Samstag, 21. September 2019

Fahrscheinlos fahren ist richtig

Vor einer Weile bin ich mal mit der Tram gefahren. Schlimm genug. Aber es wurde noch krasser: Eine Familie hatte keine gültigen Fahrscheine dabei. Das geht natürlich nicht: Es ist falsch. Das wussten nicht nur die Kontrolleure, deren Job es ist, das zu wissen. Das wussten auch der sich lautstark über die Verräter beschwerende Burschenschaftler und die schimpfende Frau, die zwei Plätze hinter ihm saß und viele andere nickende Menschen in der Bahn. Ein Mensch ohne Ticket, das ist mindestens ein Angriff auf uns alle, auf die ganze Gesellschaft, auf den Staat, das Volk, auf unsere Ungeborenen. Aber warum eigentlich?
Es ist das Gesetz. Hm, lecker Gesetz. Wir lieben es. Wir schätzen es. Es ist sinnvoll. Es gibt uns Struktur. Wir schmieren uns gern ein mit dem geschmeidigen Gesetz. Wenn etwas verboten ist, ist es falsch. Ich meine: Hä? Sonst wäre es ja nicht verboten. Logo! Wenn es nicht mehr verboten wäre, wäre es erlaubt. Dann könnten alle Menschen einfach so von A nach B fahren, wie beschissen wäre das denn, bitte? Es ist doch supergeil, dass wir alle Geld bezahlen für den öffentlichen Personennahverkehr, weil es doch das Gesetz ist. Das Problem ist nur: Das Gesetz ist manchmal richtig scheiße.
Abgebügelt Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegelt Grafik: 123RF/shadowalice
Abgebügelt Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegelt Grafik: 123RF/shadowalice
Dass sich Leute über etwas beschweren, unter dem sie selbst leiden, ist schon ziemlich unglaublich. Dass sie sich auch dann beschweren, wenn die Konsequenzen sie gerade nicht selbst betreffen, ist noch ’ne Nummer schärfer. Aber klar, sonst müsste man ja das ganze System hinterfragen, und das macht Kopfaua. Aber warum eigentlich nicht? Ach ja, weil wenn wir bei dem einen lasch sind, ist es nicht mehr weit zur Anarchie, dann können wir uns ja alle gleich gegenseitig umbringen. Ach nee, auch nicht. Selbst wenn der ÖPNV kostenlos wäre und zum Beispiel steuerfinanziert oder sowas abwegig sozialistisches, wäre Mord ja immer noch verboten.
Wer in einer größeren Stadt lebt und aus verschiedenen Gründen nicht vorhat, sich ein Ticket für den ÖPNV zu beschaffen, wird die Gruppen in den Social Media kennen, in denen Warnungen gepostet werden, wenn gerade Kontrolleure unterwegs sind. Das ist total gut, weil so entgeht man der Strafe. Ab und an verirren sich aber auch Ketzer darin, die sich extra einschleusen, um ganz oft zu sagen, wie unredlich nicht nur diese Gruppen und alle Mitglieder sind, sondern überhaupt der Akt des fahrscheinlosen Fahrens. Das ist eine wirklich erfrischende Sichtweise, aber vielen Dank, es wird eben trotzdem weiter fahrscheinlos gefahren. Weil Leute kein Geld haben oder nicht bereit sind, Geld für Fahrscheine auszugeben. Und dass das Leuten Probleme bringt, liegt daran, dass Menschen so unsolidarisch sind. Das ist falsch. Diese Menschen sind schuld. Das macht dann 60 Euro.
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