Mittwoch, 5. Dezember 2018

Steigende Mieten, niedrige Obergrenzen: Wohnsituation für Hartz-IV-Betroffene verschlechtert sich zunehmend

Auf engstem Raum


Von Susan Bonath
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Plattenbauwohnungen sind vergleichsweise günstig, liegen aber meist in Randbezirken
Für Hartz-IV-Betroffene wird es immer schwieriger, eine Wohnung unterhalb der regionalen Mietobergrenze zu finden. Sind die Kosten zu hoch, bleibt nur eins: Sie müssen umziehen oder von ihrem Regelsatz zuzahlen. Dabei ist der eigentlich für Essen, Kleidung, Strom und Mobilität gedacht und knapp bemessen. Entsprechend enger rücken Betroffene zusammen, um Kosten zu sparen. Diese Tendenz geht aus einer kürzlich veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion von Ende Oktober hervor.
Danach sank die durchschnittliche Wohnfläche von Alleinstehenden, die aktuell etwa die Hälfte aller 3,1 Millionen Hartz-IV-Haushalte ausmachen, von 2011 bis 2017 von 47,5 auf 46 Quadratmeter. Vier Personen teilten sich zuletzt im Schnitt 79 Quadratmeter, sechs Jahre zuvor waren es noch 82. Wie zudem aus einer in dieser Woche veröffentlichten Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Wohn- und Kostensituation hervorgeht, lebten im Juli 2018 fast 100.000 Bezieher von ALG II auf weniger als 20 Quadratmetern. Und dies keineswegs immer allein, denn unter den Betroffenen befanden sich rund 1.700 Paare ohne und mehr als 2.300 Paare mit bis zu zwei Kindern sowie gut 3.000 Alleinerziehende mit einem oder zwei Kindern.
Rund 25.000 Eltern mit Kindern standen zudem Unterkünfte von 20 bis 40 Quadratmetern zur Verfügung, mehr als zwei Drittel davon waren alleinerziehend. Drei Jahre zuvor betraf dies 18.000 Familien. Insgesamt hat sich die Zahl von in derart prekären Wohnverhältnissen lebenden Familien seit 2015 mehr als verdoppelt. Und das obwohl die Zahl der Hartz-IV-Haushalte um über 200.000 gesunken ist. Zuletzt bezogen fast eine halbe Million Alleinerziehende ALG II. Damit war jeder sechste Haushalt eine sogenannte Bedarfsgemeinschaft, wie es auf amtsdeutsch heißt.
Bereits im Sommer hatte eine weitere Antwort der Bundesregierung an die Linksfraktion ergeben, dass Jobcenter vergangenes Jahr 588.000 Haushalten weniger Miete zugebilligt hatten, als diese tatsächlich zahlen mussten. Im Dezember 2017 betrug die Differenz zwischen gezahlter und gewährter Miete laut BA 54 Millionen Euro. Damit musste jeder betroffene Haushalt im Schnitt 90 Euro aus dem Regelsatz berappen. Für einen Alleinstehenden betrug dieser damals 409 Euro. Im gesamten zurückliegenden Jahr habe aber jeder Betroffene »nur« etwa 80 Euro pro Monat zusätzlich hinlegen müssen, so die Bundesregierung. BA und Jobcenter hätten damit 560 Millionen Euro auf Kosten der Bedürftigen eingespart.
Um die Wohnkosten gibt es viel Streit. Die Landkreise und Städte legen die Obergrenzen selbst fest. Dafür müssen sie seit einem Urteil des Bundessozialgerichts ein schlüssiges Konzept erstellen. Steigt die Miete über die darin festgelegte Obergrenze, fordern die Jobcenter Betroffene auf, die Kosten zu senken. Gelingt es ihnen, eine neue »angemessene« Bleibe zu finden, warten neue Hürden: Die Mietkaution übernimmt der Staat zwar, verlangt sie aber in Raten von zehn Prozent vom Regelsatz zurück. Das Abstottern kann Jahre dauern. Der Sozialhilfeverein »Tacheles« prangert die Praxis seit langem an. Denn in der Regelleistung sind keine Kosten fürs Wohnen enthalten, wie deren Sprecher Harald Thomé mitteilte. Doch das Bundessozialgericht hat das Vorgehen nun gebilligt. Es habe keine verfassungsrechtlichen Bedenken, urteilte es am 28. November. Damit verwarf es ein gegenteiliges Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2017.
Entsprechend groß ist die juristische Gegenwehr. Im Oktober 2018 verzeichnete die BA 22.000 Widersprüche und 30.500 Klagen zum Thema Wohnkosten. »Man kommt oft nur mit juristischem Beistand weiter«, erklärte der Leipziger Sozialrechtsanwalt Dirk Feiertag am Mittwoch im Gespräch mit jW. Und die Situation werde immer prekärer, vor allem in den Städten. »Überall sind die Richtlinien nicht auskömmlich, und wenn überhaupt gebaut wird, dann keine Wohnungen zu den Konditionen, die die Jobcenter verlangen.« Außerdem mangele es seit Jahren an kleinen Unterkünften. »Die Folge ist logisch: Die Leute verharren in schlechten Wohnungen oder rücken immer enger zusammen.«

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