Ein regelrechter Ausnahmezustand herrschte am Freitag im Zentrum Berlins. Und das wegen des 16-jährigen Mädchens aus Schweden. Los ging es an diesem Tag um 10 Uhr am Invalidenpark im Stadtteil Mitte. Dort, wo es vor 15 Wochen angefangen hatte, wie Luisa Neubauer, Kopf der Fridays-for- Future-Demonstrationen in Berlin, erinnert. Damals vor einer übersichtlichen Anzahl von Demonstranten und einem einzigen Journalisten. An diesem Freitag zählen die Organisatoren 25 000 Teilnehmer - und das ZDF und selbst die Webseite der »Bild«-Zeitung übertragen live. Bundeskanzlerin, Bundespräsident und viele andere Politiker haben ihre Sympathie für die jungen Demonstranten geäußert.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat in dieser Woche die Schüler aufgefordert, in die Politik zu gehen und sich zu engagieren, statt die Schule zu schwänzen. Insofern war interessant, welche Antwort die Schüler geben würden. »Es ist zu spät, bis wir alle in irgendwelchen Ämtern hocken«, erklärt Neubauer im Invalidenpark. »Uns läuft die Zeit davon.« Sie könne bisher keinen Erfolg erkennen, denn: »Es ist nichts passiert. Die Anzugträger im Land machen nichts - und solange das so bleibt, machen wir weiter.«
Die Schüler und Studenten applaudieren. Unterschiedliche Altersgruppen spiegeln sich in den Plakaten wider. »Rettet Natur und Tiere«, steht auf einem, das ein kleines Mädchen hoch hält. »Eure Kinder haben Schnee erlebt - unsere auch?«, auf einem von älteren Jugendlichen. Aber auch konkrete Forderungen wie »CO2-Steuer« sind zu lesen.
Dann bewegen sich die Schüler vom Invalidenpark bis zum Brandenburger Tor. Dort haben sich drei Achtklässlerinnen vom Max-Planck-Gymnasium positioniert. »Wir wollen für unsere Zukunft kämpfen«, sagt Johanna und stupst ihre Freundin an, damit sie ihr weiterhilft. »Wir wollen nicht, dass die Erde verschmutzt«, sagt Jasmin. Ach, und das Pariser Klimaabkommen solle eingehalten werden. Dann schaltet sich Paola ein: »Wir wollen, dass wir in Zukunft auf der Erde leben können.«
Sie hält ein Schild mit einem abgemagerten Eisbären und der Aufschrift: »Schadet ihr der Umwelt, schadet ihr uns!« Nur wenige aus ihrer Klasse seien gekommen, einige fürchteten sich vor schlechten Noten oder wollten keine Klassenarbeiten ausfallen lassen. Den dreien sind Fehltage im Zeugnis nicht so wichtig. »Wenn wir jetzt nicht hier hingehen, haben wir gar keine Zukunft mehr«, sagt Paola. Was ihre Lehrer dazu sagen? »Die supporten das nicht!« Nur ihr Klassenlehrer habe die Demonstrationen überhaupt angesprochen.
Als Greta Thunberg unter Applaus die Bühne betritt, sagt sie ihre bereits berühmten Sätze: »Die ältere Generation hat versagt, die Klimakrise zu lösen.« Alles werde gut, würden ihre Eltern sagen, macht euch keine Sorgen. »Aber wir sollten uns Sorgen machen und Panik haben!« Thunberg erklärt diesmal ihren Satz, über den viele gerätselt haben. »Mit Panik meine ich, dass wir aus unserer Komfortzone ausbrechen sollen«, sagt die 16-Jährige, die am Samstag bei der Verleihung der Goldenen Kamera in Berlin den Sonderpreis Klimaschutz erhalten soll. »Denn wenn man in einer Krise ist, dann verändert man sein Verhalten.« Und: »Wir wollen eine Zukunft«, sagt sie. »Ist das zu viel verlangt?«
Den ganzen Tag haben die Schüler auf sie gewartet, nach ein paar Minuten ist sie schon fertig. Und nimmt von Luisa Neubauer ihr Schild entgegen, mit dem sie seit August jeden Freitag vor dem schwedischen Reichstag protestiert, statt zur Schule zu gehen. »Skolstrejk för Klimatet« steht darauf.
Bevor sie die Bühne verlässt und das Publikum »Greta, Greta« skandiert, gibt sie noch eine Antwort darauf, ob sie weiter mit ihrem Schild vor dem Stockholmer Parlament protestieren werde oder ob der weltweite Schulstreik, wie von einigen Politikern gefordert, nun ein Ende habe. »Das ist erst der Anfang des Anfangs«, erklärt sie. »Glaubt mir.«
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