Donnerstag, 20. Oktober 2016

Mord in Obamas Auftrag

Aus: Ausgabe vom 20.10.2016, Seite 3 / Schwerpunkt


Vor fünf Jahren wurde der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi ermordet. Er wurde zum Opfer einer »Regime-Change-Strategie« der NATO

Von Knut Mellenthin
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Symbol des Widerstands: Ein Libyer mit einem Ghaddafi-Portrait steht vor einer durch Luftschläge zerstörten Militäranlage (Tripolis, 22. März 2011)
In nicht einmal mehr drei Wochen, am 8. November, können die US-amerikanischen Wähler entscheiden, welchen von zwei Irren sie ins Weiße Haus schicken wollen. Allen, die sich vorher noch schnell ein Bild von der Persönlichkeit des »kleineren Übels«, Hillary Clinton, machen wollen, sei ein Video empfohlen, das am 20. Oktober 2011, dem Todestag von Muammar Ghaddafi, aufgenommen wurde. Es ist zu finden unter https://www.youtube.com/watch?v=Fgcd1ghag5Y.
Die Szene entstand während eines Gesprächs zwischen Clinton, die damals Außenministerin war, und mehreren Fernsehjournalisten. Mitten hinein platzte die Nachricht vom Tod Ghaddafis. Das Video zeigt die sichtlich stolze Politikerin, die mit theatralischen Armbewegungen ausruft: »We came, we saw, he died« (»Wir kamen, wir sahen, er starb«), und anschließend beifallheischend ihre Hände zusammenpatscht. Die Frau, die demnächst vielleicht das immer noch mächtigste Land der Welt regieren darf, wirkt dabei wie eine Sechsjährige, die erzählt, dass sie zum Geburtstag ein Pferd geschenkt bekommen hat.
Mit ihrem Spruch, den sie erstaunlich schnell parat hatte, varierte Clinton den römischen Feldherrn und Politiker Julius Cäsar. Der hatte einem Freund geschrieben: »Veni, vidi, vici« (»Ich kam, sah und siegte«), nachdem die von ihm kommandierten Soldaten im Jahre 47 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung die Truppen von Pontus, einem Staat am Schwarzen Meer, geschlagen hatten.
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Der 20. Oktober 2011 war einer der größten Tage in der Amtszeit von Barack Obama. »Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass das Ghaddafi-Regime beendet wurde«, verkündete der US-Präsident zu Beginn einer hastig einberufenen Pressekonferenz im Rose Garden. Und an die Adresse der libyschen Rebellen gerichtet sagte Obama: »Ihr habt eure Revolution gewonnen.«Kurz zuvor war Muammar Al-Ghaddafi von Angehörigen der Milizen aus Misrata gefangengenommen, auf äußerst brutale Weise gefoltert und ermordet worden. NATO-Kampfflugzeuge hatten den »Revolutionsführer« seinen Mördern in die Hände getrieben, als er seinen letzten Zufluchtsort, die Stadt Sirte, verlassen wollte.
Ein britisches Aufklärungsflugzeug hatte am Morgen einen aus 75 bis 80 Fahrzeugen bestehenden Konvoi entdeckt, der sich mit hoher Geschwindigkeit aus der Küstenstadt herauszubewegen versuchte, und Alarm gegeben. Als erstes war eine US-Drohne zur Stelle, mit der mehrere Raketen auf den Konvoi abgeschossen wurden. Etwas später wurde die Fahrzeuggruppe auch von einem »Rafale«-Düsenjäger der französischen Luftwaffe angegriffen. Schon dabei wurden mehrere Dutzend Menschen getötet und zahlreiche Fahrzeuge zerstört oder schwer beschädigt. Das zwang den Konvoi, sich aufzuspalten. Rund 20 Fahrzeuge, bei denen sich vermutlich auch Ghaddafi befand, trennten sich vom Rest und versuchten, weiter nach Süden zu fliehen. Sie wurden jedoch durch einen zweiten Luftschlag gestoppt und zerstreut. Das weitere übernahmen Rebellen. Der Verdacht liegt nahe, dass sie von der NATO über das gesamte Geschehen informiert und von Anfang an in den Angriff einbezogen worden waren.
