Donnerstag, 20. Oktober 2016

Erdogans fünfte Kolonnen

Aus: Ausgabe vom 17.10.2016, Seite 12 / Thema

Wie die türkische Regierungspartei AKP versucht, mit Hilfe von »Auslandsfilialen« in Europa Einfluss zu nehmen

Von Sevim Dagdelen
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Massenanhang in der BRD: Unterstützer des türkischen Staatspräsidenten Erdogan bei einer Demonstration am 31.7.2016 in Köln, organisiert von der AKP-Lobbyorganisation UETD
Sevim Dagdelen: Der Fall Erdogan. Wie uns Merkel an einen Autokraten verkauft. Westend-Verlag, Frankfurt am Main, 224 Seiten, 18 Euro
In diesen Tagen erscheint im Frankfurter Westend-Verlag von Sevim Dagdelen das Buch »Der Fall Erdogan. Wie uns Merkel an einen Autokraten verkauft«. Die Autorin ist seit 2005 Abgeordnete des Deutschen Bundes­tages für die Partei die Linke und dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Sie ist 1975 als Kind von Arbeitsmigranten aus der Türkei in Duisburg geboren und aufgewachsen und gehört der Fö­deration Demokratischer Arbeitervereine e. V. (DIDF) an, die sich für die Integration von Migranten engagiert. Wir veröffentlichen aus dem Buch an dieser Stelle leicht gekürzt das Kapitel »Erdogans Parteien in Europa«. (jW) Teil der neoosmanischen Außenpolitik der türkischen Regierungspartei AKP ist es, die türkeistämmigen Minderheiten in Europa stärker an sich zu binden. Ausgangspunkt dieser Überlegungen eines unerlösten Nationalismus war das als mythische Katastrophe erlebte Ende des Osmanischen Reiches im Zuge des Ersten Weltkrieges. Denn nichts anderes hatte dieses Reich mehr erschüttert als der sukzessive Verlust des Balkans an die sich neu gründenden Nationalstaaten und der zunehmende Einfluss vor allem Englands, Österreich-Ungarns und Russ­lands. Dieser Verlust war auch mit Drangsalierungen und Vertreibungen türkischer Minderheiten auf dem Balkan verbunden, lange vor dem im Vertrag von Lausanne 1923 geregelten Bevölkerungsaustausch von Türken und Griechen. Auch die jungtürkische Bewegung* hatte den Verlust des Balkans betrauert – ein wesentlicher Grund für die Revolution von 1908.
Mit ihrem Anspruch, gerade in den ehemals vom Osmanischen Reich beherrschten Gebieten Einfluss zu gewinnen, musste der Balkan geradezu zwangsläufig ins Blickfeld nun auch der AKP geraten. Aber darüber hinaus ging es auch immer stärker darum, dass sich die türkischen Migrantinnen und Migranten in den Ländern Westeuropas ebenso wie die verbliebenen Türkinnen und Türken auf dem Balkan als islamistisch-nationalistische Minderheiten konstituieren sollten. Im Jahr 2010 gewann diese Politik eine neue institutionelle Qualität. Am 6. April jenes Jahres wurde vom damaligen Regierungschef und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan das Amt für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften (YTB) gegründet. Das YTB untersteht einem Staatssekretariat, aber die Oberaufsicht hat der Ministerpräsident inne. Es ist ein neues, scharfes Instrument der türkischen Außenpolitik und hat ganz offiziell vier Zielgruppen: erstens die Auslandstürken, zweitens die Muslime auf dem Balkan, drittens türkische Studierende und viertens Nichtregierungsorganisationen und Parteien. Beim Berliner Thinktank »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) heißt es dazu in der im September 2014 veröffentlichten Studie »Die neue türkische Diasporapolitik« vornehm, das Amt solle »den Organisationen von Türkeistämmigen im Ausland bei ihren Bemühungen um politische Partizipation in dem jeweiligen Gastland zur Seite stehen und ihnen dabei behilflich sein, ihre Beziehungen zur Türkei zu intensivieren«. Und genau dies geschah gerade auch über die Gründung AKP-treuer Parteien in ganz Europa. (…)

