Montag, 28. Januar 2019

Humanität am Ende

Bundesregierung setzt Operation »Sophia« aus, die Marine ist zufrieden und konzentriert sich vorerst wieder auf die Ostsee

  • Von René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Keine gute, doch eine erwartete Entscheidung: Die Regierung setzt die deutsche Beteiligung an »Sophia« aus. Der Name der Operation fand Verbreitung nach der Geburt eines kleinen Mädchens auf der deutschen Fregatte »Schleswig-Holstein«, das man nach dem marineinternen Rufnamen des Schiffes Sophia nannte. Offiziell lautet der Codename der Mission EUNAVFOR MED.
Lesen Sie den Kommentar: Verantwortungsloser Rückzug: Fabian Hillebrand über den deutschen Rückzug aus der EU-Mission »Sophia«
Formal geht es um die Bekämpfung der Schleuserkriminalität aus Nordafrika, vor allem aus Libyen. Faktisch jedoch halfen deutsche und Kriegsschiffe anderer EU-Nationen dabei, Flüchtlinge und Migranten aus akuter Seenot zu retten. So leisteten die Militärs zumindest einen kleinen Beitrag gegen das Massensterben im Mittelmeer. Zumeist brachte man die Geretteten zu italienischen Häfen. Doch das hat die neue rechte Regierung in Rom weitgehend unterbunden. Sie sorgte auch dafür, dass das von der EU zuletzt bis Ende 2018 verlängerte Mandat nur noch rein technischer Natur war. Zugleich verschob die Operationszentrale in Rom das Schwergewicht und setzte die drei verbliebenen Kriegsschiffe aus Deutschland, Spanien und Italien fast ausschließlich zur Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Libyen ein und ließ Lagebilder vom Ölschmuggel aus dem nordafrikanischen Land erstellen. Bewusst hielten die Verantwortlichen in Italien die Schiffe von den Flüchtlingsrouten fern. Die letzte Rettung von Schiffbrüchigen durch die Bundeswehr liegt bereits rund zehn Monate zurück.
Nachdem Italien bereits mit teilweise kriminellen Methoden Schiffe von privaten Rettungsorganisationen weitgehend vertrieben hat, gelingt das nun auch im militärischen Bereich. Objektiv hilfreich ist dabei die Unfähigkeit der EU, sich über die Verteilung von Geretteten zu einigen.
Es gäbe eine einfache Lösung. Man muss die Kriegsschiffe einfach unter nationalem Kommando zur Lebensrettung ausschicken. Die logische Konsequenz: Alle von deutschen Kriegsschiffen Geretteten dürften in Deutschland Asyl beantragen. Eine derart humanitäre Haltung scheitert an den politischen Mehrheiten in DeutschlEigentlich sollte der Einsatzgruppenversorger »Berlin« - ein Schiff, das bestens für Rettungseinsätze ausgerüstet ist - die nun heimkehrende »Augsburg« ersetzen. Doch nun wird die »Berlin« an NATO-Übungen im Atlantik teilnehmen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Man könne auf Lageänderungen »jederzeit flexibel reagieren«, betonte der Inspekteur der Deutschen Marine, Vizeadmiral Andreas Krause. Doch im Grunde hält er das Aussetzen der Teilnahme an der Operation »Sophia« für eine »gute Entscheidung. Die freiwerdenden Seetage können wir gut zu Übungen im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung nutzen«.
Mangels anderer politischer Entscheidungen der schwarz-roten Bundesregierung baut die Marine militärstrategische Fähigkeiten aus. Am Mittwoch wurde in der Rostocker Hansekaserne ein neuartiger Stab gebildet. Der »German Maritime Forces Staff« wird Operationen an der Nordflanke der NATO planen und führen. Im Bedarfsfall kann er zu einem deutlich größeren internationalen Führungsinstrument, dem »Baltic Maritime Component Command« (BMCC), erweitert werden.
Die Ostsee, so betonte der Stellvertretende Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Rainer Brinkmann, am Dienstag auf einer internen Strategietagung, habe deutlich an Bedeutung gewonnen. Sie sei »von der Spielwiese für Frieden und Freundschaft zur verwundbaren Nabelschnur zu unseren Verbündeten im Baltikum geworden«. Zwar ist die »halbhegemoniale Macht« Deutschland selbst nicht mehr Frontstaat, aber dem Land komme »eine Drehscheibenfunktion für die Unterstützung unserer Partner im Osten zu«.
Doch Brinkmann hat einen durchaus globalen Blick auf die »Gemengelage strategischer Interessen und geopolitischer Faktoren«. »Die Versteppung und Verkarstung der Kontinente nimmt in Verbindung mit dem dort herrschenden Wasser- und Ressourcenmangel bei gleichzeitiger Zunahme der Bevölkerung dramatisch zu. Die Menschen machen sich auf den Weg an die Küsten, wo sich trotz der ohnehin hohen zivilisatorischen Dichte immer mehr Bevölkerung und maritime Infrastruktur ballen und von wo aus Menschen hoffen, in eine bessere Welt aufbrechen zu können.«
Brinkmanns Schlussfolgerung als Marinebefehlshaber: »An der Südflanke sind wir durch Massenmigration, Menschenhandel, organisierte Kriminalität und fehlende staatliche Ordnungsstrukturen gefordert.« Die Herausforderungen seien »zwar maßgeblich polizeilich humanitären Charakters, ohne die Streitkräfte wird es aber nicht gehen«. Der Admiral meint: »Letztlich geht es um nicht mehr und nicht weniger, als einen unkontrollierten Sturm auf die Festung Europa zu verhindern.«
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110667.operation-sophia-humanitaet-am-ende.html

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Verantwortungsloser Rückzug


Fabian Hillebrand über den deutschen Rückzug aus der EU-Mission »Sophia«

  • Von Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 2 Min.

Geflüchtete aus Seenot zu retten könnte einfach sein: Ihre Boote sind per Radar zu orten und sie verfügen über Satellitentelefone, mit denen sie Notrufe absetzen können. »Es ist eine Frage des Wollens«, wie der Bundestagsabgeordnete Michel Brandt jüngst feststellte. Die Bundesregierung will nicht: Die Marine wird kein neues Schiff zur Unterstützung von »Sophia« ins Mittelmeer schicken. Die EU-Mission hat den Auftrag, Schleuser zu bekämpfen und Geflüchtete in Seenot zu retten. So wichtig die Anliegen, so dünn die Erfolge: Die Schiffe der Mission fuhren zu weit von der libyschen Küste entfernt, um Schleuser auch nur mit dem Fernglas zu sichten. Zweck des Einsatzes ist längst ein anderer: Die Marine beteiligt sich seit 2016 an der Ausbildung libyscher Milizen, mit dem Ziel, Menschen an der Überfahrt zu hindern. Das Bundeswehrmandat wurde ein weiterer Mauerstein in der Festung Europas.
Lesen Sie dazu ausführlich: Humanität am Ende. Bundesregierung setzt Operation »Sophia« aus, die Marine ist zufrieden und konzentriert sich vorerst wieder auf die Ostsee
Und trotzdem: Auch wenn die Rettung von Geflüchteten für die deutsche Marine allerhöchstens lästiger Beifang war und die Zahl der Geretteten zuletzt durch den Druck der rechten Regierung in Italien massiv sank- 2018 wurden nur noch 2769 Menschen aus Seenot gerettet, im Vorjahr waren es mit 12 830 fast fünfmal so viele Menschen -, der Rückzug von »Sophia« wird zu noch mehr Toten auf dem Mittelmeer führen. Deshalb muss die Bundesregierung den Einsatz dringend durch eine staatliche zivile Rettungsmission ersetzen. Die Migration über die gefährliche Mittelmeerroute hört schließlich nicht auf, nur weil Europa sich streitet.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110665.eu-mission-sophia-verantwortungsloser-rueckzug.html

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Schon wieder blockiert Italien ein Flüchtlingsrettungsschiff


Das Ausharren auf See ist für die Flüchtlinge eine traumatische Erfahrung, sagt Kapitänin Pia Klemp

  • Von Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon wieder europäisches Tauziehen um ein Rettungsboot auf dem Rücken der Flüchtlinge: Italien hat die niederländische Regierung aufgefordert, eine Lösung für das Schiff »Sea-Watch 3« einer deutschen Hilfsorganisation zu finden. Ein entsprechender Brief sei an Den Haag gegangen, erklärte Innenminister Matteo Salvini am Freitag. Das Boot fährt unter niederländischer Flagge und hatte vor einer Woche 47 Flüchtlinge vor Libyen aufgenommen.
Die niederländische Regierung jedoch wies die Verantwortung zurück. »Es ist Aufgabe des Kapitäns der «Sea-Watch3», in der Nähe einen sicheren Hafen zu finden«, erklärte das für Asylfragen zuständige Justizministerium auf dpa-Anfrage in Den Haag. Migranten ohne Recht auf Asyl müssten an der europäischen Außengrenze gestoppt oder zurückgeschickt werden. Ohne eine derartige strukturelle Lösung würden die Niederlande keine Migranten mehr aufnehmen. Die Antwort ist absurd, vor allem, da die Seenotrettungsstelle zuständig ist, der »Sea-Watch3« einen Hafen zuzuweisen. Diese liegt in der italienischen Hauptstadt Rom.
Das Schiff der Berliner NGO Sea-Watch ist zum zweiten Mal innerhalb eines Monats auf dem Meer blockiert. Mittlerweile wartet es vor Italien vergeblich auf Anweisungen. Obwohl sich mehrere Städte in Italien zu einer Aufnahme bereit erklärten, verbietet es die populistische Regierung in Rom.
Man suche Schutz »vor bis zu 7 Meter hohen Wellen, Regen und eisigem Wind«, twitterte Sea-Watch. Wegen eines Sturms steuerte die »Sea-Watch 3« in italienische Gewässer und liegt nun zwei Kilometer vor dem sizilianischen Syrakus.
 In einer Online-Petition fordert »Sea-Watch« die Zuweisung eines sicheren Hafens: »Wir fordern die europäische Kommission auf: Ziehen Sie ein für alle mal einen Schlussstrich unter das würdelose Geschachere mit Menschen«, heißt es in der Petition, die bereits 35.000 Menschen unterschrieben haben.
Der niederländische Botschafter in Italien solle einberufen werden, um zu erklären, was seine Regierung tun wolle, sagte Vize- Regierungschef Luigi Di Maio. »Wir sind bereit für die maximale Zusammenarbeit, aber unsere Linie für die NGOs ändert sich nicht.«
Italien hält seine Häfen für private Rettungsschiffe seit Monaten geschlossen und hat bereits mehrere Schiffe auf See blockiert. »Syrakus muss der nächste sichere Hafen werden«, sagt Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Unter den 47 Migranten seien 13 Minderjährige. Hinzu kommen 22 Crewmitglieder. Den Geretteten gehe es soweit gut.
Der Bürgermeister der sizilianischen Stadt erklärte sich bereit, das Schiff aufzunehmen. Allerdings liege die Entscheidung nicht bei der Kommune, sagte Francesco Italia nach Angaben italienischer Medien. Auch andere Städte wie Neapel zeigten Bereitschaft.
Bei dem rechten Innenminister Matteo Salvini stießen sie wie gehabt auf taube Ohren. »Während der Innenminister für die Interessen der Italiener arbeitet, sorgt sich der (Bürgermeister von Neapel) weiter nur um die Migranten«, sagte Salvini. Zynisch ist der Kommentar gerade angesichts der vielen Menschen nicht nur in Neapel, die ihre Bereitschaft signalisiert haben, die Menschen aufzunehmen.
Die EU-Staaten können sich seit Jahren nicht auf eine Verteilung von Bootsflüchtlingen einigen. Die »Sea-Watch 3« war um den Jahreswechsel etwa drei Wochen auf See blockiert, bevor die Flüchtlinge in Malta an Land durften. Von dort sollten sie auf andere EU-Staaten verteilt werden.
Lesen Sie auch: Der Preis der Abschottung: Nur 166.000 Menschen haben in Deutschland Asyl beantragt. Kein Grund zur Freude, denn diese Politik fordert ihre Opfer.
Für die Flüchtlinge an Bord und auch für die Crew ist das Ausharren auf See eine schreckliche Erfahrung. Eine der Kapitäninnen der »Sea-Watch«, Pia Klemp, schildert das gegenüber »nd«: »Es ist wie eine zweite Traumatisierung. Die Menschen sind gerettet, aber müssen über Tage im ungewissen auf dem Schiff ausharren. Manchmal zusammen mit Toten, die wir ebenfalls bergen und an Land bringen«.
Die EU-Kommission betonte am Freitag, die Ereignisse zu verfolgen und mit den EU-Staaten in Kontakt zu sein. »Die Sicherheit der Menschen an Bord muss unser oberstes Anliegen und unsere Priorität sein«, sagte ein Sprecher. Es werde dringend eine vorhersehbare Regelung für solche Fälle gebraucht.
Italien und die EU unterstützen Libyen darin, die Flüchtlinge wieder in das Bürgerkriegsland zu bringen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das, da den Auswanderern dort unter anderem Folter drohte. Seit Beginn des Jahres sind laut Internationaler Organisation für Migration mindestens 217 Menschen bei der Überfahrt über das Mittelmeer gestorben. mit Agenturen

