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Aufgeheizte Stimmung
Entwicklungsminister Adonis Giorgiadis spricht am Montagabend im Fernsehsender MEGA von einer »Invasion, wie sie in unseren Schulbüchern beschrieben wurde«. Seit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Geflüchtete nicht mehr an der Weiterreise gen Westen hindert, sind Hunderte von Menschen am griechischen Grenzfluss Evros oder auf den Ägäisinseln angekommen. Über 500 Geflüchtete hielten sich am Dienstag am Hafen von Lesbos auf. Sie waren in den vergangenen Tagen eingetroffen. Voraussichtlich werden sie aufs Festland gebracht und in geschlossenen Gefängniszentren untergebracht, bevor sie abgeschoben werden, ohne die Möglichkeit zu bekommen, einen Asylantrag zu stellen. Eigentlich sollten sie in den völlig überfüllten berüchtigten Lagern auf den Inseln bleiben. Doch der Zugang wird von aufgebrachten Bürger*innen blockiert, sowohl in Lesbos als auch auf der benachbarten Insel Chios. In sozialen Medien wird dazu aufgerufen, Jagd auf »Illegale« und »NGO-Mitarbeiter« zu machen.
Nachdem die rechtskonservative griechische Regierung in der vergangenen Woche massive Kritik einstecken musste, versucht sie nun, die Bevölkerung hinter sich zu vereinen. Ende Februar hatten der Baustart des geschlossenen Gefängniszentren für Geflüchtete und Migrant*innen auf den Ägäisinseln Lesbos und Chios zu massiven Protesten geführt. Die Regierung entsandte Polizei-Spezialeinheiten der berüchtigten MAT auf die Inseln, ausgerüstet mit Schlagstöcken und Tränengas. Es kam zu Schlägereien und brutaler Gewalt mit Dutzenden Verletzten auf beiden Seiten. Schließlich musste Athen die Einheiten zurückbeordern und einen Baustopp einleiten.
Die aufgeheizte Stimmung auf den Inseln blieb allerdings bestehen. Nachdem vergangene Woche noch Menschen aus vielen gesellschaftlichen Gruppen gegen geschlossene Zentren für Geflüchtete auf den Inseln und für offene Grenzen demonstrierten, scheint die aggressive Rechte durch Gewalt und Einschüchterung zumindest auf Lesbos und Chios die Oberhand gewonnen zu haben.
Aggressive Gruppen ziehen über die Inseln und bedrohen Geflüchtete, Migrant*innen, NGO-Mitarbeiter*innen und Journalist*innen. In der Nacht zum Dienstag wurde auf Chios der Laden der Solidaritätsinitiative »Apothiki tis Chio« niedergebrannt. Die Einrichtung wurde 2015 durch lokale Initiativen zur Unterstützung von Geflüchteten gegründet. Die internationale Crew von »Mare Liberum«, einem Rettungsschiff, wurde auf Lesbos attackiert und bedroht. Ein faschistischer Mob drohte, ihr Auto mit Benzin zu übergießen.
Nun beschwören Regierungschef Kyriakos Mitsotakis und seine Minister die Einheit der Griech*innen. »Ein großer Gewinn sei es«, tönte Giorgiadis, einer der lautstärksten Rechtspopulisten innerhalb der Regierungspartei Nea Dimokratia, »dass 99 Prozent der Griechen, Bürgermeister, Familien in Evros, griechische Armee und Polizei, die griechischen Parteien und Bevölkerung zusammenhalten«. Die nationale Rhetorik greift. Denn in Griechenland ist die Angst vor einem Krieg mit der Türkei tief verwurzelt. In sozialen Medien wird mit martialischen Bildern von hochgerüsteten Soldaten vor Militärfahrzeugen dafür geworben, sich freiwillig zur Grenzverteidigung am Evros zu melden.
Die Regierung hat am Sonntag beschlossen, für einen Monat keine Asylanträge mehr anzunehmen: Die Grenzen seien geschlossen. Ministerpräsident Mitsotakis fuhr am Dienstagmorgen an die griechisch-türkisch Landesgrenze am Evros-Fluss und verkündete: »Evros wird aufrecht bleiben. Keiner wird illegal die Grenze überqueren!«
Es bleibt abzuwarten, wie andere europäische Staaten konkret reagieren. Die griechische Regierung wähnt sich der Unterstützung der USA, Österreichs und Frankreichs sicher. »Es stimmt nicht, was Syriza sagt, dass es illegal ist, keine Asylanträge anzunehmen. Es ist legal, was Griechenland macht. Alle werden direkt zurückkehren!«, betont Minister Giorgiadis. Er bezieht sich in seiner Politik der Härte auf Artikel 78, Paragraf 3 im Vertrag über die Arbeitsweise der EU: Hier wird geregelt, dass bei einem »plötzlichen Zustrom von Drittstaatenangehörigen« vorläufige Maßnahmen beschlossen werden können.
»Allerdings müssten diesen Maßnahmen erst europäische Institutionen zustimmen, unter anderem das europäische Parlament«, so die Athener Anwältin Panagiota Masouridou von der Gruppe Rechtsanwälte für die Rechte von Geflüchteten und Migranten und Vizepräsidentin der europäischen demokratischen Anwälte gegenüber »neues deutschland«. »Für die Verweigerung der Annahme von Asylanträgen gibt es keine legale Basis. Ohnehin müssen auch diese ›vorläufigen Maßnahmen‹ auf der Genfer Flüchtlingskonvention beruhen.« Durchgesetzt sollen diese Maßnahmen von der griechischen Regierung trotzdem werden.
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