Samstag, 21. September 2019

Politischer Druck: Zahl der Kirchenasyle stark zurückgegangen


Dossier

Kirchenasyl“Im vergangenen Jahr haben die Innenminister die Regeln fürs Kirchenasyl verschärft. Flüchtlinge können nun auch nach 18 Monaten noch abgeschoben werden. Die Zahl der Fälle ist seitdem stark zurückgegangen. Das Innenministerium wertet das als Erfolg. (…) Von Anfang August bis Jahresende 2018 wurden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 341 Fälle gemeldet, in denen Gemeinden abgelehnten Flüchtlingen Schutz gewährten, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht vorliegt. Das war ein drastischer Rückgang: Bis Ende Juli vergangenen Jahres summierten sich die Fälle noch auf 1.180. Zwischen Januar und August verzeichnete das Bundesamt der Statistik zufolge monatlich rund 150 bis 200 Fälle. Ab August lagen die Zahlen dann nur noch im zweistelligen Bereich. Im August selbst waren es 57, im September 76 Fälle. Im Januar dieses Jahres gab es einen Tiefststand mit 47 Fällen. Im Juni vergangenen Jahres hatten die Innenminister von Bund und Ländern eine Verschärfung der Praxis beim Kirchenasyl beschlossen, nachdem sie den Kirchen zuvor mehrfach vorgeworfen hatten, sich nicht an Verfahrensabsprachen zu halten. Die staatlichen Behörden bemängelten unter anderem, dass in vielen Fällen keine Dossiers abgegeben wurden oder Menschen das Kirchenasyl auch dann nicht verlassen haben, wenn das Bundesamt nach nochmaliger Prüfung ein Asylbegehren abgelehnt hat. (…) Aus den Zahlen des Ministeriums geht auch hervor, dass nur für einen geringen Prozentsatz der Kirchenasyl-Fälle das Bundesamt nach nochmaliger Prüfung von sich aus den Selbsteintritt erklärte: von den insgesamt mehr als 3.000 Fällen von Januar 2017 bis heute in nur 158 Fällen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg kritisierte dies und verwies auf die Verschärfungen für Flüchtlinge in Italien. „Den zurückgeschickten Asylsuchenden droht damit de facto die Obdachlosigkeit in Italien – ein unhaltbarer Zustand, auf den die Kirchengemeinden durch die Gewährung von Kirchenasylen zu Recht hinweisen“, sagte sie…” Beitrag vom 6. März 2019 von und bei MiGAZIN externer Link. Siehe dazu:
  • Erster Fall der Kriminalisierung von Kirchenasyl in Bayern 
    „Zum ersten Mal hat ein bayerischer Pfarrer aus Immenstadt im Allgäu einen Strafbefehl erhalten: er soll 4.000 Euro zahlen, weil er einem 22-jährigen Flüchtling aus Afghanistan Asyl gewährt hat. Die offizielle Begründung lautet „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“. Der Fall ging auch durch die Regionalpresse und hat es sogar in die Süddeutsche Zeitung geschafft. Dort wird allerdings mal wieder nichts zu den Hintergründen erwähnt. Reza Jafari kam 2015 nach Deutschland und hat sich trotz traumatisierender Erlebnisse bei der Flucht in kürzester Zeit bestens integriert: er lernte Deutsch, machten seinen Mittelschulabschluss, spielt mit Enthusiasmus im örtlichen Fußballverein und hat auch schon eine deutsche Verlobte, mit der er eigentlich seine Zukunft planen wollte. Ab 1. August diesen Jahres hätte er bereits eine Ausbildungsstelle gehabt. Bis dann plötzlich im April 2018 aus heiterem Himmel die Polizei auftauchte und Reza noch am selben Tag per Flugzeug nach Afghanistan abschieben wollte. Es ist der beherzten Hilfe des evangelischen Pfarrerehepaars Marlies und Ulrich Gampert zu verdanken, dass Reza Zuflucht in ihrer Kirche erhielt und dort über ein Jahr auf den Abschiebestopp wartete. Familie Gampert war es auch, die zusammen mit dem Helferkreis Asyl Lauben eine Petition auf Change.org startete, die inzwischen von fast 80.000 Menschen unterschrieben wurde. Dort sind auch die Hintergründe erklärt, warum es einem Todesurteil gleich käme, Reza nach Afghanistan abzuschieben (…) Auch Reza erhielt einen Strafbefehl über 900 Euro oder 90 Tagessätze, was ihn nun in den Augen der Justiz zum „Straftäter“ macht und er somit noch leichter abgeschoben werden kann. Im Oktober soll der Fall verhandelt werden. Es ist anscheinend wieder soweit gekommen: um Menschen vor dem Tod zu bewahren, müsste man sie eigentlich verstecken, da nunmehr weder normales Asyl noch Kirchenasyl gewährt wird…“ Bericht von Evelyn Rottengatter vom 21. Juli 2019 bei Pressenza Muenchen externer Link
