Dem Wortführer der 68er-Bewegung, Rudi Dutschke, setzte Volker Stelzmann 1973 ein bewegendes zeichnerisches Denkmal. Und ein »Requiem für Victor Jara« malte Wolfgang Mattheuer 1973 gegen den Militärputsch in Chile. Über dem am Boden liegenden Sänger mit zerschlagenem Arm und brennender Gitarre geht blutrot die Sonne unter. Die Sonne heißt bei Mattheuer: Trotz alledem!
Neue Seiten der Ästhetik des Widerstands schlägt die Ausstellung in Altenburg auf – mit Nachdruck: Zeitgenössische Positionen benötigen revolutionäre Gedanken. In der Fotoserie »World of Warfare« konfrontiert Julian Röder den Betrachter mit Bildern von der IDEX, der größten Waffenmesse im Nahen Osten, und legt den Finger in die Wunde aktueller globaler Krisen.
»Die einzig revolutionäre Kraft. Kunst und Revolution 1918 und 1968« bis 13.1.2019: Lindenau-Museum Altenburg, Gabelentzstraße 5, 04600 Altenburg, Di–Fr 12–18 Uhr, Sa, So, Feiertage 10–18 Uhr. Eingeladen wird zur Podiumsdiskussion am 10. Januar 2019 um 18.30 Uhr unter dem Titel »Die globalen Krisen und die Kunst der Gegenwart« mit dem Schriftsteller Ingo Schulze und dem Chef der Thüringer Staatskanzlei und Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff.
Kürzlich wurde der Kunst der Novembergruppe vorgeworfen, dass es ihr nicht gelang, die Volksmassen zuinnerst zu berühren. Damit kehrt die kurzschlüssige Bewertung von Kunst nach dem Kriterium des politischen Zweckes wieder. Bei dieser Sicht bleibt unberücksichtigt, ob das Publikum willens und in der Lage war, nach Bertolt Brecht, die Bestecke des Kunstgenusses schwingen zu können, »selbst in gewissem Umfang produktiv zu sein, einen gewissen Aufwand an Phantasie zu treiben, seine eigenen Erfahrungen der des Künstlers zugesellen oder entgegenzuhalten und so weiter«. Unberücksichtigt bleibt außerdem die andere Seite des Kunstprozesses, denn Kunst sei den Menschen, nach Thomas Mann, »ein schwebendes Angebot«, vor allem wenn die Künstler Anfang 20. Jahrhundert auf die Krisenhaftigkeit in der Gesellschaft und deren Weltbilder höchst unterschiedlich reagierten, die Gestaltungsmittel umwälzten und die Kunstrichtungen nach ihrer Intention ausdifferenzierten. Die Avantgarden wollten »den Dingen auf den Grund« gehen (Palmbaum, 2/1918, 100 Jahre Revolution in den Künsten). Beim Expressionismus wird das Gefühlselement der Kunst betont. Mit der schöpferischen Orientierung auf ursprüngliche Traditionen führte ein romantisiertes, utopisches Verhältnis die Expressionisten zum Volk. Die Novembergruppe war mit gewissen Diskrepanzen ein Zusammenschluss radikaler Künstler, die sich ganz auf den Boden einer neuen, werdenden Gesellschaft stellen und mit ihrer Kunst dieser dienen wollten. In Max Pechsteins Aufruf »An alle Künstler!«, den die Novembergruppe 1919 veröffentlichte, legt eine beschwörende Mannesgestalt seine Linke auf das sichtbar gemachte Herz. Dessen Rot flammt und strahlt ganz wie die Lyrik Karl Ottens von 1917, wie eine »Thronerhebung des Herzens«. »Es lebe die Weltrevolution« ruft 1920 in seinem Holzschnitt Conrad Felixmüller aus. Eindringlich wirbelt »Der kleine Trommler« im Gemälde Elisabeth Voigt von 1926 dafür mit beiden Stöcken. Manche Künstler, so die proletarisch-revolutionären oder die vom Bauhaus, suchten ein Volk, doch sie stellten wie Paul Klee fest: »Uns trägt kein Volk.« Aber sie suchten es und berührten viele mit den Gedenkblättern zum Tod von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Käthe Kollwitz und von Conrad Felixmüller, der sich mit seinem Holzschnitt »Toter Genosse«, 1919, vor ihm verneigt und ihm politisch nah ist. »Für die Idee« sich zu opfern bringt Heinrich Ehmsen mit der Radierung von 1919 »Erschießung im Kasernenhof« Hochachtung auf. Und mit der tragikomischen Dada-Satire »Krüppel als Kartenspieler«, 1920, verurteilt Otto Dix bitter den Krieg.