Leugnung des Völkermords

Als erstes setzte Ankara in den Niederlanden 2014 an. Dort verließen zwei türkeistämmige Abgeordnete, Tunahan Kuzu und Selcuk Öztürk, Ende 2014 die sozialdemokratische Partei (PvdA) im Streit um die Integrationspolitik der Regierung und gründeten die Partei DENK, die sich als Gegenmodell zur rechtspopulistischen, islamfeindlichen PVV von Geert Wilders sieht. Unmittelbarer Anlass war der Beschluss von Sozialminister Lodewijk Asscher (PvdA), türkische Organisationen wie Milli Görüs, die als Arm der Muslimbruderschaft und willfährige Unterstützerin der AKP in Europa gelten, in den Niederlanden schärfer zu überwachen.
Die beiden Abgeordneten waren mit dieser Maßnahme entschieden unzufrieden. Mit ihrer neuen Partei DENK vollziehen sie jeden Schritt Erdogans unkritisch nach und sprechen folgerichtig auch nicht vom Völkermord an den Armeniern. DENK hat bereits 2.600 Mitglieder und könnte bei den nächsten Parlamentswahlen 2017 bis zu fünf Abgeordnetensitze erlangen. Die Chancen stehen nicht schlecht, da man zudem versucht, mit Farid Azarkan vom Zusammenarbeitsverband marokkanischer Niederländer auch Teile der großen marokkanischen Einwanderergruppe in den Niederlanden für sich zu gewinnen.
Auch in Österreich steuert man zielgerichtet auf die Gründung einer Partei auf ethnisch-religiöser Grundlage zu. Hier ergriff Turgay Taskiran, der ehemalige Vorsitzende der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) – einer Vorfeldorganisation der AKP, die im Juli 2016 auch eine Willkommensdemonstration für Erdogan in Wien mit über 8.000 Teilnehmern organisiert hat – die Initiative für einen Wahlantritt bei den Wiener Gemeinderatswahlen am 11. Oktober 2015. Wie bei dem niederländischen Pendant wurde auch hier auf den von Rechtspopulisten geschürten Rassismus als Organisationsgrund verwiesen. Bisweilen gewinnt man den Eindruck, es handele sich um kommunizierende Röhren rechtspopulistischer Parteien. Die einen, die die türkische Minderheit konstituieren sollen, orientieren sich am AKP-Islamismus Erdogans, die anderen wie die FPÖ setzen auf eine Wählergewinnung durch Anti-Islam-Stimmungsmache. Taskirans Liste »Gemeinsam für Wien« konnte mit 7.608 Stimmen und 0,91 Prozent der abgegebenen Stimmen in der österreichischen Hauptstadt einen Achtungserfolg erzielen. Zugleich zog sie mit jeweils einem Mandat in drei Wiener Bezirksvertretungen ein. Obwohl sie heftig abstritt, sich als Türkenpartei gerieren zu wollen, sind die engen Bezüge zur AKP Erdogans und zur UETD unübersehbar. Für die Zukunft ist ein weiterer Ausbau dieser Partei auf Gemeindeebene zu erwarten. Sie zielt, wie die FPÖ, gerade auf jene, die bisher sozialdemokratisch gewählt haben.

