Donnerstag, 14. Februar 2019

Schweizer Gewerkschaften mobilisieren: Zur Verteidigung des Lohnschutzes


unia: Ausgerechnet im Tessin: Ein Mindestlohn, den keiner braucht…Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) war es eine ungewohnte, ja vermutlich sogar eine unangenehme Situation: Hatte man den Weg der bilateralen Verträge mit der EU bislang konsequent mitbeschritten und die Sozialdemokratie in ihrem EU-freundlichen Kurs unterstützt, standen die Gewerkschaften plötzlich auf seiten der Gegner eines neuen Abkommens mit Brüssel. Voriges Jahr flogen zwischen Regierung – also dem Bundesrat – und der Gewerkschaft die Fetzen. Hauptakteure waren Außenminister Ignazio Cassis und der damalige SGB-Präsident Paul Rechsteiner.  Der Grund für den Seitenwechsel: Mit dem neuen Rahmenabkommen müsste die Schweiz EU-Recht beim Lohnschutz übernehmen. Zudem stellte sich der Bundesrat in dieser Frage auf die Seite Brüssels. Damit würden EU-Unternehmern so lästige Bestimmungen wie die Kautionspflicht, die Voranmeldungspflicht oder die Scheinselbständigkeitsprüfung zukünftig erspart bleiben. Für die Gewerkschaften waren und sind diese »flankierenden Maßnahmen« zum Lohnschutz stets eine rote Linie, von deren inhaltlicher Akzeptanz die Zustimmung zu den »Bilateralen« als Ganzes abhängt. »In dieser Form, ist das Rahmenabkommen für uns nicht akzeptabel«, bekräftigt Thomas Zimmermann, Leiter der Kommunikation beim SGB, die Haltung des Gewerkschaftsbundes gegenüber jW. Es sei nicht nur störend, dass die Schweizer Maßnahmen direkt angegriffen würden, sondern auch, dass die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof bei den Lohnschutzbestimmungen in der Eidgenossenschaft mitreden könnten. Beide Gremien haben in der Vergangenheit ähnliche sozialen Schutzmaßnahmen in EU-Staaten unter Beschuss genommen. So war die EU-Kommission an den euphemistisch als »Anpassungsprogramme« bezeichneten Kürzungsprogrammen beteiligt, mit denen ab 2012 unter anderem der griechische Mindestlohn unterhöhlt wurde…“ – aus dem Beitrag „Keinen Schritt weiter!“ von Florian Sieber am 11. Februar 2019 in der jungen Welt externer Link über einen Gewerkschaftsbund, der sich in die Opposition gedrängt sieht… Siehe dazu auch zwei gewerkschaftliche Beiträge aus der Schweiz:
  • „«Es reicht!»“ von Clemens Studer am 17. August 2018 bei der Unia-Workzeitung externer Link ist ein Gespräch mit der Gewerkschaftsvorsitzenden Vania Alleva, worin diese unter anderem unterstreicht: „Der Bundesrat hat für die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen eine rote Linie definiert und versprochen, dass er nicht über die flankierenden Massnahmen ­diskutieren wird. Denn sie garantieren, dass in der Schweiz Schweizer Löhne bezahlt werden müssen. Doch FDP-Aussenminister Ignazio Cassis brach dieses Versprechen im Frühsommer, als er in einem Radio­interview die sogenannte 8-Tage-Regel lächerlich machte – eine wichtige Voraussetzung für die Durchsetzung des Lohnschutzes auch bei Entsendebetrieben. Übrigens: Bei der Einführung der 8-Tage-Regel zählten wir 90’000 Entsendungen, heute sind es 240’000. Das ist die grösste Zahl pro Kopf europaweit. Sekundiert wurde Cassis von seinem FDP-Kollegen Johann Schneider-Ammann. Wir haben daraufhin beim Bundesrat interveniert, und dieser hat vor den Sommerferien nochmals seine roten Linien bekräftigt. Das war die Basis für unsere ­Bereitschaft, an tech­nischen Sozialpartnergesprächen teilzunehmen, wie sie vom Departement Schneider-Ammann gewünscht wurden. Wir haben daraufhin ebenfalls noch vor den Sommerferien dem Bundesrat unsere Positionen in einem Brief ­erklärt und angeboten, diese auch mündlich zu erläutern. (…)«Unschweizerisch» ist, wenn schon, dass sich die FDP-Bundesräte nicht an die roten Linien des Bundesrates halten. Das Fass zum Überlaufen brachten nämlich die Unterlagen zu den Gesprächen aus dem Departement von Bundesrat Schneider-­Ammann. Diese bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen: ­Es geht um viel mehr als «technische» Fragen. Es geht ganz grundsätzlich um den Lohnschutz. Schneider-Ammann stellt alles zur Disposition: von der 8-Tage-­Regel über die Kautionspflicht, die Sanktio­nen gegen fehlbare Arbeit­geber und über die Bekämpfung der Scheinselbständigkeit bis hin zur Qualität und Quantität der paritätischen Arbeitskontrollen. Das ist ein totaler Angriff auf den Kern der flankierenden Massnahmen und damit auf die Rechte ­aller ­Arbeitnehmenden in diesem Land. Ausserdem sollen künftig ­EU-Instanzen über den Schweizer Lohnschutz entscheiden – dies mit unabsehbaren Folgen…“
  • „Der Lohnschutz steht nicht zur Disposition“ am 15. Juni 2018 beim SGB externer Link war ein Beitrag über eine gemeinsame Pressekonferenz von SGB, Travail.Suisse, Unia und Syna zu Flankierenden Massnahmen und Rahmenabkommen, worin unterstrichen wird: „Die 8-Tage-Voranmeldung ist ein zentrales Element des Schweizer Lohnschutzes – zur Planung der Kontrollen und zur Durchsetzung der Kautionen. Die Einsätze vieler Firmen sind vergleichsweise kurz. Ohne Voranmeldung hätten die ausländischen Unternehmen in vielen Fällen den Einsatz schon beendet, bevor die Kontrollorgane vom Einsatz wissen.  In der Praxis stellt diese Voranmeldung kein wesentliches Hindernis dar. Bereits heute arbeiten in keinem anderen europäischen Land so viele ausländische Firmen wie in der Schweiz (gemessen an der Wohnbevölkerung). Die Firmen müssen ihre Einsätze in der Schweiz planen, was in den allermeisten Fällen deutlich über 8 Tage dauert. In Ausnahmefällen wie Reparaturen usw. kann die Arbeit vor Ablauf der achttägigen Frist aufgenommen werden…“

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