Dienstag, 17. März 2015

EU-Armee unter deutschem Befehl

Europas Vision BERLIN/BRÜSSEL Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59073 vom 10.03.2015 EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schließt sich einer langjährigen deutschen Forderung an und plädiert für den Aufbau einer EU-Armee. Wie Juncker erklärt, könne sich die EU mit eigenen Streitkräften größeres Gewicht in der Weltpolitik verschaffen als bisher; insbesondere werde es möglich sein, entschlossener gegen Russland vorzugehen. Der Aufbau einer EU-Armee ist bereits vor Jahren von der Bundeskanzlerin gefordert worden; aus der SPD heißt es immer wieder, die EU benötige nicht nur Kampftruppen, sondern auch eine eigene Militärakademie sowie ein festes militärisches Hauptquartier. Berlin hat inzwischen begonnen, die Kooperation der Bundeswehr mit Einheiten aus mehreren anderen Staaten auszuweiten, darunter etwa Niederlande und Polen, um auf diese Weise eine EU-Armee quasi von unten zu errichten. Für Deutschland ist der Aufbau gemeinsamer Streitkräfte höchst vorteilhaft, weil mit deutscher Dominanz in Militärfragen ähnlich wie bei der Durchsetzung der Spardiktate in der Eurokrise gerechnet werden kann. Zudem würde eine EU-Armee der Bundesrepublik größeren Einfluss gegenüber den USA und der NATO sichern. Neue Macht Im Interview mit einer deutschen Zeitung hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Sonntag den Aufbau einer EU-Armee gefordert. Dies sei notwendig, da „Europa“ weltweit „enorm an Ansehen verloren“ habe, behauptete Juncker: „Auch außenpolitisch scheint man uns nicht ganz ernst zu nehmen“.[1] EU-Streitkräfte sollten nun „helfen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten“. Dem EU-Kommissionspräsidenten schwebt ein entschlosseneres Auftreten der EU „in der Welt“ vor. Insbesondere könne man „mit einer eigenen Armee … glaubwürdig auf eine Bedrohung des Friedens in einem Mitgliedsland oder in einem Nachbarland der Europäischen Union reagieren“, erklärte er in Anspielung auf den aktuellen Machtkampf um die Ukraine: „Eine gemeinsame Armee der Europäer würde Russland den klaren Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der europäischen Werte.“ Neuer Schub Der Aufbau einer EU-Armee gehört seit Jahren zu den Standardforderungen der deutschen Europapolitik. „In der EU … müssen wir einer gemeinsamen europäischen Armee näher kommen“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im März 2007.[2] „Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer europäischen Armee“, bekräftigte Außenminister Guido Westerwelle auf der Münchner Sicherheitkonferenz im Februar 2010: „Das europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas sein.“[3] Entsprechend trifft der aktuelle Vorstoß des Bundesverdienstkreuzträgers [4] Jean-Claude Juncker in Deutschland parteiübergreifend auf große Sympathien. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wird mit der Aussage zitiert, der Zusammenschluss der nationalen Streitkräfte zu einer EU-Armee sei „die Zukunft“.[5] „Eine gemeinsame Armee ist eine europäische Vision, deren Zeit gekommen ist“, erklärt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). Junckers Initiative sei „zu begrüßen“, äußert auch der Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels (SPD): „Die vergangenen zehn Jahre haben für Europas Verteidigung wenig gebracht. Es braucht einen neuen Schub“.[6] Kerne Bartels empfiehlt, den Aufbau der EU-Armee über eine immer engere Kooperation zwischen den Streitkräften einzelner EU-Staaten voranzutreiben: „Wir sollten nicht auf ein Gesamtkonzept aller 28 EU-Mitglieder warten, sondern mit Vereinbarungen zwischen den Nationalstaaten beginnen“.[7] Berlin verfolgt diese Strategie bereits seit geraumer Zeit. Baue man die Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften einzelner Staaten binational aus, dann ließen sich Kampfverbände bilden, die ihrerseits als „Nukleus einer europäischen Armee“ fungieren könnten, erläuterte eine Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Anfang letzten Jahres das zugrundeliegende Konzept. Ein derartiges Vorgehen sei hilfreich, weil viele Staaten noch nicht bereit seien, weitestgehend auf ihre Souveränität in Fragen von Krieg und Frieden zu verzichten.[8] Tatsächlich hat die Bundeswehr in den letzten Jahren eine ganze Reihe bilateraler Kooperationen in die Wege geleitet, die das Konzept in die Praxis umsetzen. Auf diese Weise entstehen bereits Kerne einer künftigen EU-Armee (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Hauptquartier Gleichzeitig nehmen SPD-Politiker Junckers aktuellen Vorstoß zum Anlass, um erneut Forderungen aufzugreifen, die sie bereits seit Jahren vorbringen – bislang erfolglos. So erklärt Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, es stelle sich die Frage, ob die EU nicht eine eigene Militärakademie aufbauen solle. Auch müsse man darüber nachdenken, im Europaparlament einen Verteidigungsausschuss einzurichten.