Donnerstag, 9. April 2015

Krieg in Jemen

In Flammen SANAA/RIAD/BERLIN Quelle: german-foreign-policy vom 31.03.2015 – Auch nach den jüngsten Luftschlägen vom gestrigen Montag billigt die Bundesregierung den Krieg eines von Saudi-Arabien geführten Militärbündnisses gegen Aufständische im Jemen. Man habe „Verständnis“ für die bewaffnete Intervention, heißt es im Auswärtigen Amt. Saudische Luftschläge trafen gestern unter anderem ein jemenitisches Flüchtlingslager; dabei starben mindestens 45 Personen. Riads neuer Krieg richtet sich gegen einen angeblichen Machtzuwachs Irans, dem gute Verbindungen zu den schiitischen Huthi-Rebellen nachgesagt werden. Er entspricht den Interessen der NATO-Staaten: Man wolle verhindern, dass Teheran mit Hilfe der Huthis „neben der Meerenge von Hormuz auch noch die Meerenge zwischen dem Jemen und Afrika kontrollieren könnte, durch die jeden Tag Millionen Barrel Erdöl transportiert werden“, erläutert ein renommierter Kommentator. Für ihren Krieg stehen den saudischen Streitkräften deutsche Kriegswaffen zur Verfügung, darunter Tornado- und Eurofighter-Kampfflugzeuge sowie – für den Fall eines Einmarschs saudischer Bodentruppen im Jemen – Sturmgewehre der Modelle G3 und G36. Beobachter halten eine vollständige Entgrenzung des jemenitischen Bürgerkriegs für durchaus wahrscheinlich. Die arabische Welt steht nach zahlreichen offenen oder verdeckten militärischen Interventionen des Westens unkontrollierbar in Flammen – vom Süden der Arabischen Halbinsel bis Nordsyrien, von Libyen bis Irak. Neue Luftschläge Mit neuen Luftschlägen hat das von Saudi-Arabien angeführte arabische Militärbündnis am gestrigen Montag seine Angriffe auf die Huthi-Rebellen im Jemen fortgesetzt. Die Huthis hatten sich bereits im Herbst, von ihren Hochburgen im Norden des Jemen ausgreifend, den massiven Unmut in der Bevölkerung über die Regierung des Landes zunutze gemacht und die Hauptstadt Sanaa eingenommen. Im März rückten sie noch weiter nach Süden vor; inzwischen haben sie umfangreiche Teile des jemenitischen Territoriums unter ihre Kontrolle gebracht. Saudi-Arabien und weitere arabische Staaten gehen nun militärisch gegen sie vor. Dabei haben sie gestern unter anderem ein Flüchtlingslager bombardiert; ersten Meldungen zufolge kamen dabei mindestens 45 Menschen zu Tode. Aus der gestürzten jemenitischen Regierung ist zu hören, in den kommenden Tagen sei nun auch mit einem Einmarsch saudischer Bodentruppen zu rechnen. Riad streitet dies bislang ab.[1] Vom Westen im Amt gehalten Bereits vor Beginn der aktuellen Luftangriffe auf Stellungen der Huthi-Rebellen hatten die westlichen Großmächte und ihr regionaler Hauptverbündeter Saudi-Arabien zur Eskalation des innerjemenitischen Konflikts beigetragen. Dies geht aus Analysen von Experten hervor. So weist die International Crisis Group, ein internationaler westlicher Think-Tank, darauf hin, dass Washington „und andere westliche Regierungen“ den jemenitischen Staatspräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi um jeden Preis an der Macht zu halten suchten, da er im „Anti-Terror-Krieg“ stets bereitwillig mit ihnen kooperierte. Hadi stellte etwa den Vereinigten Staaten den Stützpunkt Al Anad unweit der Hafenstadt Aden zur Verfügung – für Drohnenoperationen aller Art, aber auch für die Ausbildung jemenitischer Spezialkräfte. Dass der kooperationswillige Präsident weithin dringend gewünschte Reformen verschleppte und in der Bevölkerung kaum noch Rückhalt hatte, sei im Westen ignoriert worden, heißt es bei der Crisis Group.