In seiner klassischen Schrift „ANARCHISMUS ODER SOZIALISMUS“(Stalin-Werke Band 1, S.257- 342) legt J.W. Stalin im Kapital „III. Der proletarische Sozialismus“ im ersten Teil die Grundlagen des wissenschaftlichen, proletarischen Sozialismus dar (S. 287-304), um dann im zweiten Teil die anarchistische „Kritik“ am proletarischen Sozialismus zu widerlegen (S. 304-323). Wer also an der Lektüre dieses Textes von J.W. Stalin Gefallen gefunden hat, dem sei das klassische Werk von Kim Jong Il „DER SOZIALISMUS IST EINE WISSENSCHAFT“ (eine Abhandlung, veröffentlicht in „Rodong Sinmun“, dem Organ des ZK der Partei der Arbeit Koreas vom 1.November 1994) über die anstehenden freien Tage empfohlen. Dieses klassische Werk von Kim Jong Il findet sich in Band 13 der Ausgewählten Werke von Kim Jong Il, Pyongyang, 2009, S. 479-515 oder unter dem folgenden Link oder als Hörbuch).
J.W. Stalin:
ANARCHISMUS ODER SOZIALISMUS
(1906)
III
DER PROLETARISCHE SOZIALISMUS
[…]
Wir kennen jetzt die theoretische Lehre von Marx: wir kennen seine Methode, wir kennen auch seine Theorie.
Welche praktischen Schlussfolgerungen müssen wir aus dieser Lehre ziehen?
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem dialektischen Materialismus und dem proletarischen Sozialismus?
Die dialektische Methode besagt, dass nur diejenige Klasse bis zu Ende fortschrittlich sein kann, dass nur diejenige Klasse das Joch der Sklaverei zerschlagen kann, die von Tag zu Tage wächst, die sich stets vorwärts bewegt und unermüdlich für eine bessere Zukunft kämpft. Wir sehen, dass die einzige Klasse, die unentwegt wächst, die sich stets vorwärts bewegt und für die Zukunft kämpft, das städtische und ländliche Proletariat ist. Folglich müssen wir dem Proletariat dienen und auf das Proletariat unsere Hoffnungen setzen.
Das ist die erste praktische Schlussfolgerung aus der theoretischen Lehre von Marx.
Aber dienen kann man auf verschiedene Arten. Audi Bernstein „dient“ dem Proletariat, wenn er ihm predigt, es solle den Sozialismus vergessen. Auch Kropotkin „dient“ dem Proletariat, wenn er ihm einen zersplitterten, einer breiten industriellen Basis entbehrenden Gemeinde“sozialismus“ anbietet. Auch Karl Marx dient dem Proletariat, wenn er es zum proletarischen Sozialismus aufruft, der sich auf die breite Basis der modernen Großindustrie stützt.
Wie müssen wir verfahren, damit unsere Arbeit dem Proletariat Nutzen bringe? Wie müssen wir dem Proletariat dienen?
Die materialistische Theorie besagt, dass ein bestimmtes Ideal dem Proletariat nur dann einen direkten Dienst leisten kann, wenn dieses Ideal der ökonomischen Entwicklung des Landes nicht widerspricht, wenn es den Anforderungen dieser Entwicklung restlos entspricht. Die ökonomische Entwicklung der kapitalistischen Ordnung zeigt, dass die moderne Produktion gesellschaftlichen Charakter annimmt, dass der gesellschaftliche Charakter der Produktion das existierende kapitalistische Eigentum von Grund aus verneint, und folglich besteht unsere Hauptaufgabe darin, die Abschaffung des kapitalistischen Eigentums und die Einführung des sozialistischen Eigentums zu fördern. Dies bedeutet aber, dass die Lehre Bernsteins, dessen Predigt besagt, man solle den Sozialismus vergessen, den Anforderungen der ökonomischen Entwicklung von Grund aus widerspricht, – sie würde dem Proletariat nur Schaden bringen.
Die ökonomische Entwicklung der kapitalistischen Ordnung zeigt ferner, dass die moderne Produktion sich mit jedem Tage erweitert, dass sie schon nicht mehr in den Grenzen einzelner Städte und Gouvernements Platz findet, dass sie diese Grenzen unaufhörlich niederreißt und das Territorium des ganzen Staates erfasst, – folglich müssen wir die Erweiterung der Produktion begrüßen und als die Grundlage des künftigen Sozialismus nicht einzelne Städte und Gemeinden erkennen, sondern das ganze und ungeteilte Territorium des gesamten Staates, das sich natürlich in Zukunft immer mehr erweitern wird. Dies bedeutet aber, dass die Lehre Kropotkin, der den künftigen Sozialismus in den Rahmen einzelner Städte und Gemeinden hineinzwängt, den Interessen der machtvollen Erweiterung der Produktion widerspricht, – sie würde dem Proletariat nur Schaden bringen.
Für ein voll entfaltetes sozialistisches Leben als für das wichtigste Ziel kämpfen, – so müssen wir dem Proletariat dienen.
Das ist die zweite praktische Schlussfolgerung aus der theoretischen Lehre von Marx.
Es ist klar, dass der proletarische Sozialismus eine direkte Schlussfolgerung aus dem dialektischen Materialismus ist.
Was ist der proletarische Sozialismus?
Die moderne Gesellschaftsordnung ist die kapitalistische Gesellschaftsordnung. Dies bedeutet, dass die Welt in zwei einander entgegengesetzte Lager geteilt ist, in das Lager einer kleinen Handvoll von Kapitalisten und in das Lager der Mehrheit, der Proletarier. Die Proletarier arbeiten Tag und Nacht, aber trotzdem bleiben sie nach wie vor arm. Die Kapitalisten arbeiten nicht, aber trotzdem sind sie reich. Dies geschieht nicht, weil die Proletarier nicht genügend Verstand hätten und die Kapitalisten genial wären, sondern weil die Kapitalisten die Früchte der Arbeit der Proletarier einheimsen, weil die Kapitalisten die Proletarier ausbeuten.
Weshalb heimsen gerade die Kapitalisten, und nicht die Proletarier selbst, die Früchte der Arbeit der Proletarier ein? Weshalb beuten die Kapitalisten die Proletarier aus, und nicht die Proletarier die Kapitalisten?
Weil die kapitalistische Ordnung auf der Warenproduktion beruht: hier nimmt alles die Form der Ware an, überall herrscht das Prinzip des Kaufs und Verkaufs. Hier kann man nicht nur Verbrauchsgüter, nicht nur Nahrungsmittel kaufen, sondern auch die Arbeitskraft von Menschen, ihr Blut, ihr Gewissen. Die Kapitalisten wissen alles dies und kaufen die Arbeitskraft der Proletarier, nehmen sie in Dienst. Dies bedeutet aber, dass die Kapitalisten zu Eigentümern der von ihnen gekauften Arbeitskraft werden. Die Proletarier dagegen verlieren das Recht auf diese verkaufte Arbeitskraft. Dies bedeutet, dass alles, was durch diese Arbeitskraft erzeugt wird, nun nicht mehr den Proletariern gehört, sondern nur den Kapitalisten und in ihre Tasche wandert. Es ist möglich, dass die von euch verkaufte Arbeitskraft täglich für 100 Rubel Waren erzeugt, aber das geht euch nichts an und gehört euch nicht, das geht nur die Kapitalisten an und gehört ihnen, – ihr habt nur euren täglichen Arbeitslohn zu bekommen, der vielleicht hinreicht, um eure dringenden Bedürfnisse zu befriedigen – natürlich nur, wenn ihr sparsam lebt. Kurzum, die Kapitalisten kaufen die Arbeitskraft der Proletarier, sie nehmen die Proletarier in Dienst, und eben deshalb heimsen die Kapitalisten die Früchte der Arbeit der Proletarier ein, eben deshalb beuten die Kapitalisten die Proletarier aus, und nicht die Proletarier die Kapitalisten.
Weshalb aber kaufen gerade die Kapitalisten die Arbeitskraft der Proletarier? Weshalb verdingen sich die Proletarier an die Kapitalisten, und nicht die Kapitalisten an die Proletarier?
Weil die Hauptgrundlage der kapitalistischen Ordnung das Privateigentum an den Produktionsinstrumenten und -mitteln ist. Weil die Fabriken, die Werke, der Boden und seine Schätze, die Waldungen, die Eisenbahnen, die Maschinen und andere Produktionsmittel zum Privateigentum einer kleinen Handvoll von Kapitalisten geworden sind. Weil die Proletarier alles dessen beraubt sind. Eben deshalb stellen die Kapitalisten die Proletarier ein, um die Fabriken und Werke in Betrieb zu setzen – sonst würden ihre Produktionsinstrumente und -mittel keinen Profit abwerfen. Eben deshalb verkaufen die Proletarier ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten – sonst würden sie Hungers sterben.
Alles dies wirft Licht auf den gesamten Charakter der kapitalistischen Produktion. Erstens versteht es sich von selbst, dass die kapitalistische Produktion nichts Einheitliches und Organisiertes sein kann: sie ist ganz und gar in Privatbetriebe der einzelnen Kapitalisten zersplittert. Zweitens ist es ebenfalls klar, dass das direkte Ziel dieser zersplitterten Produktion nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung ist, sondern die Produktion von Waren für den Verkauf zwecks Steigerung des Profits der Kapitalisten. Da jedoch alle Kapitalisten nach der Steigerung ihres Profits streben, so ist jeder von ihnen bemüht, möglichst viele Waren zu produzieren, wodurch der Markt rasch überfüllt wird, die Warenpreise fallen und eine allgemeine Krise eintritt.
Somit sind die Krisen, die Arbeitslosigkeit, die Stockungen in der Produktion, die Anarchie der Produktion und dergleichen mehr das direkte Resultat der Unorganisiertheit der modernen kapitalistischen Produktion.
