Von Daniel Dillmann
Lass uns Gericht spielen: Lars Eidinger, Martina Gedeck, David Fritz und Burghart Klaußner machen mit (v.l.n.r.).
Foto: ard
Heute Abend ist es soweit: Die ARD erklärt ihr
Publikum erstmalig zum Richter. Seit Wochen wird ganz Deutschland selbst
in der Tagesschau und in unzähligen lokalen Radiosendern der
Öffentlich-Rechtlichen darauf vorbereitet, den Daumen vorm TV-Gerät zu
heben oder zu senken. „Terror“, die Fernsehadaption von Ferdinand von
Schirachs Theaterstück, ist zum nationalen Ereignis geworden. Beinahe
fühlt es sich so an, als wollten Terroristen wirklich einen
vollbesetzten Jumbo auf ein Fußballstadion stürzen lassen, der kurz
vorher von einem mutigen Kampfjet-Piloten abgeschossen wird – gegen den
Befehl von oben, quasi als Akt des sozialen Ungehorsams eines mutigen
Soldaten, der abwägt und die Rettung von Menschenleben über die eigene
Befindlichkeit stellt.
Final verkündet ein
leibhaftiger Richter schließlich das Urteil, das der fernsehschauende
Mob aus der Ersten Reihe über den Soldaten gesprochen hat. Das
Öffentlich-Rechtliche hat ihm die Bühne bereitet. Damit nicht genug,
diskutiert Frank Plasberg mit prominenten Gästen, vielleicht liefert
Infratest Dimap vorab ein paar Hochrechnungen, zum Konzept täte es
passen.
Besorgte Bürger zu Richter
Ob
Regisseur Lars Kraume die Umsetzung eines sicherlich spannenden
Theaterstücks gelungen ist, ist hier nicht das Thema. Was die ARD
veranstaltet, ist bedenklich weit entfernt von der Verfassungsgrundlage,
auf die sich die Bundesrepublik beruft, und untergräbt den ethischen
Anspruch, den die Öffentlich-Rechtlichen an sich selbst stellen sollten.
In einer repräsentativen Demokratie werden politische Entscheidungen
nicht von einer emotionalen Masse getroffen, wie es die AfD gerne hätte,
sondern von gewählten Volksvertretern, die mit Sachlichkeit und
Fachwissen an die Problematik herangehen. Urteile fällen die Richter,
sie sollten in der Lage sein, ohne den Einfluss besorgter Bürger
komplexe Sachverhalte auf Grundlage der geltenden Gesetze zu
entscheiden. Ethisch verwandelt das ARD-Experiment die Zuschauer in
Schöffen, die verschiedene Todeszahlen gegeneinander aufrechnen.
Wenn von Schirach eine überschaubare Gruppe in
einem Theatersaal ein Urteil fällen lässt, ist das ähnlich zwiespältig,
hat aber zumindest den Vorteil, dass die Entscheidung am Ende debattiert
werden kann und der Rahmen des Hypothetischen gewahrt bleibt. Niemand
geht aus dem Schauspielhaus und glaubt, an einer bundesweiten Abstimmung
teilgenommen zu haben. Genau den Eindruck bemühen die
Programmverantwortlichen seit Wochen, indem die Urteilsentscheidung zum
nationalen Ereignis erhoben und durch Plasberg und Co. der Eindruck
erweckt wird, es handele sich um ein repräsentatives Ergebnis. Das ist
nicht der Fall. Keine Online-Umfrage ist jemals repräsentativ, weder,
wenn Donald Trump sie für seine Zwecke heranzieht, noch, wenn die
Tagesschau sich darauf beruft.
Terror als Medienspektakel
Die große Schwurkammer der ARD-Zuschauer hält Gericht und verhandelt den „Fall Lars Koch“.
Foto: ardDennoch kann sich der Montagabendfilm einer guten Quote sicher sein. Wenn ein privater Sender das macht und dabei ethische oder geschmackliche Grundsätze ignoriert, sind wir im Dschungelcamp oder auf der Nacktinsel – und das ist auch völlig ok. Was aber die ARD dazu treibt, ihre Zuschauer zu Richtern zu erheben, bleibt ihr Geheimnis.
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