Mittwoch, 19. April 2017

Kuschen vor dem Terrorpaten (Ulla Jelpke)


Der Streit um Auftrittsverbote für türkische Minister, die in Deutschland für die Zustimmung zur Errichtung einer Präsidialdiktatur in der Türkei werben wollten, war eine von beiden Seiten bewusst betriebene Augenwischerei. So sollte einerseits von der tatsächlichen Mitverantwortung der Bundesregierung für die Errichtung eines diktatorischen Regimes in der Türkei abgelenkt werden, während andererseits das NATO-Land Türkei sich als scheinbares Opfer westlicher Großmachtpolitik inszenieren konnte, um so die eigene Bevölkerung hinter Erdoğan und dem von ihm angestrebten Präsidialsystem zu sammeln.

Vergessen wir nicht: Es war die Bundesregierung, die wesentlich den schmutzigen Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei vorangetrieben hat. Im Rahmen dieses Deals hat die Bundesregierung zu den Kriegsverbrechen der türkischen Armee in den kurdischen Landesteilen der Türkei und der Zerstörung ganzer Städte ebenso geschwiegen wie zur Gleichschaltung der Presse und der Inhaftierung von über 150 Journalisten (s. Ossietzky-Themenheft »Türsteher Türkei«, 10/2016). Und weiterhin ist Deutschland einer der wichtigsten Waffenlieferanten der Türkei. Die Rüstungsschmiede Rheinmetall will nun eine ganze Panzerfabrik in der Türkei errichten. Von einer echten Krise der deutsch-türkischen Beziehungen kann keine Rede sein. Was wir erleben, sind Scheingefechte.

Europa und vor allem die Bundesregierung wollten den Aufstieg der Türkei als Großmacht behindern, lautet die von Ankara gepflegte Legende. Dafür bediene sich der Westen terroristischer und putschistischer Gruppierungen – von der kurdischen PKK bis zur Gülen-Bewegung. Direkt beschuldigt Erdoğan Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschland biete der »terroristischen« PKK Schutz.

In Wahrheit wird die kurdische Befreiungsbewegung in keinem Land außerhalb der Türkei so scharf verfolgt wie in Deutschland. Schon in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurden in Düsseldorf großangelegte Terrorismusprozesse gegen rund 20 kurdische Politiker geführt. 1993 wurde in enger Abstimmung zwischen Ankara und Berlin die PKK in Deutschland verboten – gemeinsam mit Dutzenden Kulturvereinen, einem Verlag, einer Nachrichtenagentur und weiteren Vereinigungen. Unzählige Demonstrationen und Veranstaltungen wurden seitdem untersagt, unzählige Hausdurchsuchungen bei kurdischen Familien durchgeführt. Allein zwischen 2004 und 2015 wurden nach Angaben der Bundesregierung weit über 4500 Strafverfahren im Zusammenhang mit der PKK eingeleitet. In den wenigsten Fällen geht es dabei um Gewalttaten, etwa durch kurdische Jugendliche, die sich mit türkischen Faschisten geprügelt haben. Es geht vielmehr um Spenden an die kurdische Bewegung oder Propagandadelikte. Schon das Zeigen von Öcalan-Bildern kann zu einer Festnahme auf einer Demonstration führen.

Über 100 kurdische Aktivisten wurden seit 1993 in Deutschland inhaftiert. Derzeit sitzen rund zehn kurdische Politiker und Aktivisten unter Terrorismusvorwürfen in deutscher Haft. Obwohl ihnen in Deutschland, wo sich die PKK bereits Mitte der 1990er Jahre von Gewaltakten distanzierte, keinerlei Straftaten und schon gar keine Gewalttaten vorgeworfen werden, lautet der Vorwurf auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Als Belege dafür werden den Angeklagten die Organisierung von an sich völlig legalen Demonstrationen, Schulungen und Kulturveranstaltungen sowie Wahlkampf für die in der Türkei legale HDP vorgeworfen.