Neoliberal-islamistisch

In Frankreich trat eine Partei, die es auf die Stimmen türkischer Einwanderer absieht, zum ersten Mal 2014 bei den Departementswahlen in den östlichen Landesteilen und 2015 bei der Gemeindewahl in Strasbourg an. Beide Male erreichten ihre Kandidaten Achtungserfolge. Gerade in Ostfrankreich leben vergleichsweise viele türkeistämmige Einwanderer. Ziel dieser Partei für Gleichheit und Gerechtigkeit (PEJ) ist eine Kandidatur bei den französischen Parlamentswahlen 2017. Zu ihren erklärten Vorhaben gehört es, gleichgeschlechtliche Ehen wieder abzuschaffen. Insgesamt vertritt die Partei ein Programm, das auf einen religiös verbrämten radikalen Konservatismus, eine ethnoreligiöse Identitätsbildung mit islamistischer Perspektive ausgerichtet ist.
In Bulgarien lebt seit der Unabhängigkeit 1908 eine große türkische Minderheit, die in zwei geschlossenen Siedlungsgebieten an der türkischen und der rumänischen Grenze regional auch die Mehrheit der Bevölkerung stellt. Bis 1989 wurden diese türkischen Bulgaren als eigene ethnische Gruppe diskriminiert. Im Versuch, darauf eine Antwort zu geben, gründete sich mit der Bewegung für Rechte und Freiheit (DPS) eine eigene Partei, die an vielen Koalitionen der letzten 25 Jahre in Bulgarien beteiligt war. Diese Partei galt bei aller politischen Koalitionsflexibilität als säkular orientiert und eher auf Moskau denn auf Ankara hin orientiert, wobei man auch hier äußerst pragmatisch verfuhr und sich in keinem Falle der NATO oder US-Interessen in den Weg gestellt hätte. Doch seit dem Abtritt des Parteigründers Ahmed Dogan baute Ankara innerhalb der DPS seine Positionen stetig aus. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs über Syrien durch die türkische Luftwaffe Ende 2015 kam es in der Partei deshalb zum Showdown. Nachdem der neue Parteivorsitzende Lütfi Mestan sich in diesem Streit auf die Seite Erdogans gestellt hatte, intervenierte der Ehrenvorsitzende Dogan, Mestan hätte sich nicht in diese Angelegenheit einmischen dürfen, er gehöre zur »fünften Kolonne der Türkei«. In der Folge wurde Mestan von der DPS abgesetzt und flüchtete in die türkische Botschaft in Sofia. Dogan seinerseits erhielt Einreiseverbot für die Türkei.
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Ergebnis dieses erfolglosen Versuchs Ankaras, die DPS zu übernehmen, war Anfang Februar 2016 die Gründung einer AKP-nahen Türkenpartei unter dem Namen DOST, was übersetzt »Freund« bedeutet und zugleich als Abkürzung für Demokraten für Verantwortlichkeit, Freiheit und Toleranz steht. Die Partei will sich bewusst an Erdogans Türkei anlehnen. Aus der Nähe zu Ankara macht sie keinen Hehl. So waren bei der Gründungskonferenz von DOST sowohl der türkische Botschafter in Bulgarien, Süleyman Gökce, als auch mit Fatma Betül Kaya eine Vertreterin der AKP zugegen. Ideologisch geht die Partei nach dem Vorbild der AKP in Richtung eines neoliberal-islamistischen Modells.