    • Amtsgericht Sonthofen: Kirchenasyl-Prozess gegen Pfarrer eingestellt New
      Weil Pfarrer Ulrich Gampert einem Geflüchteten Kirchenasyl gewährt hatte musste er sich vor Gericht verantworten. Jetzt wurde das Verfahren gegen ihn und den Geflüchteten eingestellt. Die Kirche hätten gerne eine grundsätzliche Klärung bekommen. Das Amtsgericht Sonthofen hat das Verfahren gegen den evangelischen Pfarrer Ulrich Gampert wegen der Gewährung von Kirchenasyl eingestellt. Es gebe im vorliegenden Fall lediglich eine geringe Schuld, begründete die Vorsitzende Richterin Brigitte Gramatte-Dresse ihre Entscheidung. Gampert muss jedoch eine Geldbuße von 3.000 Euro an das gemeinnützige „Haus International“ in Kempten zahlen, das sich unter anderem um Flüchtlinge kümmert. Die bayerische evangelische Landeskirche zeigte sich erleichtert. Auch das Verfahren gegen den afghanischen Flüchtling Reza Jafari stellte das Gericht wegen geringer Schuld ein. Dem 23-Jährigen wurde auferlegt, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Der 64-jährige Gampert aus Immenstadt (Allgäu) hatte sich vor Gericht verantworten müssen, weil er und seine Kirchengemeinde den Flüchtling mehr als ein Jahr lang im Kirchenasyl beherbergt hatte. Die Justiz warf ihm deshalb „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ vor. Gampert hatte daher zunächst einen Strafbefehl über 4.000 Euro erhalten. Weil er dagegen Einspruch einlegte, landete der Fall vor Gericht. Jafari ging ein Strafbefehl über 900 Euro zu. Er legte ebenfalls Einspruch ein. Nach dem Urteil zeigte sich der Pfarrer erleichtert. Ihm sei wichtig, dass er lediglich eine Geldbuße zahlen müsse. Dies bedeute auch, dass Kirchenasyl damit nicht grundsätzlich als strafbare Handlung gelte, sagte Gambert: „Ich hatte den Eindruck, dass es vonseiten des Gerichts keine grundsätzliche Infragestellung des Kirchenasyls gibt.“…” Meldung vom 20. September 2019 beim Migazin externer Link
    • Flüchtling geholfen: Pfarrer wegen Kirchenasyl vor Gericht“… Der bayerische evangelische Pfarrer Ulrich Gampert muss sich am Mittwoch vor Gericht verantworten, weil er einem Flüchtling Kirchenasyl gewährt hat. Die Justiz wirft dem 64-jährigen Theologen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ vor. Bei der Verhandlung am Amtsgericht Sonthofen im Allgäu wird nach Angaben eines Gerichtssprechers am Mittwoch auch ein Urteil erwartet. Der Immenstädter Pfarrer hatte mit seiner Kirchengemeinde den 23-jährigen afghanischen Flüchtling Reza Jafari mehr als ein Jahr lang im Kirchenasyl beherbergt. Gampert erhielt dafür einen Strafbefehl über 4.000 Euro. Erstmals wurde damit in Bayern ein Pfarrer wegen eines Kirchenasyls rechtlich belangt. Weil Gampert Einspruch einlegte, kommt es nun zur Gerichtsverhandlung. (…) Die bayerische evangelische Landeskirche unterstützt den Pfarrer bei dem Verfahren finanziell. Der Prozess biete die Möglichkeit, grundsätzlich klären zu lassen, ob das Kirchenasyl „eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt darstelle“, heißt es in einer Mitteilung der Landeskirche. (…)Der betroffene Flüchtling Reza Jafari sitzt bei der Verhandlung ebenfalls auf der Anklagebank. Er hatte einen Strafbefehl über 900 Euro wegen unerlaubten Aufenthalts erhalten und dagegen Einspruch eingelegt. Jafari konnte das Immenstädter Kirchenasyl verlassen, nachdem der Petitionsausschuss des bayerischen Landtags einen sechsmonatigen Abschiebestopp beschlossen hatte. Dieser ist bis November befristet.” Beitrag vom 18. September 2019 von und bei MiGAZIN externer Link
    • Anm.: Gilt die Kirche nicht als Völkerrechtssubjekt und kann deshalb nach Art. 100 (2) GG nicht nur das BVerfG verfassungskonform entscheiden?