Wenn nun diese unorganisierte Gesellschaftsordnung vorläufig noch nicht beseitigt ist, wenn sie vorläufig noch den Angriffen der Proletarier zähe widersteht, so erklärt sich dies vor allem daraus, dass der kapitalistische Staat, die kapitalistische Regierung sie verteidigt.
Das ist die Grundlage der modernen kapitalistischen Gesellschaft.
*
Kein Zweifel, dass die zukünftige Gesellschaft auf einer ganz anderen Grundlage errichtet werden wird.
Die zukünftige Gesellschaft ist die sozialistische Gesellschaft. Dies bedeutet vor allem, dass es dort keinerlei Klassen geben wird: es wird weder Kapitalisten noch Proletarier geben, es wird folglich auch keine Ausbeutung geben. Dort wird es nur kollektiv arbeitende Schaffende geben.
Die zukünftige Gesellschaft ist die sozialistische Gesellschaft. Dies bedeutet ferner, dass dort zusammen mit der Ausbeutung auch die Warenproduktion und der Kauf und Verkauf beseitigt sein werden, so dass es dort keinen Platz geben wird für Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, für Unternehmer und Lohnarbeiter, – es wird dort nur freie Schaffende geben.
Die zukünftige Gesellschaft ist die sozialistische Gesellschaft. Dies bedeutet schließlich, dass dort zusammen mit der Lohnarbeit auch jedes Privateigentum an den Produktionsinstrumenten und -mitteln aufgehoben sein wird, dort wird es keine armen Proletarier und keine reichen Kapitalisten geben, – dort wird es nur Schaffende geben, die kollektiv den ganzen Boden und seine Schätze, alle Waldungen, alle Fabriken und Werke, alle Eisenbahnen usw. besitzen.
Wie man sieht, ist das Hauptziel der zukünftigen Produktion die unmittelbare Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft, und nicht die Produktion von Waren für den Verkauf um der Steigerung des Profits der Kapitalisten willen. Hier wird es keinen Platz geben für die Warenproduktion, für den Kampf um Profite usw.
Klar ist ferner auch, dass die zukünftige Produktion eine sozialistisch organisierte, hoch entwickelte Produktion sein wird, die die Bedürfnisse der Gesellschaft berücksichtigen und nur genau soviel produzieren wird, wie die Gesellschaft braucht. Hier wird es keinen Platz geben für zersplitterte Produktion, für Konkurrenz, Krisen und Arbeitslosigkeit.
Wo es keine Klassen gibt, wo es keine Reichen und Armen gibt, da bedarf man auch keines Staates, da bedarf man auch keiner politischen Gewalt, die die Armen bedrängt und die Reichen schützt. Folglich wird die sozialistische Gesellschaft auch nicht der Existenz einer politischen Gewalt bedürfen.
Deshalb sagte Karl Marx schon im Jahre 1846: „Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben …“ (Siehe „Das Elend der Philosophie“.)
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Deshalb sagte Engels im Jahre 1884:
„Der Staat ist also nicht von Ewigkeit her. Es hat Gesellschaften gegeben, die ohne ihn fertig wurden, die von Staat und Staatsgewalt keine Ahnung hatten. Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung, die mit Spaltung der Gesellschaft in Klassen notwendig verbunden war, wurde … der Staat eine Notwendigkeit. Wir nähern uns jetzt mit raschen Schritten einer Entwicklungsstufe der Produktion, auf der das Dasein dieser Klassen nicht nur aufgehört hat, eine Notwendigkeit zu sein, sondern ein positives Hindernis der Produktion wird. Sie werden fallen, ebenso unvermeidlich, wie sie früher entstanden sind. Mit ihnen fällt unvermeidlich der Staat. Die Gesellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Assoziation der Produzenten neu organisiert, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird: ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt.“ (Siehe „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“.)
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Gleichzeitig wird die sozialistische Gesellschaft selbstredend zwecks Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten neben den örtlichen Büros, in denen die verschiedenen Angaben zusammenlaufen werden, ein statistisches Zentralbüro brauchen, das Angaben über die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft sammeln und dann die verschiedene Arbeit unter die Schaffenden entsprechend verteilen wird. Auch Konferenzen wird man brauchen und insbesondere Kongresse, deren Beschlüsse für die in der Minderheit gebliebenen Genossen bis zum nächsten Kongress unter allen Umständen bindend sein werden.
Schließlich ist es augenscheinlich, dass die freie und kameradschaftliche Arbeit eine ebenso kameradschaftliche und restlose Befriedigung aller Bedürfnisse in der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft zur Folge haben muss. Dies bedeutet aber, dass, wenn die zukünftige Gesellschaft von jedem ihrer Mitglieder genau soviel Arbeit verlangt, wie er leisten kann, sie ihrerseits jedem so viel Produkte zur Verfügung stellen muss, wie er nötig hat. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen! – auf dieser Grundlage muss die zukünftige kollektivistische Ordnung errichtet werden. Selbstverständlich werden auf der ersten Stufe des Sozialismus, wo noch nicht an die Arbeit gewöhnte Elemente sich in das neue Leben eingliedern werden, auch die Produktivkräfte noch nicht genügend entwickelt sein, es wird noch „schwarze“ und „weiße“ Arbeit geben, die Verwirklichung des Prinzips – „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ – wird zweifellos stark erschwert sein, weshalb die Gesellschaft gezwungen sein wird, zeitweilig einen anderen, mittleren Weg zu beschreiten. Klar ist aber auch, dass, wenn die zukünftige Gesellschaft in Fluss gekommen ist, wenn die Überbleibsel des Kapitalismus mit der Wurzel ausgerodet sein werden, das einzige Prinzip, das der sozialistischen Gesellschaft entspricht, das oben erwähnte Prinzip sein wird.
Deshalb sagte Marx im Jahre 1875:
„In einer höhern Phase der kommunistischen (d. h. sozialistischen) Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind, … erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Siehe „Kritik des Gothaer Programms“.)
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Das ist im großen und ganzen das Bild der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft nach der Theorie von Marx.
Alles dies ist gut und schön. Aber ist die Verwirklichung des Sozialismus denkbar? Kann man annehmen, dass der Mensch es fertig bringt, die in ihm steckenden „barbarischen Gewohnheiten“ zu überwinden?
Oder aber: wenn jeder nach seinen Bedürfnissen erhält, kann man dann annehmen, dass das Niveau der Produktivkräfte der sozialistischen Gesellschaft hierfür ausreichend sein wird?
Die sozialistische Gesellschaft setzt genügend entwickelte Produktivkräfte und ein sozialistisches Bewusstsein der Menschen, ihre sozialistische Aufklärung voraus. Die Entwicklung der modernen Produktivkräfte wird behindert durch das bestehende kapitalistische Eigentum, wenn man jedoch im Auge hat, dass es dieses Eigentum in der zukünftigen Gesellschaft nicht geben wird, so ist es von selbst klar, dass sich die Produktivkräfte verzehnfachen werden. Man darf auch nicht den Umstand vergessen, dass in der zukünftigen Gesellschaft die Hunderttausende der heutigen Müßiggänger und auch die Arbeitslosen Hand anlegen und die Reihen der Werktätigen auffüllen werden, was die Entwicklung der Produktivkräfte erheblich voranbringen wird. Was die „barbarischen“ Gefühle und Anschauungen der Menschen anbelangt, so sind sie durchaus nicht so ewig, wie manche glauben-, es gab eine Zeit, die Zeit des Urkommunismus, wo der Mensch kein Privateigentum anerkannte; es kam eine Zeit, die Zeit der individualistischen Produktion, wo das Privateigentum sich des Fühlens und Denkens der Menschen bemächtigte; es bricht eine neue Zeit an, die Zeit der sozialistischen Produktion, – und was Wunder, wenn das Fühlen und Denken der Menschen von sozialistischen Bestrebungen durchdrungen wird! Bestimmt denn nicht das Sein die „Gefühle“ und Anschauungen der Menschen?
Wo aber sind die Beweise für die Unvermeidlichkeit der Errichtung der sozialistischen Ordnung? Wird der Entwicklung des modernen Kapitalismus unvermeidlich der Sozialismus folgen? Oder mit anderen Worten: woher wissen wir, dass der proletarische Sozialismus von Marx nicht lediglich ein schöner Traum, ein Phantasiegebilde ist? Wo sind die wissenschaftlichen Beweise hierfür?
Die Geschichte zeigt, dass die Form des Eigentums unmittelbar abhängt von der Form der Produktion, weshalb mit einer Veränderung der Form der Produktion sich früher oder später auch die Form des Eigentums unvermeidlich ändert. Es gab eine Zeit, wo das Eigentum kommunistischen Charakter trug, wo die Wälder und Felder, in denen die Urmenschen umherstreiften, allen gehörten, nicht aber einzelnen Personen. Weshalb gab es damals ein kommunistisches Eigentum? Weil die Produktion kommunistisch war, weil die Arbeit gemeinsam, kollektiv war, – alle arbeiteten vereint und konnten ohne einander nicht auskommen. Es kam eine andere Zeit, die Zeit der kleinbürgerlichen Produktion, wo das Eigentum individualistischen (privaten) Charakter annahm, wo alles, was der Mensch brauchte (natürlich mit Ausnahme der Luft, des Sonnenlichts usw.), als Privateigentum anerkannt wurde. Weshalb trat diese Veränderung ein? Weil die Produktion individualistisch wurde, weil jeder für sich selbst zu arbeiten begann und sich in seine Ecke verkroch. Schließlich bricht eine Zeit an, die Zeit der kapitalistischen Großproduktion, wo Hunderte und Tausende von Arbeitern sich unter einem Dach, in einer Fabrik zusammenfinden und gemeinsame Arbeit leisten. Hier sieht man nicht die alte Arbeit voneinander getrennter Menschen, wo jeder nur an sich dachte, – hier sind jeder Arbeiter und alle Arbeiter jeder Werkabteilung in der Arbeit eng mit ihren Kameraden aus ihrer Werkabteilung und ebenso mit den anderen Werkabteilungen verbunden. Es genügt, dass irgendeine Werkabteilung stillsteht damit die Arbeiter der ganzen Fabrik ohne Arbeit bleiben. Wie man sieht, hat der Produktionsprozess, die Arbeit, bereits gesellschaftlichen Charakter, eine sozialistische Prägung, angenommen. Und das geschieht nicht nur in den einzelnen Fabriken, sondern auch in ganzen Produktionszweigen und zwischen den Produktionszweigen: es brauchen nur die Eisenbahnarbeiter zu streiken, damit die Produktion in eine schwere Lage gerät, es braucht nur die Erdöl- und Steinkohlengewinnung stillzustehen, damit einige Zeit später ganze Fabriken und Werke stillgelegt werden. Es ist klar, dass der Produktionsprozess hier gesellschaftlichen, kollektiven Charakter angenommen hat. Da nun dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion der private Charakter der Aneignung nicht entspricht, da die moderne kollektive Arbeit unvermeidlich zum kollektiven Eigentum führen muss, so ist es von selbst klar, dass die sozialistische Ordnung mit der gleichen Unvermeidlichkeit dem Kapitalismus folgen wird, wie der Nacht der Tag folgt.