Anders revoltierten die Futuristen mit gattungsüberspringender Simultanität, so in den Bild-Musik-Stücken von Otto Griebel, oder die Konstruktivisten, die mit dem erkenntnismäßigen Element den modernen Kulturmenschen erreichen wollten. Alexander Archipenkos Lithographie »Frau«, 1921, will mit seiner kubistischen Form den Inhalt fassen, die Einheit von Natur, Kosmos und Mensch (nach Henri Bergson). Die Ismen ergänzten, widersprachen und bekämpften sich, ebenso wie im Sozialismus die Meinungen von Lenin, Luxemburg, Trotzki, Stalin …
Der die Formenwelt revoltierende Bildbegriff verknüpfte auch in der DDR die Gattungen der Kunst mit dem Leben, zu sehen bei A. R. Penck, bei der Künstlergruppe Clara Mosch oder bei Ingo Arnolds Metrischer Montage »Demonstration«, 1982, im Metrum der Musik und in der Metrik der Verskunst zum Bild montierte Fotosequenzen.
Wie die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss für die politische Kultur eminent und weltweit wichtig war, demonstriert eine raumgreifende Wandinstallation mit Buchseiten und Kunstwerken, darunter Fritz Cremers Aquatinta-radierung »Vor dem Pergamonaltar«, 1983. In den Widerstand gegen den US-Krieg in Vietnam treten Wieland Förster und Helmuth Diehl ein (Blätter aus der Mappe »Vietnam-Protest«). Den »Anachronistischen Zug« westdeutscher »entnazter Nazis«, ihre verlogene »Freiheit und Democracy«, entlarvt nach Bertolt Brecht Heinz Zander 1964 im vierteiligen Gemälde. Bilder des Widerstandes gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings schuf der oft als unpolitisch vermutete Gerhard Altenbourg in subversiver Form mit »Erzgebirge: 20. August 1968«, 1968 (die Lithographie zeigt einen Panzer im Verdeck einen Tag vor dem Einmarsch). Anders feierte die gelöste Atmosphäre des politischen Aufbruchs mit selbstbewussten Frauen Petra Flemming im Gemälde »In Prag«, 1968. Die fehlende Gleichberechtigung wiederum nimmt Klaus Staeck im Plakat von 1973 »Jeder zweite Abgeordnete ist eine Frau« ironisch aufs Korn. Dem Wortführer der 68er-Bewegung, Rudi Dutschke, setzte Volker Stelzmann 1973 ein bewegendes zeichnerisches Denkmal. Und ein »Requiem für Victor Jara« malte Wolfgang Mattheuer 1973 gegen den Militärputsch in Chile. Über dem am Boden liegenden Sänger mit zerschlagenem Arm und brennender Gitarre geht blutrot die Sonne unter. Die Sonne heißt bei Mattheuer: Trotz alledem!
Neue Seiten der Ästhetik des Widerstands schlägt die Ausstellung in Altenburg auf – mit Nachdruck: Zeitgenössische Positionen benötigen revolutionäre Gedanken. In der Fotoserie »World of Warfare« konfrontiert Julian Röder den Betrachter mit Bildern von der IDEX, der größten Waffenmesse im Nahen Osten, und legt den Finger in die Wunde aktueller globaler Krisen.
»Die einzig revolutionäre Kraft. Kunst und Revolution 1918 und 1968« bis 13.1.2019: Lindenau-Museum Altenburg, Gabelentzstraße 5, 04600 Altenburg, Di–Fr 12–18 Uhr, Sa, So, Feiertage 10–18 Uhr. Eingeladen wird zur Podiumsdiskussion am 10. Januar 2019 um 18.30 Uhr unter dem Titel »Die globalen Krisen und die Kunst der Gegenwart« mit dem Schriftsteller Ingo Schulze und dem Chef der Thüringer Staatskanzlei und Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff.
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