Mittwoch, 19. April 2017

Von Schröder lernen (Otto Köhler)


Das hat eine Tradition im Spiegel, die sich auf Joseph Goebbels berufen darf. »Soll man die Deutschen bewaffnen?« war die erste Kolumne überschrieben, die 1948 der 25-jährige Ex-Leutnant Rudolf Augstein in seinem deutschen Nachrichtenmagazin schrieb. Er antwortete mit einer Gebrauchsanweisung, die der Existenzialistenpapa Søren Kierkegaard ein Jahrhundert zuvor ausgegeben hatte: »Hänge dich oder hänge dich nicht – bereuen wirst du beides.« Augstein entschied sich für die Partei der erfreulicherweise Gehängten: »Es ist maßlos traurig, dass der wohlmeinende Pazifismus Nürnberger Prägung schon drei Jahre nach Kriegsende in einer Sackgasse festsitzt. Es ist traurig, aber nicht überraschend. Der kleine Lügendoktor hat mit seiner bösesten Prophezeiung recht behalten. Aber wer den Kopf ressentimental in den Sand steckt, den überrollen die Panzer.« Darum beriet Augstein im engen Kontakt mit pensionierten Hitler-Generälen Konrad Adenauer, bevor er sich mit ihm verkrachte, bei der Remilitarisierung Westdeutschlands.

Das Ergebnis war die Bundeswehr. Und in deren Geist durfte die deutsche Kriegsministerin Ursula von der Leyen im Hamburger Rathaus zum 70-jährigen Jubiläum des Spiegel die Festrede gegen das »Gift der Zersetzung« halten. Das Nachrichtenmagazin dankt. Ende März erschien ein Kampfartikel (»Ein bisschen Frieden«), der so tut, als nähmen die Spiegel-Journalisten die Wahlkampagne der SPD ernst. (»Der Dreiklang aus Frieden, Abrüstung und Entwicklungshilfe soll die Union weiter in die Defensive treiben.«) Aber das Nachrichtenmagazin mahnt: »Auch Schulz und Gabriel wissen«, dass »die Streitkräfte« seit Jahren »zu wenig Geld bekommen«. Doch gleichzeitig nutze Gabriel die Debatte, um »antiamerikanische Ressentiments« seiner Wähler – die »ressentimental« ihren Kopf in den Sand stecken? – zu bedienen und die Union in die »ungemütliche Position zu manövrieren, Trumps Geldforderungen verteidigen zu müssen«. Zu müssen. Ein Artikel der sich anhört, als würde nunmehr der Chor der Rüstungsindustriellen das alte Volkslied singen: »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!«

Der Spiegel besorgt: »In einem Papier des Verteidigungsministeriums wird haarklein aufgelistet, wo eine Modernisierung des Materials unumgänglich ist.« Von seiner Festrednerin lässt sich der Spiegel widerspruchslos erläutern: »Die Fregatten aus den Achtzigerjahren müssen selbst nach liebevollster Behandlung irgendwann ersetzt werden.« Sie werden dringend gebraucht zur Abwehr der Flüchtlinge auf der See gleich vor Nordafrika. Neun Milliarden will von der Leyen allein für diese Kriegsschiffe; das ist mehr Geld als der Haushaltsplan für 2018 für die gesamte »Entwicklungszusammenarbeit« (8,7 Milliarden) vorsieht. »Ich habe schon im letzten Jahr einen 130-Milliarden-Plan vorgelegt«, versichert die Kriegsministerin dem Spiegel. 130 Milliarden das ist das Achtfache dessen, was die Große Koalition 2018 für unsere Gesundheit, also für das Gegenteil der Militärausgaben, eingeplant hat. Aber der Spiegel lässt sich gläubig von ihr erläutern, es gehe nicht um Aufrüstung, sondern nur um ein »Minimum an Ausrüstung«.

Die »Genossen« feiern, so tadelt das Magazin von der Ericusspitze die friedensbewegten Sozialdemokraten, »heute noch« Gerhard Schröder, weil er »2002 als Kanzler dem ungeliebten US-Präsidenten George W. Bush den Irakkrieg ablehnte und so überraschend die Bundestagswahl gewann«. Dass Schröder mit Hilfe des BND Bush einen falschen Kronzeugen für Saddam Husseins erfundene Massenvernichtungsmittel und damit den Kriegsgrund lieferte, bleibt ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass Schröder der erste deutsche Kanzler war, der wieder Krieg führte: Er vollendete das von Hitler begonnene Zerstörungswerk gegen Jugoslawien. Und er führte den Krieg, mit dem er im Irak pausiert hatte, nachhaltig in Afghanistan fort.

»Von Schröder lernen« will die SPD, laut Spiegel. Die Sorgen des deutschen Nachrichtenmagazins um eine friedensbewegte SPD sind ebenso durchsichtig wie überflüssig. Wie immer die Wahl ausgeht, so heißt es in Brüssel, wolle Martin Schulz auf keinen Fall eine rotrotgrüne Koalition eingehen, sondern egal ob als Kanzler oder Vizekanzler die alte Große Koalition weiterbetreiben. Das habe er seinen Brüsseler Unionsfreunden fest versprochen. Der »Friedenswahlkampf« (Spiegel) ist dann beendet. Die Kriege

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