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Spanien lässt Seenotretter nicht auslaufen

»Open Arms« von Madrid festgehalten


  • Von Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.

Erwartet wurde von vielen in Spanien, dass die sozialdemokratische Regierung eine humanitäre Flüchtlingspolitik betreiben würde. Aber das Geschehen um »Open Arms« und »Aita Mari« zeigt das Gegenteil. Hilfsorganisationen sind entsetzt darüber, dass die Regierung mit fadenscheinigen Argumenten das Auslaufen von Rettungsschiffen verhindert.
Der Stadtrat von Barcelona hat nun mit großer Mehrheit gefordert, das Rettungsschiff »Open Arms« sofort freizugeben, das im Hafen von Barcelona blockiert ist, damit es seiner Aufgabe nachkommen kann. Seit dem 8. Januar verbietet die Hafenbehörde, die dem Infrastrukturministerium in Madrid untersteht, das Auslaufen, um vor der Küste Libyens ertrinkende Menschen zu retten. »Open Arms« hat auf Twitter einen Zähler eingerichtet. Dort ist zu lesen, dass seit der Blockade knapp 250 Menschen ertrunken seien.
Verstehen kann Óscar Camps, Präsident der Hilfsorganisation, das Vorgehen und die technische Begründung nicht. »Dass nach zwei Jahren auf See festgestellt wird, dass das Schiff nicht geeignet sei, ist entweder eine Ausrede oder ein politischer Schwenk«, sagte er. Letzteres wird im Baskenland vermutet, wo seit dem 18. Januar auch die »Aita Mari« blockiert ist. Auch hier führen die Behörden an, das umgebaute Schiff, einst zum Fang von Thunfisch eingesetzt, sei nur für die Beförderung von 20 Personen zugelassen. Die »Open Arms« hatte mehr als 300 Menschen an Bord, als sie Ende des Jahres nach einer Odyssee im Hafen von Algeciras einlief. Die Humanitäre Seenotrettung, die hinter der »Aita Mari« steht, wartet nun auf die Entscheidung über ihren Einspruch. Ihr Sprecher Daniel Rivas erklärte gegenüber »nd«: »Die Begründung basiert auf einer falschen Auslegung.«
Die Mitglieder der Besatzung der »Aita Mari«, die alle schon als Seenotretter unterwegs waren, gehen von einem politischen Schachzug aus. »Wenn eine Regierung der Sozialistischen Arbeiterpartei von einem Faschisten wie Salvini gelobt wird, dann stimmt irgendetwas nicht«, erklärt der Kapitän Marco Martínez, der schon auf der »Open Arms« gefahren ist. Tatsächlich hat der italienische Innenminister den neuen Umgang Spaniens mit den Schiffen gelobt.
Soweit ist nicht einmal die konservative Vorgängerregierung gegangen. Sie hatte Seenotretter agieren lassen. Die Enttäuschung darüber lässt auch den Druck auf die jetzige Regierung von Pedro Sánchez steigen. Linksparteien wie die baskische EH Bildu und Podemos haben deshalb einen Antrag ins Parlament eingebracht, in dem sie die Freigabe der Rettungsschiffe fordern. Sánchez ist auf ihre Stimmen angewiesen.
Am Samstag sind 5000 Menschen aus Irun im spanischen Baskenland über die Grenze nach Hendaye (Frankreich) gezogen, um für offene Grenzen einzutreten und haben sich mit der Besatzung der »Aita Mari« solidarisiert. »Die Zukunft Europas ist multikulturell - oder es hat keine«, erklärten Sprecher vom Aufnahmenetzwerk Irun. Die »Aita Mari« befand sich derweil auf dem Weg nach Bilbao.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110933.open-arms-open-arms-von-madrid-festgehalten.html

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LGBTI-Zentrum in Barcelona überfallen


Parlamentspräsident Kataloniens stellte klar, dass Hass und Intoleranz keinen Platz in Katalonien hätten

  • Von Elisabeth Voß
  • Lesedauer: 2 Min.
In der Nacht vom 26. zum 27. Januar 2019 wurde das neu eröffnete LGTBI-Zentrum im Stadtteil San Antonio von Barcelona überfallen. Die Glastür wurde eingeworfen, und die Glasscheiben des Ladenlokals mit Beschimpfungen und Drohungen beschmiert. In großen schwarzen Buchstaben steht dort: »Du bist tot« – ESTAIS MUERTOS – wobei das O ein Kreuz enthält. Diese Radkreuz-Rune wird gerne von faschistischen Gruppen verwendet.
Das Zentrum für lesbische, schwule, transgender, bi- und intersexuelle Menschen war erst vor einer Woche eröffnet worden. Es ist ein Meilenstein in der Umsetzung des »Städtischen Plans für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt«. Auf über 1.200 Quadratmetern bietet es soziale, rechtliche und Gesundheitsberatung, darüber hinaus kulturelle und künstlerische Angebote, ein Dokumentationszentrum sowie Veranstaltungs- und Konferenzräume. Das Zentrum soll die Sichtbarkeit der LGTBI-Community in der Stadt verbessern und gleichzeitig ein integrativer Ort sein, der ebenso von der Nachbarschaft genutzt werden kann. Es wurde von Anfang an gut angenommen, zur Eröffnung kamen 8.000 Menschen.
Betrieben wird das Zentrum von einer Plattform vieler verschiedener LGTBI-Organisationen Kataloniens. Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau vom munizipalistischen Wahlbündnis »Barcelona en Comú« erklärte bei der Eröffnung, dass sie stolz darauf sei, dass Barcelona damit eine Vorreiterrolle bei der Verteidigung der Rechte von allen, insbesondere der LGTBI-Menschen, einnehme.
Der Anschlag von letzter Nacht rief großes Entsetzen hervor. Ada Colau, die sich offen zu ihrer Bisexualität bekennt, verurteilte ihn als feige und betonte, dass dieser keine Angst hervorriefe, im , Gegenteil. Der Parlamentspräsident Kataloniens, Roger Torrent, stellte klar, dass Hass und Intoleranz keinen Platz im Land hätten. Von vielen Seiten gab es Bekundungen von Betroffenheit und kämpferischer Solidarität.
Glücklicherweise hielten sich zum Zeitpunkt des Anschlags keine Menschen in den Räumen auf, so dass nur erheblicher Sachschaden entstand. Die Polizei ermittelt. Da es den Tätern nicht gelang, in die Räume einzudringen, könnte der Betrieb bald wieder aufgenommen werden. Für Montagabend um 18:30 Uhr ruft die »Plataforma d'entitats LGTBI de Catalunya« zu einer Demonstration auf, die direkt vor den Räumen des Zentrums in der Calle Comte Borrell 22 beginnen soll.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110949.lgbti-zentrum-lgbti-zentrum-in-barcelona-ueberfallen.html

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Kritik an der EU darf nicht den Rechtspopulisten überlassen werden, meint die LINKEN-Politikerin Judith Benda

Für eine deutliche pro-europäische EU-Kritik


  • Von Judith Benda
  • Lesedauer: 5 Min.

Wir stehen für ein europäisches Projekt von internationaler Solidarität, Humanismus und Frieden. Nur ist das mit dieser real-existierenden EU nicht zu machen, denn die EU-Verträge bieten keine taugliche Grundlage für ein soziales, demokratisches, ökologisches und friedliches Europa. Das wird deutlich, wenn wir uns die Entwicklungen der EU exemplarisch im Bereich Militarisierung und Soziales anschauen:

Festung Europa und Militarisierung

Im vergangenen Jahr starben auf dem Mittelmeer laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk mehr als 2200 Flüchtlinge bei der Überfahrt nach Europa. Und die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex wird sogar weiter ausgebaut. Mit mehr Geld und Kompetenzen werden die Außengrenzen gesichert, Flüchtlinge aufgehalten, die zivile Seenotrettung kriminalisiert und zurückgedrängt. Der EU-Türkei-Deal, Verhandlungen mit afrikanischen Staaten über Aufnahmelager – wir erleben einen Zynismus, der kaum zu überbieten ist. Wenn es den »europäischen« Interessen dient, wird mit autoritären Regimen zusammengearbeitet.
Hymnen des Selbstlobes sind zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 an die EU gesungen worden. Der ehemalige EU-Ratspräsident Van Rompuy sprach von der EU als »größte friedensstiftende Institution, die jemals bestanden hat«. Doch der relative Frieden innerhalb der Union steht im starken Kontrast zum Verhalten vieler EU-Mitgliedstaaten nach außen und der Rolle der EU als imperialer Block und zunehmende Supermacht.
Seit der Gründung der EU 1992 ist die Union mit zunehmender Intensität militarisiert worden. Mit dem Vertrag von Lissabon haben sich die EU-Staaten zu weiterer Aufrüstung verpflichtet (Art.42,3 EUV): »Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Eine solche Rüstungsverpflichtung ist in keiner Verfassung eines EU-Mitgliedstaates zu finden.
In Zeiten von Brexit und Trump soll nun das gemeinsame militärische Projekt den Kitt in der EU bilden. Es ist ein beschleunigter Ausbau der militär-, verteidigungs- und rüstungspolitischen Integration zu beobachten. Eine Entwicklung hin zu einem militärischen Kerneuropa unter deutsch-französischer Führung.
Anlässlich der Aktivierung der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« im Militärbereich (PESCO) durch 25 Mitgliedstaaten in 2017 schwärmte EU-Ratspräsident Tusk »Heute wird ein Traum wahr« und EU-Kommissionpräsident Juncker sprach von der »schlafenden Schönheit des Lissabon-Vertrages«, die nun erwacht sei. PESCO soll militärische Fähigkeiten und Kapazitäten stärker bündeln und militärische Kooperationsprojekte voranbringen. Truppenverbände sollen schneller bereitgestellt und verlegt, die bestehenden militärischen EU-Missionen und EU-Battlegroups ausgebaut und effizienter werden. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich weiterhin, ihre Militärhaushalte regelmäßig zu erhöhen und in die Rüstungsforschung zu investieren.
Der neu geschaffene Europäische Verteidigungsfonds ist ein weiterer zentraler Baustein der verschärften Militarisierung auf EU-Ebene. Gemäß den Plänen soll der Fonds 13 Milliarden Euro aus dem nächsten langfristigen Haushalt der EU erhalten. Es geht vor allem um eine gemeinsame Verteidigungsforschung und Kofinanzierung von militärischen Projekten. Dazu könnte dann auch die Entwicklung neuer Waffensysteme zählen, darunter eine »Euro-Drohne«.


