Montag, 25. Februar 2019

»In Sachen J. Robert Oppenheimer« von Heinar Kipphardt am Deutschen Theater in Berlin

  • Heinar Kipphardt

Angstausschüttung

  • Von Hans-Dieter Schütt
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  • 24.02.2019, 18:32 Uhr
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  • Lesedauer: 6 Min.
    • Zu schützen gilt es in der Kunst einen sehr ehrenhaften Begriff des Konservativen. Zu konservieren wäre: die Treue zur dauernden Qual, die Welt und den Menschen nicht verstehen zu können - und trotzdem leben zu wollen. Zu konservieren wäre: das Erfühlen eines tiefen Risses zwischen der Idee des Humanen und seines fortwährenden Verrats. Jeder Idealismus braucht (und schafft!) sein Gegenteil - Verblendung und Aufklärung gehen Kopf an Kopf. Das ist das Grässliche, dem keine Lektion durchgreifend beikommt.
      Am Deutschen Theater ist zu diesem Thema eine Aufführung zu sehen, deren aufwühlende Kraft im seltsamen Widerspruch steht zur Unauffälligkeit, ja fast Beiläufigkeit, mit der sie sich präsentiert: »In Sachen J. Robert Oppenheimer« von Heinar Kipphardt, Regie: Christopher Rüping, Bühne: Jonathan Mertz.
      Man nannte Oppenheimer den »Vater« der Atombombe - sie war als Abschreckung gegen Hitler geplant, im August 1945 dann das grausame Exempel über Hiroshima und Nagasaki. Fast ein Jahrzehnt später sitzt der Physiker zum Verhör in der US-Atomenergie-Behörde. Dreitausend Seiten Protokoll. Seine Kontakte zu Kommunisten, die Distanzhaltung zur Wasserstoffbombe - ist er als Geheimnisträger noch akzeptabel? Oppenheimer steht zu seinem »Patentspielzeug«, er verteidigt das Kühnheitsprivileg, die Risikopflicht der Wissenschaft - die Verantwortung für militärische Folgen aber verweist er in politische Ressorts.
      Im Prinzip »nur« ein Dokumentarstück. Verhandlungsmasse, verdichtet. Weiß und weit die Bühne, bis zum Rundhorizont. Die Schauspieler laufen sich warm wie nervöse Gefangene. Später wird sich ein büchervoller Raum der fünfziger Jahre ins kalte, gestaltlose Appeal der Verhörszenerie senken. Das Abstrakte und das Konkrete im Widerspiel. Katharina Matz, ehrwürdig alt, ist der Vorsitzende, Maike Knirsch, nüchtern jung, eine Anwältin der Behörde, Camill Jammal gibt jovial erwartungslos den rechtlichen Beistand Oppenheimers. Alle mit Ohrstöpsel: Sie sind Souffleure ihrer selbst, den Kipphardt-Text sprechen sie verzögert nach, Wiebke Mollenhauer als »Stimme des Protokolls« gibt ihn aus dem Off leise vor. Dramaturgie der Brechung: Abstoß vom Elendsbegriff der Authentizität.
      Die Inszenierung fasziniert durch gezielte Verwirrung. Das Dokument spielt mit der Technik, die es verbreitet. Das Protokoll kokettiert mit dem Medium, das es festhält. Die Stimme zwinkert mit dem Gerät, das Töne weitergibt. Gesichter und Leinwand, Körper und Kameras, Münder und Mikrofone, Augenschein und Monitore bilden eine Partitur des Diffusen, in der das Wirkliche und seine mediale Wiederspiegelung ineinandergreifen, miteinander verschwimmen.
      Beim Hawaii-Toast talkt Edward Teller über die H-Bombe - Michael Goldberg schickt mit ungelenk angeklebtem Schnauzer und Party-Pose einen Gruß vom Boulevard ins Plaudern über atomare Todesbringer. Der Toast kam aus der Mikrowelle - einem Nebenprodukt der Militärforschung. Das Vertrackte: Rüstungseffizienz bringt dem Einzelnen bisweilen massive Vorteile bei Konsum und Komfort. So befindet man sich zwar mitten in einem vielgestaltigen Vernichtungs- und Ausschnüfflungssystem, ist aber doch auch - befriedet. Google-Earth und Navigationssysteme zum Beispiel verschaffen jedem das Gefühl, auf privaten Feldherrenhügel Weltbeobachtung zu betreiben - darüber vergessen wir leicht, dass dieser angenehme Effekt nur das beiläufige Nebenprodukt ganz anderer Feldzüge sein könnte. Zu unseren Seelen führen inzwischen sehr verborgene Hintertreppen.
      Beglückende Einladung: Nahezu nebenan, am Berliner Ensemble, steht derzeit Brechts/Castorfs »Galilei« auf dem Spielplan. 1965 hatte dort »Oppenheimer« Premiere (Regie: Manfred Wekwerth/Joachim Tenschert): Das Dokumentarspiel fand beziehungsreich zwischen den Kupferwänden jener »Galilei«-Inszenierung statt, die Erich Engel nach dem Tode Brechts zu Ende geführt hatte. Unvergesslich BE-Gigant Ekkehard Schall in der Titelrolle, ein friedlich pfeiferauchender, klug redender Oppenheimer. Schall brachte das nicht beschreibbare Kunststück fertig, diesen Typus sympathisch zu zeichnen, ohne dass man dieser Sympathie je verfiel.
      Hier ist der starke Felix Goeser die Titelgestalt. Dieser beeindruckende Kerl ist Kraft, die mit der Scheu spielt. So kommt bei ihm gern das Lächeln ins Spiel, das zur Schönheit der Täuschungsmanöver gehört. Er neigt eher zum Anker als zum Segel, aber in der Selbstbeherrschung liegt ein Keim zum Beben. Goeser kann daherkommen als ein Gewaltiger und hat für sein Spiel doch zarte Beseeltheit zur Verfügung. Er geht mitunter den Ansatz zum krachenden Schritt, als sei dies eine Nebenart der Anmut. »Was wird denn nun?«, seufzt dieser Oppenheimer, allein im Weltall seiner Bedrückungen.
      Ich denke an Galileis Zerschlissen- und Zerrissenheit - angesichts jener furiosen Missachtung von Ethik und Anstand, die seine wissenschaftliche Leistung rücksichtslos in einen Dienst nehmen wird, der Schlachtfelder ausstattet. Und ich denke an Oppenheimers Zweifel und Skrupel - noch einmal wirft uns die Inszenierung Protokollfetzen und eine Frühstückszene hin, die ein bürgerliches Scheinbild hintuscht. Ironischer Schlussakkord einer Begegnungsfolge von Innovationsbeseelten, die in den Wechselprozessen von Sinn und Missbrauch mit ihren Verlustängsten zu kämpfen hatten.
      Kein Schluss. Denn jetzt bricht ein Damm - der das Idyll mit einem atemberaubenden Zynismus niederschreit. Kleine gleißende Lichtroboter drehen ihre Runden. Elektronische Musik zieht und zerrt. Alle sitzen und starren auf eine geöffnete Tür, hinter der ein Licht herüberblendet. Zukunft? Felix Goesers Oppenheimer trägt Indianerfedern, die seinen Rücken wie ein Skelett aussehen lassen. Ein Dinosaurier, ein Ausgestorbener, ein Ureinwohner des vergessenen Gestern. Es ist nämlich längst ausgestorben, wer einst innehielt im Schreck über das, was er mit seinem Handeln anrichten könnte. Jetzt zählt anderes. Jetzt schreit, zischt, röhrt sich Maike Knirsch - atemberaubend expressiv - in ein modernes Beschleunigungsmanifest von Alex Williams und Nick Srnicek hinein, das uns gleichsam Zündungen ins Gewebe drückt: Technik als Gott des Rausches, der die Zögerlichkeit, die Vorsicht, die Hemmung aus der Welt treibt. Die Schauspielerin aggressiv wie ein Urfluchdrall. Eine gnadenlose Seherin: der Mensch, der einst mit der Maschine spielte, nur noch ein Spielzeug der Maschine - und nennt’s noch immer Leben? Ein Hauch »Blade Runner«. Fortsetzungsstoff, der die Visionen eines Orwell übersteigen könnte. In jeder Wirklichkeit rumort das Mögliche - als Rettung oder Vernichtung; und solange Menschen leben, bleibt jede Situation offen. Offener Himmel oder offener Abgrund. Die Bombe tickt.
      Sämtliche Entschlüsselungstechniken, entwickelt mit menschlicher Schöpfungskraft, führen inzwischen Krieg sogar gegen das Unerschließbare. »Wollt ihr das totale Engineering?« fragte vor Jahren Botho Strauß. Ja!, pulst das beklemmende Finale dieser Inszenierung. Und alle, bis auf eine einzige Frau, gehen nun durch die Tür, hinter der weißgleißend jene Zukunft liegt, die vielleicht keine mehr sein wird. Es gibt das Wort von der Gewinnausschüttung. Christopher Rüting und sein Ensemble betreiben Angstausschüttung. Her mit Atemluft!
      Nächste Vorstellungen: 12., 18. März

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