Deutsche Parteien unwählbar

In Deutschland setzte die AKP halbherzig auf das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), einen 2010 gegründeten Kleinstverein, der aber nur äußerst bescheidene Wahlerfolge einfuhr und in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Deshalb bestand bis 2016, bis zur Armenien-Resolution, der Versuch einer Nebenaußenpolitik vielmehr über die Instrumentalisierung türkeistämmiger Abgeordneter. Danach kam es zu erneuten Bestrebungen zur Gründung einer Partei im Sinne von Erdogans Islamismus bzw. der AKP. Einer der Initiatoren ist Remzi Aru, der sich als Unternehmer bezeichnet und zu den Mitbegründern der AKP-Lobbyorganisation UETD in Deutschland gehört. Die Armenien-Resolution des Bundestages habe das Fass zum Überlaufen gebracht, damit sei keine deutsche Partei mehr für Menschen mit türkischen Wurzeln wählbar, tönte der Politprovokateur im Juni und startete so für die AKP einen neuen Anlauf. Die politische Ausrichtung seiner frisch gegründeten Allianz deutscher Demokraten (ADD) ist »fast deckungsgleich mit Erdogans Partei«, so der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer.
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Getreue in den Niederlanden: Die beiden türkeistämmigen Abgeordneten Tunahan Kuzu (l.) und Selcuk Öztürk verließen Ende 2014 die sozialdemokratische Partei (PvdA) im Streit um die Integrationspolitik der Regierung und gründeten die Partei DENK, die Erdogans Vorgehen kritiklos unterstützt
Arus Methode ist beschränkt. Wie den Pegida-Aktivisten geht es ihm allein um die Diffamierung politischer Gegner. Dabei geraten all jene ins Visier dieses Hasspredigers und seinesgleichen, die sich wie der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir öffentlich als Erdogan-Kritiker in Stellung bringen. Aru jedenfalls agiert als größter Polemiker im Dienste des Terrorpaten Erdogan hierzulande. Er ist eine Ikone der nationalistisch-islamistischen Szene in Deutschland. Seine ADD könnte gerade Union und SPD Stimmen abjagen und dürfte künftig als Plattform islamistischer Hetze fungieren. Ein Problem für Aru und die Seinen bleibt, dass im deutschen Parteiengesetz Parteien, die allein als Filialen anderer Parteien fungieren, keine Zulassung erhalten.
Bei der ADD ist mithin die Frage genau zu prüfen, ob es sich nicht bloß um einen Ableger der AKP in Deutschland handelt, der die Interessen des Erdogan-Islamismus hierzulande vertritt. Paragraph 2 Absatz 3 des deutschen Parteiengesetzes geht davon aus, dass »politische Vereinigungen (…) nicht Parteien (sind), wenn ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet«. Das wäre bei der ADD in der Tat zu prüfen. Unklar ist zudem auch, ob es beim Namen ADD bleiben wird. Seit dem Jahr 2000 wird so auch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Rheinland-Pfalz abgekürzt, eine zentrale Verwaltungsbehörde, die als Schaltstelle zwischen Landesregierung und Kommunen fungiert.

Türkische Pegida

Unverhohlen bekennt sich Remzi Arus Partei zu den osmanischen »Heldentaten«. Seine Partei­gründung machte er via Internet pünktlich um 14.53 Uhr bekannt. Kein Zufall, denn die Zahl erinnert an die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen und den endgültigen Untergang des oströmischen Reiches der Byzantiner im Jahr 1453. Zwischen den Hetzer Aru und den Terrorpaten Erdogan jedenfalls scheint kein Blatt Papier zu passen.
Fakt ist, dass mit dieser Organisation auf eine Spaltung der Gesellschaft abgezielt wird. Schaut man sich Arus Vorgehensweise dabei an, so wird man unwillkürlich an die AfD erinnert. Eine türkische Pegida soll über das Schüren des Hasses auf Andersdenkende auch in Deutschland Zuspruch und Anhänger gewinnen. Und dabei stehen die Chancen nicht so schlecht. Denn etwa sechzig Prozent der türkischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Deutschland haben, wenn auch bei niedriger Wahlbeteiligung, bei den türkischen Parlamentswahlen am 1.11.2015 für die AKP gestimmt. Das Wählerpotential für Erdogan-Fans dürfte bei den Deutschen mit türkischem Hintergrund etwa gleich groß sein, so das Kalkül. Das wären dann schon einige hunderttausend Stimmen. Vereinzelt könnte man sogar den wenn auch vorerst aussichtslosen Kampf um Direktmandate aufnehmen. Dazu kommt, dass bei allen Aktivitäten pro Erdogan inzwischen eine Allianz mit den faschistischen Grauen Wölfen zu beobachten ist, so etwa auch auf der Pro-Erdogan-Demonstration in Köln Ende Juli mit 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die von der AKP-Lobbyorganisation UETD organisiert wurde. Nach Angaben des Berliner Tagesspiegel nahmen auch Tausende Anhänger der Grauen Wölfe an der Kundgebung in der Domstadt teil. Teilnehmer skandierten: »Wir wollen die Todesstrafe!«
Die Vertreter der UETD setzen sich auf ganzer Linie für Erdogan ein. Das beinhaltet offenbar auch Drohungen gegen Andersdenkende. So berichtete die WAZ von Morddrohungen per Twitter: »Dursun Bas ist Vorsitzender der UETD in Essen, die ›Union Europäisch-Türkischer Demokraten‹ gilt als verlängerter Arm von Erdogans Partei AKP. Am 16. Juli, gleich nach dem Putschversuch, twitterte er – auf Türkisch – an zwei Mitglieder von ›Hizmet‹, wie sich die Gülen-Bewegung offiziell nennt, ›Ihr Ehrlosen – Euer Tod wird nicht einfach sein. Wie könnt Ihr es wagen, auf die Straße zu gehen‹, heißt es in dem Tweet.« Am 20. Juli berichtete das Online­portal Heute.at unter der Überschrift »UETD ruft zu Denunziation von Oppositionellen in Österreich auf« über einen Appell auf der Facebook-Seite der Türken-Union zur Meldung bei türkischen Behörden.