[2] Im Herbst letzten Jahres berichtete die Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) im Jemen, Hadis „politisches Überleben“ werde „derzeit nur noch durch die internationale Gemeinschaft garantiert“.[3] Wie die Crisis Group schildert, hat Saudi-Arabien zuletzt sogar mehrfach denkbare Verhandlungslösungen in dem eskalierenden Konflikt sabotiert. So habe sich Hadi im Februar einem Teilkompromiss per Flucht aus der Hauptstadt Sanaa nach Aden entzogen – „unterstützt von den Saudis“, berichtet der Think-Tank.[4] Noch in diesem Monat habe Riad erneut eine Einigung unmöglich gemacht, indem es Gespräche an Vorbedingungen geknüpft habe, die für die Huthis unerfüllbar gewesen seien. Der „schiitische Halbmond“ Hintergrund ist der gemeinsame Machtkampf des Westens und Saudi-Arabiens gegen Iran. Riad und Teheran rivalisieren schon lange, verstärkt jedoch seit der machtpolitischen Ausschaltung des Irak durch den US-Überfall von 2003 um die Vormacht am Persischen Golf. Dabei geht der saudische Herrscherclan nicht nur gegen Iran selbst, sondern auch gegen sämtliche schiitischen Kräfte im Nahen und Mittleren Osten vor, weil diese als tatsächliche oder auch nur potenzielle Parteigänger Teherans gelten. Immer wieder ist von einem „schiitischen Halbmond“ die Rede, der sich von der libanesischen Hizbollah über die alawitische Regierung Syriens und die schiitischen Bevölkerungsteile des Irak sowie Bahrains bis hin zur schiitischen Minderheit an der Ostküste Saudi-Arabiens und zu den jemenitischen Huthi erstrecke. Während sich salafistische Gegner der Hizbollah im Libanon ebenso saudischer Hilfe erfreuen wie aufständische Milizen in Syrien, unterstützt Riad schon seit Jahren das Königshaus in Bahrain bei der blutigen Repression der dortigen schiitischen Opposition. Auch an der Niederschlagung von Revolten der im Jemen lange marginalisierten Huthi hat Saudi-Arabien sich schon in der Vergangenheit beteiligt, im Jahr 2009 sogar mit Luftschlägen. Die NATO-Staaten – auch Deutschland – unterstützen diese Politik, da sie für ihren eigenen Machtkampf gegen Iran hilfreich ist.[5] Verständnis für die Luftangriffe Dies gilt gleichermaßen für die aktuellen saudischen Militärschläge gegen die jemenitischen Huthi-Rebellen. Ende vergangener Woche hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier explizit „Verständnis für das saudische Vorgehen“ geäußert.[6] Die Hintergründe benennen Kommentatoren. So hieß es etwa am gestrigen Montag: „Die Aussicht, dass Iran, die Schutzmacht der Houthis, neben der Meerenge von Hormuz auch noch die Meerenge zwischen dem Jemen und Afrika kontrollieren könnte, durch die jeden Tag Millionen Barrel Erdöl transportiert werden, erschreckt viele.“[7] Granaten, Sturmgewehre, Kampfflugzeuge Weil die Berliner Unterstützung für Riad in wachsendem Maß auch deutsche Rüstungslieferungen umfasst, kann die Golfdiktatur ihren Krieg gegen die Huthi-Rebellen auch mit deutschen Waffen führen. Die Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik an Saudi-Arabien stiegen ab 2004 zunächst auf Werte um die 50 Millionen Euro, 2008 dann auf dreistellige Millionenbeträge im Jahr an. Die Lieferungen umfassten nicht nur Schusswaffen aller Art, Granaten, Munition, Gefechtsstände und militärische Computersysteme, sondern auch Kampfflugzeuge, deren Export allerdings über Großbritannien abgewickelt wird, das an der Produktion beteiligt ist. Dies traf bereits auf die über 100 saudischen Tornado-Jets zu, von denen einige mutmaßlich bei den Militärschlägen gegen die Huthi-Rebellen im Jahr 2009 eingesetzt wurden. Auch die 72 Eurofighter, von denen die saudische Luftwaffe bereits einen erheblichen Teil erhalten hat, werden formal von London geliefert. Riad verfügt außerdem über mehrere Airbus-Transport- und Tankflugzeuge des Modells A330 MRTT. Darüber hinaus produziert Saudi-Arabien in Lizenz deutsche Sturmgewehre G3 und G36. Bis Jahresbeginn wurden laut Auskunft der Bundesregierung Einzelteile für den Bau von mehr als 20.000 G36 an die Golfdiktatur verkauft.