Donnerstag, 9. April 2015
Geschlossen unter deutscher Führung
BERLIN/ATHEN
(german-foreign-policy vom 08.04.2015) – Vor dem heutigen Moskau-Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras setzt Berlin Athen heftig unter Druck. Es sei „nicht akzeptabel“, wenn Griechenland im Gegenzug gegen etwaige russische Finanzhilfen von der deutsch geprägten Sanktionspolitik der EU gegen Russland abweiche, warnt der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Ähnlich äußern sich weitere Funktionsträger des Bundestages sowie der EU-Kommission. Athen hat in den vergangenen Monaten keinen Zweifel daran gelassen, dass es die Boykottmaßnahmen gegen Moskau für „unsinnig“ hält und bereit ist, bei Bedarf offen gegen sie zu opponieren. Beobachter weisen darauf hin, dass kürzlich Zypern in ähnlicher Situation Russland als Gegenleistung für Finanzhilfen ein Militärabkommen gewährt hat, das deutschen Plänen diametral zuwiderläuft. In Berlin gilt dies auch deshalb als misslich, weil die EU, wie Parlamentspräsident Schulz erklärt, nur bei außenpolitischer Geschlossenheit zur „Weltmacht“ unter deutscher Führung werden kann. Die ökonomisch weg brechenden Ränder der EU drohen Berlin und Brüssel, die ihre Interessen ignorieren, in höchster Not diese Geschlossenheit zu verweigern.
Auf der Suche nach Hilfe
Spekulationen über russische Hilfen für das seit Jahren von Krise und EU-Spardiktaten gebeutelte Griechenland gingen dem heutigen Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Moskau voraus. Athen muss am morgigen Donnerstag eine Kreditrate in Höhe von 450 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen, steht allerdings vor dem Staatsbankrott. In Athen ist in den vergangenen Wochen diskutiert worden, sich von Staaten außerhalb der EU Unterstützung zu besorgen, da Brüssel auch weiterhin nennenswerte Erleichterungen für Griechenland ablehnt. Genannt wurden neben Russland und China auch die USA, die ihrerseits massive Kritik an der deutsch inspirierten Austeritätspolitik der EU geäußert haben.[1] Jenseits unmittelbarer Finanzhilfen sind auch andere Schritte im Gespräch. So heißt es, Athen könne Moskau um eine Ausnahme bei seinen Gegensanktionen bitten, die die Einfuhr von Lebensmitteln aus der EU nach Russland untersagen. Die griechischen Exporte sind ihretwegen empfindlich geschrumpft; Experten beziffern den Verlust, den griechische Landwirte hinnehmen mussten, auf mittlerweile fast eine halbe Milliarde US-Dollar.
Erdgas-Probleme
Vor allem aber ist eine engere griechisch-russische Zusammenarbeit auf dem Erdgassektor im Gespräch. Wie zu hören ist, will Athen Moskau um eine Senkung des – vergleichsweise hohen – Gaspreises bitten, den es gegenwärtig zahlt. Unklar ist, welche Gegenleistungen es anbietet. Einem Einstieg von Gazprom beim Erdgaskonzern Depa hat die griechische Regierung schon 2013 eine Absage erteilt; die jetzige Regierung steht dem Ausverkauf von Staatsunternehmen prinzipiell äußerst kritisch gegenüber. Als Option gilt jedoch die Vergabe von Explorationsrechten für Öl- und Gasfelder vor der griechischen Westküste und auf Kreta an russische Firmen. Zudem bietet Athen Moskau Zusammenarbeit bei dessen neuem Pipelineprojekt „Turkish Stream“ an. Das Vorhaben soll die „South Stream“-Pipeline ersetzen, die sibirisches Gas durch das Schwarze Meer nach Bulgarien leiten sollte, wegen der hartnäckigen Obstruktionspolitik der EU aber von Moskau gestoppt wurde (german-foreign-policy.com berichtete [2]). „Turkish Stream“ wird den Rohstoff nun zur Weiterverteilung in die Türkei transportieren, was in Berlin und Brüssel als recht nachteilig gilt, weil dadurch Ankaras Bedeutung für die EU-Energieversorgung steigt, während die Spannungen zwischen der EU und der Türkei seit Jahren deutlich zunehmen.[3] Athen bietet jetzt an, mit einer neuen Pipeline das Erdgas aus der Türkei an die südlichen EU-Staaten weiterzuleiten. Weil dies der griechischen Regierung neuen Einfluss verschaffen würde, wird es in Berlin und Brüssel ebenfalls als unvorteilhaft eingestuft. Alternativen sind jedoch nicht in Sicht.
Das falsche Pferd
Um jeden Preis vermeiden will Berlin, dass Athen als Gegenleistung gegen eine etwaige Unterstützung aus Moskau die EU-Sanktionen gegen Russland zu Fall bringt. Die griechische Regierung hat mehrfach klargestellt, dass sie die Boykottmaßnahmen für verfehlt hält.[4] Ministerpräsident Tsipras hat sie letzte Woche explizit als „Sackgasse“ und als „sinnlos“ bezeichnet und angekündigt, ihnen bei Bedarf die griechische Zustimmung zu entziehen.[5] Berlin und Brüssel reagieren mit massivem Druck. „Es ist klar, dass Russland keine Alternative für Griechenland ist“, wird der EU-Währungskommissar Pierre Moscovici zitiert.[6] Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), erklärt, Athen setze, sofern es in Moskau sein „Seelenheil“ suche, „aufs falsche Pferd“. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), warnt den griechischen Ministerpräsidenten davor, die EU-Staaten „zu verprellen“: Es sei „nicht akzeptabel“, wenn durch griechische Absprachen mit Moskau „die einheitliche Haltung Europas etwa in der Russland-Politik aufs Spiel gesetzt wird“.[7]
Das Beispiel Zypern
Die Warnungen, die der politischen Souveränität Griechenlands Hohn sprechen, sollen einerseits russische Positionsgewinne verhindern. Während manche Experten der Meinung sind, Athen benutze die „russische Karte“ lediglich, um seine Position im Machtpoker mit der EU zu verbessern, weisen andere auf das Beispiel Zypern hin. Das Land hat Moskau im Gegenzug für russische Finanzhilfen Ende Februar ein Abkommen über die militärische Nutzung des Hafens Limassol und des Luftwaffenstützpunkts „Andreas Papandreou“ bei Paphos gewährt. Demnach dürfen russische Kriegsschiffe den Hafen, russische Kampfflugzeuge den Luftwaffenstützpunkt künftig für „humanitäre Operationen“ sowie „in Krisensituationen“ nutzen.[8] Dies verschafft der russischen Marine, die seit gut zwei Jahren regelmäßig im Mittelmeer kreuzt, neue Spielräume und erweitert den Einsatzradius der russischen Luftwaffe erheblich. Die Ausdehnung russischer Machtprojektion im Mittelmeerraum läuft den Bemühungen der EU zuwider, Russland empfindlich zu schwächen. Ermöglicht hat den russischen Erfolg die systematische Ignoranz der EU gegenüber zypriotischen Interessen, die das kleine Mittelmeerland auf der Suche nach Finanzhilfen zur Annäherung an Russland getrieben hat. Ähnliches könne durchaus auch mit Athen geschehen, heißt es nun in Berlin.
Weltmacht? Ja, klar!
Andererseits soll der massive Druck aus Berlin und Brüssel allgemein die außenpolitische Formierung der EU stützen. „Das geschlossene Auftreten der EU in der Sanktionsfrage“ sei „ein großer außenpolitischer Erfolg“, erklärt Europaparlaments-Präsident Martin Schulz; sämtlichen Bestrebungen, die diese Geschlossenheit gefährdeten, müsse man sich „mit allen Mitteln entgegenstellen“. Nur mit einer einheitlichen Politik könne die EU ihr Machtpotenzial voll entfalten. Ökonomisch sei die EU bereits eine „Weltmacht“; auf die Frage, ob sie es auch politisch werden könne, antwortet Schulz: „Ja, klar!“[9] Brüssel könne sich dabei sogar von Washington „emanzipieren“; allerdings müsse es dazu seine „gemeinsamen Interessen definieren“. Dass dies unter deutscher Anleitung geschieht, ist für den Parlamentspräsidenten ausgemacht: „Deutschland hat seine Führungsrolle bewusst angenommen“.
[1] S. auch Souveräne Rechte: Null und nichtig und Unter der deutschen Rute (II).
[2] S. dazu Die geplatzte Pipeline, Die Widersprüche der EU und Die geplatzte Pipeline (II).
[3] S. dazu Islamisten als Partner.
[4] S. dazu Europas Seele.
[5] Tsipras macht Gutwetter in Russland. www.n-tv.de 31.03.2015.
[6] Bernd Riegert: Griechenlands Flirt mit Russland. www.dw.de 01.04.2015.
[7] EU-Parlamentspräsident Schulz warnt Tsipras. www.spiegel.de 04.04.2015.
[8] Nick Brauns: Russischer Coup. junge Welt 27.02.2015.
[9] „Wenn wir das schaffen, wird Europa eine Weltmacht“. www.zeit.de 01.04.2015.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59086
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