Arbeit und Soziales

Sozialpolitik ist auf EU-Ebene fast nur Beiwerk zum neoliberalen Kern der EU. Zu Recht fordern wir gemeinsam mit den Gewerkschaften eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen. Allerdings ist der neoliberale Dreiklang aus »Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung« fester Bestandteil der Strategie der EU und zementiert in den Verträgen. Eine Kernforderung unsererseits ist daher die grundlegende Revision der EU-Verträge. Soziale Grundrechte, erreichte Standards und die Tarifautonomie müssen Vorrang vor der Freiheit der Märkte und Wettbewerbsfähigkeit haben. Über eine neue Vertragsgrundlage müssen Volksabstimmungen in allen EU-Mitgliedstaaten abgehalten werden.
In der EU stehen Absichtserklärungen zur »Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung« die erzwungenen Lohn- und Rentenkürzungen sowie einer Politik des Sozialabbaus und der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge gegenüber. Die deutsche Bundesregierung trägt hierfür eine wesentliche Verantwortung und muss im Fokus unserer Kritik stehen.
Jede 5. Person in der EU ist bereits von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht und nun soll der Kohäsionsfonds zur Angleichung der Lebensverhältnisse innerhalb der Union in den kommenden Jahren gar um 10 Prozent gekürzt werden. In dieser Gemengelage klingt es wie ein schlechter Scherz, wenn Juncker sagt: »Das europäische Sozialmodell ist eine Erfolgsgeschichte und hat Europa zu einem erstklassigen Lebens- und Arbeitsort gemacht«.


Auf in einen kämpferischen Wahlkampf

Diese EU braucht unbedingt eine starke Linke, die sich nicht unterbuttern lässt, sondern die unterscheidbar und im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung auftritt. Lasst uns einen geschlossenen, angriffslustigen Wahlkampf für eine andere EU führen, der sich in seiner Kreativität und Positionen von den lauwarmen EU-Worten der anderen Parteien abhebt.
Anknüpfen können wir an die Empörung vieler Menschen über den krassen Widerspruch zwischen propagierten Werten der EU und der konkreten Politik, die von Aufrüstung und verstärkter sozialer Ungleichheit geprägt ist. Dieser Unmut kommt aktuell hierzulande z.B. durch die »Seebrücke-Bewegung« gegen die inhumane Migrations- und Flüchtlingspolitik zum Ausdruck. Auch die aktuellen Proteste der »Gelbwesten-Bewegung« hängen mit der EU-Politik zusammen, denn diese ist durch ihre Kürzungspolitik mitverantwortlich für die Verschlechterung der Lebensbedingungen breiter Teile der Bevölkerung.
DIE LINKE muss mutig das aussprechen, was ist. Kritik an der EU darf sie nicht den Rechtspopulisten überlassen. Eine unkritische Verteidigung der real-existierenden EU als »kleineres Übel« ist nicht hilfreich, sondern treibt den Rechtspopulisten Wähler zu. Als Linke stehen wir klar gegen die neoliberale Kürzungspolitik und die nationalistische und rassistische Politik der Rechten, deren Aufstieg durch die marktliberale, undemokratische Politik der EU begünstigt wurde. Das Fundament unserer Politik ist die Solidarität. Nur DIE LINKE ist die antikapitalistische Kraft für Frieden, soziale Gerechtigkeit, Antirassismus und Solidarität.
Für ein solidarisches Europa der Millionen, gegen eine EU der Millionäre!
Judith Benda ist Mitglied des Parteivorstands der LINKEN und des Vorstands der Partei der Europäischen Linken. Sie lebt in Berlin und Brüssel.



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Reden mit dem Serienkiller


Wie entwickelt sich der Kriminalroman? Diskussionen auf dem Festival »Global Crime« in Frankfurt am Main

  • Von Ute Evers
  • Lesedauer: 4 Min.

In seinem Aufsatz »Über die Popularität des Kriminalromans« konstatierte Bertolt Brecht 1938, dass dieser zwar »alle Merkmale eines blühenden Literaturzweigs zur Schau« trage, er aber »in den periodischen Umfragen nach den ›Bestsellers‹ kaum je genannt wird«.
Heute ist das völlig anders, viele Tages- oder Wochenzeitungen können auf eigene Krimi-Bestenlisten oder -beilagen verweisen. Es werden Kriminalliteraturpreise verliehen, es gibt Verlage mit expliziten Genrereihen, virtuelle Krimi-Plattformen und Spezialisten auf dem unendlichen Feld der Spannungsliteratur. Weltweit gehört der Kriminalroman zu der meistgelesenen Literatur. Er ist zu einem globalen Phänomen geworden. Am vergangenen Wochenende standen in Frankfurt am Main im Literaturhaus dann auch die achten Litprom-Literaturtage unter dem Motto »Global Crime - Kriminalliteratur als globaler Code«.
Die Literaturagentur Litprom gibt es seit 1980. Sie arbeitet nicht gewinnorientiert, wird unter anderem unterstützt durch Brot für die Welt, kooperiert mit der Frankfurter Buchmesse, und versteht sich als »eine vielseitige Plattform für literarische Begegnungen in Zeiten globalisierter Textzirkulation«, wie es auf ihrer Website heißt. Am Wochenende präsentierte sie zehn Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus fünf Kontinenten: Candice Fox (Australien), Chan Ho-kei (Hongkong), Jeong Yu-jeong (Süd-Korea), Deon Meyer (Südafrika), Marcelo Figueras (Argentinien), Mercedes Rosende (Uruguay), Patrícia Melo (Brasilien) und Gary Victor (Haiti). Deutschland wurde von Max Annas und Oliver Bottini vertreten.
Thomas Wörtche, freier Publizist und ausgewiesener Spezialist globaler Crime Fiction, war zusammen mit Achim Stanislaw Kurator dieser Literaturtage. Schon zu Beginn erklärte er den Kriminalroman zu einem nahezu zeitlosen wie globalen Genre, denn: »Fast alle Gesellschaften sind konstitutiv gewalttätig«, Verbrechen werde es immer geben. Gleichwohl gibt es literarische Entwicklungen. Die Aufklärung und das »Enträtseln« eines außergewöhnlichen Verbrechens stehen nicht mehr im Zentrum anspruchsvoller zeitgenössischer Kriminalgeschichten. Das klassische »Whodunit« á la Edgar Allan Poe, Sir Arthur Canon Doyle oder Agatha Christie ist passé.
Was interessiert den zeitgenössischen Krimi, wenn es also nicht mehr primär nur um die Auflösung des Verbrechens geht? Gibt es Verbindungen zwischen beispielsweise einer Autor*in aus Australien, Haiti und Südkorea? Was sind die Kontexte, was die Traditionen ihrer literarischen Sozialisationen? Was sind die Ansätze, das Innenleben der Romanfiguren zu erforschen bzw. zu entwickeln?
Die Diskussion dieser Fragen schafft die Momente, in denen solche Veranstaltungen an Dynamik gewinnen. Es erschließen sich Welten, die über den fiktiven Raum des Buches hinausgehen. Etwa, wenn Candice Fox erzählt, dass sie sich fünf Stunden lang mit einem Serienkiller im Gefängnis unterhielt, mit ihm eingesperrt in einem Glaskasten, um herauszufinden, wie so jemand tickt. Oder wenn Yu-jeong berichtet, wie sie sich für die Recherche ihres Romans »Der gute Sohn« wochenlang in ihr Zimmer eingeschlossen hatte, um die Gerichtsakte eines Psychopathen zu verinnerlichen. Gary Victor, der Krimis schreibt, um seiner Wut über die Zustände auf Haiti Ausdruck zu verleihen, will herausfinden, warum Menschen, die Leid erfahren, so unterschiedlich reagieren: »Ich muss mich in meine Figuren hineinversetzen wie ein Schauspieler es tut.« Die Arbeit eines Schriftstellers werde erst dann menschlich, »wenn du deine Figuren spüren kannst«. Doch »um die brutale Wirklichkeit ertragen zu können«, sei ein Panzer aus Humor und Fantasie notwendig, konstatiert der Schöpfer des sympathischen Inspektors Dieuswalwe Azémar.
Allgemein gilt: Die Definition, was ein Verbrechen ist, hat sich enorm erweitert, seit dem Miss Marple nicht mehr ermittelt. Verbrechen sind eben auch »Gewalt gegen Frauen, Umweltverschmutzung und das Geschäft mit dem Müll«, erklärte Mercedes Rosende auf dem Abschlusspodium, die in ihrem Roman »Krokodilstränen« mit Leonilda Lima eine ebenso erfolglose wie streitbare Kommissarin geschaffen hat. Verbrechen sind es auch, wenn deutsche Automobilkonzerne, trotz Skandalen, weiterhin über ihren Besitz verfügen, fügte Max Annas hinzu, der sich mit den anwesenden Autor*innen verbunden fühlte, weil sie alle gesellschaftlich etwas bewegen wollen.
Lösen sich die Grenzen zwischen Kriminalromanen und Gesellschaftsromanen eines Tages auf? Nur, wenn man sich von den konventionellen Strukturen des Kriminalromans beirren lässt.
Marcelo Figueras verwies auf die Veränderung des klassischen Detektivromans hin zu einer novela negra. In dem Maße, wie sich die Gesellschaft verändere, entwickele sich der Kriminalroman auch als Genre weiter. »Das Verbrechen ist keine Ausnahme in einer funktionierenden Gesellschaft mehr, sondern Alltag in einem korrupten System«, so Figueras. Die Verantwortlichen des »globalen Verbrechens zwingen uns, neue Formen zu entwickeln«, in die der klassische Detektiv nicht mehr hineinpasse.
Der Kriminalroman als literarisches Genre werde sich aber nie selbst abschaffen, sagte der Autor des Romans »Das schwarze Herz des Verbrechens«, im Gegenteil: diese Art von Literatur reagiere konstant auf gesellschaftliche Entwicklungen, ja, man könne hier von einer hohen Anpassungsfähigkeit des Genres sprechen. Oder wie es Figueras abschließend formulierte: »Was die Zukunft dieses Genres angeht, bin ich also zuversichtlich. Was die Zukunft unserer Welt angeht, eher weniger«.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110981.global-crimes-reden-mit-dem-serienkiller.html

