Donnerstag, 20. Juni 2019

Heurigenrepublik Österreich? Prost! (Dieter Braeg)


War’s das? Nein! Man muss mit Bundeskanzler Kurz anfangen. Haben eigentlich die Medien, auch Spiegel und Süddeutsche Zeitung, kritische Worte verloren, als die FPÖ das Verteidigungsministerium und das Innenministerium zugesprochen bekamen? Dass die Kurz-Partei ÖVP dann auch noch das Justizministerium mit einem ehemaligen FPÖler besetzte, war kaum Inhalt von Erörterungen am Anfang dieser österreichischen Regierung. Heer, Polizei und Innenministerei – alles in der Hand reaktionärer Nationalisten? Es herrschte Schweigen in der österreichischen Medienlandschaft. Was noch auffällt: Die doch recht große Mitgliedschaft in allen österreichischen politischen Parteien spielt keine Rolle, auch nicht in der Berichterstattung. Die Meinung der Mitglieder ist nicht gefragt. Innerparteiliche Demokratie hat in der österreichischen Parteienlandschaft noch nie eine große Rolle gespielt.

Kommen wir zu Ibiza. Die Kronen Zeitung, Österreichs größtes Boulevardblatt, stellt auf der Titelseite ihrer Sonntagsausgabe vom 19. Mai fest: »DAS War’s.« Als Titelbild sieht man Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache, die noch bis Freitagmittag, den 17. Mai, die »erfolgreichste« Regierung Österreichs zu verantworten hatten: mit Einführung der 60-Stundenwoche (fast ohne Protest der Sozialdemokratie und Gewerkschaften), Abschaffung der Notstandshilfe, Durchlöcherung der Arbeitslosenversicherung und Verpflichtung der Arbeitslosen darauf, jede erdenkliche Arbeit zu akzeptieren. Nach der altbewährten Methode wurden alle gegeneinander ausgespielt: Alte gegen Junge, Alleinerziehende gegen Verheiratete, Menschen auf dem Land gegen Menschen in der Stadt, Menschen mit österreichischem Pass gegen jene ohne, Gesunde gegen Kranke, Raucherinnen und Raucher gegen Nichtraucherinnen und Nichtraucher. Die sowieso schon schwache gesellschaftliche Solidarität sollte komplett zerstört werden. Besonders ekelerregend war die rassistische Propaganda der ÖVP-FPÖ-Regierung.

Auf der Tagesordnung der ÖVP-FPÖ-Regierung standen weitere Vorhaben. Sie wollte die Wettbewerbsfähigkeit in die Verfassung schreiben und die Umweltgesetzgebung zahnlos machen. Arbeiterkammern zu politisch wirkungslosen Serviceorganisationen umbauen und die Gewerkschaften substantiell schwächen. Sie wollte die Kollektivverträge aushöhlen und ihre Reichweite einschränken. Sie wollte die Position der Mieterinnen und Mieter gegenüber den Immobilieneigentümern weiter schwächen. Die schon beschlossene »Steuerreform« bevorzugt die Wohlhabenden und Reichen mit neuen Steuererlässen.

Plötzlich taucht aus den unergründlichen Welten des Spiegel und der Süddeutschen Zeitungein Video auf. Gedreht in einer feinen Villa auf Ibiza. Da hört man zwei feine FPÖ-Männer, einer stammelt ein wenig Russisch, jene Pläne erörtern, die Adolf Hitler am 30. Februar 1933 nach der Machtübergabe mit 27 Industriellen, die schon vorher reichlich für Hitlers Wahlkampf gespendet hatten, viel erfolgreicher umsetzte. Ohne Pseudooligarchin und viel Alkohol kam es zum Ermächtigungsgesetz.

Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen verkündete sein Entsetzen und versprach, dass die »Exekutive raschest zu ermitteln« habe. Nur – das dortige Personal ist längst stark FPÖ-lastig. Die beiden FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, die wahrscheinlich in Anlehnung an die k&k Monarchie eine Kurz/Strache/Orban-Republik errichten wollten, bekamen schließlich von Bundeskanzler Sebastian Kurz mitgeteilt: »Genug ist genug!« Kurz brauchte bis Samstagabend, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Vorher war wohl versucht worden, die Koalition fortzusetzen. Innenminister Herbert Kickl sollte gehen. Das lehnte die FPÖ ab. Da Strache und Gudenus zurückgetreten waren, wollte die FPÖ die Sache so aussehen lassen, als habe sie die Konsequenzen aus den Ibiza-Videos gezogen – und nicht Bundeskanzler Kurz. Die Ibiza-Mauschelei als »bsoffene Gschicht« zu verharmlosen dürfte fehlschlagen, dazu waren Sprache und Gestik der Beteiligten zu eindeutig und konsequent.

Der Strache-Nachfolger an der FPÖ-Spitze ist nun Norbert Hofer. Da Innenminister Kickl auf Vorschlag von Bundeskanzler Kurz vom Bundespräsidenten entlassen wurde, überschlagen sich die Ereignisse in Österreich. Kickls Ministerium wäre als Wahlbehörde für die Vorbereitung der vorgezogenen Nationalratswahl verantwortlich (derzeit wird über einen Wahltermin im September diskutiert, als wahrscheinlichster Termin gilt derzeit der 15. September).

Inzwischen (Stand 23.5.2019) traten alle FPÖ-Ministerinnen und -Minister zurück, und Bundeskanzler Sebastian Kurz will diese Ministerien mit »Experten« besetzen. Die Liste »Jetzt« von Peter Pilz brachte einen Misstrauensantrag ein. Er hätte eigentlich am 22. Mai entschieden werden sollen. Vor allem auf Druck der ÖVP beschloss aber Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, ebenfalls Mitglied der ÖVP, dass diese Sitzung erst am 27. Mai nach der Bekanntgabe des EU-Wahlergebnisses stattfinden soll. Wie sähe das denn aus, wenn Sebastian Kurz noch vor der EU-Wahl kein Kanzler mehr wäre? »Ich werde alles tun, gemeinsam mit dem Bundespräsidenten, um sicherzustellen, dass es in den nächsten Monaten Stabilität gibt« versprach Kanzler Kurz. Das Versprechen wird kaum zu halten sein und der in der Zwischenzeit nicht mehr als Innenminister agierende Herbert Kickl stellte noch als Amtsinhaber am 20. Mai auf einer Pressekonferenz fest: »War es auf Ibiza eine verantwortungslose Besoffenheit infolge von Alkohol, dann ist das jetzige Vorgehen der ÖVP eine kalte und nüchterne Machtbesoffenheit.«

Die Neuwahlen im Herbst werden nur unter Umständen eine verkleinerte FPÖ-Fraktion zur Folge haben. Trotzdem hat Sebastian Kurz schon jetzt verkündet, er könne mit den »Roten« nicht regieren, und die »Kleinparteien« würden kaum für eine Mehrheit reichen. Trotzdem will er den starken Mann spielen, den sich ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung angeblich wünscht. Also ist abzusehen, dass das bisherige »Erfolgsregierungskonzept« mit einigen »neuen alten« FPÖ-Figuren fortgesetzt wird. Denn dass die österreichische Sozialdemokratie mit den »kleinen« Parteien zu einer Mehrheit kommt, ist eher unwahrscheinlich.

Das »Modell Sebastian Kurz«, also die Einbindung von rechtspopulistischen Kräften in die Regierung, ist noch nicht gescheitert. Die Querverbindungen zu den Identitären, ein Rattengedicht, zahllose gezielte Tabubrüche des blauen Innenministers hat er geduldet und somit zu verantworten. Wenn nun in Deutschland, mal wieder die »österreichische Schlamperei« höhnisch mitleidsvoll kommentiert wird, ist aufzumerken – Ibiza ist überall!

So bleibt nur die Frage zu stellen: Was ist der Unterschied zwischen den SPÖ-ÖVPGRÜNENNEOSJETZT-Parteien und der deutschen Politik auf der einen und dem Wiener Riesenrad auf der anderen Seite?
Am Riesenrad sitzen die Nieten außen.

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