Die NATO behauptet bis heute, nicht gewusst und nicht einmal vermutet zu haben, dass der seit August 2011 »untergetauchte« Muammar Ghaddafi sich in dem von ihr angegriffenen Konvoi befand. Das ist jedoch unwahrscheinlich: Das Interesse der westlichen Allianz, Ghaddafi, seinen Söhnen und anderen Mitgliedern der libyschen Führung auf die Spur zu kommen und ihre Bewegungen nachzuverfolgen, war naturgemäß groß. Technisch standen der NATO unbegrenzt alle Mittel zur Verfügung. Medienberichten zufolge, die auf Insiderinformationen zu gründen schienen, waren einige Satellitentelefone schon seit längerer Zeit abgehört und geortet worden. Darunter das von Ghaddafis Sohn Mutassim, der sich bis zuletzt in der Nähe seines Vaters befand. Er wurde, wie durch mehrere Videos belegt ist, von den Rebellen anscheinend unverletzt gefangengenommen und später unter nicht bekannten Umständen ermordet.
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Am 24. Oktober 2011 behauptete der Spiegel, Ghaddafi sei »offenbar mit deutscher Hilfe aufgespürt worden«. »Seit Wochen schon war dem Bundesnachrichtendienst BND der genaue Aufenthaltsort Ghaddafis in dessen Heimatstadt Sirte am Mittelmeer bekannt. (...) Aus Sicherheitskreisen hieß es jedoch, es seien keine Geodaten mitgeteilt worden, die zu einem gezielten Angriff auf Ghaddafi hätten führen können.«
Der BND dementierte die vom Spiegel vorab verbreitete Meldung sofort und behauptete, man sei »selbst überrascht über den Auffindeort« Ghaddafis gewesen. Daher seien auch die Schlussfolgerungen, die das Nachrichtenmagazin aus seinem Bericht ziehe, falsch. Der Spiegel hatte spekuliert, dass »ein etwaiger BND-Handel mit Informationen über den monatelang gesuchten Diktator« geeignet sein könne, »politischen Schaden wiedergutzumachen«, der durch die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat entstanden sei. Das Gremium hatte am 17. März 2011 eine Resolution verabschiedet, die von der NATO als Freibrief für eine militärische Intervention interpretiert wurde. Neben Deutschland hatten sich auch Russland, China, Indien und Brasilien der Stimme enthalten.
Weder die Beteiligung der NATO an der finalen Treibjagd auf Ghaddafi noch die Umstände seiner Ermordung durch die islamistischen Milizkämpfer, die ihn gefangengenommen hatten, waren Gegenstand von Untersuchungen. Der Tod des »Diktators« wurde von Politikern der ganzen westlichen Welt mit unverhohlener Genugtuung und Selbstzufriedenheit begrüßt. Fragen wurden in diesem Zusammenhang nicht gestellt. Die Ermordung von Politikern, die zuvor jahrelang als Personifizierung des Bösen verteufelt wurden, ist fester Bestandteil oder zumindest ein billigend in Kauf genommener Nebeneffekt der auf »Regime-Change« gerichteten Strategie.
Warum ausgerechnet Ghaddafi zum Opfer der westlichen Allianz wurde, ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Der libysche »Revolutionsführer« hatte spätestens 1999 durch Geheimgespräche mit der britischen Regierung begonnen, seinen Frieden mit der kapitalistischen Welt zu machen. Ende 2003 erklärte er den Verzicht seines Landes auf Massenvernichtungsmittel und ließ alles ausliefern, was zum Bau von nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen hätte dienen können. Im März 2004 traf der britische Premier Tony Blair in der libyschen Wüste demonstrativ freundlich mit Ghaddafi zusammen. 2006 wurde Libyen von der Terrorliste des US-amerikanischen State Departments gestrichen. Aus den von dem Enthüllungsportal Wikileaks veröffentlichten Depeschen weiß man, dass US-Dienststellen bei mehreren Gelegenheiten betonten, Libyen sei »ein Spitzenpartner bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus«.
Es nützte Ghaddafi letztlich nichts. Schon im Herbst 2010, also vor Beginn des »arabischen Frühlings«, hatten vor allem in Paris Treffen mit libyschen »Oppositionellen« begonnen, von denen viele zu dieser Zeit noch dem Staatsapparat angehörten, um den Aufstand zu planen und zu organisieren.

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