Jahresrückblick 2018. Heute: Nahost. Donald Trump und Benjamin Netanjahu lassen Friedenslösung in weite Ferne rücken
Von Wiebke Diehl
»Danke, Präsident Trump«: Die Flagge Israels und der USA wird auf einen Teil der Mauer um die Altstadt in Jerusalem projiziert (Mai 2018)
Foto: Ammar Awad/REUTERS
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Das Jahr 2018, in dem der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels und zugleich der palästinensischen »Nakba« (Katastrophe), der Vertreibung von fast 800.000 Menschen aus ihrer Heimat, begangen wurde, stand vor allem unter dem Eindruck der Entscheidung Washingtons, das bislang zumindest um den Anschein einer neutralen Vermittlung im Nahostkonflikt bemüht war, sich von dieser Illusion zu verabschieden. Nachdem 2017 vom damaligen Präsidenten Barack Obama mit einer überraschenden Enthaltung im UN-Sicherheitsrat die Verabschiedung einer den israelischen Siedlungsbau verurteilenden Resolution ermöglicht worden war, wartete Präsident Donald Trump zum Jahreswechsel 2017/18 mit einer drastischen Kehrtwende auf. Er erkannte Jerusalem als Hauptstadt Israels an und verkündete den Umzug der US-Botschaft aus Tel Aviv dorthin. Seine Entscheidung war ein eklatanter Bruch mit der bisherigen US-amerikanischen Akzeptanz des weitgehenden internationalen Konsenses, der Status Jerusalems müsse durch Verhandlungen geregelt werden. Trump erklärte, dank ihm gebe es nun endlich »eine echte Möglichkeit für Frieden«, da Jerusalem als einer der Knackpunkte des Nahostkonflikts »vom Tisch« sei.
Umzug der US-Botschaft
Die Ankündigung des US-Präsidenten, den Umzug der Botschaft in das bisherige US-Konsulat in Jerusalem ausgerechnet am 14. Mai, dem 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel, vollziehen zu wollen, bedeutete eine weitere Provokation für die Palästinenser, Araber und Muslime weltweit. Zudem befindet sich das neue Botschaftsgebäude genau auf der sogenannten Grünen Linie und damit auch auf Gebiet, das nach Auffassung der Vereinten Nationen von Israel besetzt ist. Die Trump-Administration schaffte damit Raum für die Annahme, man erkenne den israelischen Anspruch auf die gesamte Stadt Jerusalem an. Auch einige osteuropäische Staaten liebäugelten mit dem Gedanken eines Umzugs ihrer Botschaften, Guatemala und Paraguay zogen tatsächlich nach. Unter dem neuen Staatspräsidenten Mario Abdo Benítez revidierte Asunción diese Entscheidung jedoch im September 2018, die Vertretung Paraguays kehrte zurück nach Tel Aviv.
Der von palästinensischen Parteien und Organisationen im 70. Jahr der »Nakba« ohnehin geplante »Marsch der Rückkehr« begann am 30. März, dem palästinensischen »Tag des Bodens«. Er sollte an der »Grenze« zwischen Israel und dem Gazastreifen insbesondere auf die immer noch ungelöste Situation der heute etwa fünf Millionen Geflüchteten aufmerksam machen. Die Stimmung unter den Tausenden Teilnehmern wurde durch die Entscheidung Trumps zur Verlegung der Botschaft zusätzlich aufgeheizt. Allein am 14. Mai beteiligten sich mindestens 50.000 Menschen an den Demonstrationen. Während der Eröffnungsfeierlichkeiten in Jerusalem, zu denen auch Präsidententochter Ivanka Trump und mehrere evangelikale Pastoren aus den USA eingeflogen worden waren, eröffneten israelische Soldaten am »Grenzzaun« zu Gaza das Feuer, obwohl die meisten Demonstrierenden auch nach Angabe der Armee unbewaffnet waren. Das Fazit der gewaltsamen israelischen Reaktion auf die bis heute anhaltenden palästinensischen Proteste: mehr als 200 Getötete und etwa 18.000 Verletzte. Die palästinensische Regierung hat sich deshalb an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gewandt.
