Donnerstag, 20. Oktober 2016

Volkes Stimme fällt ein Urteil - vor dem Fernseher

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Lass uns Gericht spielen: Lars Eidinger, Martina Gedeck, David Fritz und Burghart Klaußner machen mit (v.l.n.r.).  Foto: ard
Das öffentlich-rechtliche Erste lässt sein Publikum die Zahl von Toten gegeneinander aufrechnen und bereitet die Bühne für ein rein emotionales Urteil. Das ist ethisch verwerflich. Ein Kommentar.


Heute Abend ist es soweit: Die ARD erklärt ihr Publikum erstmalig zum Richter. Seit Wochen wird ganz Deutschland selbst in der Tagesschau und in unzähligen lokalen Radiosendern der Öffentlich-Rechtlichen darauf vorbereitet, den Daumen vorm TV-Gerät zu heben oder zu senken. „Terror“, die Fernsehadaption von Ferdinand von Schirachs Theaterstück, ist zum nationalen Ereignis geworden. Beinahe fühlt es sich so an, als wollten Terroristen wirklich einen vollbesetzten Jumbo auf ein Fußballstadion stürzen lassen, der kurz vorher von einem mutigen Kampfjet-Piloten abgeschossen wird  – gegen den Befehl von oben, quasi als Akt des sozialen Ungehorsams eines mutigen Soldaten, der abwägt und die Rettung von Menschenleben über die eigene Befindlichkeit stellt.
Final verkündet ein leibhaftiger Richter schließlich das Urteil, das der fernsehschauende Mob aus der Ersten Reihe über den Soldaten gesprochen hat. Das Öffentlich-Rechtliche hat ihm die Bühne bereitet. Damit nicht genug, diskutiert Frank Plasberg mit prominenten Gästen, vielleicht liefert Infratest Dimap vorab ein paar Hochrechnungen, zum Konzept täte es passen.
Besorgte Bürger zu Richter
Ob Regisseur Lars Kraume die Umsetzung eines sicherlich spannenden Theaterstücks gelungen ist, ist hier nicht das Thema. Was die ARD veranstaltet, ist bedenklich weit entfernt von der Verfassungsgrundlage, auf die sich die Bundesrepublik beruft, und untergräbt den ethischen Anspruch, den die Öffentlich-Rechtlichen an sich selbst stellen sollten. In einer repräsentativen Demokratie werden politische Entscheidungen nicht von einer emotionalen Masse getroffen, wie es die AfD gerne hätte, sondern von gewählten Volksvertretern, die mit Sachlichkeit und Fachwissen an die Problematik herangehen. Urteile fällen die Richter, sie sollten in der Lage sein, ohne den Einfluss besorgter Bürger komplexe Sachverhalte auf Grundlage der geltenden Gesetze zu entscheiden. Ethisch verwandelt das ARD-Experiment die Zuschauer in Schöffen, die verschiedene Todeszahlen gegeneinander aufrechnen.


Wenn von Schirach eine überschaubare Gruppe in einem Theatersaal ein Urteil fällen lässt, ist das ähnlich zwiespältig, hat aber zumindest den Vorteil, dass die Entscheidung am Ende debattiert werden kann und der Rahmen des Hypothetischen gewahrt bleibt. Niemand geht aus dem Schauspielhaus und glaubt, an einer bundesweiten Abstimmung teilgenommen zu haben. Genau den Eindruck bemühen die Programmverantwortlichen seit Wochen, indem die Urteilsentscheidung zum nationalen Ereignis erhoben und durch Plasberg und Co. der Eindruck erweckt wird, es handele sich um ein repräsentatives Ergebnis. Das ist nicht der Fall. Keine Online-Umfrage ist jemals repräsentativ, weder, wenn Donald Trump sie für seine Zwecke heranzieht, noch, wenn die Tagesschau sich darauf beruft.
Terror als Medienspektakel
Die große Schwurkammer der ARD-Zuschauer hält Gericht und verhandelt den „Fall Lars Koch“.
 Foto: ard

 Dennoch kann sich der Montagabendfilm einer guten Quote sicher sein. Wenn ein privater Sender das macht und dabei ethische oder geschmackliche Grundsätze ignoriert, sind wir im Dschungelcamp oder auf der Nacktinsel – und das ist auch völlig ok. Was aber die ARD dazu treibt, ihre Zuschauer zu Richtern zu erheben, bleibt ihr Geheimnis.

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