Montag, 1. April 2019

Wie sollen Muslime auf Terror reagieren?

Die Trauer nach Christchurch ist nach wie vor groß, so wie die Wut. Was sagt der Koran, wie man sich nach einem Schicksalsschlag verhalten soll? Und wie sieht der Alltag in einer Moschee jetzt aus? Der Berliner Imam Ferid Heider hat es niedergeschrieben.
„Ist das ein Computerspiel?“. Das war mein erster Gedanke als ich das Video vom Terroranschlag in Neuseeland gesehen habe. Erst als ich die Meldungen sah, wurde mir klar, dass es sich hierbei um eine aufgezeichnete Live-Übertragung auf Facebook handelte. Eine Aufzeichnung, die eine der schlimmsten Terroranschläge der letzten Jahre übertrug.
Ich stand, wie viele andere, den gesamten Tag unter Schock. Meine Frau war gar nicht mehr anzusprechen. Ich bin als Imam tätig und hatte meine Predigt schon vorbereitet. Mir war klar, dass man über diesen Vorfall sprechen musste. Die Gemeinde wird von ihren Imamen eine Antwort erwarten.
Wie soll man auf dieses Massaker reagieren? Mit Wut? Trauer? Gewalt? Was kann man als Muslim konkret tun? Hilflos zuschauen? Demonstrieren? Ja, muss man sich vielleicht sogar Sorgen machen, dass so etwas auch in Deutschland passieren könnte? Es ist kein leichtes Unterfangen, all diese Fragen zu beantworten. Zumal man selbst noch keine klaren Gedanken fassen konnte. Aber die Aufgabe eines Imams ist es nun einmal, in solchen Situationen die Gemeinde zu führen und Antworten zu geben.

Sind unsere Moscheen sicher?

Die erste Frage, die sich sicherlich viele gerade an diesem Freitag gestellt haben, war, ob es überhaupt noch sicher ist, in eine Moschee zu gehen. Mehrere Personen haben mich an diesem Freitag gefragt, ob man nicht die Sicherheitsvorkehrungen in den Gemeinden erhöhen müsste. Und ob es nicht fahrlässig sei, keinen Polizeischutz zu haben.
Auch wenn ich mich an diesen Gedanken einer bewachten Moschee nicht anfreunden kann und will, steht für mich außer Frage, dass sich gerade die muslimischen Religionsgemeinschaften und Moscheevorstände ernsthafter denn je mit der Sicherheitsfrage und dem Schutz der Gebetsstätten auseinandersetzen müssen. Sie tragen nämlich eine Verantwortung gegenüber den Gläubigen, welche ihre Einrichtungen besuchen.
Gleichzeitig muss man sich aber darüber im Klaren sein, dass selbst der beste Polizeischutz einen Anschlag nicht komplett verhindern kann. Das haben wir leider bei Anschlägen auf gut bewachte jüdische Einrichtungen schon mehrfach erleben müssen.
Umso wichtiger ist es für uns Muslime, in solchen Momenten ganz bewusst die sechste Säule des Glaubens, den Glauben an das Schicksal, die Vorherbestimmung Gottes, ins Gedächtnis zu rufen. Denn diese Glaubenssäule lehrt uns, dass uns kein Unglück treffen kann, ohne dass dies vorher in einem Buche niedergeschrieben wurde.
Somit wird dem Muslim der Gang zu seiner Gebetsstätte trotz drohender Gefahr erleichtert. Der offene offenen Diskurs mit der Politik über die Sicherheit muslimischer Einrichtungen darf hierbei – wie gesagt – niemals vergessen werden. Ganz im Sinne des Hadithes: „Binde dein Kamel an und dann vertraue auf Allah!“ (Tirmizî)


Da Trauer jedoch sehr schnell in Wut, Zorn und Hass übergehen und starke Rachegedanken hervorrufen kann, stellt sich die sehr essenzielle Frage, wie Muslime adäquat mit diesem Ereignis umgehen sollten.

Im Koran findet sich hierzu folgende Antwort:

„… Und der Hass, den ihr gegen (bestimmte) Leute hegt, weil sie euch von der geschützten Gebetsstätte abgehalten haben, soll euch ja nicht dazu bringen zu übertreten. Helft einander zur Güte und Gottesfurcht, aber helft einander nicht zur Sünde und feindseligem Vorgehen,…“ (5:2)
Offenbart wurde dieser Vers nach dem die Muslime im 5. Jahr nach der Hidschra von der Ausführung der ʿUmra abgehalten wurde. Ibn Abî Hâtim überliefert:
„Als der Gesandte Allahs (s) und seine Gefährten bei al-Hudaybiya waren, wo sie von den Polytheisten daran gehindert wurden, Mekka zu betreten, setzte dies seinen Gefährten enorm zu. Als sie dann einige Polytheisten aus dem Osten kommend sahen, die die ʿUmra in Mekka vollziehen wollten, sagten sie sich: ‚Wir hindern sie an der Anreise, ebenso wie wir daran gehindert wurden!‘ Da offenbarte Allah diesen Vers.“
Wut und Hass dürfen niemals zu unüberlegtem Handeln oder gar zu Unrecht führen. Der Koran verlangt von den Muslimen, an bestimmten moralischen Maßstäben festzuhalten und nicht die falschen Maßstäbe der anderen zu adaptieren.
Ebenfalls darf die Wut über den Hass der Täter nicht dazu führen, dass Muslime verallgemeinern und alle über einen Kamm scheren. Der Koran verlangt vielmehr, immer zu differenzieren. So heißt es in der dritten Sure über die Leute der Schrift:
„Sie sind nicht (alle) gleich“ (3: 113) und zählt die guten Eigenschaften der Schriftbesitzer auf.

Die richtige Antwort auf diese Anschläge ist positiver Aktivismus!

Muslime sollten ihre Energie dafür nutzen, die Ursachen für solch einen blinden Hass und die daraus resultierende Gewalt auszumerzen. Hierzu gehört es klare Forderungen an die Politik zu stellen. Es müssen nämlich schnelle und wirksame Maßnahmen gegen den in der Gesellschaft grassierenden antimuslimischen Hass ergriffen werden. Übergriffe auf Muslime und islamische Institutionen müssen konsequent geahndet und auch deutlich als islamfeindlich motivierte Straftaten gewertet werden.
Die muslimischen Religionsgemeinschaften müssen hierfür stärker denn je ihren Einheitsprozess vorantreiben, um mit einer Stimme ihren Druck auf die Politik erhöhen zu können. Und letztendlich gilt es jetzt noch intensiver mit all jenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, denen eine weltoffene, tolerante, gewaltfreie und gerechte Gesellschaft genauso wichtig ist, wie uns.
von: Ferid Heider
Ferid Heider machte seinen Bachelor im Fach Arabistik. Seit über 10 Jahren ist als Imam in vielen Moscheen und Organisationen aktiv und bietet wöchentliche Unterrichte, Freitagspredigten und diverse Seminare an.

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