Anstatt für eine Verbesserung der Lage der Menschen in Gaza zu sorgen, wo 60 Prozent der Jugendlichen arbeitslos und 73 Prozent der Bevölkerung von humanitärer Hilfe abhängig sind, es keine Bewegungsfreiheit gibt und die Einfuhr von Nahrungsmitteln, Beton, Treibstoff, Strom, Medikamenten und medizinischem Gerät durch Israel beschränkt wird, verkündete die Trump-Administration im September, ihre Finanzhilfen an das Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) einzustellen. Die US-Regierung war zuvor mit zwei Dritteln der Mittel der größte Geldgeber der UN-Organisation, die mehr als fünf Millionen Menschen unterstützt. Bereits zu Beginn des Jahres hatte Trump finanzielle Hilfen für die Palästinenser auf Eis gelegt, da er sie als Verantwortliche für den Stillstand im Nahost-Friedensprozess ausgemacht haben will.
In Reaktion auf die israelische Regierungspolitik sowie die extrem verschärfte Parteinahme Washingtons für die rechtsnationale Regierungskoalition von Premier Benjamin Netanjahu, die den Siedlungsbau ungehindert vorantreibt und damit eine von der internationalen Gemeinschaft geforderte Zweistaatenlösung immer unmöglicher macht, erklärte der PLO-Zentralrat Ende Oktober die Osloer Verträge von 1993 und 1995 für nicht mehr existent. Außerdem setzte er seine Anerkennung Israels aus, bis es »einen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 anerkennt, die Annexion von Ostjerusalem zurücknimmt und seinen Siedlungsbau stoppt«. Zumindest kurzfristig aufatmen ließ dagegen das Einfrieren der Abrissverfügung für das Beduinendorf Khan Al-Ahmar, dessen Zerstörung den Siedlungsring um Jerusalem geschlossen hätte, sowie die Beendigung des Beschusses des Gazastreifens im November, der einen neuen großen Krieg hätte zur Folge haben können. Trotzdem machte sich 2018 vor allem Hoffnungslosigkeit breit, auch weil eine Einigung zwischen den zerstrittenen palästinensischen Parteien Hamas und Fatah weiter nicht in Sicht war.
»Nationalstaatsgesetz«
Auch die Situation der in Israel lebenden Palästinenser verschlechterte sich durch die Verabschiedung weiterer diskriminierender Gesetze erneut, insbesondere durch das im Juli beschlossene »Nationalstaatsgesetz«. Dieses erklärt Israel zum Nationalstaat des »jüdischen« und nicht des israelischen Volkes, schafft Arabisch als zweite Amtssprache und den Zusatz »demokratisch« in der Selbstbeschreibung des Staates ab, erklärt die Entwicklung jüdischer Siedlungstätigkeit zum nationalen Wert und bekräftigt den Anspruch auf ein »vereinigtes« Jerusalem als Hauptstadt Israels.
Um das Jahr »abzurunden«, schloss sich – nachdem bereits im November der ab 1. Januar regierende neue Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, den Umzug der Botschaft seines Landes nach Jerusalem angekündigt hatte – auch der australische Premier dem Kurs Trumps an. Am 15. Dezember erklärte Scott Morrison seine Anerkennung Westjerusalems als israelischer Hauptstadt, wenn auch die australische Botschaft bis zum Abschluss eines Friedensabkommens in Tel Aviv verbleiben und dann auch Ostjerusalem als Hauptstadt Palästinas anerkannt werden soll. Obwohl die Erklärung Morrisons viel ausgewogener ist als die Trumps ein Jahr zuvor, wird sie dem Frieden in Nahost im Jahr 2019 kaum förderlich sein.
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