Montag, 29. April 2019

Buchproduktion mit Hindernissen (Norman Adler)


Es gilt ein Buch vorzustellen, dessen Erscheinen etwas Antagonistisches anhaftet. Mitte des Jahres 1987 fanden in der senegalesischen Hauptstadt Dakar über mehrere Tage hinweg Gespräche zwischen führenden Exil-Kräften der südafrikanischen Befreiungsbewegung ANC und einigen mutigen liberalen »weißen« Südafrikanern unter Leitung des Politikers Frederik van Zyl Slabbert, darunter Wissenschaftler, Theologen, Künstler, Wirtschaftsfachleute und Journalisten, statt. Es waren keine Verhandlungen, sondern »nur« Gespräche, denn beide Seiten verfügten über keinerlei Mandate für verbindliche Absprachen. Aber politisch motivierte Gespräche zum gegenseitigen Kennenlernen, so war man übereingekommen, können mehr bewirken als unverbindliches Geplauder oder gar weiteres »Anschweigen«. So gab es einen pflichtfreien Gedankenaustausch in der westafrikanischen Metropole. Vor allem ging es darum, dass die zumeist schwarzen Befreiungskämpfer des ANC und die der Apartheid skeptisch bis ablehnend gegenüberstehenden weißen Intellektuellen bei Vorträgen, Diskussionen, Pausengesprächen, gemeinsamen Ausflügen, Empfängen und ungezwungenen Vier- oder Mehraugengesprächen feststellten, dass ihnen gegenüber keine rigorosen den Rassismus verteidigenden Vertreter des Apartheidregimes standen beziehungsweise die ANC-Funktionäre keine bluttriefenden Kommunisten waren. In wohl keinem anderen Land der Welt hatte der Antikommunismus solche ideologischen Vorbehalte produziert wie im Apartheidstaat. Um die seit Jahrzehnten verfestigte intellektuelle Schweigemauer von Vertretern beider Seiten zu durchbrechen, hatte man sich getroffen. Es ging erklärtermaßen darum, sich kennenzulernen und zu eruieren, ob man miteinander auch kontrovers diskutieren könnte und ob es möglich wäre, Verhandlungen zur Beseitigung der menschenverachtenden Apartheid aufzunehmen. Denn Südafrika stand wirtschaftlich und politisch am Abgrund und vor einem immer wahrscheinlicher werdenden Bürgerkrieg. Es musste also etwas geschehen.

Die Teilnehmer des Treffens in Dakar bewiesen große Verantwortung für ihr Land, ja vor der Welt. Denn wie hätten die damals mächtigen Machtblöcke reagiert, wenn es über einen Bürgerkrieg zu einem blutigen regionalen Konflikt im Süden Afrikas gekommen wäre? Südafrika war Atommacht, und die Großmächte USA und Sowjetunion verfolgten diametral entgegengesetzte geostrategische Interessen, zumal Gorbatschows Perestroika-Politik noch nicht sichtbar war.

Die als erfolgreich eingeschätzten Gespräche führten in den folgenden Monaten und Jahren zu weiterem Gedankenaustausch, der etwa in Leverkusen, London, Harare und zunehmend am ANC-Hauptquartier in Lusaka stattfand. Deshalb kann man, wie es der Verfasser des Buches getan hat, von einem Prozess sprechen, der über Gespräche und dann Verhandlungen, zu denen das Dakar-Treffen den Auftakt gab, zur relativ unblutigen Überwindung der Apartheid führte. Quasi parallel dazu verliefen – dies sollte man nicht unterschlagen – Gespräche von Regierungsvertretern des Apartheidstaates mit dem noch eingekerkerten ANC-Führer Nelson Mandela, der nach seiner Freilassung erster demokratisch gewählter schwarzer Präsident Südafrikas wurde.