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Sozialverband fordert Entlastung von Pflegebedürftigen

Kosten für das neue Gesetz gegen den Pflegenotstand dürften nicht den Familien aufgebürdet werden/ Am Mittag wird Zwischenbilanz der »Konzertierten Aktion Pflege« vorgestellt

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Angesichts der Initiative der Bundesregierung gegen den Pflegenotstand in Deutschland hat der Sozialverband VdK Klarheit bei der Finanzierung angemahnt. Die Kosten, die mit den geplanten Verbesserungen einhergehen, dürften »nicht den Pflegebedürftigen und ihren Familien aufgebürdet werden«, erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele am Montag in Berlin. »Pflegebedürftige zahlen ohnehin schon viel und müssen häufig ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen, um die Pflege zu finanzieren.«
Die finanziellen Belastungen Pflegebedürftiger müssten ein Ende haben. Das notwendige Geld, um den Altenpflegeberuf attraktiver zu machen, müsse aus der Pflegeversicherung und aus Steuermitteln kommen, forderte der Sozialverband. Die Eigenanteile in der Pflege dürften nicht weiter steigen. »Perspektivisch brauchen wir eine Pflegevollversicherung, in der die pflegebedingten Leistungen solidarisch getragen werden«, erklärte Bentele.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollen am Mittag eine erste Bilanz der »Konzertierten Aktion Pflege« vorstellen. Die Minister hatten die Aktion im Sommer vergangenen Jahres gestartet, um unter anderem die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften zu verbessern und die Ausbildung zu stärken. Giffey will bei der Zwischensitzung der Initiative erste Pläne dazu präsentieren, wie die Pflegeausbildung in Deutschland verbessert werden kann.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte angesichts des Pflegenotstands in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen eine schnelle Umsetzung der Ausbildungsoffensive. »Der Pflegeberuf muss wieder attraktiv werden, um sich in der Konkurrenz um die Fachkräfte der Zukunft durchzusetzen«, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Es müssten aber nicht nur Auszubildende gewonnen, sondern auch langfristig durch gute Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung im Beruf gehalten werden.
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, forderte mehr Mut und Kreativität für eine bessere Pflege in Deutschland. »Klein-Klein bringt uns nicht weiter«, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Montag. Die geplante Ausbildungsoffensive sei der richtige Impuls. Unverbindliche Selbstverpflichtungen würden indes zu keiner Problemlösung führen.
Derzeit sind in Deutschland fast 40.000 Stellen im Pflegebereich unbesetzt. Mit dem vom Bundestag verabschiedeten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz sollen unter anderem in einem ersten Schritt 13.000 neue Stellen in der stationären Altenpflege geschaffen werden, vollständig bezahlt von der gesetzlichen Krankenversicherung. AFP/nd
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110955.pflegenotstand-sozialverband-fordert-entlastung-von-pflegebeduerftigen.html 


Ulrike Henning über den mühsamen Fortschritt bei den Pflegereformen

Die Riesenbaustelle

Von Ulrike Henning
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Schon lange werden Probleme in der Altenpflege beklagt, Änderungen blieben indes rar. Selbst 14 neue Gesetze und Verordnungen in den letzten fünf Jahren haben im Grundsatz erst wenig bewegt. Allein die Personalprobleme sind ein unübersehbares Warnsignal für die Zustände in der Branche.
Offene Stellen bleiben heute im Bundesdurchschnitt 186 Tage unbesetzt, 40 000 Stellen insgesamt sind das aktuell. Die im Juli 2018 von den Bundesministern Giffey, Heil und Spahn ins Leben gerufene »Konzertierte Aktion Pflege« verspricht nun 5000 zusätzliche Stellen für die Nachqualifzierung von Berufsrückkehrern.
 Doch wohin kehren diese Menschen zurück? Noch ist ein einheitlicher, genügend hoher Tariflohn in der Pflege nicht erreicht, noch sind die Arbeitsbedingungen von alltäglicher Hetze und Überlastung gekennzeichnet.
Regierungshandeln wird nicht einfacher, weil mittlerweile in vielen Feldern gleichzeitig Änderungen nötig sind. Die Sozialverbände fordern aktuell für die Pflegeschulen, die bis 2023 zehn Prozent mehr Ausbildungsplätze stellen sollen, einheitliche Regeln zur Refinanzierung ihrer Miet- und Investitionskosten.
Also ist auch hier noch nicht alles in trockenen Tüchern. Ganz zu schweigen von der vollständigen Finanzierung nicht nur der Schulen, sondern auch der nötigen Reformen insgesamt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1111020.pflegenotstand-die-riesenbaustelle.html

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Markus Drescher findet in den Ausführung des sächsischen Verfassungsschutzes zu extremistischer Musik eine gute Nachricht

Noch nicht am Ziel

  • Von Markus Drescher
  • Lesedauer: 1 Min.

Auf seiner Internetseite konstatiert der sächsische Verfassungsschutz zum Thema »Extremistische Musikszene«: »Obwohl in den Texten oft zur Gewalt gegen den politischen Gegner oder Polizisten aufgerufen und gegen den demokratischen Rechtsstaat agitiert wird, müssen linksextremistische Musikgruppen weniger mit gesellschaftlicher Ausgrenzung rechnen.«
Und auch in einem mdr-Beitrag, der sich hauptsächlich mit den »linksextremen« Bands beschäftigt, wird bedauert, dass diese nicht in gleichem Maße »geächtet und ausgegrenzt« werden wie rechte Bands.
 So sehr einem die Gleichsetzung von Rechts und Links auch auf die Nerven gehen kann, so lässt sich aus den Ausführungen doch auch eine gute Nachricht extrahieren: Offenbar sieht sich der Verfassungsschutz trotz aller Bemühungen der Geheimdienstler selbst, aber auch der politischen Vertreter des Kurses, alles zu diskreditieren, was als zu links identifiziert wird, noch nicht am Ziel.
Noch ist für einen Teil der Gesellschaft in relevanter Größe links eben nicht gleich rechts, und schon gar nicht beides gleich ablehnenswert. Dass dies noch nicht der Fall ist, ist allerdings keine Garantie dafür, dass es auch so bleibt - zumal in Zeiten, da politische und gesellschaftliche Veränderungen kaum vorauszusagen sind.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1111019.verfassungsschutz-noch-nicht-am-ziel.html

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Guaidó ruft zu neuen Anti-Maduro-Protesten auf

Selbsternannter Interimspräsident will seine Anhänger erneut auf die Straße bringen

  • Lesedauer: 3 Min.
Caracas. Inmitten wachsender internationaler Unterstützung hat Venezuelas selbsternannter Interimspräsident Juan Guaidó zu neuen Protesten gegen Staatschef Nicolás Maduro aufgerufen. Der Oppositionsführer kündigte in einem am Sonntag über den Kurzbotschaftendienst Twitter verbreiteten Video für kommenden Mittwoch und Samstag Demonstrationen an. Derweil erkannten Israel und Australien Guaidó als Interimspräsidenten an.
Der 35-Jährige rief seine Anhänger auf, zunächst am Mittwoch im ganzen Land auf die Straße zu gehen. Die Armee müsse sich »an die Seite des Volkes stellen«.
Am Samstag solle es dann eine »große Mobilisierung in ganz Venezuela und auf der ganzen Welt« geben, sagte der oppositionelle Parlamentspräsident. Damit solle dem europäischen Ultimatum an Maduro Nachdruck verliehen werden, das am folgenden Tag ausläuft.
Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, haben Maduro eine Frist von acht Tagen gesetzt, um Neuwahlen auszurufen. Andernfalls wollen auch sie Guaidó anerkennen. Die Frist läuft am kommenden Sonntag, dem 3. Februar, aus. Maduro hat die Frist aber zurückgewiesen. »Niemand kann uns ein Ultimatum stellen«, sagte der Sozialist am Wochenende im Sender CNN Türk.
 Guaidó hatte sich vergangene Woche zum Interimspräsidenten Venezuelas erklärt und damit Maduro offen herausgefordert. Der Ausgang des Machtkampfs in dem südamerikanischen Krisenstaat ist offen. Zwar haben sich die USA, Kanada und eine Reihe weiterer Staaten hinter Guaidó gestellt. Allerdings kann Maduro bislang offenbar auf die Unterstützung der venezolanischen Armee bauen - auch wenn die Lossagung des Militärattaché in Washington, José Luis Silva, von Maduro Risse bei den Streitkräften offenbart. »Immer loyal, niemals Verräter«, riefen die Soldaten bei einem Besuch Maduros am Sonntag bei der 41. Brigade in der Festung Paramacay. Bei einer Übung lief der Staatschef im Laufschritt an der Seite von Verteidigungsminister Vladimir Padrino durch die Kaserne.
Guaidó versuchte unterdessen, vor allem einfache Soldaten auf seine Seite zu ziehen. Auf Twitter veröffentlichte er das vom Parlament verabschiedete Amnestiegesetz, das Militärs Straffreiheit zusichert, wenn sie sich an der Entmachtung Maduros beteiligen. »Verteilt es an die Militärs in eurer Familie, unter euren Freunden und Nachbarn«, schrieb er dazu. Oppositionelle Abgeordnete und Studentenführer übergaben das Dokument an Beamte der Nationalgarde.
Am Sonntag und Montag stellten sich auch Israel und Australien hinter Guaidó. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte in einem Online-Video, er erkenne »die neue Führung in Venezuela« an.
Australiens Außenministerin Marise Payne erklärte, ihr Land erkenne Guaidó bis zu Neuwahlen als Interimspräsidenten an und unterstütze ihn. Sie forderte einen »Übergang zur Demokratie in Venezuela so bald wie möglich.« Wichtig sei eine »friedliche Lösung« des Konflikts. Russland und China halten weiterhin zu Maduro, ebenso wie Bolivien, Kuba, Nicaragua und die Türkei.
Die Lage in Venezuela hatte sich seit einem gescheiterten Aufstand von Nationalgardisten am Montag vergangener Woche kontinuierlich verschärft. Bei Protesten gegen Maduro und Unruhen wurden laut der Nichtregierungsorganisation Beobachtungsstelle für soziale Konflikte bislang 26 Menschen getötet. Mehr als 350 Menschen wurden zudem festgenommen.
Der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, warnte am Sonntag mit scharfen Worten vor Gewalt gegen die Opposition oder US-Diplomaten in Venezuela. Jede Form von Gewalt oder Einschüchterungen gegen US-Diplomaten, Guaidó oder das von der Opposition dominierte Parlament wären ein »schwerer Anschlag auf den Rechtsstaat« und hätten eine »signifikante Antwort« Washingtons zur Folge, schrieb Bolton auf Twitter. Agenturen/nd
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110951.venezuela-guaido-ruft-zu-neuen-anti-maduro-protesten-auf.html
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Zahl der Bafög-Empfänger sinkt deutlich

Zahl der Geförderten geht innerhalb von vier Jahren um 180.000 zurück / Grüne: Gehring spricht von einem »fatalen Absturz dieses wichtigen Chancengerechtigkeitsgesetzes«

