Aus Vorstandskreisen hatte es vor dem Treffen am Freitagnachmittag zunächst geheißen, man hoffe verhindern zu können, dass es zu einem »Scherbengericht« gegen die Vorsitzende der Bundestagsfraktion werden könnte. Allerdings sei die Verärgerung über die öffentlichen Bemerkungen Sahra Wagenknechts über Wege zur Begrenzung der Migration groß, nicht zuletzt, weil es bislang kaum gelungen sei, mit ihr darüber direkt ins Gespräch zu kommen.
Gerade die gegenseitigen Vorwürfe und Etikettierungen in der Öffentlichkeit haben die Atmosphäre in der LINKEN vergiftet. Auf der einen Seite heißt es, die »No-Border-Fraktion« wolle, dass »jeder nach Deutschland kommen könne«, interessiere sich aber nicht für die Belange der Prekarisierten hierzulande und für diejenigen in armen Ländern, denen die Mittel fehlen zu migrieren. Von der anderen Seite werden Wagenknecht und ihre Unterstützer beschuldigt, nationalistisch zu argumentieren und Ressentiments gegen Fremde zu schüren.
Stärkt unabhängigen linken Journalismus...
Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren.
Hier mitmachen!
Auf der Tagung sprach man nun endlich miteinander - und stellte fest, dass die Differenzen kleiner sind als vermutet. Mehr als 60 von 69 Abgeordneten und 40 der 44 Mitglieder des Vorstands sowie Vertreter des Präsidiums des Bundesausschusses der Partei waren gekommen. Im Gespräch mit »nd« zeigten sich Teilnehmer anschließend erleichtert, dass die fünfstündige Diskussion konstruktiv verlaufen war.
So berichtete die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler, viele Genossen hätten Wagenknecht und Unterstützer aufgefordert zu erklären, mit welchen Mitteln und nach welchen Kriterien sie Arbeitsmigration begrenzen wollen. Hier hätten andere Diskutanten lediglich den Ball zurückgespielt und erklärt, diejenigen, die offene Grenzen fordern, sollten erst einmal erläutern, wie dies funktionieren solle.
Auch Wagenknecht selbst sei in ihrem Abschlussstatement nicht auf die Fragen eingegangen. Generell bestehe Dissens darüber, ob die LINKE einen eigenen Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz vorlegen solle. Und unter denen, die dies bejahen, seien die Vorstellungen über dessen Inhalt wiederum sehr verschieden, so Vogler.
Einig sei man sich aber darin gewesen, dass man sich für die Gleichberechtigung von Migranten auf dem hiesigen Arbeitsmarkt und hinsichtlich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Bildung einsetzen will. Auch das individuelle Recht auf Asyl für Verfolgte wollen die Genossen nicht nur verteidigen, sondern seine bereits seit 1993 betriebene zunehmende Beschränkung wieder rückgängig machen. Vermutlich ist dem einen oder anderen in der Debatte aufgefallen, dass die Partei angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse wenig Aussicht hat, Fluchtursachen wirksam zu beseitigen. Und dass es für sie ebenso schwer ist, das Sterben im Mittelmeer zu beenden, Schutzsuchende vor Abschiebung zu bewahren oder Migranten ohne Papiere einen sicheren Aufenthaltsstatus zu verschaffen - gerade dort, wo sie mitregiert.
Auch Arne Brix, Mitglied des LINKE-Bundesvorstands, bewertet das Treffen positiv. Es stimmt ihn zuversichtlich, dass man von gegenseitigen Schuldzuweisungen wegkommen könne. Brix engagiert sich zudem in der Kommunistischen Plattform der LINKEN. Deren Sprecherrat hatte zwei Tage vor dem Treffen in einem offenen Brief davor gewarnt, Wagenknechts Sturz zu betreiben. Solche Bestrebungen seien »geeignet, die LINKE zu zerstören«.
Zugleich äußert das Gremium in dem Schreiben Kritik an der Fraktionsvorsitzenden - insbesondere an der von ihr vorangetriebenen Gründung der Sammlungsbewegung »Aufstehen« »an den gewählten Gremien der Partei vorbei«. Weiter nennt der Sprecherrat Wagenknechts »Bemerkungen« im Vorfeld der Unteilbar-Demonstration gegen Rassismus und Sozialabbau Mitte Oktober »nicht nur völlig deplatziert, sondern auch beunruhigend realitätsfern«.
Möglicherweise haben dieser und weitere Appelle an die Partei- und Fraktionsvorsitzenden dazu beigetragen, dass diese sich vor Beginn der Klausur doch noch auf eine gemeinsame Erklärung einigen konnten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen