Donnerstag, 20. Oktober 2016

Sonderbetriebsversammlung bei Bosch Diesel Stuttgart: Unmut über Abwälzung der Folgen der VW-Krise

Sonderbetriebsversammlung bei Bosch Diesel Stuttgart: Unmut über Abwälzung der Folgen der VW-Krise
Eine starke Belegschaft: Protestierende Bosch-Arbeiter im Jahr 2015 in Stuttgart (rf-foto)
18.10.16 - Weltweit 55.000 von insgesamt 300.000 Beschäftigten des Bosch-Konzerns sind in der Produktion von Dieselmotor-Teilen tätig. Sie war bisher das Flaggschiff des Konzerns. Aber jetzt ein Auto mit Dieselantrieb kaufen - nach den aufgeflogenen Abgasbetrügereien? "Lieber nicht", denken sich viele. Entsprechend brechen aktuell die Stückzahlen ein. Mancher Autokonzern hat schon den Ausstieg aus dem Diesel angekündigt. Ein Korrespondent aus Stuttgart berichtet von der aktuellen Auseinandersetzung bei Bosch:
"Es kommen immer mehr Beweise ans Tageslicht, dass die Bosch-Konzernführung direkt an den Abgasbetrügereien beteiligt war. Reaktion? Schweigsamer Erklärungsnotstand und ein Maulkorberlass für die Belegschaft. Der Mythos von Bosch als sozialem und transparentem Großkonzern ist mehr als angekratzt. Um jetzt noch ihre Jahresbilanz zu retten, hat die Werkleitung Pläne angekündigt, Produktionsabteilungen bis zu 18 Tage nach Hause zu schicken. Für hunderte Kollegen ohne Zeitguthaben würde das den Verlust fast eines kompletten Monatslohnes bedeuten. Der betroffene Teil der Belegschaft war schockiert.
Auf der Sonderbetriebsversammlung, die kürzlich stattfand, blieb die Werkleitung eiskalt bei ihrer Forderung nach unbezahlten Schließtagen. Schuld an der Misere seien nicht der Abgasbetrug, sondern die angeblich reißerisch schlechte Presse für den Diesel und drohende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Großstädten. Mit ihrer hinterlistigen Botschaft 'Übertriebener Umweltschutz und der böse Ami zerstören eure Arbeitsplätze!' wollen sie die Wut der Belegschaft von der Ursache ihrer eigenen maßlosen Profitgier und Verstrickung in das VW-Betrugssystem ablenken.
Das ist ihnen aber auf dieser Betriebsversammlung nicht gelungen. Für Boschverhältnisse ungewöhnlich viele, auch spontane Wortbeiträge, auch von vielen Betriebsräten, erklärten ihr Unverständnis über die Schließtage. 'Ihr habt die Dieselkrise mit verursacht, wieso sollen wir jetzt dafür zahlen?' war einheitlicher Tenor. 'Erst zwingt ihr uns in ein familienfeindliches 18-Schicht-Modell, jetzt wollt ihr uns auf unsere Kosten nach Hause schicken?'
Auch eine andere Teufelei sorgt für Unruhe. Angetrieben durch die Pläne einiger Autokonzerne, mehr in Elektroautos zu investieren, will die Konzernleitung in großer Hektik mitten im Werk eine Batterieentwicklung mit Musterfertigung hochziehen. Der Haken: Den Batteriecampus soll eine tariffreie Tochterfirma betreiben. Emmissionsfrei schön und gut. Aber tariffrei ist ein faustdicke Provokation!
Ergebnis der Betriebsversammlung: Die Werkleitung will statt Schließtagen jetzt Kurzarbeit beantragen. Die Auseinandersetzung geht also weiter. Genauso wie die Auseinandersetzung über den scheinbaren Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach einer gesünderen Luft in den Großstädten und dem Kampf um die große Masse an Arbeitsplätzen, die am Verbrennungsmotor hängen.
Täglich werden im Zusammenhang mit der Sorge um die Arbeitsplätze Fragen der Umwelt diskutiert: 'Brennstoffzellenantriebe wären doch super, aber wie sollen wir das durchsetzen? Wir sind doch nur Zulieferer?' 'Dauersmog und Dauerstau sind unerträglich, aber es hängt halt mein Arbeitsplatz dran ...'. Viele Kollegen unterschätzen noch die konkreten Gesundheitsgefahren durch Abgase und die schädliche Rolle der Verbrennung fossiler Rohstoffe für eine drohende Umweltkatastrophe.
Einige Kollegen fragen sich aber auch: 'Was ist das überhaupt für ein System, das uns vor die scheinbar alternativlose Entscheidung stellt: Entweder du bist gegen Umweltschutz oder du verlierst deinen Arbeitsplatz!' Der Kampf um diese Arbeitsplätze ist aufs engste mit der Umweltfrage verknüpft. Und er wirft damit auch die Frage nach einer gesellschaftlichen Alternative, einer sozialistischen Alternative auf, in der die Einheit von Mensch und Natur und Arbeitsplätze für alle kein Widerspruch mehr ist."
Auf der Webseite der Internationalen Automobilarbeiterkoordination ist das Zukunftsprogramm "Die Zukunft der Jugend nicht den Profitinteressen der Autokonzerne opfern! Aufstehen gegen das Kartell der Profiteure und Vertuscher!" in einer ausführlichen und in einer Kurzform zu finden.

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