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Berlin. Trotz der jüngsten Bafög-Reform ist die Zahl der Studenten und Schüler mit dieser staatlichen Förderung in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Der Rückgang habe sich auch 2017 fortgesetzt, heißt es in einer Antwort des Bundesbildungsministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. In Kürze soll eine neue Reform des Bafög im Bundeskabinett verabschiedet werden.
»Auch mit der geplanten Novelle wird der Bedeutungsverlust des Bafög nicht gestoppt«, sagte der Grünen-Bildungsexperte Kai Gehring der dpa unter Berufung auf den aktuellen Gesetzentwurf.
Laut Daten aus der Regierungsantwort und früheren Regierungsangaben sank die Zahl der Geförderten binnen vier Jahren bis 2017 um knapp 180.000. Nach den aktuellsten Zahlen wurden 2017 noch rund 557.000 Studierende und 225.000 Schülerinnen und Schüler gefördert. Gehring sprach von einem »fatalen Absturz dieses wichtigen Chancengerechtigkeitsgesetzes«. Eine Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht.
Zwar sollen nach einem Gesetzentwurf von Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), der bald vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden soll, bedürftige Studenten und Schüler ab Mitte 2019 mehr Bafög bekommen. Doch Gehring wies darauf hin, dass die Bürger laut dem Entwurf durch die Neuregelung lediglich einen Mehraufwand von 172.000 Stunden haben dürften. Soviel Zeit dürften also Studenten, Schüler und Eltern zusätzlich mit dem Ausfüllen von Bafög-Anträgen verbringen. Bei der jüngsten, ab 2016 wirksamen Bafög-Novelle aber rechnete die Regierung mit 580.000 Stunden Mehraufwand - für 110.000 zusätzliche Antragsteller. Folglich rechne die Regierung selbst dieses Mal mit lediglich weniger als einem Drittel Antragsteller, also rund 35 000 zusätzlich Geförderten, schlussfolgerte Gehring.
 Für die geplante Reform will der Bund laut dem Gesetzentwurf bis 2022 mehr als 1,8 Milliarden Euro ausgeben. Der Höchstsatz der gesamten Förderung soll ab dem Wintersemester 2019 in zwei Stufen bis 2020 von 735 Euro auf insgesamt rund 850 Euro steigen.
Es sollen auch mehr junge Menschen vom Bafög profitieren. Dafür sollen die Freibeträge für das Einkommen der Eltern in drei Schritten bis 2021 um insgesamt 16 Prozent angehoben werden.
Gehring kritisierte die Pläne als unzureichend. »Freihändig werden Freibeträge und Fördersätze schrittweise ein wenig angehoben, notwendige Strukturveränderungen packt Ministerin Karliczek gar nicht erst an - zum Beispiel die regelmäßige Erhöhung, die Unterstützung pflegender Studierender oder die Förderung eines Orientierungssemesters.«
Wie aus der Regierungsantwort weiter hervorgeht, beantragen nur sehr wenige Menschen Bafög online. Von Juni 2017 bis April 2018 waren es 590. Derzeit - so die Regierung - werde daran gearbeitet, die Online-Antragstellung über das Verwaltungsportal des Bundes nutzerorientiert anzubieten. Die Länder seien unter Federführung Sachsen-Anhalts in den Prozess eingebunden. Einen konkreten Zeitplan nennt die Regierung in ihrer Antwort nicht.
Gehring forderte: »Union und SPD dürfen das Bafög nicht ruinieren, sondern müssen es beherzt stärken, um Bildungsaufstieg zu ermöglichen, persönliches Wachstum und volkswirtschaftlichen Wohlstand zu sichern.« Fördersätze und Freibeträge müssten zum nächsten Semester um mindestens zehn Prozent steigen, danach automatisch und regelmäßig. dpa/nd

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110950.bafoeg-reform-zahl-der-bafoeg-empfaenger-sinkt-deutlich.html 

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»Wir brauchen Druck auch in Deutschland«

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sehen vor allem Konsens in der LINKEN. Streitdebatten seien normal - es komme darauf an, wie man sie führt

  • Von Wolfgang Hübner und Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 14 Min.

In den Umfragen geht es drunter und drüber - Union schwach, SPD sehr schwach, Grüne stark, alle mit wechselnden Werten. Die LINKE bleibt fast unbeweglich bei etwa neun Prozent. Interpretation Nr. eins: In unruhigen Zeiten ist die Partei stabil, wenn auch auf mäßigem Niveau. Interpretation Nr. zwei: Der Partei wird keine Veränderung der Gesellschaft zugetraut. Welche Version würden Sie bevorzugen?