Sprechpuppe des Präsidenten

UETD und ADD sollen Erdogans Hetze nach Europa bringen. Als Filiale der türkischen Außenpolitik geht es darum, ihre Anhänger als Instrument gegen Kritiker des Präsidenten in Ankara einzusetzen. Die Bundesregierung hat diese Entwicklung mit befördert, indem sie Erdogan als Partner hofierte. Jetzt bekommt sie die Rechnung in Form seiner organisierten Hetze hierzulande präsentiert. Aber auch die hiesigen Medien haben eine Mitverantwortung und die Entwicklung lange verschlafen. So ist einer der gern gesehenen Gäste in deutschen Talkshows mit Millionenpublikum der Erdogan-Vertraute Mustafa Yeneroglu. Er war bis 2015 Generalsekretär der vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Heute sitzt er für die AKP im türkischen Parlament. Ende Mai 2016 antwortete er in der ARD-Talkshow von Anne Will auf deren Frage, ob Erdogan ein »lupenreiner Demokrat« sei, wie aus der Pistole geschossen: »Selbstverständlich!« Und es stelle sich »die Frage des Ein-Mann-Systems in keiner Weise«. Über ein Präsidialsystem werde in der Türkei schließlich schon seit sechzig Jahren diskutiert – das sei keine Erdogan-Sache.
Als ich Yeneroglu in derselben Sendung mit Blick auf die Immunitätsaufhebungen in Ankara vor Millionenpublikum vorhielt, die eigene Entmachtung des türkischen Parlaments sei bizarr und »ein probates Mittel von faschistischen Diktaturen«, da wurde Erdogans Lautsprecher ausfällig und verbreitete zahlreiche Lügen wie unter anderem die, ich sei eine PKK-Propagandistin. Es ist das übliche Agieren der AKP, unliebsame Kritiker mit falschen Behauptungen zu verleumden. Und wahre Wortpirouetten drehte Yeneroglu, als es um die 1915 im Osmanischen Reich verübten Massaker an den Armeniern ging und ob diese als Völkermord zu bewerten seien, wie es der Bundestag wenige Tage nach dieser denkwürdigen Fernsehsendung tun sollte. Die Moderatorin Anne Will insistierte, fragte immer wieder, »ja« oder »nein«, bis Yeneroglu bei reichlich Ablenkung und Ausschweifung über die damals komplizierte geopolitische Gemengelage bei seinem »Nein« angekommen war.
Wortreich verteidigte der AKP-Politiker in deutschen Medien schließlich Erdogans Gegenputsch. Ungeachtet der Massenverhaftungen und Massenentlassungen gebe es in der Türkei nach wie vor Rechtsstaatlichkeit, behauptete Yeneroglu etwa im Deutschlandfunk. Der Staat habe sich aber nach dem Umsturzversuch in einer Notsituation befunden und »in aller Härte zurückschlagen« müssen, verteidigte der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments das antidemokratische Agieren seines nach Allmacht strebenden Präsidenten.
Anmerkung
* Die Jungtürken waren eine politische Bewegung im Osmanischen Reich, die seit 1876 illegal auf liberale Reformen und eine konstitutionelle Staatsform hinarbeitete. Ziel war die Stärkung des außenpolitisch geschwächten und innenpolitisch vom Zerfall bedrohten Staates durch politische, militärische und wirtschaftliche Modernisierung. (Anm. d. Red.)

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