Am Anfang des Prozesses zur Beendigung der staatlichen Rassentrennungspolitik waren einige aus der Bundesrepublik stammende Beobachter dabei, andere organisierten später die erste »offizielle« Nachfolgekonferenz in Leverkusen. Diese Tatsache sowie die Kontaktgespräche in Dakar selbst sind in der südafrikanischen wie in der deutschen Geschichtsschreibung sowie in der Öffentlichkeit bislang kaum gewürdigt worden. Vor allem der damalige Politikberater und Leiter des Bonner Büros der Stiftung Wissenschaft und Politik, Klaus Freiherr von der Ropp, hatte sich dabei große Verdienste erworben. Gedankt wurde ihm sein Engagement nicht.

Durch Finanzierung der Friedrich-Naumann-Stiftung war er zwar nach Dakar gereist und hatte als einer der wenigen ausländischen Beobachter als Mitglied der Slabbert-Delegation an den Gesprächen teilgenommen. Sein informativer Bericht darüber landete ohne große Auswertung im Archiv der Stiftung. Fortan wurde der Mantel des Schweigens über die Aktion gedeckt.

Wenngleich (west)deutsche Institutionen im Süden Afrikas nicht gerade viel langanhaltend Positives bei der Dekolonisierung angestoßen haben, hat man es bis heute sträflich versäumt, eine solche Unterstützung zur Verhinderung eines Bürgerkrieges und vielleicht zur Sicherung des »Weltfriedens« im Kalten Krieg entsprechend zu würdigen. Von der Ropps hierzulande kaum bekanntes Engagement, möglich geworden durch eine Reisefinanzierung derjenigen politischen Stiftung, die der FDP nahesteht, also derjenigen Partei, die damals den Außenminister stellte, kam erst gut dreißig Jahre später durch das Buch des Afrika-Historikers und -Politikwissenschaftlers Ulrich van der Heyden ans Tageslicht. Von der Ropp wird in dem vorzustellenden Buch gewürdigt und sein damaliger Bericht nunmehr bekannt gemacht.

Der Verfasser Ulrich van der Heyden gilt als Spezialist für die Geschichte der deutsch-afrikanischen Beziehungen, jedoch hat er sich bislang durch seine Forschungen zur Missionsgeschichte im 19. Jahrhundert und zur Geschichte der Beziehungen der DDR nach Afrika verdient gemacht und dazu einige Bücher geschrieben und noch mehr herausgegeben. Umso notwendiger erschien es ihm, sich dieser Aktion bundesdeutscher Bürger, die nicht die gebührende Aufmerksamkeit in der öffentlichen Erinnerung wie in der journalistischen und wissenschaftlichen Aufarbeitung gefunden hat, wissenschaftlich zu widmen. War seine bisherige Beschäftigung mit der DDR-Afrikapolitik der Anlass dafür, dass die Friedrich-Naumann-Stiftung nach anfänglicher finanzieller Unterstützung des Forschungsvorhabens sich gegenüber dem fertiggestellten Manuskript, sehr reserviert verhielt? Die Distanzierung, die bis hin zur angedrohten Verhinderung der Veröffentlichung reichte, sei jedoch, wie einige Mitarbeiter in der Stiftungszentrale verlauten ließen, nicht auf die Qualität der Arbeit zurückzuführen.

Es lag die Vermutung nahe, dass das distanzierte, für alle (selbst für einige Stiftungsmitarbeiter) unverständliche Verhalten auf die bisherigen Arbeiten des Wissenschaftlers zur DDR-Außenpolitik oder auf seine ostdeutsche Herkunft zurückzuführen sei. So liberal können Liberale sein! Vermutlich um sicherzugehen, dass der liberalen Stiftung, die bezeichnenderweise den Zusatz »Für die Freiheit« führt, nicht »ein Kuckucksei« ins Nest gelegt wird, gab es mehrere Aussprachen und interne Befragungen in der Stiftungszentrale. Mindestens zwei Gutachten sind bekannt geworden, die eigentlich nur der Verlag hätte einfordern können, wenn es um die wissenschaftliche Qualität und inhaltliche Relevanz gegangen wäre. Es ging jedoch um politische Unbedenklichkeit.