Sahra Wagenknecht: Vor 20 Jahren wären wir stolz gewesen, wenn links von der SPD eine Partei stabil bei neun bis zehn Prozent gestanden hätte. Trotzdem müssen wir uns fragen, warum wir so wenig Wählerinnen und Wähler erreichen, die früher SPD gewählt haben, gerade unter Arbeitern, Arbeitslosen und in den Mittelschichten, die Angst vor dem sozialen Absturz haben. Damit dürfen wir uns nicht abfinden.
 Dietmar Bartsch: In Europa sind Linke vielfach erstaunt, dass die LINKE in Deutschland stabil und geeint ist trotz aller gesellschaftlichen Umbrüche - das würde ich schon als Erfolg verbuchen. Dennoch haben wir im letzten Jahr unsere Möglichkeiten angesichts dieser desaströsen Bundesregierung sicherlich nicht ausgeschöpft. Die Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Partei haben uns nicht attraktiver gemacht. Das werden wir in diesem Jahr ändern.
Das hat sich die LINKE schon mehrfach vorgenommen.
 Bartsch: Die Europawahl, die Bremen-Wahl, drei ostdeutsche Landtagswahlen und zahlreiche Kommunalwahlen sind Weichenstellungen auch für die nächste Bundestagswahl. Wenn wir nicht erfolgreich sind, dann sind unsere Aussichten deutlich geringer.
Vielleicht hätte die LINKE schon zwei, drei Prozent mehr, wenn ihr nicht die Bewegung »Aufstehen« in die Quere gekommen wäre.
Wagenknecht: »Aufstehen« steht auf keinem Wahlzettel, insofern ist es schlicht Unsinn, die Bewegung für die mangelnde Resonanz unserer Partei verantwortlich zu machen. Es ist allerdings bedauerlich, dass die Chancen, die mit Aufstehen für die LINKE verbunden sind, nicht genutzt wurden. Ich denke etwa an die über 80 Initiatoren von Aufstehen, renommierte Schriftsteller, Intellektuelle und Gewerkschafter. Und: Aufstehen erreicht Milieus, an die die Linke kaum noch herankommt. Es wäre in unserem eigenen Interesse, anders mit Aufstehen umzugehen.
Es gab Streit darüber. Und Streit wirkt sich negativ auf die Umfragewerte aus.
Wagenknecht: »Aufstehen« gibt es seit vier Monaten, der Streit in der Linken ist leider um einiges älter. Das Problem ist nicht, dass in der Partei unterschiedliche Meinungen existieren. Etwa über die Wählerschichten, die wir hauptsächlich ansprechen müssen. Wenn man darüber sachlich diskutiert, schadet das nicht. In der Bundestagsfraktionsklausur haben wir es ja auch hinbekommen. Aber wenn Meinungsverschiedenheiten instrumentalisiert werden, um Personen loszuwerden, wird es unproduktiv und schädlich.
In einem auf der kürzlichen Fraktionsklausur vorgelegten Papier heißt es, dass Mitglieder der Linksfraktion keine Forderungen von »Aufstehen« unterstützen sollten, die im Widerspruch zu programmatischen Forderungen der Partei stehen. Das zielt wohl vor allem auf den Streit um die Migrationspolitik, auf Formulierungen wie »Offene Grenzen für Menschen in Not« und »Offene Grenzen für alle Menschen«. Wo ist die Trennlinie zwischen programmatischer Entwicklung und Verletzung programmatischer Grundsätze?
Bartsch: Eine linke Partei muss immer Programmpartei sein, muss also die Programmatik auch ständig weiterentwickeln. Was das Thema Migration betrifft, haben wir mit der gemeinsamen Klausur von Parteivorstand, Bundestagsfraktion und Bundesausschuss am 30. November des letzten Jahres konstruktiv debattiert und in einem gemeinsamen Papier viele Gemeinsamkeiten festgehalten und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen. Im Bundestag haben wir übrigens immer geschlossen agiert, keiner Asylrechtsverschärfung zugestimmt, haben konkrete Vorschläge zum Thema Integration gemacht.
Plötzlich klingt alles so einfach. Warum dann so viel Ärger zuvor? Was hat den Sinneswandel bewirkt?
Bartsch: Vielleicht war der 100. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Anlass zur Besinnung. Wer aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommt, für den sind soziale Gerechtigkeit, Emanzipation und Frieden die zentralen Fragen. In der LINKEN haben wir in über 90 Prozent der Positionen Übereinstimmung. Die und die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern müssen wir in den Fokus rücken. Wir haben so viel politische Konkurrenz, so viel Gegenwind, warum müssen wir dann unseren hausgemachten Streit in den Vordergrund schieben?
Ungeachtet des Konsens auf der Klausur fordern Abgeordnete in Strategiepapieren nun, sich stärker auch um die Wähler der Grünen zu bemühen. Das klingt nach einer Neuauflage der Strategiedebatte.
Wagenknecht: Die Grünen haben heute die FDP als Partei der Besserverdiener abgelöst. Natürlich freue ich mich auch über jeden LINKE-Wähler mit höherem Einkommen. Trotzdem ist es die Aufgabe einer linken Partei, in erster Linie für die da zu sein, die zu den Leidtragenden der Politik der letzten Jahre gehören. Es muss uns doch umtreiben, dass heute mehr Gewerkschaftsmitglieder AfD wählen als uns. Und wer glaubt, die Wahlen in Ostdeutschland mit einem Werben um Grüne-Wähler gewinnen zu können, ist sicher nicht sehr vertraut mit den Verhältnissen vor Ort.
Die Gelbwesten in Frankreich erobern die Straßen und verändern reale Politik. Brauchte auch Deutschland eine solche Bewegung? Und was verhindert sie hier?
Wagenknecht: Ganz klar, Deutschland braucht mehr sozialen Protest. Ich bedaure, dass gerade die, denen es nicht gut geht, sich oft ohnmächtig fühlen. Die Gelbwesten haben Macron schon ziemlich in die Defensive gebracht und die unsoziale Benzinsteuer gekippt. So haben die sozialen Schichten sich wieder eine Stimme verschafft, die seit Jahren von der Politik ignoriert wurden.
Zu Weihnachten haben Sie ja vor dem Kanzleramt in gelber Weste den Aufstand ausgerufen. Aber es ist keiner gekommen.
Wagenknecht: Ich habe keinen Aufstand ausgerufen, sondern meine Solidarität mit den Gelbwesten zum Ausdruck gebracht. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir an der Seite der Menschen stehen, die sich gegen Ausbeutung und Erniedrigung wehren, statt uns von oben herab zu mokieren, dass vielleicht nicht alles, was sie fordern und tun, dem linken Parteiprogramm entspricht. Ich bin sehr froh, dass es in unserem Nachbarland diese Bewegung gibt, dass es Druck gibt. Genau den brauchen wir auch in Deutschland.
Bartsch: In Deutschland sitzen viele Profiteure der krisenhaften Entwicklung in Europa. Aber die Situation der Abgehängten, Auseinanderdriften und Spaltung der Gesellschaft, das ist ähnlich wie in Frankreich. Die Gelbwesten zeigen, welche Bezugspunkte es gibt. In Frankreich ist es darüber hinaus gelungen, die Proteste wesentlich von links zu besetzen. Die Entwicklung in Deutschland ist da differenzierter zu betrachten.
Herr Bartsch, Sie haben sich schon darüber beschwert, dass Sie als Fraktionsvorsitzender dauernd nach »Aufstehen« gefragt werden.
Bartsch: Ja. Die Fragesteller wussten doch, dass ich da nicht die erste Adresse bin. Ein größeres Maß an Gelassenheit in den eigenen Reihen hätte ich mir schon gewünscht. Ich habe bereits Ablehnung vernommen, da war noch nichts klar - weder der Aufruf noch wer ihn unterzeichnet. Manchem Kritiker ging es nicht um »Aufstehen«, sondern um Sahra Wagenknecht.
Was halten Sie selbst davon?
Bartsch: Es gibt keine Verpflichtung, »Aufstehen« zu unterstützen, aber es sollte auch keine Diffamierung geben. Ich habe Fraktionsmitglieder, die dort sehr engagiert sind, und andere, die sehen das eher kritisch.
Es wird eine nächste Gelegenheit geben, bei der die Auseinandersetzungen in Ihrer Partei wieder kulminieren - über »Aufstehen« oder über Migration. Beides steht sicher noch eine Weile auf der Tagesordnung.
Wagenknecht: Ich lege keinen Wert auf solche »Gelegenheiten«. Wir haben bei anderen Themen auch unterschiedliche Meinungen. Auch das bedingungslose Grundeinkommens ist zutiefst umstritten - haben wir uns deshalb zerlegt? Die Frage ist, wie man Debatten führt. Das gemeinsame Papier zur Migration ist doch eine gute Grundlage. Es hält die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede fest. Alle in der Linken verteidigen das Grundrecht auf Asyl. Unterschiede gibt es in der Bewertung der Arbeitsmigration. Das kann man sachlich diskutieren. Die Fraktion wird dazu im Februar eine Fachkonferenz mit renommierten Wissenschaftlern durchführen.
Die LINKE will einen Politikwechsel. In Konzepten ist dabei oft von Rot-Rot-Grün die Rede. Aber Voraussetzung wäre ja eine gesellschaftliche Mehrheit, und die ist in weite Ferne gerückt, wie Wahlen und Umfragen nahelegen. Was ist zu tun?
Bartsch: Ich spreche vom strategischen Ziel eines Mitte-Links-Bündnisses. Damit sind zunächst einmal keine Parteien gemeint. Im Übrigen - wie links die Grünen sind, Herr Kretschmann oder Herr Palmer, das mag jeder selbst bewerten. Ich bewerte das an konkreter Politik.
Aber als Sie unlängst zum Sozialstaatsdialog aufriefen, da waren schon Parteien die Adressaten.
Bartsch: Ja. Aber es geht auch um Gewerkschaften, um Sozialverbände. Ich habe mit meiner Anregung einiges an Interesse wecken können. Wenn man z.B. angesichts der Kinderarmut in Deutschland über Konzepte für eine Kindergrundsicherung ins Gespräch kommt - wie könnte das falsch sein?
Und die Parteivorsitzenden der LINKEN haben zu Jahresbeginn in einem Papier aufgerufen, den gesellschaftlichen Wandel vorzubereiten. Das richtete sich auch an SPD und Grüne.
Wagenknecht: Ja, wir brauchen politische Mehrheiten für eine sozialere Politik. In der Gesellschaft gibt es seit Jahren Mehrheiten für mehr sozialen Ausgleich, bessere Renten, höheren Mindestlohn, mehr Sozialstaat. Aber es gibt keine politische Mehrheit dafür, weil die Wähler von Rot-Rot-Grün aktuell keine sozialere Politik mehr erwarten. Und damit haben sie ja nicht Unrecht. Gegenwärtig würden bei einer rot-rot-grünen Mehrheit die Grünen den Bundeskanzler stellen. Ich glaube nicht, dass in dieser Konstellation der Sozialstaat wiederhergestellt würde, von einer friedlichen Außenpolitik ganz zu schweigen. Es gibt kaum eine Partei, die einen härteren Konfrontationskurs gegenüber Russland vertritt als die Grünen.
Also ist Rot-Rot-Grün im Bund erledigt?
Wagenknecht: Parteien sind immer in Bewegung. Wir müssen sagen, was wir wollen. Wenn sich eine Parteienkonstellation findet, die mehr Sozialstaat und Abrüstung ermöglicht, dann wird eine Regierung nicht an uns scheitern. Aber eine formale Mehrheit von SPD, LINKEN und Grünen heißt nicht, dass dann auch wirklich Renten verbessert, Mindestlöhne erhöht und deutsche Soldaten aus Kriegseinsätzen zurückgezogen werden. Es gab ja bis vor Kurzem eine solche Mehrheit im Bundestag, ohne dass sie für eine Politik im Interesse der Mehrheit genutzt wurde. Und das lag nicht an uns.
Wie sieht die Kommunikation zwischen den Fraktionsführungen von SPD und LINKE aus?
Wagenknecht: Man ist im Gespräch, trinkt ab und an einen Kaffee miteinander.
Bartsch: Wir haben ein normales, entspanntes Verhältnis. Ich freue mich, wenn Olaf Scholz zwölf Euro Mindestlohn fordert und Andrea Nahles eine Kindergrundsicherung vorschlägt. Aber in dieser Regierung wird die SPD das nicht durchsetzen. Die SPD muss ihre Probleme selber lösen und aus Ideen auch Politik machen. Die Frage an uns ist: Warum sind wir nicht der erste Ansprechpartner für viele Millionen Wählerinnen und Wähler, die nicht mehr an die SPD glauben?
Wagenknecht: Solange die SPD mit der CDU nur die zunehmende soziale Ungleichheit verwaltet, werden ihr die Wähler davonlaufen. Das können wir nicht ändern. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Menschen erreichen, die sich von der SPD abwenden.
Für eine Antwort bleibt nicht viel Zeit - bis zur Europawahl im Mai ist es nicht weit. Und wenn es derzeit einen Trend gibt, dann ist es die allgemeine Rechtsentwicklung.
Bartsch: Die Rechten versuchen, Europa zu erobern, um das große Friedensprojekt Europa zu zerstören. Diese Gefahr ist real. Ob das Salvini in Italien ist, Le Pen in Frankreich, Orbán, Kaczynski, wie sie alle heißen. Es gibt einen Kulturkampf von rechts. DIE LINKE hat lange vor den Folgen sozialer Verwerfungen gewarnt. In der Analyse wird uns von den Menschen viel Kompetenz bescheinigt. Wo wir weniger Zutrauen haben: bei der Frage, wie wir unsere Zukunftsvorstellungen von Europa auch wirklich umsetzen können. Das zu ändern, ist die Herausforderung.
Die EU und ihre Politik werden von links und von rechts kritisiert. Wo ist die Trennlinie?
Wagenknecht: Natürlich geht es uns, anders als den Rechten, nicht darum, Nationalismus zu fördern. Das macht im Ergebnis die EU selbst, indem sie Privatisierungen, Deregulierung und Lohndumping vorantreibt. Da sagen natürlich immer mehr Leute, das ist nicht in unserem Interesse. Die EU tut nichts gegen Steuerdumping, maßregelt dann aber Staaten, die Haushaltsdefizite haben. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich die Bevölkerung von einer solchen EU abwendet. Dort setzt unsere Kritik an. Wir wollen ein Europa der Menschen, nicht der Banken und Konzerne.
Bartsch: Es ist falsch, die AfD zum zentralen Bezugspunkt von Politik zu machen. Wir machen Politik für die Bürgerinnen und Bürger und setzen uns mit der verheerenden Politik der vergangenen Jahre und deren Folgen auseinander. Diese Politik wurde wesentlich von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble geprägt. Sie haben dafür gesorgt, dass die Banken in Europa gerettet wurden und die Menschen den Glauben an Europa verloren haben. Wer trägt die Verantwortung für diese Politik und was muss man verändern - das ist unser Maßstab.
Was die LINKE zu Europa erzählt, ist noch nicht so ganz klar. Das Wahlprogramm ist - anders als bei anderen Parteien - noch in der Diskussion.
Bartsch: Wobei wir Konsens in zentralen Punkten haben: zum Beispiel beim Nein zur Militarisierung oder dazu, dass man der enormen Jugendarbeitslosigkeit in südeuropäischen Staaten endlich begegnen muss. Es gibt noch einen großen Konsens: Das Projekt Europa war ein Friedensprojekt. Das ist der Ursprung der europäischen Idee. Die ist bei uns tief verankert. Die jetzige Politik, auch die deutsche Politik, konterkariert dieses wichtige Projekt. Das ist für uns inakzeptabel. Unsere politische Aufgabe ist es, deutlich zu machen, dass es bei dieser Wahl um etwas geht. Beim letzten Mal lag die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent. Wenn alle diejenigen, die wir bei der Bundestagswahl erreicht haben, auch bei der Europawahl abstimmen, wäre das ein Riesenerfolg.
Wagenknecht: Wir müssen aussprechen, was ist. Und wir müssen kritisieren, was falsch läuft. Es wäre völlig irre, das den Rechten zu überlassen, denn die Menschen spüren doch, dass vieles falsch läuft. Die EU-Verträge sind nicht im Interesse der Arbeitnehmer, der Rentner, der kleinen und mittleren Unternehmen, sondern vor allem im Interesse der Großunternehmen und der Superreichen. Deshalb verliert die EU Rückhalt.
Im Herbst wird die Fraktionsspitze turnusmäßig neu gewählt. Werden Sie wieder kandidieren?
Wagenknecht: Aktuell spricht für mich nichts dagegen, aber das entscheide ich, wenn es soweit ist.
Es dauert auch nicht mehr lange bis zur Wahl des Parteivorstands. Die Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger können laut Statut nicht wiedergewählt werden. In der Fraktion dürfte Ihnen da neue Konkurrenz bevorstehen.
Wagenknecht: Kandidaturen sind ein demokratischer Vorgang, jedes Mitglied der Fraktion kann sich bewerben.
Bartsch: Bis zum 26. Mai muss sich die gesamte Partei auf die Europawahl, die Bürgerschaftswahl in Bremen und die Kommunalwahlen konzentrieren. Dann kommen die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen und der Wahlkampf in Thüringen. Das hat Priorität, nicht interne Debatten. Erst einmal geht es um Politik, nicht um Personen. Ich beantworte ja auch nicht die Frage, ob ich 2025 Kanzler werden will.
Wollen würden Sie schon?
Bartsch: Fragen können Sie schon. (lacht)
Sind die drei Landesregierungen, an denen die LINKE beteiligt ist - Thüringen, Berlin, Brandenburg -, Referenzprojekte für Ihre Partei?
Wagenknecht: Wir müssen es besser schaffen, die Balance hinzubekommen zwischen der Verantwortung in Landesregierungen und der Opposition zur Bundespolitik. Und wir müssen besser dabei werden, uns als Juniorpartner in Regierungen zu behaupten, Konflikte auch mal öffentlich auszutragen.
Bartsch: Parteienbündnisse mit der SPD und teilweise mit den Grünen gibt es in nicht wenigen Kommunen, auch in Bundesländern. Wenn das Zustandekommen bisher irgendwo auf Landesebene gescheitert ist, lag es nie an der LINKEN - etwa im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern oder vor Jahren in Hessen. In Thüringen funktioniert Rot-Rot-Grün seit fast fünf Jahren entgegen allen Weissagungen, dass es dort bald weder Bratwürste noch Bananen mehr geben werde, sehr gut. Ähnliches gilt für Berlin. Wenn die LINKE stark ist, dann funktionieren diese Bündnisse im Interesse der Menschen ziemlich gut.
Wagenknecht: Besser ist es natürlich, wenn wir den Chef stellen, denn dann können wir mehr gestalten. Aber eine Landesregierung hat nur begrenzte Möglichkeiten; sie kann nicht die Steuerpolitik beeinflussen und auch nicht Hartz IV überwinden. Sie kann aber beispielsweise Kita-Gebühren abschaffen. So etwas ist auch passiert.
Bartsch: Letztlich wird es grundsätzliche politische Veränderungen nur dann geben, wenn Die LINKE in Regierungsverantwortung auf der Bundesebene ist. Dann gibt es relevante Veränderungen, versprochen.
Ganz sicher? Wir kommen darauf zurück.
Versprochen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110869.wagenknecht-und-bartsch-wir-brauchen-druck-auch-in-deutschland.html

