Am 20. November beschloss ein Istanbuler Gericht, dass der Kölner Sozialarbeiter und Journalist Adil Demirci weiter in Untersuchungshaft bleiben soll
Von Redaktion Rote Fahne
Adil Demirci wird – wie Zehntausenden anderen politischen Gefangenen in der Türkei – „terroristische Tätigkeit“ vorgeworfen. Nur weil sie das faschistische Erdogan-Regime kritisieren, den kurdischen Befreiungskampf unterstützen oder an ihrer revolutionären Einstellung festhalten. Die Rote Fahne sprach mit Mehmet Ö.1 Er hat in Deutschland Asyl beantragt und kennt die Verhältnisse in türkischen Gefängnissen aus eigener Erfahrung.
Rote Fahne: Wann warst du inhaftiert, und was wurde dir vorgeworfen?
Mehmet Ö.: Erst mal bedanke ich mich für das Interview und schicke meine Grüße an alle Freiheitskämpferinnen und -kämpfer sowie alle antifaschistischen und revolutionären politischen Gefangenen in der Türkei und auf der ganzen Welt.
Ich bin 29 Jahre alt, kurdischer Abstammung und habe Soziologie studiert. Ich war von 2009 bis 2011 dauerhaft inhaftiert. Zwischen 2011 und 2016 wurde ich immer wieder für kürzere Zeit in Haft genommen und dann freigelassen. Ich trat als revolutionärer Musiker auf Solidaritäts- und Gedenkkonzerten mit meiner Musikgruppe auf. Unter anderem für die 301 Bergleute von Soma, die am 13. Mai 2014 ums Leben kamen.
Wir haben Erdogan und seine Politik angeklagt, die für den Tod der Kumpels wesentlich mitverantwortlich war. Deshalb hat man mich erneut sogenannter „terroristischer Propaganda“ und „Beleidigung des Präsidenten“ angeklagt.
Wie muss man sich das Leben in einem türkischen Gefängnis vorstellen?
Es bestehen schwere Isolationshaftbedingungen, Zwangshäftlingskleidung, Misshandlungen … Teilweise wurden Menschen so schwer gefoltert, dass sie dabei umgekommen sind, wie Engin Ceber 2008. Zugleich gibt es auch jahrzehntelangen Widerstand gegen die Willkür der Gefängniswärter und den Staatsterror gegen die Gefangenen. Die politischen Gefangenen sind sehr diszipliniert. Ich begann den Tag zum Beispiel gemeinsam mit den anderen mit Sport. Wir haben sehr viel gelesen, soweit dies von den Sicherheitskräften zugelassen wurde.
Eine Willkürmaßnahme war, dass wir immer aufzustehen hatten, wenn die Wärter in die Zellen kamen, und dann ganz laut durchzählen mussten. Dies war auch komisch, vor allem wenn man nur alleine oder allenfalls zu zweit in der Zelle ist. Wir sind aus Protest nicht aufgestanden, weil sie uns so zwingen wollten, ihnen gegenüber Respekt zu zeigen.
Um uns zu brechen, haben sie uns oft misshandelt. Jeden Tag haben wir zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam Parolen gerufen, um uns und unsere Genossen zu ermutigen.
Wie wird mit den demokratischen Rechten der Gefangenen umgegangen?
Es existiert eine mehr oder weniger offene Willkür. So kann es sein, dass man als Strafe gegen Widerstand bei Folterungen eine gewisse Zeit nicht mit der Familie telefonieren darf. Oft kommt es vor, dass sie nicht erlauben, dass du mit deinen Anwälten sprichst. Oder man bekommt keine Zeitungen oder Bücher.
Wir leisteten über längere Zeit großen Widerstand dagegen, dass man kranke Gefangene nicht zum Arzt ließ, auch Menschen, die schwer krank waren.
Wir haben gehört, du wurdest selbst misshandelt …
Als sie mich festnahmen, steckten sie mich mit mehreren in ein Auto, in das sie vorher Pfeffergas gesprayt hatten. Es war beinahe unmöglich, zu atmen. Als wir dann im Polizeipräsidium ankamen, wurden wir erst nackt ausgezogen und dann die Treppen hinuntergestoßen. Dann schlugen sie so lange auf uns ein, mit Schlagstöcken und anderen Gegenständen, bis wir bewusstlos wurden. Die Ärzte im Gefängnis geben dir dann eine Bescheinigung, dass du nicht gefoltert wurdest, sondern gesund und putzmunter bist.
Es folgt oft die psychische Folter der Isolationshaft. Deine Sachen nehmen sie dir weg. Man verbringt 24 Stunden entweder nur mit sich selbst oder mit einem Mitgefangenen. Es gab zwischen 2000 und 2007 breite Proteste und Hungerstreiks gegen diese Isolationsbedingungen, was auch zu bestimmten Änderungen führte.
Normalerweise darf man seitdem eigentlich laut Gesetz zu bestimmten Zeiten am Tag auch andere Gefangene in ihren Zellen besuchen. Oft wird das aber verboten. Eine der größten Qualen für mich war, wenn wir zuhören mussten, wie unsere Genossen gefoltert wurden, und in diesem Moment nichts dagegen machen konnten.
Am schönsten war es immer, wenn wir Briefe bekamen. Es war eine große Hilfe, die Isolationshaft zu ertragen, und hat uns die Solidarität von draußen spüren lassen. Obwohl wir natürlich wussten, dass die Briefe zensiert werden.
Wie geht es dir nach deiner Freilassung?
Meine Strafverfahren in der Türkei dauern noch an. Nach längerer Untersuchungshaft kam ich frei, soll jetzt aber wieder festgenommen werden.
Mein Asylverfahren, in dem ich von Rechtsanwalt Roland Meister aus Gelsenkirchen vertreten werde, läuft noch. Auch hier in Deutschland trete ich als Musiker auf, so bei Aktivitäten des Internationalistischen Bündnisses.
Vielen Dank für das Interview!
1 Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt
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