So begründet die Geschichte die Unvermeidlichkeit des proletarischen Sozialismus von Marx.
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Die Geschichte lehrt uns, dass diejenige Klasse oder soziale Gruppe, die in der gesellschaftlichen Produktion die Hauptrolle spielt und die Hauptfunktionen der Produktion in ihren Händen hält, im Laufe der Zeit unvermeidlich zum Herrn dieser Produktion werden muss. Es gab eine Zeit, die Zeit des Matriarchats, wo die Frauen als die Herrinnen der Produktion galten. Wodurch ist dies zu erklären? Dadurch, dass die Frauen in der damaligen Produktion, im primitiven Ackerbau, die Hauptrolle spielten, dass sie die Hauptfunktionen ausübten, während die Männer auf der Suche nach Wild die Wälder durchstreiften. Es kam eine Zeit, die Zeit des Patriarchats, wo die herrschende Stellung in der Produktion an die Männer überging. Weshalb trat diese Änderung ein? Weil in der damaligen Produktion, der Viehzuchtwirtschaft, wo die wichtigsten Produktionsinstrumente Speer und Schlinge, Bogen und Pfeil waren, die Männer die Hauptrolle spielten… Es bricht eine Zeit an, die Zeit der kapitalistischen Großproduktion, wo die Proletarier die Hauptrolle in der Produktion zu spielen beginnen, wo alle wichtigen Produktionsfunktionen an sie übergehen, wo ohne sie die Produktion keinen einzigen Tag funktionieren kann (erinnern wir uns der Generalstreiks), wo die Kapitalisten nicht nur für die Produktion unnötig sind, sondern sie sogar behindern. Was aber bedeutet dies? Dies bedeutet, dass entweder alles gesellschaftliche Leben völlig zusammenbrechen muss, oder dass das Proletariat früher oder später, aber unvermeidlich, zum Herrn der modernen Produktion, zu ihrem einzigen Eigentümer, ihrem sozialistischen Eigentümer werden muss.
Die modernen Industriekrisen, die das kapitalistische Eigentum zu Grabe läuten und entschieden die Frage stellen: entweder Kapitalismus oder Sozialismus – machen diese Schlussfolgerung ganz augenscheinlich, enthüllen anschaulich den Parasitismus der Kapitalisten und die Unvermeidlichkeit des Sieges des Sozialismus.
Auch auf diese Weise begründet die Geschichte die Unvermeidlichkeit des proletarischen Sozialismus von Marx.
Nicht auf sentimentalen Gefühlen, nicht auf einer abstrakten ,,Gerechtigkeit“, nicht auf Liebe zum Proletariat, sondern auf den oben angeführten wissenschaftlichen Grundlagen beruht der proletarische Sozialismus.
Das ist der Grund, weshalb der proletarische Sozialismus auch „wissenschaftlicher Sozialismus“ genannt wird.
Engels sagte schon im Jahre 1877:
„Wenn wir für die hereinbrechende Umwälzung der heutigen Verteilungsweise der Arbeitserzeugnisse … keine bessere Sicherheit hätten als das Bewusstsein, dass diese Verteilungsweise ungerecht ist, und dass das Recht doch endlich einmal siegen muss, so wären wir übel dran und könnten lange warten…“ Das Wichtigste hierbei besteht darin, dass „die von der modernen kapitalistischen Produktionsweise erzeugten Produktivkräfte wie auch das von ihr geschaffne System der Güterverteilung in brennenden Widerspruch geraten sind mit jener Produktionsweise selbst und zwar in solchem Grad, dass eine Umwälzung der Produktions- und Verteilungsweise stattfinden muss, die alle Klassenunterschiede beseitigt, falls nicht die ganze moderne Gesellschaft untergehn soll. In dieser handgreiflichen, materiellen Tatsache,… nicht aber in den Vorstellungen dieses oder jenes Stubenhockers von Recht und Unrecht, begründet sich die Siegesgewissheit des modernen Sozialismus.“ (Siehe „Anti-Dühring“.
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Dies bedeutet natürlich nicht, dass, da sich der Kapitalismus zersetzt, die sozialistische Ordnung zu jeder beliebigen Zeit errichtet werden kann, sobald wir nur wollen. So denken nur die Anarchisten und andere kleinbürgerliche Ideologen. Das sozialistische Ideal ist nicht das Ideal aller Klassen. Es ist das Ideal nur des Proletariats, und an seiner Verwirklichung sind nicht alle Klassen, sondern nur das Proletariat unmittelbar interessiert. Dies bedeutet aber, dass die Errichtung der sozialistischen Ordnung so lange unmöglich ist, als das Proletariat nur einen kleinen Teil der Gesellschaft bildet. Der Untergang der alten Produktionsform, die weitere Zusammenballung der kapitalistischen Produktion und die Proletarisierung der Mehrheit der Gesellschaft – das sind die notwendigen Bedingungen für die Verwirklichung des Sozialismus. Aber auch dies genügt noch nicht. Die Mehrheit der Gesellschaft kann bereits proletarisiert sein, aber der Sozialismus trotzdem noch nicht verwirklicht werden, und zwar, weil es für die Verwirklichung des Sozialismus außerdem noch des Klassenbewusstseins, des Zusammenschlusses des Proletariats und der Fähigkeit bedarf, seine eigene Sache zu führen. Um aber alles dies zu erlangen, ist wiederum die so genannte politische Freiheit erforderlich, d.h. die Freiheit des Wortes, der Presse, der Streiks und der Koalitionen, kurzum, die Freiheit des Klassenkampfes. Die politische Freiheit aber ist nicht überall gleichmäßig gesichert. Deshalb ist es für das Proletariat nicht gleichgültig, unter welchen Bedingungen es den Kampf zu führen hat: unter den absolutistisch-feudalen Bedingungen (Rußland), unter den Bedingungen der konstitutionellen Monarchie (Deutschland), der Republik der Großbourgeoisie (Frankreich) oder der demokratischen Republik (wie die Sozialdemokratie Rußlands sie fordert). Am besten und vollständigsten ist die politische Freiheit in der demokratischen Republik gesichert, selbstredend nur insoweit, als sie unter dem Kapitalismus überhaupt gesichert sein kann. Deshalb streben alle Anhänger des proletarischen Sozialismus unbedingt nach der Errichtung der demokratischen Republik als der besten „Brücke“ zum Sozialismus.
Aus diesem Grunde zerfällt das marxistische Programm unter den gegenwärtigen Bedingungen in zwei Teile: das Maximalprogramm, das den Sozialismus zum Ziel hat, und das Minimalprogramm, das den Zweck hat, den Weg zum Sozialismus durch die demokratische Republik zu bahnen.
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Wie muss das Proletariat handeln, welchen Weg muss es einschlagen, um sein Programm bewusst zu verwirklichen, den Kapitalismus zu stürzen und den Sozialismus zu errichten?
Die Antwort ist klar: das Proletariat kann nicht durch Versöhnung mit der Bourgeoisie zum Sozialismus gelangen, – es muss unbedingt den Weg des Kampfes beschreiten, und dieser Kampf muss ein Klassenkampf, ein Kampf des gesamten Proletariats gegen die gesamte Bourgeoisie sein. Entweder die Bourgeoisie mit ihrem Kapitalismus, oder das Proletariat mit seinem Sozialismus! Darauf müssen die Aktionen des Proletariats, sein Klassenkampf beruhen.
Aber der Klassenkampf des Proletariats hat mannigfaltige Formen. Klassenkampf ist z.B. der Streik – ganz einerlei, ob er ein Teilstreik oder ein Generalstreik ist. Klassenkampf sind zweifellos der Boykott und die Sabotage. Klassenkampf sind auch Kundgebungen, Demonstrationen, Teilnahme an Vertretungskörperschaften u. a. – ganz einerlei, ob dies Landesparlamente oder örtliche Selbstverwaltungen sind. Alles dies sind verschiedene Formen ein und desselben Klassenkampfes. Wir wollen hier nicht untersuchen, welche dieser Kampfformen für das Proletariat in seinem Klassenkampf von größerer Bedeutung sind, wir bemerken nur, dass das Proletariat jede von ihnen zur rechten Zeit und am rechten Ort unbedingt braucht als das notwendige Mittel zur Entwicklung seines Selbstbewusstseins und seiner Organisiertheit. Selbstbewusstsein und Organisiertheit aber braucht das Proletariat so notwendig wie die Luft. Es muss aber auch bemerkt werden, dass für das Proletariat alle diese Kampfformen nur vorbereitende Mittel sind, dass keine dieser Formen, einzeln genommen, ein entscheidendes Mittel ist, mit dessen Hilfe das Proletariat dem Kapitalismus den Garaus machen könnte. Man kann den Kapitalismus nicht durch den Generalstreik allein aus der Welt schaffen: der Generalstreik kann nur einige Voraussetzungen für die Abschaffung des Kapitalismus vorbereiten. Es ist undenkbar, dass das Proletariat den Kapitalismus nur durch seine Beteiligung am Parlament stürzen könnte: mit Hilfe des Parlamentarismus können nur einige Voraussetzungen für den Sturz des Kapitalismus vorbereitet werden.
Worin besteht dann das entscheidende Mittel, mit dessen Hilfe das Proletariat die kapitalistische Ordnung stürzen wird? Dieses Mittel ist die sozialistische Revolution. Streiks, Boykott, Parlamentarismus, Kundgebungen, Demonstrationen – alle diese Kampfformen sind gut als Mittel, die das Proletariat schulen und organisieren. Aber kein einziges dieser Mittel ist imstande, die bestehende Ungleichheit zu beseitigen. Es ist notwendig, dass alle diese Mittel zu einem entscheidenden Hauptmittel konzentriert werden, das Proletariat muss sich erheben und zu einem entschlossenen Angriff auf die Bourgeoisie übergehen, um den Kapitalismus bis auf den Grund zu zerstören. Eben dieses entscheidende Hauptmittel ist die sozialistische Revolution.
Die sozialistische Revolution darf nicht als plötzlicher und kurz dauernder Schlag betrachtet werden, – sie ist ein lang andauernder Kampf der proletarischen Massen, die der Bourgeoisie eine Niederlage beibringen und ihre Positionen besetzen. Da nun der Sieg des Proletariats gleichzeitig die Herrschaft über die besiegte Bourgeoisie ist, da während des Zusammenstoßes der Klassen die Niederlage der einen Klasse die Herrschaft der anderen bedeutet – so wird die erste Stufe der sozialistischen Revolution die politische Herrschaft des Proletariats über die Bourgeoisie sein.
Sozialistische Diktatur des Proletariats, Ergreifung der Macht durch das Proletariat – damit muss die sozialistische Revolution beginnen.
Dies bedeutet aber, dass, solange die Bourgeoisie nicht völlig besiegt ist, solange ihr Reichtum nicht beschlagnahmt worden ist, das Proletariat unbedingt über eine militärische Macht verfügen muss, es unbedingt seine „proletarische Garde“ haben muss, mit deren Hilfe es die konterrevolutionären Attacken der sterbenden Bourgeoisie zurückschlagen wird, genau so, wie dies beim Pariser Proletariat während der Kommune der Fall war.
Die sozialistische Diktatur des Proletariats aber ist notwendig, damit das Proletariat mit ihrer Hilfe die Bourgeoisie expropriieren, damit es mit ihrer Hilfe der ganzen Bourgeoisie den Boden, die Waldungen, die Fabriken und Werke, die Maschinen, die Eisenbahnen usw. abnehmen kann.
Expropriation der Bourgeoisie – dazu muss die sozialistische Revolution führen.
Dies ist das wichtigste und entscheidende Mittel, mit dessen Hilfe das Proletariat die heutige kapitalistische Ordnung stürzen wird.
Deshalb sagte Karl Marx schon im Jahre 1847, dass „…der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse… ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen … des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren…“ (Siehe „Kommunistisches Manifest“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1948, S. 31].)
Diesen Weg muss das Proletariat gehen, wenn es den Sozialismus verwirklichen will.
Aus diesem allgemeinen Grundsatz ergeben sich alle übrigen taktischen Anschauungen. Streiks, Boykott, Demonstrationen, Parlamentarismus sind nur insoweit von Bedeutung, als sie die Organisierung des Proletariats, die Festigung und Erweiterung seiner Organisationen zwecks Durchführung der sozialistischen Revolution fördern.
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Also, für die Verwirklichung des Sozialismus ist die sozialistische Revolution notwendig, die sozialistische Revolution aber muss mit der Diktatur des Proletariats beginnen, d. h. das Proletariat muss die politische Macht in seine Hände nehmen, um mit ihrer Hilfe die Bourgeoisie zu expropriieren.
Für alles dies aber sind die Organisiertheit des Proletariats, der Zusammenschluss des Proletariats, seine Vereinigung, die Schaffung starker proletarischer Organisationen und ihr unaufhörliches Wachstum notwendig.
Welche Formen aber müssen die Organisationen des Proletariats annehmen?
Die verbreitesten Massenorganisationen sind die Gewerkschaften und die Arbeitergenossenschaften (vorwiegend Produktiv- und Konsumgenossenschaften). Der Zweck der Gewerkschaftsverbände ist der Kampf (hauptsächlich) gegen das Industriekapital, für die Verbesserung der Lage der Arbeiter im Rahmen des heutigen Kapitalismus. Der Zweck der Genossenschaften ist der Kampf (hauptsächlich) gegen das Handelskapital, für die Erweiterung des Konsums der Arbeiter durch Senkung der Preise für Waren des dringenden Bedarfs, selbstverständlich wiederum im Rahmen des Kapitalismus. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Genossenschaften sind für das Proletariat unbedingt notwendig als Mittel, die die proletarischen Massen organisieren. Deshalb muss das Proletariat vom Standpunkt des proletarischen Sozialismus von Marx und Engels sich unbedingt an diese beiden Organisationsformen halten, sie festigen und stärken – versteht sich, soweit die vorhandenen politischen Bedingungen dies erlauben.
Aber Gewerkschaften und Genossenschaften allein können den organisatorischen Bedürfnissen des kämpfenden Proletariats nicht Genüge leisten, und zwar deshalb, weil die erwähnten Organisationen den Rahmen des Kapitalismus nicht überschreiten können, denn ihr Zweck ist die Verbesserung der Lage der Arbeiter im Rahmen des Kapitalismus. Die Arbeiter aber wollen die volle Befreiung von der kapitalistischen Knechtschaft, sie wollen eben diesen Rahmen sprengen, und sich nie bloß im Rahmen des Kapitalismus bewegen. Folglich bedarf es noch einer Organisation, die die klassenbewussten Elemente der Arbeiter aller Berufe um sich schart, das Proletariat in eine ihrer selbst bewusste Klasse verwandelt und sich die Zertrümmerung der kapitalistischen Zustände, die Vorbereitung der sozialistischen Revolution zum Hauptziel setzt.
Eine solche Organisation ist die sozialdemokratische Partei des Proletariats.
Diese Partei muss eine Klassenpartei sein, die von den anderen Parteien völlig unabhängig ist, und zwar deshalb, weil sie die Partei der Klasse der Proletarier ist, deren Befreiung nur das Werk ihrer eigenen Hände sein kann.
Diese Partei muss eine revolutionäre Partei sein, und zwar deshalb, weil die Befreiung der Arbeiter nur auf revolutionärem Wege, nur mit Hilfe der sozialistischen Revolution möglich ist.
Diese Partei muss eine internationale Partei sein, die Tore der Partei müssen jedem klassenbewussten Proletarier offen stehen, und zwar deshalb, weil die Befreiung der Arbeiter keine nationale, sondern eine soziale Frage ist, von gleicher Bedeutung für den georgischen Proletarier wie für den russischen Proletarier und die Proletarier der anderen Nationen.
Hieraus folgt klar: Je enger sich die Proletarier der verschiedenen Nationen zusammenschließen, je gründlicher die zwischen ihnen aufgerichteten nationalen Schranken niedergerissen werden, desto stärker wird die Partei des Proletariats sein, desto mehr wird die Organisierung des Proletariats zu einer unteilbaren Klasse erleichtert.
Es ist deshalb notwendig, soweit dies möglich ist, in den Organisationen des Proletariats das Prinzip des Zentralismus im Gegensatz zu der föderalistischen Zersplitterung durchzuführen – ganz einerlei, ob es sich bei diesen Organisationen um die Partei, die Gewerkschaften oder die Genossenschaften handelt.
Klar ist ferner auch, dass sich alle diese Organisationen auf einer demokratischen Grundlage aufbauen müssen, soweit natürlich irgendwelche politischen und anderen Bedingungen dies nicht verhindern.
Welches müssen die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Partei einerseits und den Genossenschaften und Gewerkschaften anderseits sein? Sollen diese letzteren unter der Führung der Partei stehen oder parteilos sein? Die Entscheidung dieser Frage hängt davon ab, wo und unter welchen Bedingungen das Proletariat zu kämpfen hat. Es steht jedenfalls außer Zweifel, dass sich die Gewerkschaften wie auch die Genossenschaften um so besser entwickeln, je freundschaftlicher ihre Beziehungen zu der sozialistischen Partei des Proletariats sind, und zwar deshalb, weil diese beiden ökonomischen Organisationen, wenn sie nicht einer starken sozialistischen Partei nahe stehen, nicht selten verflachen, die Interessen der Gesamtklasse zugunsten rein beruflicher Interessen vergessen und dadurch dem Proletariat großen Schaden zufügen. Deshalb ist es notwendig, in allen Fällen den ideologisch-politischen Einfluss der Partei auf die Gewerkschaften und Genossenschaften sicherzustellen. Nur unter dieser Bedingung werden die erwähnten Organisationen zu jener sozialistischen Schule werden, die das in einzelne Gruppen zersplitterte Proletariat zu einer ihrer selbst bewussten Klasse organisieren.
Das sind im großen und ganzen die Charakterzüge des proletarischen Sozialismus von Marx und Engels.
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Wie stellen sich die Anarchisten zum proletarischen Sozialismus?
Vor allem muss man wissen, dass der proletarische Sozialismus nicht einfach eine philosophische Lehre ist. Er ist die Lehre der proletarischen Massen, ihr Banner, ihn ehren und vor ihm „verneigen sich“ die Proletarier der ganzen Welt. Folglich sind Marx und Engels nicht einfach die Begründer irgendeiner philosophischen „Schule“ – sie sind die lebendigen Führer der lebendigen proletarischen Bewegung, die mit jedem Tage wächst und erstarkt. Wer gegen diese Lehre kämpft, wer sie „stürzen“ will, der muss alles dies gut in Rechnung ziehen, damit er sich nicht in einem ungleichen Kampf zwecklos den Kopf einrenne. Die Herren Anarchisten wissen das wohl. Sie greifen deshalb im Kampf gegen Marx und Engels zu einer ganz ungewöhnlichen, in ihrer Art neuen Waffe.
