Dienstag, 15. Januar 2019

Europasprache (Matthias Biskupek)


Anfang der 1990er, als sich Ländergrenzen langsam öffneten, Osteuropa zu Ostmitteleuropa und Englisch zur Lingua franca wurde, schrieb ich den »Monolog eines Europaabgeordneten«. Damals konnte man Europa noch humoristisch verstehen:
»Meine vereinten Staatsgörlfrännds, liebe europäische Unions-Amigos; eim so häbbi zu sprechen dürfen for Juhu!

Sehlawieeuropa!

Sie alle kennen mein Nohau. Ich rede kurz, aber der Inhaltsreichtum wächst bruttosozialtief von Jahr zu Jahr. Saldo a conto, Konto auf Kante, denn smoll tolk bleibt die Wurzel einer Quintessenz allen Europäerdumms.
Nichts wird doch so halbgar gegessen, wie gekocht. Al dente heißt unser Trumpf, von Spaghetti bis Spagat von Schottland bis Schuttland. Al dente heißt Le dernier cri. Die Juneitid Kingdumms und Repappelicks mitsamt Ostmutteleuropapa werden eingebindet, eingestrickt, umverschlungen von Millionen. Hinein in den mahlenden Mainstriem der Demokrautie!

Freundeichsagenureins: Baguette oder Pocket, Enquete oder Melitta Tophits: man muß sich in alles hineinverbeißern wie in Croissants und Crevetten und Crackers. Ob wir Europa mit Schirm, Scharm und Melonen erobern, mit spanischen Orangen, monetären Chancen und Schimären oder mit Pizza, Puszta und Penunzen, es muss alles verschmelzern wie der gute holländische Käse aus Tschiesborro!

Waswillicheuchdamitsagenfreunde?

Unsere Wirtschaft wird’s schaffen, erst wird’s schlaff und dann wird’s schlaffer: Alles wird zur großen Economic class verbacken, verbänkert, vervabanquet. Bizzlfrisch ist ofenfrisch ist profifrisch, wenn ich das mal in der Landesdingsda, Längwitsch, Idjomm, also der Sprechsprache ausdrucken lassen darf. Gotisch print, wie die computte Generähschn der Diskettensprenger das in praxisnaher Verkürzerung nennt.

Freunde, Inputchen und Out-Dropse – unsere Sachertorte läuft doch immer mehr ins Overall. Wenn Maastricht – dann auch Mostrich. Es mag ein paar Pienatts geben, die mit ihren Brotköpfen, nein Brettnischln, also Holzheads unsre Macher und Bringer und Maîtres de plaisir als absolutely sillyblöde bezeichnen. Doch das sind Pfeifenheinis und Peacemakers, also reine Pissnelken.

Ich darf in allen gleichberüchtigten Sprachen meinen Kommiss dazu geben: Idioten, Idiotas, Idiotussimösis.

Mögen die EinigkeitsUnrechtsUnfreiheitsgegner ihre Zähne wie Kastagnetten klappern lassen – wir klipperklaren zurück!

Wir sagen: Vive la France! Es lebe Franz, der Kaiser von Kaiser’s. Die Piroschka aus Warschawa spielt in der Liga für Riga. Schwedische Gardinien für alle deutschen Linien. Es lebe der blanke, der blankobescheuerte Euro, eine echte Dehn-Mark. Komme auch du zum Doppelpack des Bundes bankfrommer Beststaaten. Wir sind die Greatest von Crashland bis Crackland. Denn Mars macht mobil, bei Arbeit, Golf und Spiel. Hessischä Äbblwoi und britischer Appleway of life gehören zusammen. Da samma wieda. Wir werden das Ex- und Hoppquarter der zukünftigen Fjutscher.

Waswillicheuchdamitsagenfreunde?

Euro ist Oppa! Aber Euro ist auch die Oma vom Grandhand. Damit ich alles in den Skat drücken kann, wählen Sie mich, dann haben Sie die Chose vom Hals und mich weit weg vom Schuss. Mein Rüssel für Brüssel. Merci, noch einen Sherry. Danke. Dshekuje. Sänksgiving. Servus ihr Sistern und Gracias ihr Grazjen. Ich muss worldweiter zu the next Text. Im nächsten Zitterstädty warten auch Euromämmies.

Europa – Helau! Hellas! Halleluja!«

So lustig war das damals, und dem früheren Spaß darf heute der Ernst folgen. Die May ist gekommen und die Juneitid Kingdumms sind gegangen. Es gibt den Spruch »Urbi et Orban«, und man könnte Macron für Makronen geben und McDonald den Trump in die Hände spielen.

Als ich den Text kürzlich tschechischen Deutsch-Studentinnen – schön langsam – vorlas, wurde ich gefragt, ob ich diesen Europa-Sprachvorschlag nicht in Brüssel einreichen wolle, damit das dröge einheitliche Euro-Englisch etwas aufgemischt würde.

