Dienstag, 30. September 2014
Zehn Anmerkungen zur Kriegs- und Eskalationspolitik der deutschen Bundesregierung
IMI-Standpunkt 2014/053
von: Martin Hantke | Veröffentlicht am: 30. September 2014
Der nachfolgende Text basiert auf einem Vortrag des Autors bei der DFG/VK NRW am 27. September 2014.
1. Krieg gegen den IS
75% der deutschen Bevölkerung befürworten laut einer aktuellen Umfrage des ZDF-Politbarometers US-Luftangriffe in Syrien. In den öffentlich-rechtlichen Medien herrscht seit Monaten ein regelrechter Propagandakrieg um Einverständnis mit den Bombardierungen herzustellen. Die Luftangriffe werden von einer Koalition der Willigen durchgeführt, an der Staaten beteiligt sind, die den IS gefördert haben, wie die Golfdiktaturen Saudi-Arabien und Katar. Saudi-Arabien hat jetzt angeboten Bodentruppen, zu entsenden. Das Erdogan-Regime hat die Grenze für kurdische Flüchtlinge aus Syrien geschlossen und fordert die Schaffung einer UN-Schutzzone, die von der türkischen Grenze aus 25km nach Syrien hineinreichen soll. Mit dieser Schutzzone wären die kurdischen Autonomiegebiete doppelt bedroht – durch die Angriffe des IS und den Einmarsch des türkischen Militärs mit UN-Mandat. Kern der Auseinandersetzungen ist der Versuch, den iranischen Einfluss in der Region, der sich nach der US-Intervention im Irak vergrößert hatte, zurückzudrängen. NATO-Staaten und Golfdiktaturen hatten zu diesem Zweck auf eine radikalsunnitische bewaffnete Opposition in Syrien gesetzt, um ihre geopolitischen Interessen voranzutreiben. Ziel war und ist es, die Assad-Regierung zu beseitigen und durch ein genehmes Regime zu ersetzen. Dabei schreckte man auch nicht davor zurück, AL-Kaida-Verbände zu bewaffnen oder deren noch radikalere Abspaltung, den IS. Der Westen trägt mit seiner verheerenden Regime-Change-Politik die Hauptverantwortung für den Krieg von Bagdad bis Beirut.
2. Verantwortungslose Außenpolitik
Die Bundesregierung hat die Krise und die humanitäre Katastrophe im Nahen Osten mit den Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet dazu genutzt, einen weiteren „Tabubruch“ (von der Leyen) durchzusetzen. Zwar waren auch vorher schon Waffen in Kriegsgebiete geliefert worden, wie beispielsweise atomwaffenfähige U-Boote nach Israel, nicht aber Waffen, die vor Ort in der direkten Auseinandersetzung zum Einsatz kommen würden. Die Waffenlieferungen an die KDP sind insofern ein Meilenstein im Zuge der Militarisierung deutscher Außenpolitik. Was die Salamitaktik hinsichtlich der Auslandseinsätze war, durch Gewöhnung niedrigschwelliger Einsätze grade im politischen Raum die Zustimmung zu offenen Kriegsbeteiligungen vorzubereiten, ist nun auch im Bereich der deutschen Waffenlieferungen angekommen. Auch hier steht die Frage, ob dies nicht ein Bruch des Grundgesetzes und des Völkerrechtes ist. In jedem Fall wurde ein weiteres Hindernis für eine imperialistische Außenpolitik, die sich allein an geopolitischen und geostrategischen Maximen orientiert, beseitigt.
3. Entfesselung
Diese weitere Lösung deutscher Außenpolitik aus Bindungen, die noch aus der Niederlage des deutschen Faschismus und Militarismus im 2. Weltkrieg herrühren, wurde bereits im Umfeld der Bundestagswahlen 2013 mit dem SWP-Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ vorgezeichnet. Weitere Marksteine waren die Münchener Sicherheitskonferenz und die entsprechenden Forderungen von Verteidigungsministerin von der Leyen, Außenminister Steinmeier und insbesondere auch von Bundespräsident Gauck. Es wird unisono von einer gestiegenen deutschen Verantwortung in der Welt fabuliert, gerade auch angesichts der scheinbar überstandenen Wirtschaftskrise. Diese Verantwortung wird dann immer mit einem mehr an „humanitären“ Auslandseinsätzen der Bundeswehr, gezielten Rüstungslieferungen oder der stärkeren Beteiligung an einer völkerrechtswidrigen Regime-Change-Politik übersetzt. Der Begriff des Humanismus wird so immer mehr zur Perversion.