[10] Beides verlangen SPD-Militärpolitiker bereits seit Jahren, zuletzt in einem Positionspapier vom November 2014. Darin heißt es unter anderem, die EU solle in einem „Weißbuch“ eine gemeinsame Militärpolitik festlegen und „die Zahl gemeinsamer europäischer Manöver und Übungen“ erhöhen, um „die Zusammenarbeit der verschiedenen Streitkräfte weiter zu verbessern“. Auch solle ein „Marinehauptquartier Ostsee“ aufgebaut und „die Einrichtung eines ständigen militärischen Hauptquartiers der EU mit allen Führungsgrundgebieten“ entschlossen vorangetrieben werden.[11] Vorteil für Deutschland Der Aufbau einer EU-Armee ist für Deutschland höchst vorteilhaft, da er einerseits die Schlagkraft der Streitkräfte aller EU-Staaten kombiniert, andererseits Berlin maßgeblichen Einfluss garantiert. Spätestens die Durchsetzung der deutschen Spardiktate in der Eurokrise gegen teils massiven Widerstand aus einer ganzen Reihe von EU-Staaten hat gezeigt, dass die Bundesrepublik in der Lage ist, ihre Interessen in Brüssel umfassend durchzusetzen. Insofern muss Berlin nicht fürchten, deutsche Soldaten in größerem Umfang für die Interessen anderer Staaten in den Krieg schicken zu müssen – ein Umstand, der die militärische Kooperation auf EU-Ebene wegen ausgedehnter Streitigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich lange blockierte.[12] Die aktuelle Fokussierung auf den Machtkampf gegen Russland begünstigt die deutsche Position weiter, weil sie auch die militärische Orientierung der EU in Richtung Osten lenkt, wohin Berlin traditionell expandiert, während die von Paris bevorzugten Interventionen in Frankreichs afrikanischem Interessengebiet in den Hintergrund geraten. Schließlich kann die antirussische Ausrichtung der EU-Armee dazu beitragen, Widerstände nicht nur in Polen, sondern vor allem in Großbritannien zu brechen, das bislang nicht zu einer Übertragung militärischer Kompetenzen an Brüssel bereit ist, aber eine hart antirussische Außenpolitik treibt. Die EU steuert damit zugleich auf einen harten Konflikt, langfristig womöglich auf einen Krieg mit Russland zu. Konkurrenz zur NATO Der Aufbau einer EU-Armee würde es Berlin schließlich auch ermöglichen, eigene militärische Pläne bei Bedarf ohne Washington zu verwirklichen und zugleich das eigene politische Gewicht gegenüber der NATO zu stärken. Die Bundesregierung könnte sich in deutsch-amerikanischen Streitfällen, wie sie aktuell in der Ukraine- bzw. in der Russland-Politik auftreten [13], besser durchsetzen und sich weiter in der Hoffnung wiegen, dereinst „auf Augenhöhe“ [14] mit den USA zu gelangen. Entsprechend reagieren transatlantische Kreise teils verärgert auf Junckers jüngsten Vorstoß. Der Aufbau einer EU-Armee sei „Wunschdenken“ und wegen der Differenzen zwischen den EU-Staaten zum Scheitern verurteilt, heißt es in einem Beitrag im Springer-Blatt „Die Welt“; nur die NATO könne ein erfolgreiches Einschreiten gegen Russland garantieren. Sie dürfe man auf keinen Fall durch den Aufbau von Doppelstrukturen beeinträchtigen: „Alles, was die Nato politisch relativiert und schwächt, ist von Übel.“[15] [1] „Halten Sie sich an Frau Merkel. Ich mache das!“ www.welt.de 08.03.2015. [2] „Die europäische Einigung ist auch heute noch eine Frage von Krieg und Frieden“. Bild 23.03.2007. [3] Guido Westerwelle: Rede auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz – 06.02.2010. www.securityconference.de. [4] S. dazu Deutschland besonders nahe. [5] Juncker will eine gemeinsame EU-Armee. www.tagesschau.de 08.03.2015. [6], [7] Kommissionschef Juncker fordert eine EU-Armee. www.welt.de 08.03.2015. [8] Claudia Major (SWP): Legitimation und Umrisse einer Europa-Armee. www.bmvg.de 02.01.2014. [9] S. dazu Der deutsche Weg zur EU-Armee (I), Der deutsche Weg zur EU-Armee (II), Der deutsche Weg zur EU-Armee (III) und Der deutsche Weg zur EU-Armee (IV). [10] rbb: SPD-Fraktionsvize Mützenich für EU-Armee. www.finanzen.de 08.03.2015. [11] S. dazu Treibende Kraft für die EU-Armee. [12] S. dazu Auf Kollisionskurs (II) und Die Agenda 2020. [13] S. dazu Gefährliche Propaganda. [14] S. dazu Auf Augenhöhe mit den USA. [15] Michael Stürmer: Juncker-Idee einer EU-Armee schwächt die Nato. www.welt.de 08.03.2015.

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