Mikkel Hansen macht die Handball-Weltmeisterschaft zu seinem Turnier und führt Dänemark zum ersten Titel

Krönung des Königs


  • Von Michael Wilkening, Herning
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Party dauerte bis in die frühen Morgenstunden, für manche ging es sogar noch etwas länger. »Wenn ich heute Nacht schlafe, bin ich von mir selbst enttäuscht«, hatte Nikolaj Jacobsen vorher gesagt. Nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft im eigenen Land wollte der Trainer der dänischen Handballer gar nicht aufhören zu feiern. Die Dänen liebten den früheren Linksaußen als Spieler, seit Sonntagabend ist daraus Verehrung geworden. Der 47-Jährige hat Dänemark als Trainer zum WM-Titel geführt, weil er es schaffte, den Superstar des Teams hinter sich zu bringen, und ihn danach zum Superstar des Turniers zu machen.
Mikkel Hansen breitete die Arme aus, blickte auf und ließ die Ovationen der Zuschauer auf sich wirken. Der Anführer der dänischen Handballer hätte diese Pose gar nicht einnehmen müssen, seine Wirkung als Erlöser war auch ohne sie klar und eindeutig. Eine Berühmtheit ist Hansen in seiner Heimat schon seit einigen Jahren, seit dem Endspiel von Herning reicht diese Bezeichnung nicht mehr. Im Alter von 31 Jahren stieg der Rückraumspieler von Paris Saint Germain zum zweiten König in Dänemark auf, weil das Land durch ein 31:22 gegen Norwegen zum ersten Mal Handball-Weltmeister ist. Dieser Erfolg ist noch größer als der Olympiasieg 2016 in Rio de Janeiro.
Das Finale war noch nicht beendet, aber doch so einseitig verlaufen, dass Hansen schon während der zweiten Halbzeit die größtmögliche Bühne seiner Sportart mit der Erlösergeste zu seiner Bühne machen konnte. Die knapp 15 000 dänischen Fans in der Jyske Bank Boxen bereiteten sich schon darauf vor, ihre Mannschaft weltmeisterlich zu feiern, als der spektakulärste Akteur seiner Zeit die Aufmerksamkeit auf sich zog. Die WM, in der die Dänen neben Deutschland Co-Ausrichter waren, sollte das Turnier von Mikkel Hansen werden. Der langhaarige Mann aus Helsingör zierte das offizielle WM-Plakat, er spielte eine Hauptrolle in diversen Werbesports und musste vor und während des Turniers die meisten Interviews geben. Alles war darauf ausgelegt, dass sich Hansen zum König krönt.
Nach dem Finale wurde der 31-Jährige als wertvollster Spieler der Weltmeisterschaft ausgezeichnet, die meisten Treffer (72) des Turniers hatte er auch erzielt. Am Ende wurde die Finalrunde der vier weltbesten Teams ab dem Halbfinale zu Mikkel-Festspielen. »Er hat dieser WM seinen Stempel aufgedrückt«, sagte Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen, der in seinem Nebenjob außerdem Coach der Rhein-Neckar Löwen ist. Jacobsen hat Anteil daran, dass sich sein bester Spieler auf dem Zenit seiner Schaffenskraft befindet. Denn ihm gelang es, den exzentrischen Topstar in das Mannschaftsgefüge zu integrieren, ohne die herausragenden individuellen Fähigkeiten von Hansen zu beschneiden. »Das ist unser größter Tag, danke an alle Fans«, sagte Hansen unmittelbar nach den letzten Minuten dieser 26. Handball-Weltmeisterschaft am Mikrofon des Hallensprechers. Die Fans huldigten ihrem König mit »Mikkel, Mikkel«-Rufen.

 Wozu Hansen in der Lage ist, wenn er sein Leistungsoptimum erreicht, stellte er im Halbfinale unter Beweis. Im Gegensatz dazu zeigte Hansen gegen die Norweger eine für seine Möglichkeiten durchschnittliche Leistung, die allerdings noch immer dazu reichte, sieben Tore selbst zu werfen und fünf vorzulegen. Gegen Frankreich hatte er sich zuvor beim 38:30-Erfolg im Halbfinale zu dem Akteur aufgeschwungen, der die Partie gefühlt im Alleingang entschied. Zwölf Treffer erzielte Hansen gegen den Titelverteidiger und setzte seine Kollegen außerdem immer wieder glänzend in Szene. »Wir hatten kein Mittel gegen Mikkel«, räumte später Nikola Karabatic ein, der bei Paris Saint Germain Seite an Seite mit Hansen spielt.
Der WM-Titel war aber nicht allein das Werk von Mikkel Hansen, auch wenn er seine Teamkollegen mit seiner besonderen Fähigkeit überstrahlte, komplizierte Bewegungsabläufe und Würfe kinderleicht aussehen zu lassen. Allein im Rückraum gibt es noch zwei Typen, von deren Art man im Kader der Deutschen, die WM-Vierter wurden, vergeblich Vertreter suchte. Rasmus Lauge (SG Flensburg-Handewitt) und Morten Olsen (TSV Hannover-Burgdorf) spielen zwar in der Bundesliga, haben aber einen dänischen Pass und stellten gemeinsam mit Hansen den besten Rückraum dieser Weltmeisterschaft. Im Tor bewies Niklas Landin (THW Kiel) seine Extraklasse und auf den Außenpositionen ist die Mannschaft von Nikolaj Jacobsen ebenfalls herausragend besetzt.
Die WM im eigenen Land sollte der Höhepunkt in der Laufbahn dieser außergewöhnlich talentierten Mannschaft werden, der Plan ging perfekt auf. Die Dänen gewannen alle zehn Partien, nie wurde es knapper als beim Vorrundenduell gegen Norwegen und dem Hauptrundenspiel gegen Schweden, beide Partien endeten 30:26. Wie stark Dänemark in der Gegenwart ist, bewiesen das Halbfinale und das Endspiel, die zu Machtdemonstrationen der Jacobsen-Schützlinge wurden - und zur Krönungszeremonie des neuen Königs von Dänemark.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110959.handball-weltmeisterschaft-kroenung-des-koenigs.html


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Interimspräsident Juan Guaidó beruft sich gegen Präsident Nicolás Maduro fälschlicherweise auf die Verfassung.

Für den venezolanischen Basisaktivisten Andrés Antillano gibt es keinen Zweifel: Die Selbstvereidigung des Gegenpräsidenten Juan Guaidós habe keine verfassungsrechtliche Basis: »Der Artikel 233, auf den er sich bezieht, gilt für ganz andere Fälle, wie den Tod oder eine schwere Erkrankung des Präsidenten«, sagt er im nd-Interview. Damit spricht er dem Versuch des rechten Oppositionspolitikers, sich als Interims-Staatschef zu krönen, die Legalität ab. Mit diesem Schritt vertiefe die Opposition die politische und institutionelle Krise und setze allein auf Konfrontation, was einen gewalttätigen Ausweg wahrscheinlicher macht.
Antillanos Sorgen sind begründet. »Alle Optionen sind auf dem Tisch«, sagte US-Präsident Donald Trump. Er werde weiter auf »die Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela« dringen. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter wollte auf Nachfrage eine militärische Option nicht ausschließen. »Maduro und seine Kumpanen« hätten keine Zukunft, sagte er. »So oder so sind ihre Tage gezählt.«
Andrés Antillano lehnt eine Einmischung der USA ab: »Ohne die Parteinahme der USA und anderer Länder bliebe beiden Seiten gar keine andere Möglichkeit, als sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Denn wir haben real eine Pattsituation und die Opposition könnte ihren zurzeit starken Rückhalt in die Waagschale werfen. Ein Dialog sollte von internationalen Akteuren begleitet werden, aber ohne aktive Einmischung. Das Wichtigste ist, die Krise friedlich, in demokratischem Rahmen, aber vor allem unter uns Venezolanern zu lösen.«
Guaidó, der an einem unbekannten Ort in Caracas weilt, macht derweil »generöse« Angebote: Er stellte eine Amnestie für Präsident Maduro und dessen Verbündete in Aussicht. Straffreiheit sei für jeden auf dem Tisch, der bereit sei, auf die Seite der Verfassung zu treten und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, sagte Guaidó in einem Interview mit dem TV-Sender Univision am Donnerstagabend (Ortszeit). Die Verfassung, auf die sich jetzt Guaidó berief, gab Maduro im Sommer 2017 die Handhabe, eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, mit der das Parlament entmachtet wurde. Sie wurde zu Beginn der Amtszeit von Hugo Chávez (1999-2013) unter Bürgerbeteiligung ausgearbeitet und 1999 verabschiedet.
Guaidó erhält Unterstützung von den USA sowie zahlreichen lateinamerikanischen und westlichen Staaten. Maduro sprach von einem von den USA angezetteltem Staatsstreich. Das Militär stellte sich auf Maduros Seite, so wie Russland, Kuba, Nicaragua. Im Verlauf der Woche hat der Konflikt schon über 20 Opfer gefordert.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110871.juan-guaido-illegaler-griff-nach-dem-thron.html

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Patt in Venezuela, Patt im Sicherheitsrat

USA und Verbündete erhöhen Druck auf Maduro, Herausforderer Guaidó lehnt »falschen Dialog« ab

  • Von Tobias Lambert
  • Lesedauer: 4 Min.