4. Großmachtpolitik
Hintergrund dieser Neuauflage deutscher Großmachtpolitik ist die Einsicht, es nicht weiter nur bei zivilen Mitteln, die sich auf imperiale Zwecke richten, belassen zu können. (Beispiel Kapitalexport, Merkels Krisenpolitik in der EU), sondern im Wettstreit mit anderen Groß- und Mittelmächten und den aufsteigenden BRICS-Staaten nicht auf militärische Mittel zur Durchsetzung und Flankierung geopolitischer Interessen verzichten zu können. Die verstärkte Kriegsgefahr ist ein Ergebnis der kapitalistischen Krise. Ein neuer globaler Wettlauf um Marktzugänge und Rohstofflieferungen ist entbrannt. Dabei sind auch Motive des Engagements, der Niederhaltung oder gar Ausschaltung möglicher Konkurrenten im Spiel.
5. Das Transatlantische Bündnis
Deutschland setzt seinen Aufstieg an der Seite der USA fort. Bereits das zuvor schon angesprochene SWP-Papier beschreibt, dass der Weg, „mehr Verantwortung“ zu übernehmen, nur über einen gestärkten Multilateralismus im Rahmen von EU und NATO gangbar ist. Das schließt teils auch heftigere Konflikte nicht aus, generell ist aber ein gutes transatlantisches Verhältnis die Voraussetzung für eine noch weitergehende Militarisierung. Der Politikwissenschaftler Erhard Crome analysiert dazu: „Für die deutsche Exportwirtschaft sind die USA (86,8 Mrd. US-Dollar 2010 bzw. 6,9 Prozent der deutschen Exporte) der zweitwichtigste Markt nach der EU (756,9 Mrd. US-Dollar bzw. 60,0 Prozent), noch vor China (71,2 Mrd. US-Dollar bzw. 5,6 Prozent). Dabei erfolgen 80 Prozent der deutschen Exporte in die USA im Industriesektor; die Hälfte der deutschen Exporte entfällt auf den Maschinenbau und den Automobilbereich. Die deutschen Direktinvestitionen (früher gern als Grundmerkmal imperialer Machtperzeption betrachtet) in die USA betrugen 2012 199 Mrd. US-Dollar (Bestand unmittelbarer deutscher Direktinvestitionen) und überstiegen die der USA in Deutschland deutlich; sie betrugen 121 Mrd. US-Dollar. So sind die Interessen der herrschenden Kreise in Deutschland darauf gerichtet, das Freihandelsabkommen mit den USA unter Dach und Fach zu bringen.“ Politisch setzt das deutsche Kapital auch deshalb auf eine „Wirtschafts-NATO“ im Rahmen des TITIP, deren politische Bedeutung die wirtschaftliche noch übersteigen mag.
6. Geschichtspolitik
Die Bundesregierung setzt zur Begleitung der Bemühungen um die Etablierung einer eignen Großmachtrolle auch auf geschichtspolitische Bereinigungen. So stützt sie gerade zum 100. Jahrestag des Beginns des 1. Weltkriegs entlastende geschichtspolitische Deutungsmuster, wie die des Politologen Herfried Münkler oder auch des Australiers Christopher Clarke („Schlafwandler“), die versuchen eine Kriegsschuld gleichmäßig zu verteilen oder sogar statt auf die deutsch-österreichische Kriegspartei eine besondere Verantwortung für den 1. Weltkrieg bei Serbien sehen. Eine besondere Ehrung des ersten Kriegskrediteverweigerers im Deutschen Reichstag, Karl Liebknecht, zum 100. Jahrestag seiner Verweigerung, wurde abgelehnt. Die Relativierung deutscher Kriegsschuld scheint die unabdingbare Voraussetzung für die Revitalisierung deutscher Großmachtambitionen.
