Donnerstag, 20. Oktober 2016

Mehr Transparenz für Jobcenter

Auf einer neuen Plattform kann jeder Bürger interne Dokumente von Jobcentern anfragen
Recherche Arbeit
Bildnachweis: Ivo Mayr
Jobcenter üben sich in Geheimniskrämerei. Sie legen nicht alle Spielregeln offen, an die sich Arbeitssuchende halten müssen. Die Ämter verschweigen, welche Zielvorgaben sie im Umgang mit den Arbeitslosen haben. Die Telefonnummern der Sachbearbeiter sind auch geheim. Die Intransparenz wollen wir ändern. Wir kooperieren deshalb mit der Transparenz-Initiative FragDenStaat, die eine neue Internet-Plattform über Jobcenter startet.

408 Jobcenter gibt es in Deutschland und alle haben ihre „interne Weisungen”. Sie legen fest, an welche Spielregeln sich Arbeitssuchende in dieser Kommune halten müssen. Sie dienen auch als Anleitung für die Sachbearbeiter, wie sie mit Hartz-IV-Empfängern umgehen sollen. Das Problem: Fast überall sind die internen Weisungen vertraulich. Die Betroffenen kennen sie nicht. Und können deshalb auch ihre Rechte nicht wahrnehmen.
Drei Beispiele für interne Weisungen aus Jobcentern:
  • Berlin Friedrichshain-Kreuzberg: Ein Hartz-IV-Empfänger darf nur das billigste Verkehrsmittel nehmen, um zu einer Fortbildung zu fahren. Nimmt er das Auto, nicht den Bus, bleibt er auf den Fahrtkosten sitzen.
  • Hamburg: Hat ein Hartz-IV-Empfänger Probleme mit seinen Zähnen und muss zum Kieferorthopäden, dann bekommt er ein Darlehen für jene Kosten, die die Krankenkasse nicht zahlt. Nur – wie soll er das Darlehen beantragen, wenn er davon nichts weiß?
  • Berlin-Lichtenberg: Mitarbeiter des Jobcenters dürfen erst dann die Wohnung von Hartz-IV-Empfängern aufsuchen, wenn sich ein Fall nicht mit Unterlagen und im Gespräch klären lässt. Etwa bei der Frage, ob ein Empfänger noch Möbel benötigt oder in welchen Verhältnissen ein Hartz-IV-Empfänger einen Haushalt mit anderen Personen teilt.
In den letzten Jahren haben einige Jobcenter begonnen, ihre internen Weisungen im Internet zu veröffentlichen, zum Beispiel das Jobcenter in Dortmund. Andere Jobcenter wurden nach Kleine Anfragen von Politikern oder Auskunftsanfragen von Bürgerinitiativen ein wenig transparenter.
Doch die meisten internen Weisungen der Jobcenter sind weiterhin geheim. Sie fürchten sich davor, der Öffentlichkeit Einblick ins System zu geben. Sonst müssten sie sich für fragwürdige Weisungen rechtfertigen. Im Juni berichtete die „Bild“-Zeitung über eine interne Weisung, nach der Daten auch von Menschen kontrolliert werden sollen, die selbst gar kein Arbeitslosengeld II empfangen.

Neue Jobcenter-Plattform von FragDenStaat

Wir wollen, dass die Heimlichtuerei aufhört. Und arbeiten darum mit der Transparenz-Initiative FragDenStaat zusammen, die an diesem Donnerstag eine neue Plattform startet, die Jobcenter durchsichtiger machen soll. Auf der neuen Website wird es Formulare geben, mit denen jeder Bürger per Muster-E-Mail nach internen Weisungen fragen kann. Das ist sein gutes Recht: Das 2006 auf Bundesebene gültige Informationsfreiheitsgesetz regelt, dass Behörden den Bürgern nur in Ausnahmefällen Informationen vorenthalten dürfen.
Es kostet die Arbeitssuchenden bares Geld, wenn sie bestimmte Weisungen nicht kennen. Dirk Feiertag, Rechtsanwalt aus Leipzig, gibt ein Beispiel aus dem Jahr 2015: Das Jobcenter Leipzig hatte Mietkosten bei rund 10.000 Haushalten falsch berechnet. Pro Haushalt ging es um 5 bis 100 Euro. Die Betroffenen bekamen das Geld aber erst zurück, nachdem sie einen „Überprüfungsantrag“ gestellt hatten. Allein, von einem solchen Antrag wussten die meisten nichts. Denn auch diese Richtlinie war „intern”.
Erst als Feiertag gemeinsam mit der Partei der „Piraten” in Leipzig die interne Weisung veröffentlichte, erfuhren viele Betroffene davon und stellten einen Antrag.