Die Gutachten konnten dann auch nichts Negatives feststellen, weder in ideologischer noch in sachlicher Hinsicht. Selbst nicht ein etwa aus sieben bis acht Personen bestehendes Gremium, welches in Johannesburg mit Teilnehmern aus Deutschland und einem südafrikanischen Historiker zusammengerufen worden war. Einen Tag lang diskutierte man dort in Abwesenheit des Verfassers in einer »Geheimsitzung« über sein Manuskript. Eine wissenschaftliche Begutachtung sieht anders aus!

Ebenso scheint es etwas abwegige Meinungen über die Freiheit der Wissenschaft bei der »liberalen« Stiftung zu geben. Nachdem der Verlag aus Kiel, der schon Arbeit in das Manuskript investiert hatte, unruhig geworden war und juristische Konsequenzen ins Spiel brachte und ehemalige Stiftungsmitarbeiter, die damals selbst als Akteure an dem nunmehr zum ersten Mal aufgedeckten Prozess beteiligt waren, für die Veröffentlichung des Manuskripts plädiert hatten, »erlaubte« die Friedrich-Naumann-Stiftung den Druck des Buches unter zwei Bedingungen: Es sollte nicht vor der Bundestageswahl 2017 erscheinen und der Stiftung sollte an keiner Stelle des Buches für ihre, wenn auch bescheidene Unterstützung der Forschungsarbeit gedankt werden.

Da fragten sich Verfasser und Verlag in tiefem Unverständnis, weshalb die FDP-nahe politische Stiftung Ressentiments haben könnte, wenn deren positives Engagement im Dakar-Prozess aufgearbeitet werden soll. Gibt es vielleicht noch »dunkle Ecken«, die nicht ans Tageslicht kommen sollen? Gibt es vielleicht noch Leichen im Stiftungsarchiv in Gummersbach?

Jedenfalls könnte man solche vermuten, denn seit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches hat sich die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung der Thematik angenommen und unter anderem in Berlin eine gut besuchte Abendveranstaltung durchgeführt und im Sommer 2018 mehrere Filmvorführungen und Diskussionsrunden über die Dakar-Gespräche in Südafrika veranstaltet. Dabei ging es vor allem um die Frage, inwiefern wir heute und zukünftig daraus lernen können, wie man drohenden Bürgerkrieg und regionale Konflikte entspannen könnte. Das Buch, welches eigentlich nach vorausgegangenen unverbindlichen Absprachen mit der Naumann-Stiftung ins Englische übersetzt werden sollte, steht in Südafrika, wo es ja am meisten Interesse an der Thematik gibt, bisher nicht zur Verfügung.

Eine Übersetzung wird wohl nunmehr ohne die Friedrich-Naumann-Stiftung erfolgen.

Der wissenschaftliche Wert des Buches bleibt. Denn unter Heranziehung aller verfügbaren mündlichen und schriftlichen Quellen hat der Verfasser anschaulich dargelegt, wie die Gespräche in Dakar, in Leverkusen und an weiteren Orten zu den bekannten Verhandlungen über das reale Prozedere zur Abschaffung der Apartheid führten.

Ulrich van der Heyden legt mit dem Buch die erste eingehende Untersuchung des Dakar-Prozesses vor, der trotz seiner historischen Bedeutung weitgehend in Vergessenheit geraten war. In allgemein verständlichem Stil analysiert er auf breiter Quellenbasis die Vorgeschichte, den Verlauf des Treffens, die teils geheimen Folgekonferenzen und die Ergebnisse der Gespräche. Im Anhang finden sich wichtige, zum Teil bislang unpublizierte Dokumente über die Konferenzen in Dakar und in Leverkusen, darunter ausführliche Augenzeugenberichte deutscher Beobachter. Es sind wissenschaftliche Grundlagen gelegt worden, um sich mit weiteren Fragen des »Dakar-Prozesses« zu beschäftigen. Ob man sich dabei auf die Friedrich-Naumann-Stiftung »für die Freiheit« verlassen sollte, wenn man »frei« forschen will, ist nicht ratsam.

Ulrich van der Heyden: »Der Dakar-Prozess. Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika«, Solivagus Verlag, Kiel 2018, 185 Seiten, 19,50 €.

Norman Adler ist Historiker und promoviert zur Geschichte der deutsch-südafrikanischen Beziehungen an der Universität in Stellenbosch.

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