7. Störendes Russland
Im Rahmen dieser Auseinandersetzung taucht Russland als Störenfried einer von den USA und Deutschland dominierten europäischen Ordnung auf. Ziel ist es denn nicht nur Russland einzukreisen, sondern seinen Wiederaufsteig durch das Herausbrechen von Staaten aus seinem Einflussbereich zu schwächen und das eigene Einflussgebiet bis unmittelbar an die Grenzen Russlands heranzuschieben. Nur so lässt sich auch das Verhalten der EU in der Ukraine-Krise um die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens erklären, als man im Herbst 2013 die Bitte von Janukowitsch um eine Nachbesserung hinsichtlich des zu erwartenden Ausfalls ukrainischer Exporte nach Russland brüsk zurückwies. Ukraine soll als geopolitischer Frontstaat gegen Russland etabliert werden. Die Sanktionen sollen Russlands Ökonomie nachhaltig schädigen und vor allem politisch gefügig machen, auch wenn dies gerade die deutsche Wirtschaft trifft. Dies erklärt auch, warum sich der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft gegen schärfere Sanktionen ausspricht, während sie vom Bund der deutschen Industrie (BDI) im Sinne der Formulierung eines Gesamtinteresses befürwortet werden. Die Aggressionsbereitschaft des Westens geht soweit, dass selbst jemand wie Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt von einer Weltkriegsgefahr spricht.
8. Tabubruch Ukraine
Zum ersten Mal nach 1945 hat eine deutsche Bundesregierung, mit ihrer Unterstützung einer Regierung in der Ukraine an der Faschisten beteiligt sind, offen Nazis unterstützt, die sogar wie die Partei Swoboda über gute Verbindungen zu neonazistischen Kräften wie der NPD in Deutschland verfügten. Dies ist ein Tabubruch, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Deutschland selbst eine Enttabuisierung faschistischen Gedankengutes und eines Bündnisses mit Faschisten nach sich ziehen wird. Die faschistische Gefahr ist auch nicht, wie beispielsweise von den Grünen behauptet, mit den Präsidentschaftswahlen geringer geworden, weil „Rechter Sektor“ und Swoboda nicht über zwei Prozent hinauskamen. Der rechtsradikale nationalistische Kandidat Ljaschko erhielt 8%, bei Umfragen für die Parlamentswahlen im Oktober werden ihm bis zu 20% der Stimmen vorausgesagt. Die faschistischen Minister sind immer noch Teil der Kiewer Regierung. Zahlreiche Kommandeure rechtsradikaler Freikorps kandidieren auf einer Wahlliste des jetzigen Ministerpräsidenten Jazenjuk. Im Bürgerkrieg in der Ukraine spielten faschistische Verbände, die von Oligarchen finanziert wurden, auf Seiten der ukrainischen Regierung eine zentrale Rolle.
9. Mobilmachung
Der Konflikt mit Russland wird auch im Sinne einer geistigen Mobilmachung geführt. Private Medien vor allem aber auch öffentlich-rechtliche Sender arbeiten mit massiven Mitteln der Manipulation zwecks Steigerung der Aggressionsbereitschaft innerhalb der deutschen Bevölkerung gegen den neuen Feind Russland. Als Beispiel sei nur auf die Berichterstattung zu dem mutmaßlichen Abschuss von Flug MH17, dem Massaker von Odessa oder der Rolle von Faschisten in der ukrainischen Regierung verwiesen.
10. Aufgabe der Friedensbewegung
Die Friedensbewegung muss ihre Kritik an der neuen deutschen Großmachtpolitik an der Seite der USA deutlich akzentuieren. Dabei ist die vordinglichste Aufgabe sich der geistigen Mobilmachung in den Weg zu stellen und Feindbildprojektionen, Geschichtsrevisionismen wie auch Kriegslügen zu entlarven.
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