Langzeitarbeitslose bleiben auf der Strecke

Zwei weitere Dinge hüten die Jobcenter wie einen Schatz: ihre Zielvereinbarungen und die Durchwahlnummern der Sachbearbeiter.
Jobcenter planen jeweils für ein Kalenderjahr und stellen dafür Zielvereinbarungen auf. Darin steht, was sie im Laufe eines Jahres leisten sollen. Zum Beispiel:
  • die zum Jahresende angepeilte Arbeitslosenquote.
  • wie viele Arbeitssuchende eine Fortbildung machen sollen.
  • wie viele Flüchtlinge einen Integrationskurs besuchen sollen.
Für ein Jobcenter war es ein gutes Jahr, wenn am 31. Dezember die Ziele erreicht wurden, die von der Kommune oder der Arbeitsagentur vorgegeben wurden. Kritiker wenden ein, dass durch diese Fixierung auf Kalenderjahre langfristige Förderungen kaum möglich sind. Gerade schwer vermittelbare Arbeitslose würden auf der Strecke bleiben, wenn es nur um das Erreichen von Zielvorgaben ginge. Nur knapp ein Viertel der Jobcenter veröffentlicht die Ziele. Besser wäre es, diese Dokumente für alle Jobcenter zu kennen.

Keine dringende Auskunft möglich

Die Telefonlisten: Auch darum gibt es immer wieder Streit. In den meisten Jobcentern können Hartz-IV-Empfänger die Sachbearbeiter nicht anrufen. Sie müssen über eine Hotline der Bundesagentur für Arbeit gehen. Doch dort haben die Mitarbeiter keinen Zugriff auf die Akten. Das Call-Center kann das Anliegen nur wieder an die Kommune übermitteln. Im besten Fall meldet sich der Sachbearbeiter binnen Tagen zurück. Geht es schief, meldet er sich nicht. Das kann brenzlig werden, wie der folgenden Fall zeigt:
In Berlin sollte die Wohnung einer 57-Jährigen binnen drei Tagen geräumt werden. Sie brauchte 500 Euro für eine Notunterkunft und Geld, um ihre Möbel einzulagern. Doch sie blieb in der Jobcenter-Hotline hängen. Sie zog mit einem Eilantrag vors Sozialgericht. Am nächsten Tag bekam sie ein Darlehen.
Das ist kein Einzelfall. Allein beim Sozialgericht Berlin gab es im vergangen Jahr 5.766 Hartz-IV-Eilverfahren.


Grundsatzurteil in dieser Woche

An diesem Donnerstag wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden, ob jedes Jobcenter in Zukunft die Telefonliste der Sachbearbeiter veröffentlichen muss. Gleich vier Verfahren werden in letzter und höchster Instanz verhandelt, gegen Jobcenter in Berlin-Mitte, Berlin-Treptow-Köpenick, Köln und Nürnberg.
„Mit festen Telefon-Sprechzeiten wäre das System effizienter“, sagt Anwalt Feiertag, der schon öfter um transparente interne Weisungen kämpfte. Er vertritt in dem aktuellen Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht zwei Kläger. Feiertag verweist auf Bürgerämter und BAföG-Ämter, die mit neu eingeführten, festen Telefon-Sprechzeiten vieles beschleunigt hätten. Der Anwalt sagt, seine Kanzlei betreue rund 200 Klagen wegen Telefon-Durchwahlen, die nicht herausgegeben wurden.
Die Jobcenter sagen, sie halten die Nummern geheim, um zu verhindern, dass Sachbearbeiter am Telefon bedroht werden. Und damit mehr Zeit für die Hartz-IV-Empfänger vor Ort bleibt. Im Schnitt sollen die Sachbearbeiter für rund 150 Kunden zuständig sein. In der Praxis betreuen sie aber nicht selten 250 bis 300 Hartz-IV-Empfänger.
Kein Wunder, dass sie mit der Arbeit kaum hinterher kommen.

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