[8] Luftkriegstraining Über die umfangreiche Belieferung mit Kriegsgerät hinaus hat die Bundeswehr auch gemeinsame Kriegsübungen mit den saudi-arabischen Streitkräften durchgeführt. Im Frühjahr 2009 sowie Ende 2012 beteiligten sich Militärs der deutschen Luftwaffe an Manövern in den Vereinigten Arabischen Emiraten, an denen neben emiratischen jeweils auch saudische und US-amerikanische Soldaten partizipierten. Es sei um die Ausbildung „in der Planung und Durchführung von komplexen … Luftkriegsoperationen“ unterschiedlichster Art gegangen, all dies „unter möglichst realistischen Einsatzbedingungen“, hieß es erläuternd bei der Bundeswehr.[9] Mittlerweile ist der Übergang von der Trainings- in die Praxisphase erfolgt. Den Eurofighter hat die Royal Saudi Air Force inzwischen im Krieg gegen den „Islamischen Staat“ (IS) bei Angriffen auf Ziele in Syrien eingesetzt. Ob der Eurofighter nun auch gegen die jemenitischen Huthi-Rebellen genutzt wird, ist noch nicht bekannt. Auf ihre im Training mit der deutschen Luftwaffe geübten Fähigkeiten zurückgreifen können die saudischen Piloten allemal. Dasselbe gilt für die Piloten der emiratischen Luftwaffe, die sich an den Schlägen gegen die Huthi-Rebellen beteiligt. Entgrenzter Bürgerkrieg Beobachter halten eine vollständige Entgrenzung des jemenitischen Bürgerkriegs nach Beginn der saudischen Luftschläge, für die Berlin „Verständnis“ hat, für wahrscheinlich. Die „Kombination aus Stellvertreterkriegen, sektiererischer Gewalt, Staatszerfall und Milizenherrschaft“ sei „auf traurige Weise in der Region üblich geworden“, urteilt die International Crisis Group über die bestialischen Kriege in der arabischen Welt, die den offenen oder verdeckten militärischen Interventionen des Westens in den vergangenen 15 Jahren folgten. Davon profitieren könnten lediglich Jihadisten von Al Qaida und dem „Islamischen Staat“ (IS), heißt es bei der Crisis Group, die für den jemenitischen Fall darauf hinweist, dass es durchaus Alternativen gab – politische Verhandlungen, deren Scheitern zuletzt etwa Saudi-Arabien forcierte, wie immer gedeckt von den NATO-Staaten, deren zentraler Verbündeter im Mittleren Osten Riad unverändert ist.[10] [1] Yemen: Foreign boots could hit the ground soon in fight against Houthis. edition.cnn.com 30.03.2015. [2] Yemen at War. Crisis Group Middle East Briefing No. 45. Sanaa/Brussels, 27.03.2015. [3] Ariela Groß: Jemens bedingungslose Kapitulation. www.ipg-journal.de 29.09.2014. [4] Yemen at War. Crisis Group Middle East Briefing No. 45. Sanaa/Brussels, 27.03.2015. [5] S. dazu Die Ordnung am Golf und Ein Stabilitätsfaktor. [6] „Die Lage ist gefährlich, nicht nur für die Golfregion“. www.bild.de 27.03.2015. [7] Rainer Hermann: Neues, altes Arabien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.03.2015. [8] Deutscher Bundestag, Drucksache 18/2075, 08.07.2014. [9] Das Geschwader „Boelcke“ übt in den Vereinigten Arabischen Emiraten. www.luftwaffe.de 09.03.2009. S. dazuDeutsch-arabische Manöver und Mit Diktatoren in den Krieg. [10] Yemen at War. Crisis Group Middle East Briefing No. 45. Sanaa/Brussels, 27.03.2015.

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