Gehen wir mal ernsthaft in die Geschichte, in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Damals war in weiten Teilen des Balkans Deutsch die Lingua franca, was an den k. u. k. »Herrschaftszeiten!« lag. Deren Wortgeschichte verrät: »Ausruf des Ärgers; das Wort muss betont werden, damit es seine Wirkung entfaltet vgl. ›nicht schon wieder‹« (https://www.mundmische.de). In fernen Ostseelanden gab es neben Muttersprachen zwei Verkehrssprachen, denn entgegen landläufiger Vorstellungen sind Litauisch, Lettisch und Estnisch nicht miteinander verwandt. Mit Russisch kam man dort gen Osten, mit Deutsch nach Westen: Dreisprachigkeit war folglich nicht unnormal. Französisch war ohnehin die Sprache der Grande Nation. In jener Zeit soll George Bernard Shaw auch den hübschen Satz geprägt haben: »The United States and Great Britain are two countries divided by a common language.« (Die Vereinigten Staaten und Großbritannien sind zwei durch eine gemeinsame Sprache getrennte Länder.) Nach dem Zweiten Weltkrieg gab ________________________________________________________________
Über Sprachen und Sprache in der EU
Für die Europäische Union (EU) arbeiten über 800 Dolmetscherinnen und Übersetzer in Brüssel und Straßburg in 24 Amtssprachen von Bulgarisch bis Ungarisch. Daneben gibt es Amtssprachen ohne einen offiziellen EU-Status: für Luxemburg Luxemburgisch und Türkisch für Zypern. Halbamtliche EU-Sprachen sind Baskisch, Galicisch und Katalanisch, Schottisch-Gälisch und Walisisch. Sie sind weder Arbeits- noch Vertragssprachen der EU, dürfen aber zur Korrespondenz mit den EU-Institutionen genutzt werden. Die Sprachenfrage regelt die sieben Artikel umfassende Verordnung Nr. 1 für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Jahr 1958. Zunächst waren nur Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch Amts- und Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft. Im Rahmen der Beitrittsverträge kamen weitere Amtssprachen hinzu.
Die Einführung von Englisch als Verwaltungs- und anschließend als Amtssprache in allen EU-Ländern wurde lange diskutiert. Laut einer 2013 geführten Umfrage des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov hätten zu diesem Zeitpunkt 59 Prozent der Deutschen begrüßt, wenn die englische Sprache in der gesamten EU den Status einer Amtssprache hätte. In anderen Ländern der EU lag die Zustimmung zum Teil über 60 Prozent. Mit dem Brexit verlagerte sich die Diskussion vom Englischen hin zu anderen Sprachen.
Es gibt auch Sprachen, die durch das Raster der EU-Sprachen gefallen sind, zum Beispiel Friesisch, das von den Niederlanden bis an die deutsch-dänische Grenze gesprochen wird. In Nordfriesland ist Friesisch heute eine Amtssprache.
Welche Wirkung von der Nutzung einer Sprache ausgeht, zeigt sich in Spanien: Der spanische König Felipe VI. hält seine Weihnachtsansprache, die vom spanischen Fernsehen übertragen wird, nur in Castellano. Kein Wort in Baskisch, Galicisch oder Katalanisch – ein Affront. Dabei sind die drei Sprachen auch Amtssprachen in dem Land zwischen Mittelmeer und Atlantik.                  Karl-H. Walloch
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es mitten durch Europa und Deutschland eine Sprachgrenze: Im Westen Englisch, im Osten Russisch, was besonders die stolzen Franzosen fuchste: In weiten Teilen Afrikas sprach man elegantes Französisch, in den nächsten Nachbarländern wurde aber das Englische immer mehr zur ersten Fremdsprache. Der normale Pole, Tscheche und natürlich DDR-Bürger mochte zwar kein Russisch aus den Gründen der »Herrschaftszeiten!«, doch gelegentlich verständigten sie sich doch untereinander in der Sprache des größten Landes auf europäischem Boden.

Heute also begeben sich alle europäischen Nationen, zumindest deren politische Klasse, freiwillig unters englische Sprach-Joch. Ich vermute auch, dass die Ukraine erst dann eine brave, europäische Nation im Sinne ihrer derzeitigen Führer sein wird, wenn niemand mehr dieses seltsame Russisch spricht, sondern alle im normalen wie im Business-Leben sich nur noch am Englischen versuchen.

In Deutschland gibt es immerhin einen Lichtblick, was Sprachenvielfalt statt Vereinheitlichung betrifft: Es hat sich in manchen Teilen von Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und sogar München eine Kanak-Sprak durchgesetzt. Und wenn wir ganz tief in die Geschichte blicken und zu den Ursprüngen der Lingua franca hinabsteigen, so könnte ein leichter Anflug von Optimismus uns erreichen. »Lingua franca«, erfahren wir, war nämlich die Bezeichnung für eine romanische, vorwiegend italienische Verkehrssprache für Handel und Wandel, die mit arabischen (!) Elementen vermischt war.

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