  • Bund hebelt Kirchenasyl aus 
    “… Kirchenasyl besitzt in Deutschland eine jahrzehntelange Tradition – als zivilgesellschaftlicher Ungehorsam zum Schutz von Flüchtlingen aus christlicher und humanitärer Motivation. Doch die Aktivisten erhalten immer öfter eine Abfuhr. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) fährt einen zunehmend harten Kurs. „Es wird überhaupt nicht auf die Argumente eingegangen, die von den Gemeinden vorgetragen werden“, klagt der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen, Helge Hohmann. „Das empfinden wir als zynisch.“ Rund 675 geflüchtete Menschen finden derzeit in 425 Kirchenasylen Schutz, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) berichtet. (…) „Die Praxis wird rigider“, beklagt Andreas Lipsch, der Interkulturelle Beauftragte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Es gebe reihenweise „nicht nachvollziehbare Begründungen“, warum das Bamf Härtefälle nicht gelten lasse, berichtet Lipsch. So würden teilweise ärztliche Gutachten nicht mehr anerkannt. (…) Danach wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres 147 Fälle von geflüchteten Menschen im Kirchenasyl vom Bamf entschieden. Lediglich in zwei Fällen übernahm Deutschland den Fall und vollzog den „Selbsteintritt“. In den übrigen 145 Fällen wurde dies abgelehnt. (…) Möglicherweise hängt der neue Kurs mit dem Wechsel an der Spitze des Bamf zusammen. Dort hatte der aus dem bayerischen Innenministerium kommende Hans-Eckhard Sommer im vergangenen Jahr seine Vorgängerin Jutta Cordt abgelöst…” Artikel von Pitt v. Bebenburg vom 17. Juli 2019 bei der Frankfurter Rundschau online externer Link
  • “Abschiebewahn” – Bamf lehnt fast alle Fälle von Kirchenasyl ab 
    “… Fast alle Kirchenasyl-Fälle werden mittlerweile vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgelehnt. Im Jahr 2019 gab das Bundesamt bis Ende April in nur zwei Fällen dem Ersuchen von Kirchengemeinden statt, ein Asylverfahren in Deutschland zu führen, obwohl laut EU-Regelung eigentlich ein anderer europäischer Staat zuständig gewesen wäre. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem „Evangelischen Pressedienst“ vorliegt. Im gleichen Zeitraum lehnte das Bamf demnach 145 Anträge von Menschen im Kirchenasyl ab. Die Linkspartei warf dem Bamf vor, humanitäre Grundsätze einem Abschiebewahn zu opfern. Die Quote der Kirchenasyl-Fälle, bei denen das Bundesamt besondere Härtefälle anerkannte und das Asylverfahren in Deutschland übernommen wurde, lag im Jahr 2019 bei lediglich 1,4 Prozent. 2018 waren es nach Angaben der Bundesregierung mit 77 von 647 Fällen noch fast zwölf Prozent. Insgesamt lag die Zahl der gemeldeten Fälle von Kirchenasyl laut Bundesregierung in den ersten vier Monaten 2019 bei 250. Im gesamten Jahr 2018 waren es rund 1.520 Fälle. (…) Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke forderte das Bamf dazu auf, zu „einem verständigen und sorgsamen Verfahren zurückzukehren“. Die Kirchengemeinden setzten sich in vorbildlicher Weise ganz konkret für die Menschenwürde von besonders schutzbedürftigen Geflüchteten ein. „Es kann nicht sein, dass humanitäre Grundsätze dem um sich greifenden Abschiebewahn geopfert werden“, kritisierte Jelpke. Die Zahlen ließen vermuten, dass bewusst ein Exempel gegenüber den aktiven Kirchengemeinden statuiert werden solle, um sie und die Flüchtlinge zu entmutigen…” Beitrag vom 11. Juni 2019 von und bei MiGAZIN externer Link

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