Vier Tage, nachdem sich der Oppositionspolitiker und Vorsitzende des Parlaments, Juan Guaidó, auf einer Massendemonstration als Interimspräsident selbst vereidigt hat, zeichnet sich im Machtkampf Venezuelas noch keine Lösung ab. Der linksgerichtete Präsident Nicolás Maduro verfügt weiterhin über die reale Macht und kann unter anderem auf die Unterstützung Russlands und Chinas setzen. Guaidó haben neben den USA und Kanada auch zahlreiche lateinamerikanische sowie weitere westliche Staaten anerkannt.
Eine befürchtete Eskalation im Streit zwischen Maduro und der US-Regierung blieb am Wochenende vorerst aus. Am Mittwoch hatte der venezolanische Präsident die diplomatischen Beziehungen mit den USA abgebrochen und der Regierung 72 Stunden Zeit gegeben, um ihre Botschaft zu räumen. Nachdem Guaidó darum bat, sich der Anweisung zu widersetzen, zogen die USA am Freitag zunächst einen Teil des Personals ab. Mit Ablauf der 72 Stunden am Samstag verkündete Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza dann, dass die Frist zur Ausreise auf 30 Tage ausgedehnt werde. Beide Regierungen seien übereingekommen, zunächst über die Einrichtung von »Interessensvertretungen« zu verhandeln.
Die deutsche Bundesregierung sowie die Regierungen Spaniens, Frankreichs und Großbritanniens setzten Maduro am Samstag eine Frist von acht Tagen, in der dieser seine Bereitschaft für Neuwahlen erklären soll. Auch die Niederlande schlossen sich an. Dagegen erkennt Griechenlands sozialistische Regierung weiterhin Maduro an. Die vier EU-Länder drohten, nach Ablauf ihres Ultimatums werde die Europäische Union Guaidó offiziell als Präsidenten anerkennen. In einem Interview mit dem spanischen Fernsehsender Antena 3 hatte dieser selbst am Freitag gesagt, dass Neuwahlen in einem Zeitraum von »sechs bis neun Monaten« denkbar seien. Zunächst müssten das Wahlsystem überholt und der mehrheitlich chavistisch besetzte Nationale Wahlrat (CNE) erneuert werden.
Auf einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates am Samstag wies die venezolanische Regierung die europäische Forderung scharf zurück: »Wie kommen sie darauf, dass sie irgendeine Befugnis hätten, einem souveränen Volk Fristen oder Ultimaten zu setzen?«, fragte Außenminister Arreaza. Im Sicherheitsrat selbst legten China und Russland jeweils ihr Veto gegen eine Resolution zur Unterstützung Guaidós ein. Der deutsche Außenminister Heiko Maas, der drei Tage zum Staatsbesuch in den USA weilte, reiste am Freitag, vor der Sitzung des Sicherheitsrates, ab - dessen nichtständiges Mitglied Deutschland seit Jahresbeginn ist. Bereits am vergangenen Donnerstag waren die USA innerhalb der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vor allem am Widerstand der kleineren karibischen Staaten mit dem Ansinnen gescheitert, eine offizielle Anerkennung Guaidós durch die US-dominierte Regionalorganisation zu erwirken.
 Es scheint sich also eine Pattsituation zu festigen, in der sich weder Regierung noch Opposition aus eigener Kraft durchsetzen können. Guaidó kann sich bisher frei bewegen und taucht in Caracas auf öffentlichen Versammlungen auf. Zudem könnte er mit Unterstützung Washingtons bald Zugriff auf venezolanische Vermögensgüter im Ausland erhalten, wie etwa das Tankstellennetz Citgo in den USA. Für einen tatsächlichen Machtwechsel wäre er jedoch auf die venezolanischen Streitkräfte angewiesen. Die Militärführung hat sich seit Mittwoch allerdings wiederholt für Maduro erklärt. Mit einer Ausnahme: Der bisherige venezolanische Militärattaché in den USA, José Luis Silva, erkannte Guaidó am Samstag als Interimspräsidenten an und rief das Militär auf, es ihm gleich zu tun. Guaidó begrüßte den Schritt und wies am Wochenende abermals auf das von der Nationalversammlung beschlossene Amnestiegesetz für all diejenigen hin, die bei der Herstellung der »demokratischen Ordnung« behilflich seien. Laut dem selbst ernannten Interimspräsidenten könne dies auch für Maduro selbst gelten. Den Gesetzestext wollten die Oppositionsanhänger am Sonntag allen ihnen persönlich bekannten Soldaten aushändigen.
Nichtstaatliche Organisationen zählten bei Protesten seit Anfang vergangener Woche bereits mehr als 30 Tote und über 500 festgenommene Personen. Im Gegensatz zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahr 2017 ist die Lage in den wohlhabenderen Vierteln allerdings zwar angespannt, aber ruhig. Die Menschenrechtsorganisation Surgentes wies darauf hin, dass die Toten überwiegend in ärmeren Wohngegenden zu beklagen seien. Dennoch scheint die Bevölkerung in den Armenvierteln trotz großer Unzufriedenheit hinter der Regierung Maduro zu stehen. Guaidó hat bisher nicht einmal den Versuch unternommen, diesen bedeutenden Teil der venezolanischen Bevölkerung ernsthaft anzusprechen.
Eine Eskalation der Gewalt scheint jederzeit möglich, eine stabile Lösung kann wohl nur am Verhandlungstisch erreicht werden. Als mögliche Vermittler boten sich bereits die Regierungen Mexikos und Uruguays an, die sich dem Prinzip der Nichteinmischung verschrieben haben. Während Maduro Gesprächsbereitschaft signalisierte, sprach sich Guaidó gegen einen »falschen Dialog« aus. Stattdessen kündigte er weitere Straßenproteste an. Einen Fahrplan dafür wollte er noch im Verlauf des Sonntags bekannt geben.
Der venezolanische Machtkampf war in eine neue Phase getreten, nachdem Maduro am 10. Januar seine zweite Amtszeit antrat. Der Großteil der Opposition hatte die Präsidentschaftswahl im Mai 2018 boykottiert und Maduros Wiederwahl nicht anerkannt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110918.nicolas-maduro-patt-in-venezuela-patt-im-sicherheitsrat.html

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NPD oder doch AfD?


LINKE sehen Charakter der Rechtsaußenpartei als rechtsradikal durch VS-Gutachten belegt / Netzpolitik.org veröffentlicht Dokument im Internet

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Dresden. Die LINKEN sehen durch ein Gutachten des Verfassungsschutzes den Charakter der AfD als rechtsradikale Partei belegt. Zahlreiche Äußerungen von Parteigrößen auch aus Sachsen würden die Menschenwürde infrage stellen, erklärte die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz am Montag in Dresden: »Die Zahl und der Inhalt der Belege sind erdrückend. Beim Lesen muss man sich immer wieder vergewissern, ob es um die AfD oder nicht doch um die NPD geht. Die Ähnlichkeiten bis hinein in die plumpe Nazi-Sprache sind verblüffend.«
Köditz verwies darauf, dass in der Materialsammlung auch AfD-Größen aus Sachsen wie Landes- und Fraktionschef Jörg Urban, der Landtagsabgeordnete Carsten Hütter sowie die Bundestagsabgeordneten Jens Maier, Siegbert Droese und Tino Chrupalla auftauchen. Unabhängig von der Einstufung der AfD als Prüffall des Verfassungsschutzes bleibe die kritische Auseinandersetzung mit der AfD und ihrem Umfeld eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Besonders genau betrachtet der Verfassungsschutz in seinem Gutachten Äußerungen des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland und des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke. Er stellt fest: »Anhand der dargestellten Verlautbarungen von Gauland und Höcke wird deutlich, dass ihrem Denken ein ethnisch-biologisches bzw. ethnisch-kulturelles Verständnis des Volkes zugrunde liegt.«
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD insgesamt unlängst zum Prüffall erklärt. Noch genauer hinschauen will die Behörde beim »Flügel« und der Jungen Alternative. Von einem Verdachtsfall spricht der Verfassungsschutz, wenn nach seiner Auffassung »hinreichend gewichtige Anhaltspunkte« dafür vorliegen, »dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt«.

 Das VS-Gutachten ist inzwischen für jeden im Internet einsehbar, nachdem es am Montag vom Blog netzpolitik.org online gestellt wurde. »Das Dokument gehört in die Öffentlichkeit und nicht in einen Panzerschrank«, erklärten die Betreiber der Website. Einerseits werde so die »Mär der ganz normalen demokratischen Partei« zerstört, andererseits sei die Beobachtung einer Partei »ein harter Eingriff in einer Demokratie«, über dessen »Erkenntnisse öffentlich verhandelt werden« müsse. Die AfD fordert, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang für die Veröffentlichung des Gutachtens zur Rechenschaft zieht.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte in Berlin, es sei »bedauerlich, wenn solche Unterlagen die Öffentlichkeit erreichen«. Er könne nicht sagen, auf welchem Weg das Dokument zu den Betreibern der Website gelangt sei. Sollte es Anhaltspunkte dafür geben, dass strafrechtliche Konsequenzen erforderlich seien, dann würden diese auch eingeleitet. Agenturen/nd

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110956.prueffall-fuer-den-verfassungsschutz-npd-oder-doch-afd.html 


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»Lifeline« geht juristisch gegen die »Bild« vor


Boulevardmedium verbreite »wider besseres Wissen« falsche Fakten über Kapitän Claus-Peter Reisch und die Seenotretter

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Dresden. Die Dresdner Seenotrettungsorganisation »Mission Lifeline« geht juristisch gegen »Bild« vor. Das Blatt behaupte in einem Artikel vom Montag »wider besseres Wissen«, »Lifeline«-Kapitän Claus-Peter Reisch stehe in Malta wegen »Schleuserei« vor Gericht, erklärte »Mission Lifeline« am Montag in Dresden mit. »Das ist unwahr«, erklärte der Medienrechtsanwalt Jonas Kahl im Namen der Organisation und ergänzte: »Wir werden gegen diese Falschberichterstattung vorgehen.«
Ausgangspunkt des »Bild«-Artikels war eine Twitter-Nachricht von »Mission Lifeline« vom vergangenen Mittwoch. Darin schrieb die Organisation: »Ihr seid noch nicht verheiratet? Vielleicht verliebt Ihr Euch zufällig in einen Menschen, der*die hier noch kein Bleiberecht hat. Könnte passieren, oder? Bleibt offen!«. Am Freitag ergänzten die Seenotretter unter Verweis auf ihr Spendenkonto in einem weiteren Tweet: »...und wenn Ihr glücklich seid, denkt auch an Menschen auf der Flucht! Es macht noch glücklicher, etwas Gutes zu tun«. »Bild« versah daraufhin einen Artikel mit der Überschrift: »Seenotretter werben für Ehen mit Flüchtlingen«.


»Mission Lifeline«-Sprecher Axel Steier erklärte, die Twitternachricht habe dem Anliegen gedient, »die Menschen hinter abstrakten Begriffen wie 'Flüchtling' oder 'Ertrunkene' sichtbar zu machen«. In der politisch aufgeladenen Debatte werde viel zu oft vergessen, dass es bei der Seenotrettung um das Leben und die Gefühle von Menschen gehe, betonte Steier. Durch die Rettungen entstehe zwischen den Beteiligten ein Band, das ein Leben lang halte und mitunter auch zu Liebe führte, fügte er hinzu. Davon habe der Tweet gehandelt. »Eine Werbung für Scheinehen können wir darin nicht erkennen«, sagte Steier.
Auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) räumte Steier ein, dass es sich bei der »Bild«-Überschrift um eine Meinungsäußerung handele, gegen die nur schwer vorgegangen werden könne. Jedoch enthalte der Artikel auch mehrere falsche Zahlen, sagte Steier weiter. Insgesamt enthalte der Zeitungstext vier falsche Tatsachenbehauptungen.