Dienstag, 30. September 2014
Menschenopfer? (Kurt Pätzold)
Es hätte für diesen Halt in Alberschwende, einer Ortschaft im malerischen Bregenzer Wald, des besonderen Gedenkens nicht bedurft, das in diesen Tagen den beiden Weltkriegen gilt. Wer den Ort nicht durchrast, dessen Blick fällt auf eine Denkmalanlage, die sich nur wenige Meter von der Durchgangsstraße entfernt befindet. Überragt wird sie vom nahezu lebensgroßen Standbild eines österreichischen Soldaten in der Uniform, die von den Rekruten der k. u. k. Armee 1914 getragen wurde. Wie es da so steht, ist seine Verwandtschaft mit ungezählten ähnlichen Skulpturen unübersehbar, die an Stätten aufgerichtet wurden, die dem Andenken der Toten des Ersten Weltkriegs gewidmet sind. Zwei Tafeln an den Sockelseiten nennen ihre Namen und die Orte, da ihre Leben endeten. Die meisten kamen auf den Feldzügen in Rußland um, eine ebenfalls erhebliche Zahl an der italienischen Front, weniger während der Eroberung Serbiens.
Die Anlage ist nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert worden durch eine Mauer, in die sieben nebeneinander angebrachte metallene Tafeln eingelassen wurden. Auf sechs von ihnen sind die Namen der Ortseinwohner verzeichnet, die in den Jahren »fielen« (s. Ossietzky 18/14), in denen die Österreicher, anderthalb Jahre nach dem von Massen bejubelten Anschluß, am Welteroberungskrieg des deutschen Imperialismus teilnahmen. Denen ist wie vielerorts ein Kommentar beigegeben. Manchmal, vorwiegend im Inneren von Kirchen, ist das ein Bibeltext, häufiger eine Aussage, wofür die dort Genannten Kriegsopfer wurden, Ältere Inschriften nennen Kaiser und König oder das Reich, jüngere das Vaterland oder die Heimat. andere wieder besagen an die Lesenden gewandt »Für Euch« oder »Für uns«.
Keine solcher Widmungen hat den Stiftern der Denkmalserweiterung in Alberschwende genügt. Sie haben sich für die Beschriftung der siebenten Tafel einen Text dichten lassen, und der lautet vollständig so: »Fern im Süden und im Norden, weit im Westen, weit im Osten fielen in den Völkermorden aus dem Heimatvolk die Besten. Über ihren Gräbern weht Heimatweh und ihr Gebet: Unser Opfer sei geweiht. Dir, o Gott, in Ewigkeit.«
Diese Perspektive auf das ferne Sterben der Wehrmachtssoldaten, von denen der älteste dem Jahrgang 1900 angehörte, der jüngste 1926 geboren war, läßt sich in mehrfacher Hinsicht kühn nennen. Die da genannt werden, sind nicht befragt worden, ob sie ihr frühes Lebensende als ein solches Opfer ansehen oder es nicht eher sterbend in ganz andere und historische Koordinaten einordneten, falls sie die Fähigkeit und zu ihr auch nur einen Augenblick besaßen, darüber nachzudenken. Was immer sie aber vorher, als sie in fremde Länder mit der Wehrmacht einfielen, über ihre Rolle gedacht haben mochten, sie waren Krieger ohne Beispiel, denn sie dienten der schlechtesten Sache, für die je Deutsche und Österreicher auf Schlachtfelder gezogen waren. Sie waren Teil, um es mit den Worten des Wehrmachtssoldaten und Schriftstellers Franz Fühmann zu sagen, eines verbrecherischen Unternehmens und in ihm endeten ihre Leben ruhm- und ruchlos. Dieser Tatbestand nimmt niemandem das Recht, eines Sohnes, eines Bruders, eines Vaters in Trauer zu gedenken und das auch öffentlich auszudrücken.
Aber woher nehmen Überlebende oder auch Nachgeborene, woher nahmen die Ortsoberen im Rat der Gemeinde das Recht, diese Tode dem Gott der Christen nachträglich als Opfer anzubieten? Und woher ist die Vorstellung bezogen, dieser Gott würde derlei Opfer annehmen? Hat sie der Pfarrer des Ortes bestärkt, der sich doch in der Geschichte der Auseinandersetzung der Christen mit dem Thema Menschenopfer ausgekannt haben muß? Wie weit ist solche Vorstellung eigentlich von Gotteslästerei entfernt? Das mögen Theologen und namentlich Kirchenrechtler entscheiden.
Sicher aber ist: Hinter dem Bild von der für Gott bestimmten Opfergabe verstecken sich diejenigen, die den millionenfachen Tod des Zweiten Weltkrieges zu verantworten und verschuldet haben. Die Widmung an der Mauer zu Alberschwende ist eine Barriere vor den Fragen, die mit Nutzen für Gegenwart und Zukunft an den nahezu ein Menschenalter zurückliegenden Krieg zu richten sind.
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