All das ist Ankara nicht genug. Denn nach türkischer Sichtweise ist jede Thematisierung der kurdischen Frage und jede Kritik am Krieg in Kurdistan bereits als Terrorismus und Unterstützung der PKK zu werten. So wurden in der Türkei Dutzende Hochschuldozenten allein wegen der Unterzeichnung eines Friedensappells inhaftiert und hunderte weitere von ihren Arbeitsstellen entlassen. Mit dem Vorwurf, die Bundesregierung schütze Terroristen, versucht die türkische Regierung, die Bundesregierung zu einem noch schärferen Vorgehen gegen kurdische Vereinigungen in Deutschland zu bewegen. Denn in der Tat unterstützten viele der rund eine Million in Deutschland lebenden Kurden die PKK auf die eine oder andere Weise oder sympathisieren zumindest mit dieser Bewegung. An kurdischen Demonstrationen und Newroz-Festen in Deutschland beteiligen sich Zehntausende. Zwar kann schon eine solche, etwa durch Teilnahme an einer Demonstration öffentlich ausgedrückte Sympathie dazu führen, dass die Betroffenen nicht eingebürgert werden, ginge es jedoch nach der türkischen Regierung, dann sollten alle diese PKK-Sympathisanten gleich eingesperrt oder ausgeliefert werden.

Gleichzeitig suggeriert der von der türkischen Regierung erhobene Vorwurf, Deutschland unterstützte »Terroristen«, dass der Widerstandskampf der PKK in Wahrheit das Werk fremder Mächte zur Schwächung der Türkei sei – und nicht in erster Linie eine Folge der Unterdrückung der Kurden durch den türkischen Staat. So muss sich Ankara nicht weiter mit den legitimen Forderungen der Kurden nach demokratischen Rechten und Selbstbestimmung auseinandersetzen.

Der an Berlin gerichtete Vorwurf der Terrorunterstützung lenkt zudem von der nachweislich langjährigen Unterstützung der Terrormiliz Islamischer Staat sowie der bis heute fortgesetzten Unterstützung anderer dschihadistischer Terrorgruppen in Syrien durch die türkische Armee und den Geheimdienst ab. Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr selbst zugegeben, dass die Türkei unter Erdoğan zur Aktionsplattform islamistisch-terroristischer Gruppierungen geworden ist.

Auf den von türkischen Regierungsmitgliedern regelmäßig erhobenen absurden Vorwurf, ausgerechnet Deutschland unterstützte die PKK, reagierte die Bundesregierung Anfang März per Erlass des Bundesinnenministers mit einer Ausweitung des PKK-Verbots. Verboten sind nun die Fahnen und Symbole zahlreicher weiterer an sich legaler kurdischer Vereinigungen der Frauen- und Volksverteidigungseinheiten YPJ/YPG, die in Syrien den erfolgreichsten und entschlossensten Kampf gegen den IS führen. Mit dem Verbot von YPG/YPJ-Fahnen fällt die Bundesregierung nicht nur diesem in Deutschland auch durch Demonstrationen der kurdischen Bewegung propagandistisch geführten Kampf gegen den IS in den Rücken. Sie isoliert sich in dieser Frage zudem außenpolitisch. Denn allein das Regime in Ankara betrachtet die YPG/YPJ als terroristisch, während der Kampf der kurdischen Verbände und ihrer Verbündeten sowohl von der US-geführten Anti-IS-Allianz als auch von Russland unterstützt wird.

Die Ausweitung des PKK-Verbots auf die syrisch-kurdischen Vereinigungen zum jetzigen Zeitpunkt – wenige Wochen vor dem Referendum in der Türkei – kann nicht anders denn als Wahlkampfhilfe für das Sultanat am Bosporus verstanden werden.

Notwendig wären stattdessen Klartext gegenüber dem islamistischen Terrorpaten Erdoğan, ein Stopp der Waffenlieferungen, der Abzug der Bundesluftwaffe aus Incirlik und die Ausweisung türkischer Agenten aus Deutschland statt weiterer Geheimdienstkooperation. So könnte den demokratischen Kräften in der Türkei der Rücken gestärkt werden.

Um eine politische Lösung der kurdischen Frage in der Türkei zu forcieren, sollte die Bundesregierung die Repression gegen kurdische Vereinigungen einschließlich der PKK beenden und ihrerseits das Gespräch suchen. Auch damit ließe sich Druck auf Ankara aufbauen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

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