Mittwoch, 24. Juni 2015
Braune Gewalt
Wehrsportübungen im Wald, nächtliche Überfälle: Die Journalistin Andrea Röpke beschreibt in ihrem neuen Buch, wie die NPD das staatliche Gewaltmonopol aushebelt. Auszüge von Andrea Röpke
In Mecklenburg-Vorpommern ist die NPD besonders stark: Sie hat nicht nur Abgeordnete im Landesparlament, sie erprobt in dem strukturschwachen Land auch, wie sich die Gesellschaft wirksam unterwandern lässt. Das nordöstliche Bundesland ist für die Rechtsextremisten eine Modellregion: Für den beim Verfassungsgericht in Karlsruhe eingereichten NPD-Verbotsantrag sammelten die Bundesländer gerade hier eine Vielzahl von Belegen.
Die Journalistin Andrea Röpke zeigt in ihrem Buch "Gefährlich verankert" anhand von Mecklenburg-Vorpommern, wie die offen antidemokratisch auftretende Partei rechtsextremistische Strukturen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein zu etablieren versucht. Wir veröffentlichen daraus zwei Kapitel.
Gefährlicher Ordnungsdienst
Der NPD-Landesverband gilt deshalb als gefährlich, weil Einschüchterungen und Gewalt oftmals verschleiert werden. Bei Aufmärschen und Demonstrationen gehen immer wieder verbale Bedrohungen mit tatsächlichen Ausschreitungen durch NPD-Führungskräfte u. a. gegen Journalisten und Gegendemonstranten einher. Tatsächlich scheint aber die Strategie darin zu bestehen, Angriffe eher außerhalb der heimischen Lebenswelt durchzuführen und sie so dem regionalen Wahlvolk vorzuenthalten. Im Bundestagswahlkampf 2013 wurde der Ordnungsdienst "Waterkant" des NPD- Landesverbandes, der dem Greifswalder Frank Klawitter unterstellt ist, bundesweit eingesetzt.
Bei einer Wahlkampfaktion in Aschaffenburg 2013 sollen Ordner Passanten mit einem Feuerlöscher besprüht haben. Die Polizei nahm 13 Rechte wegen des Verdachtes auf gefährliche Körperverletzung kurzzeitig in Gewahrsam, darunter den damaligen Parteichef.
Die internen Sicherheitskräfte der 1964 in Hannover gegründeten Neonazi-Partei sind berüchtigt, seitdem der damalige Bundesbeauftragte des Bundesordnungsdienstes Klaus Kolley 1969 zur Waffe griff und auf zwei Gegendemonstranten schoss. Die beiden Opfer brachen mit Schusswunden in den Armen zusammen. Ein weiterer Chef des Ordnungsdienstes hatte zuvor eine langjährige Haftstrafe verbüßt, nachdem er Ende der 1970er Jahre ein Nato-Waffendepot mit überfallen hatte. Später galt Andreas Theißen vom NPD-Kreisverband Westmecklenburg einige Zeit als führende Kraft im Ordnungsdienst. Theißen war Mitglied in der 1994 verbotenen "Wiking-Jugend". Als Jugendlicher besaß er illegal Sprengstoff, 2006 wurde der mehrfache Familienvater im Wahlkampf gegen einen Kameramann des Norddeutschen Rundfunks handgreiflich.
2012 bot die NPD in Lübtheen eine ganz spezielle Sportschulung an: ein Nervendruckseminar. Mit gezielten Schlägen oder auch nur Druck auf bestimmte Punkte am Körper, die keine sichtbaren Wunden hinterlassen, können Angriffe Schmerzen oder Lähmungen hinterlassen und auch zu Bewusstlosigkeit führen – nicht zuletzt für Ordnungskräfte der NPD durchaus eine interessante Technik. Geschickt versucht der Ordnungsdienst, das Gewaltmonopol des Staates auszuhebeln und bei Demonstrationen Selbstjustiz auszuüben. So wird immer wieder von einem angeblichen Recht auf Notwehr Gebrauch gemacht und Medienvertreter bei der Ausübung ihrer Arbeit angegriffen. "Mitmachen darf, wer eine sportliche Grundhaltung besitzt, sich dem Willen zum Dienst verpflichtet und damit seine eigenen Interessen unter den Dienst des Gemeinschaftswillen stellt", heißt es in einem Werbeblatt der Ordner.
Klawitters Zöglinge
Dank der straffen Truppe, die als Sammelbecken junger Kader gilt, können sich hierarchische Strukturen verfestigen, warnen auch die OpferberaterInnen von Lobbi e. V., die das Vorgehen bei öffentlichen Anlässen seit Jahren beobachten. "Ehrgeizigen Neueinsteigern wird so ein Distinktionsgewinn gegenüber den einfachen 'Kameraden' beschert", so Lobbi e. V., "Machtgewinn und 'Szene-Fame' beinhalten eine gewollte Dynamik." Auch sind die weltanschaulich geschulten Ordner bei Aufmärschen dazu angehalten, die Kameraden und Kameradinnen bei Verstößen gegen das geforderte Auftreten zu maßregeln. Schnell ist da zum Beispiel die unpassende Zigarette beim "Trauermarsch" aus dem Mund geschnipst.
Frank Klawitter kann als Leiter der NPD-Security auf eigene militante Erfahrungen zurückgreifen. In den 1990er Jahren organisierte er als "Führer von Greifswald" Wehrsportlager. Der mehrfache Familienvater brachte sich bis zum Verbot 2009 maßgeblich in der verfassungsfeindlichen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) mit ein, die Kinder und Jugendliche nach dem Vorbild der Hitlerjugend und soldatischen Idealen erzog. Klawitters Zöglinge gelten als ideologisch besonders gefestigt, diszipliniert und gewaltbereit. Im Umfeld seiner Gefolgsleute wie zum Beispiel Lutz Giesen ist immer wieder auch von Wehrsportübungen in den Wäldern Mecklenburgs die Rede.
Udo Pastörs schwadronierte laut Wortprotokoll in der 90. Sitzung des Innenausschusses des Landtags Mecklenburg-Vorpommern im April 2010 davon, über eine "Organisationsform" innerhalb der NPD nachzudenken, die sie in die Lage versetze, "dass wir uns selber schützen".
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