Was ist das für eine neue Waffe? Ist es eine neue wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktion? Ist es eine Widerlegung des „Kapitals“ von Marx? Natürlich nicht! Oder vielleicht widerlegen sie, gewappnet mit „neuen Tatsachen“ und einer „induktiven“ Methode, „wissenschaftlich“ das „Evangelium“ der Sozialdemokratie – das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels? Auch das nicht! Was also ist dieses ungewöhnliche Mittel?
Es besteht in der Beschuldigung, Marx und Engels härten einen „literarischen Diebstahl“ begangen! Was glaubt man wohl? Man erfährt, dass Marx und Engels nichts Eigenes geleistet hätten, dass der wissenschaftliche Sozialismus ein Hirngespinst sei, und zwar weil das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels von Anfang bis zu Ende aus dem „Manifest“ Victor Considérants „gestohlen“ worden sei. Dies ist natürlich in höchstem Maße lächerlich, aber der „unvergleichliche Führer“ der Anarchisten, W. Tscherkesischwili, erzählt uns diese ergötzliche Geschichte mit solchem Aplomb, und ein gewisser Pierre Ramus, dieser leichtfertige „Apostel“ Tscherkesischwilis, und unsere hausbackenen Anarchisten wiederholen diese „Entdeckung“ mit solchem Eifer, dass es lohnt, wenigstens kurz auf diese „Geschichte“ einzugehen. Hören wir also Tscherkesischwili:
„So dass der ganze theoretische Teil des Kommunistischen Manifests, also der erste und zweite Abschnitt … einfach (bei V. Considérant) entliehen worden ist. Dieses Manifest von Marx und Engels, diese Bibel der legal-revolutionären Demokratie, ist eine sehr mittelmäßige Paraphrasierung … des Manifests von Considérant. Und nicht nur, dass Marx und Engels den Inhalt ihres Manifests in dem Manifest von Considérant fanden: sogar … die Titel der einzelnen Kapitel wurden von diesen Nachahmern beibehalten.“ (Siehe die gesammelten Artikel von Tscherkesischwili, Ramus und Labriola, die in deutscher Sprache unter dem Titel „Die Urheberschaft des Kommunistischen Manifests“ erschienen sind, S. 10.)
Das gleiche wiederholt auch ein anderer Anarchist, P. Ramus:
„Über allen Zweifel ist es erhaben, dass das hauptsächliche Wirken dieser beiden (Marx und Engels) in Plagiaten bestand, die gerade darum unverzeihlicher werden, als sie, statt wie andere Plagiatoren es zu machen pflegen, Wort für Wort das Original abzuschreiben, Ideen, Gedanken und Theorien von anderen Denkern plagiierten …“ (Ebenda S. 4.)
Das gleiche wiederholen auch unsere Anarchisten in „Nobati“, „Mascha“
[93], „Chma“
[94] usw.
Also ist, wie man erfährt, der wissenschaftliche Sozialismus mit seinen theoretischen Grundlagen aus dem „Manifest“ von Considérant „gestohlen“.
Gibt es irgendwelche Gründe für eine derartige Behauptung?
Wer ist V. Considérant?
Wer ist Karl Marx?
Der im Jahre 1893 verstorbene V. Considérant war ein Schüler des Utopisten Fourier und blieb ein unverbesserlicher Utopist, der die „Rettung Frankreichs“ in einer Versöhnung der Klassen sah.
Der im Jahre 1883 verstorbene Karl Marx war Materialist, ein Feind der „Utopisten, er sah das Unterpfand der Befreiung der Menschheit in der Entwicklung der Produktivkräfte und im „Kampf der Klassen.
Was haben sie beide miteinander gemein?
Die theoretische Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus ist die materialistische Theorie von Marx und Engels. Vom Standpunkt dieser Theorie wird die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens restlos bestimmt durch die Entwicklung der Produktivkräfte. Ist der Feudalordnung die bürgerliche Ordnung gefolgt, so lag die „Schuld“ hierfür daran, dass die Entwicklung der Produktivkräfte die Entstehung der bürgerlichen Ordnung unvermeidlich gemacht hatte. Oder aber: wird der heutigen bürgerlichen Ordnung unvermeidlich die sozialistische Ordnung folgen, so geschieht das, weil die Entwicklung der heutigen Produktivkräfte es erforderlich macht. Daraus entspringt die historische Notwendigkeit der Beseitigung des Kapitalismus und der Errichtung des Sozialismus. Daraus entspringt auch die marxistische These, dass wir unsere Ideale in der Entwicklungsgeschichte der Produktivkräfte, nicht aber in den Köpfen der Menschen suchen müssen.
Das ist die theoretische Grundlage des „Kommunistischen Manifests“ von Marx und Engels (siehe das „Kommunistische Manifest“, Kapitel I, II).
Sagt das „Demokratische Manifest“ von V. Considérant irgendetwas Derartiges? Steht Considérant auf materialistischem Standpunkt?
Wir behaupten, dass sowohl Tscherkesischwili als auch Ramus, und ebenso unsere „Nobatisten“ aus dem „Demokratischen Manifest“ Considérants keine einzige Äußerung, kein einziges Wort anführen, das bestätigen würde, dass Considérant Materialist gewesen wäre und die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens mit der Entwicklung der Produktivkräfte begründet hätte. Im Gegenteil, wir wissen sehr wohl, dass Considérant in der Geschichte des Sozialismus als utopischer Idealist bekannt ist (siehe Paul Louis, „Geschichte des Sozialismus in Frankreich“).
Was also veranlasst diese seltsamen „Kritiker“ zu ihrem leeren Geschwätz, weshalb machen sie sich an eine Kritik von Marx und Engels, wenn sie sogar unfähig sind, den Idealismus vom Materialismus zu unterscheiden? Etwa um die Menschen zu belustigen?…
Die taktische Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus ist die Lehre vom unversöhnlichen Klassenkampf, denn diese ist die beste Waffe in den Händen des Proletariats. Der Klassenkampf des Proletariats ist die Waffe, mit deren Hilfe es die politische Macht erobern wird, um dann die Bourgeoisie zu expropriieren und den Sozialismus zu errichten.
Das ist die taktische Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus, wie er im „Manifest“ von Marx und Engels dargelegt ist.
Wird irgendetwas Derartiges in dem „Demokratischen Manifest“ von Considérant gesagt? Erkennt Considérant den Klassenkampf als die beste Waffe in den Händen des Proletariats an?
Wie man aus den Artikeln von Tscherkesischwili und Ramus ersieht (siehe den oben erwähnten Sammelband), steht in Considérants „Manifest“ hierüber kein Wort – der Kampf der Klassen wird darin nur als eine bedauerliche Tatsache vermerkt. Was nun den Klassenkampf als das Mittel zur Beseitigung des Kapitalismus anbelangt, so sagt Considérant in seinem „Manifest“ hierüber folgendes:
„Kapital, Arbeit und Talent sind die drei Elemente der Produktion, die drei Quellen des Reichtums, die drei Räder des industriellen Mechanismus … Die drei Klassen, die sie vertreten, haben gemeinsame Interessen, und die Aufgabe ist die, die Maschinen für die Kapitalisten und für das Volk … arbeiten zu lassen. Man spreche endlich davon, die Vereinigung der „Klassen in der Einheit der Nation … zu organisieren!“ (Siehe die Broschüre K. Kautskys „Das Kommunistische Manifest – ein Plagiat“, S. 14, wo diese Stelle aus dem „Manifest“ Considérants angeführt wird.)
Alle Klassen, vereinigt euch! – diese Losung verkündet V. Considérant in seinem „Demokratischen Manifest“.
Was hat diese Taktik der „Versöhnung der Klassen mit der Taktik des unversöhnlichen Klassenkampfes von Marx und Engels gemein, wo doch Marx und Engels entschieden dazu aufrufen: Proletarier aller Länder, vereinigt euch gegen alle antiproletarischen „Klassen!?
Natürlich hat sie nichts mit ihr gemein!
Was für einen Unsinn reden also diese Herren Tscherkesischwili und ihre leichtfertigen Nachbeter! Halten sie uns denn für Leichname? Glauben sie denn etwa, dass wir ihnen nicht hinter ihre Schliche kommen?!
Schließlich ist noch ein Umstand von Interesse. V. Considérant lebte bis 1893. Im Jahre 1843 gab er sein „Demokratisches Manifest“ heraus. Ende 1847 schrieben Marx und Engels ihr „Kommunistisches Manifest“. Seit dieser Zeit ist das „Manifest“ von Marx und Engels in allen europäischen Sprachen wiederholt neu herausgegeben worden. Jedermann weiß, dass Marx und Engels mit ihrem „Manifest“ Epoche gemacht haben. Trotzdem haben weder Considérant noch seine Freunde irgendwo auch nur ein einziges Mal bei Lebzeiten von Marx und Engels erklärt, Marx und Engels hätten den „Sozialismus“ aus dem „Manifest“ von Considérant gestohlen. Ist das nicht seltsam, lieber Leser?
Was also veranlasst diese „induktiven“ Möchtegerne … Verzeihung – „Gelehrten“ -, dummes Zeug zu schwatzen? In wessen Namen sprechen sie? Kennen sie denn wirklich besser als Considérant dessen „Manifest“? Oder meinen sie vielleicht, V. Considérant und seine Anhänger hätten das „Kommunistische Manifest“ nicht gelesen?
Aber genug… Genug, denn auch die Anarchisten selbst schenken dem Don-Quichotte-Feldzug von Ramus und Tscherkesischwili keine ernste Aufmerksamkeit: allzu augenscheinlich ist nun einmal das ruhmlose Ende dieses lachhaften Feldzuges, als dass man ihm viel Aufmerksamkeit widmen könnte…
Gehen wir zur sachlichen Kritik über.
*
Die Anarchisten sind von einem krankhaften Hang besessen: sie lieben es sehr, die Parteien ihrer Gegner zu „kritisieren“, aber sie geben sich nicht die Mühe, diese Parteien auch nur einigermaßen kennen zulernen. Wir haben gesehen, dass die Anarchisten bei der „Kritik“ der dialektischen Methode und der materialistischen Theorie der Sozialdemokraten gerade so und nicht anders verfuhren (siehe Kapitel I und II). So verfahren sie auch, wenn sie die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus der Sozialdemokraten berühren.
Nehmen wir auch nur die folgende Tatsache. Wer wüsste nicht, dass zwischen den Sozialrevolutionären und den Sozialdemokraten prinzipielle Meinungsverschiedenheiten existieren. Wer wüsste nicht, dass die ersteren den Marxismus, die materialistische Theorie des Marxismus, seine dialektische Methode, sein Programm, den Klassenkampf ablehnen, während die Sozialdemokraten sich voll und ganz auf den Marxismus stützen? Für denjenigen, der auch nur mit einem halben Ohr von der Polemik zwischen der „Rewoluzionnaja Rossija“ (dem Organ der Sozialrevolutionäre) und der „Iskra“ (dem Organ der Sozialdemokraten) gehört hat, muss dieser prinzipielle Unterschied ganz von selbst augenscheinlich werden. Was aber wird man von denjenigen „Kritikern“ sagen, die diesen Unterschied nicht sehen und dauernd brüllen, sowohl die Sozialrevolutionäre als auch die Sozialdemokraten seien Marxisten? So behaupten die Anarchisten z. B., dass die „Rewoluzionnaja Rossija“ und die „Iskra“ beide marxistische Organe seien (siehe den Sammelband der Anarchisten „Brot und Freiheit“, S. 202).
Von solcher Art ist die „Bekanntschaft“ der Anarchisten mit den Prinzipien der Sozialdemokratie!
Hiernach ist es von selbst klar, wie tiefgründig ihre „wissenschaftliche Kritik“ ist…
Betrachten wir auch diese „Kritik“.
Die wichtigste „Beschuldigung“ der Anarchisten besteht darin, dass sie die Sozialdemokraten nicht als wirkliche Sozialisten anerkennen; ihr seid keine Sozialisten, ihr seid Feinde des Sozialismus, so werden sie nicht müde zu wiederholen.
Hören wir, was Kropotkin hierüber schreibt:
„Wir sind zu anderen Schlussfolgerungen gelangt als die meisten Ökonomen … der sozialdemokratischen Schule … Wir … gehen bis zum freien Kommunismus, während die meisten Sozialisten“ (gemeint sind auch die Sozialdemokraten. Der Verf.) „bis zum Staatskapitalismus und Kollektivismus gehen.“ (Siehe Kropotkin, „Die moderne Wissenschaft und der Anarchismus“, S. 74-75.)
Worin besteht nun der „Staatskapitalismus“ und „Kollektivismus“ der Sozialdemokraten?
Hören wir, was Kropotkin hierüber schreibt: „Die deutschen Sozialisten sagen, dass alle angehäuften Reichtümer in den Händen des Staates konzentriert werden müssen, der sie den Arbeiterassoziationen zur Verfügung stellen, die Erzeugung und den Austausch organisieren und das Leben und Wirken der Gesellschaft überwachen wird.“ (Siehe Kropotkin, „Reden eines Rebellen“, S. 64.) Und weiter:
„In ihren Projekten … machen die Kollektivisten … einen doppelten Fehler. Sie wollen die kapitalistische Ordnung beseitigen, zugleich aber zwei Einrichtungen beibehalten, die die Grundlage dieser Ordnung bilden: die repräsentative Verwaltung und die Lohnarbeit.“ (Siehe „Die Eroberung des Brotes“, S. 148.) … „Der Kollektivismus behält bekanntlich … die Lohnarbeit bei. Nur tritt… die repräsentative Regierung an die Stelle des Unternehmers…“ Die Repräsentanten dieser Regierung „behalten sich das Recht vor, den aus der Erzeugung gewonnenen Mehrwert im Interesse aller zu verwenden. Außerdem macht man in diesem System einen Unterschied … zwischen der Arbeit des Arbeiters und der Arbeit des gelernten Menschen: die Arbeit des ungelernten Arbeiters ist nach Ansicht des Kollektivisten einfache Arbeit, während der Handwerker, der Ingenieur, der Gelehrte u. a. das leisten, was Marx komplizierte Arbeit nennt, und ein Recht auf einen höheren Arbeitslohn haben“ (ebenda S. 52). Somit werden die Arbeiter die von ihnen benötigten Produkte nicht nach ihren Bedürfnissen erhalten, sondern „proportional zu den der Gesellschaft geleisteten Diensten“ (ebenda S. 157).
Das gleiche, nur mit größerem Aplomb, wiederholen auch die georgischen Anarchisten. Unter ihnen ragt durch seine Hemmungslosigkeit ein Herr Bâton besonders hervor. Er schreibt:
„Was ist der Kollektivismus der Sozialdemokraten? Der Kollektivismus oder, richtiger gesagt, der Staatskapitalismus, gründet sich auf das folgende Prinzip: Jeder muss so viel arbeiten, wie er will, oder so viel, wie der Staat bestimmt, wobei er den Gegenwert seiner Arbeit in Warenform als Entschädigung erhält…“ Also hier „ist eine gesetzgebende Versammlung notwendig…, ist (ferner) eine Vollzugsgewalt notwendig, d. h. Minister, allerlei Administratoren, Gendarmen und Spione, möglicherweise auch ein Heer, wenn es zu viele Unzufriedene gibt“ (siehe „Nobati“ Nr. 5, S. 68-69).
Das ist die erste „Beschuldigung“ der Herren Anarchisten gegen die Sozialdemokratie.
*
Aus den Gedankengängen der Anarchisten folgt also:
- Nach Ansicht der Sozialdemokraten wäre die sozialistische Gesellschaft unmöglich ohne eine Regierung, die als Hauptunternehmer die Arbeiter in Dienst stellt und unbedingt „Minister … Gendarmen, Spione“ haben wird. 2. In der sozialistischen Gesellschaft werde nach Ansicht der Sozialdemokraten die Teilung in „schwarze“ und „weiße“ Arbeit angeblich nicht aufgehoben werden, dort werde das Prinzip „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ verworfen und ein anderes Prinzip anerkannt werden: „Jedem nach seinen Verdiensten.“
Auf diesen beiden Punkten baut sich die „Beschuldigung“ der Anarchisten gegen die Sozialdemokratie auf.
Hat diese von den Herren Anarchisten aufgestellte „Beschuldigung“ irgendeine Grundlage?
Wir behaupten: Alles, was die Anarchisten in diesem Falle sagen, ist entweder ein Resultat ihrer Denkschwäche oder aber unwürdigen Klatsches.
Hier sind die Tatsachen.
Schon im Jahre 1846 sagte Karl Marx: „Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben …“ (Siehe „Das Elend der Philosophie“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1947, S. 188].)
Ein Jahr später sprachen Marx und Engels den gleichen Gedanken im „Kommunistischen Manifest“ aus („Kommunistisches Manifest“, Kap. II).
Im Jahre 1877 schrieb Engels: „Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft – ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem ändern überflüssig und schläft dann von selbst ein… Der Staat wird nicht ‚abgeschafft’, er stirbt ab.“ („Anti-Dühring“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1949, S. 347-348].)
Im Jahre 1884 schrieb der nämliche Engels: „Der Staat ist also nicht von Ewigkeit her. Es hat Gesellschaften gegeben, die ohne ihn fertig wurden, die von Staat … keine Ahnung hatten. Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung, die mit Spaltung der Gesellschaft in Klassen notwendig verbunden war, wurde … der Staat eine Notwendigkeit. Wir nähern uns jetzt mit raschen Schritten einer Entwicklungsstufe der Produktion, auf der das Dasein dieser Klassen nicht nur aufgehört hat, eine Notwendigkeit zu sein, sondern ein positives Hindernis der Produktion wird. Sie werden fallen, ebenso unvermeidlich, wie sie früher entstanden sind. „Mit ihnen fällt unvermeidlich der Staat. Die Gesellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Assoziation der Produzenten neu organisiert, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird: ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt.“ (Siehe „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1946, S. 146].)
Das gleiche wiederholt Engels im Jahre 1891 (siehe Einleitung zum „Bürgerkrieg in Frankreich“ [deutsche Neuausgabe Berlin 1949]).
Wie man sieht, ist nach Ansicht der Sozialdemokraten die sozialistische Gesellschaft eine Gesellschaft, in der es keinen Platz geben wird für den so genannten Staat, die politische Gewalt mit ihren Ministern, Gouverneuren, Gendarmen, Polizisten und Soldaten. Die letzte Etappe der Existenz des Staates wird die Periode der sozialistischen Revolution sein, in der das Proletariat die Staatsgewalt in seine Hände nimmt und seine eigene Regierung (Diktatur) schafft, um die Bourgeoisie endgültig zu vernichten. Wenn aber die Bourgeoisie vernichtet ist, wenn die Klassen vernichtet sind, wenn der Sozialismus sich durchgesetzt hat, dann bedarf es keiner politischen Gewalt mehr, und der so genannte Staat wird der Geschichte angehören.
Wie man sieht, ist die erwähnte „Beschuldigung“ der Anarchisten ein jeder Grundlage entbehrender Klatsch.
Was nun den zweiten Punkt der „Beschuldigung“ anbelangt, so sagt Karl Marx hierüber folgendes:
„In einer höhern Phase der kommunistischen (d. h. sozialistischen) Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit… selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind… erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ („Kritik des Gothaer Programms“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1946, S. 21].)
Wie man sieht, ist nach Ansicht von Marx die höhere Phase der kommunistischen (d. h. sozialistischen) Gesellschaft eine Ordnung, in der die Teilung in „schwarze“ und „weiße“ Arbeit und der Gegensatz zwischen geistiger und körperlicher Arbeit restlos beseitigt, die Arbeit gleichgestellt ist und in der Gesellschaft das wahrhaft kommunistische Prinzip herrscht: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Hier gibt es keinen Platz für die Lohnarbeit.
Es ist klar, dass auch diese „Beschuldigung“ jeder Begründung entbehrt.
Von zwei Dingen eins: entweder haben die Herren Anarchisten die oben erwähnten Schriften von Marx und Engels niemals vor Augen gehabt und befassen sich mit „Kritik“ nach dem Hörensagen, oder aber sie kennen die erwähnten Schriften von Marx und Engels, und lügen wissentlich.
Das ist das Schicksal der ersten „Beschuldigung“.
*
Die zweite „Beschuldigung“ der Anarchisten besteht darin, dass sie den revolutionären Charakter der Sozialdemokratie leugnen. Ihr seid keine Revolutionäre, ihr lehnt die gewaltsame Revolution ab, ihr wollt den Sozialismus nur vermittels der Stimmzettel errichten, sagen uns die Herren Anarchisten.
Man höre:
„…Die Sozialdemokraten … lieben es, über das Thema ‚Revolution’, ‚Revolutionärer Kampf’, ‚Kampf mit der Waffe in der Hand’ zu deklamieren… Verlangt ihr aber in der Einfalt eures Gemüts von ihnen Waffen, so geben sie euch feierlich ein Zettelchen zur Stimmabgabe bei den Wahlen…“ „Sie versichern, dass ,die einzig zweckmäßige Taktik, die Revolutionären ansteht, der friedliche und legale Parlamentarismus mit dem Treueid an den Kapitalismus, die einmal eingeführte Staatsmacht und die ganze existierende bürgerliche Ordnung ist´.“ (Siehe Sammelband „Brot und Freiheit“, S. 21, 22-23.)
Das gleiche sagen die georgischen Anarchisten, selbstverständlich mit noch größerem Aplomb. Man nehme doch nur Baton, der da schreibt:
„Die ganze Sozialdemokratie … erklärt offen, dass der Kampf mit Hilfe des Gewehrs und der Waffen eine bürgerliche Methode der Revolution sei und dass die Parteien nur vermittels der Stimmzettel, nur vermittels allgemeiner Wahlen die Macht erobern und dann über die parlamentarische Mehrheit und die Gesetzgebung die Gesellschaft umbilden können.“ (Siehe „Die Eroberung der Staatsmacht“, S. 3-4.)
So sprechen die Herren Anarchisten von den Marxisten.
Hat diese „Beschuldigung“ irgendeinen Grund?
Wir erklären, dass die Anarchisten auch hier ihre Unwissenheit und ihre Vorliebe für Klatschereien bewähren.
Hier sind die Tatsachen.
Karl Marx und Friedrich Engels schrieben schon Ende 1847:
„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ (Siehe das „Manifest der Kommunistischen Partei“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1948, S. 50]. In einigen legalen Ausgaben sind in der Übersetzung mehrere Worte ausgelassen.)
Im Jahre 1850, in Erwartung einer neuen Erhebung in Deutschland, schrieb Karl Marx an die damaligen deutschen Genossen:
„Die Waffen und die Munition dürfen unter keinem Vorwand aus den Händen gegeben … werden, die Arbeiter müssen … versuchen, sich selbständig als proletarische Garde, mit selbst gewählten Chefs und eigenem selbst gewählten Generalstabe zu organisieren…“ Und dies sei es, was das Proletariat „während und nach dem bevorstehenden Aufstand im Auge zu behalten hat“. (Siehe den „Kölner Prozess“, Ansprache von Marx an die Kommunisten.)
[95]
In den Jahren 1851-52 schrieben Karl Marx und Friedrich Engels: „…hat man einmal den Weg des Aufstands beschriften, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands … überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge … zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können; um mit den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik zu sprechen: de l’audace, de l’audace, encore de l’audace!“ [Kühnheit, Kühnheit und abermals Kühnheit!] („Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1949, S.119].)
Wir glauben, dass hier nicht nur von „Stimmzetteln“ die Rede ist. Schließlich erinnere man sich der Geschichte der Pariser Kommune, man erinnere sich, wie friedlich die Kommune vorging, als sie, sich mit dem Sieg in Paris zufrieden gebend, auf die Offensive gegen Versailles, gegen dieses Nest der Konterrevolution, verzichtete. Was, glaubt man, hat Marx damals gesagt? Hat er die Pariser zu Wahlen aufgerufen? Hat er die Sorglosigkeit der Pariser Arbeiter gebilligt (ganz Paris war in den Händen der Arbeiter), hat er ihre gutmütige Haltung gegenüber den besiegten Versaillern gebilligt? Man höre Marx:
„Welche Elastizität, welche historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit in diesen Parisern! Nach sechsmonatlicher Aushungerung … erheben sie sich, unter preußischen Bajonetten… Die Geschichte hat kein ähnliches Beispiel ähnlicher Größe! Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran schuld, als ihre ‚Gutmütigkeit’. Es galt gleich nach Versailles zu marschieren, nachdem erst Vinoy, dann der reaktionäre Teil der Pariser Nationalgarde selbst das Feld geräumt hatte. Der richtige Moment wurde versäumt aus Gewissensskrupel. Man wollte den Bürgerkrieg nicht eröffnen, als ob der rnischievous avorton (die bösartige Mißgeburt) Thiers den Bürgerkrieg nicht mit seinem Entwaffnungsversuch von Paris bereits eröffnet gehabt hätte!“ („Briefe an Kugelmann“.)
[96]
So dachten und handelten Karl Marx und Friedrich Engels.
So denken und handeln die Sozialdemokraten.
Die Anarchisten aber behaupten immer wieder: Marx und Engels und ihre Anhänger interessieren sich nur für den Stimmzettel – sie erkennen gewaltsame revolutionäre Aktionen nicht an!
Wie man sieht, ist auch diese „Beschuldigung“ ein Klatsch, der die Unwissenheit der Anarchisten hinsichtlich des Wesens des Marxismus enthüllt.
Das ist das Schicksal der zweiten „Beschuldigung“.
*
Die dritte „Beschuldigung“ der Anarchisten besteht darin, dass sie der Sozialdemokratie die Volksverbundenheit absprechen, dass sie die Sozialdemokraten als Bürokraten hinstellen und behaupten, der sozialdemokratische Plan der Diktatur des Proletariats sei der Tod der Revolution, wobei die Sozialdemokraten, soweit sie für eine solche Diktatur eintreten, in der Praxis nicht die Diktatur des Proletariats, sondern ihre eigene Diktatur über das Proletariat errichten wollten.
Man höre Herrn Kropotkin:
„Wir Anarchisten haben der Diktatur das endgültige Urteil gesprochen … Wir wissen, dass jede Diktatur, und wenn sie noch so ehrliche Absichten hat, zum Tode der Revolution führt. Wir wissen…, dass die Idee der Diktatur nichts anderes ist als ein übles Produkt des Regierungsfetischismus, der … stets bestrebt war, die Sklaverei zu verewigen.“ (Siehe Kropotkin, „Reden eines Rebellen“, S. 131.) Die Sozialdemokraten erkennten nicht nur die revolutionäre Diktatur an, sondern sie seien „Anhänger der Diktatur über das Proletariat… Die Arbeiter interessieren sie nur insoweit, als sie eine disziplinierte Armee in ihren Händen sind… Die Sozialdemokratie ist bestrebt, vermittels des Proletariats die Staatsmaschine in ihre Hände zu nehmen.“ (Siehe „Brot und Freiheit“, S. 62, 63.)
Das gleiche sagen die georgischen Anarchisten:
„Die Diktatur des Proletariats im direkten Sinne ist ganz unmöglich, da die Anhänger der Diktatur Staatsanhänger sind und ihre Diktatur nicht die freie Tätigkeit des ganzen Proletariats sein wird, sondern die Errichtung der nämlichen auch jetzt existierenden repräsentativen Staatsmacht an der Spitze der Gesellschaft.“ (Siehe Bâton, „Die Eroberung der Staatsmacht“, S. 45.) Die Sozialdemokraten seien für die Diktatur, nicht um die Befreiung des Proletariats zu fördern, sondern um – „durch ihre Herrschaft eine neue Sklaverei zu errichten“. (Siehe „Nobati“ Nr. l, S.5, Bâton.)
Das ist die dritte „Beschuldigung“ der Herren Anarchisten.
Es bedarf keiner großen Mühe, um diese neueste Verleumdung der Anarchisten, mit der sie den Leser betrügen wollen, zu entlarven.
Wir werden uns hier nicht mit einer Untersuchung der durchaus irrigen Ansicht Kropotkins befassen, derzufolge jede Diktatur den Tod der Revolution bedeutet. Hiervon werden wir später sprechen, wenn wir die Taktik der Anarchisten vornehmen. Jetzt wollen wir nur die „Beschuldigung“ selbst streifen.
Schon Ende 1847 sagten Karl Marx und Friedrich Engels, dass das Proletariat, um den Sozialismus errichten zu können, die politische Diktatur erobern muss, damit es mit Hilfe dieser Diktatur die konterrevolutionären Vorstöße der Bourgeoisie zurückschlage und ihr die Produktionsmittel entreiße, dass diese Diktatur nicht die Diktatur einiger Personen, sondern die Diktatur des ganzen Proletariats als Klasse sein muss:
„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des … als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren…“ (Siehe „Kommunistisches Manifest“ [deutsche Neuausgabe, Berlin 1948, S. 31].)
Dies heißt, die Diktatur des Proletariats wird die Diktatur der ganzen Klasse des Proletariats über die Bourgeoisie sein, nicht aber die Herrschaft einiger Personen über das Proletariat.
In der Folgezeit wiederholen sie den gleichen Gedanken fast in allen ihren Werken, z. B. im „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte“, in den „Klassenkämpfen in Frankreich“, im „Bürgerkrieg in Frankreich“, in „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“, im „Anti-Dühring“ und in anderen Schriften.
Aber das ist noch nicht alles. Um klarzustellen, wie Marx und Engels die Diktatur des Proletariats auffassten, um klarzustellen, wie sehr sie diese Diktatur für realisierbar hielten, ist es höchst interessant, ihre Haltung zur Pariser Kommune zu kennen. Die Sache ist die, dass die Diktatur des Proletariats nicht nur unter den Anarchisten auf Einwände stößt, sondern auch unter den städtischen Kleinbürgern, darunter allerlei Fleischern und Kneipenwirten – unter allen denjenigen, die von Marx und Engels als Philister bezeichnet wurden. Hören wir, was Engels, an solche Philister gewandt, über die Diktatur des Proletariats sagte:
„Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“ (Siehe „Der Bürgerkrieg in Frankreich“. Einleitung von Engels.)
[97]
Wie man sieht, stellte Engels sich die Diktatur des Proletariats nach dem Vorbild der Pariser Kommune vor.
Es ist klar, dass jeder, der erfahren möchte, was die Diktatur des Proletariats in der Vorstellung der Marxisten ist, sich mit der Pariser Kommune bekannt machen muss. Wenden auch wir uns der Pariser Kommune zu. Wenn sichh herausstellen sollte, dass die Pariser Kommune wirklich die Diktatur einzelner Personen über das Proletariat war, dann nieder mit dem Marxismus, nieder mit der Diktatur des Proletariats! Wenn wir dagegen sehen, dass die Pariser Kommune in der Tat die Diktatur des Proletariats über die Bourgeoisie war, dann … dann werden wir von ganzem Herzen die anarchistischen Klatschbasen auslachen, denen im Kampf gegen die Marxisten nichts anderes zu tun übrig bleibt, als Klatschereien auszuhecken.
Die Geschichte der Pariser Kommune kennt zwei Perioden: die erste Periode, als die Angelegenheiten in Paris durch das bekannte „Zentralkomitee“ geleitet wurden, und die zweite Periode, als nach Ablauf der Vollmachten des „Zentralkomitees“ die Leitung der Angelegenheiten an die soeben gewählte Kommune überging. Was stellte das „Zentralkomitee“ dar, aus was für Leuten bestand es? Vor uns liegt die „Volkstümliche Geschichte der Pariser Kommune“ von Arthur Arnould, die, wie der Verfasser sagt, diese Frage kurz beantwortet. Der Kampf hatte eben erst begonnen, als an die 300000 Pariser Arbeiter, die sich in Kompanien und Bataillonen organisiert hatten, aus ihrer Mitte Delegierte wählten. So wurde das „Zentralkomitee“ ins Leben gerufen.
„Alle diese Bürger“ (die Mitglieder des „Zentralkomitees“), „die in den Teilwahlen ihrer Kompanien oder ihrer Bataillone gewählt worden waren“, sagt Arnould, „waren nur der kleinen Gruppe bekannt, die sie delegiert hatte. Was waren das für Leute, was stellten sie vor und was wollten sie tun?“ Sie waren „eine anonyme Regierung, die fast ausschließlich aus einfachen Arbeitern oder kleinen Angestellten bestand, deren Namen zu drei Vierteln außerhalb des Umkreises ihrer Straße oder ihrer Werkstatt kaum bekannt waren… Es wurde mit der Tradition gebrochen. Etwas Unerwartetes war in der Welt vor sich gegangen. Hier gab es kein einziges Mitglied der herrschenden Klassen. Es brach eine Revolution aus, die weder durch einen Advokaten noch durch einen Deputierten, weder durch einen „Journalisten noch durch einen General vertreten wurde. An ihrer Stelle standen ein Bergmann aus Creuzot, ein Buchbinderarbeiter, ein Koch) usw.“ (Siehe „Volkstümliche Geschichte der Pariser Kommune“, S. 107.)
Arthur Arnould fährt fort:
,,’Wir’ (so erklärten die Mitglieder des „Zentralkomitees“), ‚sind unscheinbare Organe, gehorsame Werkzeuge des angegriffenen Volkes … Wir sind Diener des Volkswillens, wir stehen hier, um ihm als Echo zu dienen, um es zum Triumph zu führen. Das Volk will die Kommune, und wir bleiben da, um zu den Kommunewahlen zu schreiten.´ Nicht mehr und nicht weniger. Diese Diktatoren stellen sich nicht über die Menge und stehen nicht außerhalb der Menge. Man fühlt, dass sie mit ihr, in ihr, durch sie leben, dass sie sich jede Sekunde mit ihr beraten, dass sie sie anhören und das, was sie hören, weitersagen, nur bestrebt, den Willen von dreihunderttausend Menschen in einigen prägnanten Worten zu verdolmetschen.“ (Ebenda S. 109.)
So verhielt sich die Pariser Kommune in der ersten Periode ihres Bestehens.
Das war die Pariser Kommune.
Das ist die Diktatur des Proletariats.
Gehen wir jetzt zu der zweiten Periode der Kommune über, als an Stelle des „Zentralkomitees“ die Kommune wirkte. Arnould spricht von diesen beiden Perioden, die zwei Monate gedauert haben, und ruft begeistert aus, dies sei eine wahre Diktatur des Volkes gewesen. Man höre:
„Hier, in dem großartigen Schauspiel, das dieses Volk zwei Monate lang bot, schöpfen wir genügend Kraft und Zuversicht, um … der Zukunft ins Auge zu blicken. Während dieser beiden Monate gab es in Paris eine wahre Diktatur, die vollste sowohl wie die unbestrittenste … Diktatur nicht eines einzigen Menschen, sondern des Volkes, des einzigen Herrn der Lage… Diese Diktatur dauerte mehr als zwei Monate ohne Unterbrechung, vom 18.März bis zum 22.Mai (1871)…“ An und für sich „… war die Kommune nur eine moralische Macht und hatte keine andere materielle Kraft, als die allgemeine Zustimmung der Bürger, das Volk war der Machthaber, der einzige Machthaber, es war sich selbst Polizei und Magistrat…“ (Ebenda S. 242, 244.)
So charakterisiert die Pariser Kommune ein Mitglied der Kommune, das aktiv an ihren Straßenkämpfen teilgenommen hat, Arthur Arnould.
Ebenso charakterisiert die Pariser Kommune ein anderes ihrer Mitglieder, das ebenfalls einer ihrer aktiven Teilnehmer war, Lissagaray (siehe sein Buch „Geschichte der Pariser Kommune“).
Das Volk als „einziger Machthaber“, „nicht die Diktatur eines Menschen, sondern des ganzen Volkes“ – das war die Pariser Kommune.
„Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats“, rief Engels aus, den Philistern zur Kenntnis.
Das also ist die Diktatur des Proletariats in der Vorstellung von Marx und Engels.
Wie man sieht, sind die Herren Anarchisten mit der Diktatur des Proletariats, mit der Pariser Kommune, mit dem Marxismus, den sie dauernd „kritisieren“, genau so bekannt, wie wir beide, lieber Leser, mit den chinesischen Hieroglyphen.
Es ist klar, dass es zwei Arten von Diktaturen gibt. Es gibt eine Diktatur der Minderheit, die Diktatur einer kleinen Gruppe, die Diktatur der Trepows und Ignatjews, die gegen das Volk gerichtet ist. An der Spitze dieser Diktatur steht gewöhnlich eine Kamarilla, die geheime Beschlüsse fasst und der Mehrheit des Volkes die Schlinge um den Hals zusammenzieht.
Die Marxisten sind die Feinde dieser Diktatur, wobei sie gegen diese Diktatur viel hartnäckiger und selbstloser kämpfen als unsere Schreihälse von Anarchisten.
Es gibt auch eine Diktatur anderer Art, die Diktatur der proletarischen Mehrheit, die Diktatur der Masse, die gegen die Bourgeoisie, gegen die Minderheit gerichtet ist. Hier steht an der Spitze der Diktatur die Masse, hier gibt es keinen Platz für eine Kamarilla noch für geheime Beschlüsse, hier geschieht alles offen, auf der Straße, in Versammlungen, und das, weil dies die Diktatur der Straße, der Masse ist, eine gegen alle Unterdrücker gerichtete Diktatur.
Eine solche Diktatur unterstützen die Marxisten „mit beiden Händen“, und das, weil eine solche Diktatur der grandiose Anfang der großen sozialistischen Revolution ist.
Die Herren Anarchisten haben diese beiden einander negierenden Diktaturen verwechselt und sind deshalb in eine lächerliche Lage geraten: sie bekämpfen nicht den Marxismus, sondern ihr eigenes Phantasiegebilde, sie schlagen sich nicht mit Marx und Engels, sondern mit Windmühlen, wie das seinerzeit Don Quichotte seligen Angedenkens getan hat…
Das ist das Schicksal der dritten „Beschuldigung“. (Fortsetzung folgt)
(Eine Fortsetzung ist in der Presse nicht erschienen, da das Zentralkomitee der Partei Genossen Stalin Mitte 1907 zur Parteiarbeit nach Baku entsandte, wo er nach einigen Monaten verhaftet wurde; die Aufzeichnungen zu den letzten Kapiteln des Werkes „Anarchismus oder Sozialismus?“ gingen bei der Haussuchung verloren. Die Red.)
Achali Drojeba“ („Neue Zeit“) Nr. 5, 6, 7 und 8;
11, 18., 25. Dezember 1906 und 1. Janua 1907.
„Tschweni Zchowreba“ („Unser Leben“) Nr. 3, 5, 8 und 9;
21., 23., 27. und 28. Februar 1907.
„Dro“ („Die Zeit“) Nr. 21, 22, 23 und 26;
4., 5., 6., und 10. April 1907.
Unterschrift: Ko. .
Nach der autorisierten russischen Übersetzung aus dem Georgischen.
Quelle: J.W. Stalin Werke Band 1, Berlin/DDR, 1950, S. 287-323