Dienstag, 30. September 2014
EU-Kommission rudert zurück
30.09.2014: Am vergangenen Freitag hatten die Vertreter der EU-Vertreter und der kanadische Regierungschef Harper in Ottawa das Freihandelsabkommen EU – Kanada (CETA) öffentlich unterschrieben. Jetzt rudert die EU-Kommission zurück. Das Abkommen sei nur „gefeiert“, aber nicht "formell“ unterzeichnet worden. Dies sei Aufgabe der neuen EU-Kommission. Wie groß die Konfusion in der EU-Administration derweilen ist, wurde auch bei der Anhörung der designierten Handelskommissarin Cecilia Malmström vor dem Europaparlament deutlich.
"feierlich unterschrieben" aber nicht "formell unterzeichnet"
In einer feierlichen Zeremonie hatten am vergangenen Freitag EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Manuel Barroso für die Europäische Union und der kanadische Regierungschef Harper in Ottawa das Freihandelsabkommen CETA unterschrieben. (EU und Kanada unterzeichnen Freihandelspakt CETA)
Man habe die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten, sagte Rompuy und Barroso bekräftigte in der Pressekonferenz: "Alle offiziellen Mitteilungen, die wir aus Deutschland erhalten haben, waren absolut dafür." Nachverhandlungen lehnte er ab.
Der kanadische Ministerpräsident Stephen Harper verwies ebenfalls darauf, dass die endgültige Version des Ceta-Pakts auf einer Vereinbarung basiere, die im vergangenen Jahr von allen EU-Mitgliedsstaaten und Kanada unterstützt worden sei. Deshalb lehne er Nachverhandlungen ebenfalls ab.
Barroso äußerte, dass das Abkommen 2016 in Kraft treten werde, wenn das Europaparlament, der EU-Ministerrat sowie das kanadische Parlament zugestimmt haben.
Seit gestern liest sich das anders. In Ottawa sei der Abschluss der fünfjährigen Verhandlungen gefeiert worden. Die Unterschrift der EU-Vertreter sei keine „formelle" Unterzeichnung gewesen.
Erstaunlich auch: Hatten die geleakten Texte des Abkommens noch einen Umfang von 1.500 Seiten, so umfasst das am Freitag von der EU-Kommission veröffentlichte Dokument 1.634 Seiten.
Berlin allergisch gegen Gemeinschaftshaftung
Möglicherweise ist der deutschen Regierung erst jetzt aufgefallen, dass im CETA-Abkommen selbst Staatsanleihen als Investitionen klassifiziert werden und so den vollen Schutz vor »Enteignung und Diskriminierung« genießen. Staaten können bei Bankabwicklungen oder Schuldenschnitten haftbar gemacht und vor privaten Schiedsgerichten auf Entschädigung verklagt werden.
Bereits jetzt werden krisengeschüttelte Euro-Ländern von ausländischen Investoren attackiert. Allein gegen Zypern und Spanien wurden vor internationalen Schiedsgerichten Entschädigungsklagen über mehr als 1,7 Milliarden Euro wegen entgangener Gewinne durch Bankabwicklungen und Schuldenschnitt eingereicht. Gegen Belgien klagt der chinesische Finanzinvestor Ping An. Als größter Einzelinvestor hatte er 2,3 Mrd. USD verloren, als die Pleitebank Fortis im Jahr 2008 im Zuge der Bankenkrise teilweise verstaatlicht und aufgespalten wurde. Jetzt klagt er gegen die belgische Regierung auf Entschädigung.
Aber nicht nur das. CETA regelt auch den Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten. Sollte der Fall eintreten, dass ein Investor ein EU-Mitgliedsland verklagt, dieses aber nicht bezahlen kann, werden die Kosten auf die anderen EU-Mitgliedsländer verteilt. Eine »Gemeinschaftshaftung«, die von der deutschen Regierung immer abgewehrt worden ist. Dementsprechend allergisch reagiert Berlin jetzt.
Die französische Regierung, massiv unter Druck wegen ihrer antisozialen Politik, hat bereits dagegen protestiert, dass eine sehr hohe Einfuhrquote für kanadisches Fleisch vereinbart wurde, die die französische Landwirtschaft in Bedrängnis bringen würde.
In dieser Konstellation will sich Barroso in den letzten Wochen seiner Amtszeit wohl nicht mehr mit Berlin und Paris anlegen. Möglicherweise nimmt er sich den afghanische Präsident Karsai als Vorbild, der die Unterzeichnung des von ihm ausgehandelten Stationierungsabkommens mit den USA seinem Nachfolger überließ.
Die künftige EU-Kommission manöveriert
Die Konfusion innerhalb der EU-Administration wurde noch offensichtlicher bei der am Montag begonnenen Anhörung der vorgesehenen EU-KommissarInnen vor dem Europäischen Parlament. Bereits vorher hatte der künftige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärt, er werde nicht hinnehmen, „dass die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedsstaaten durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt wird“.
Am Montag sorgte dann die designierte Handelskommissarin Cecilia Malmström, die künftige Chefunterhändlerin der EU für Handels- und Investitionsabkommen, für Verwirrung. In einem den EuropaparlamentarierInnen am Freitag vorab zugestellten Schreiben äußerte sie, dass sie „überhaupt keine Schutzklauseln für Investoren“ in CETA und TTIP aufnehmen werde. Später korrigierte Malmström und teilte mit, dass dieser Text nicht von ihr stamme. Diese Passage sei in der EU-Kommission von Dritten geändert worden. Zwar schloss sie nicht aus, dass Investorenschutz-Klauseln noch gestrichen werden könnten, wollte sich aber auch nicht ganz darauf festlegen.
Oettinger: "Bischöfe, Nicht-Regierungsorganisationen und Ami-Go-Home-Altgruppen" gegen TTIP
Die Nervosität der Freihandelskämpfer wird auch an den Ausfällen des EU-Kommissar Günther Oettinger gegen die TTIP-KritikerInnen deutlich. “Die Aufregung von Bischöfen, Nicht-Regierungsorganisationen und Ami-Go-Home-Altgruppen ist fatal“, beschimpfte er die Gegner von TTIP und CETA. Vehement trat er für CETA ein und verteidigte den Investitionsschutzteil auch in dem angestrebten Wirtschaftsabkommen TTIP mit den USA. Die USA hätte bei Deutschland wegen des funktionierenden Rechtssystems kein Problem mit einem Verzicht auf ein Investitionsschutzabkommen. „Aber mit Bulgarien, Sizilien“, fügte er hinzu. Es sei eben kein Deutschland-USA-Abkommen, sondern ein USA-EU-Vertrag.
Jetzt erst recht! TTIP und CETA verhindern
Bettina Jürgensen rief für die marxistische linke dazu auf, jetzt die Anstrengungen zu verstärken, um CETA und TTIP zu Fall zu bringen. Engagieren wir uns für die selbstorganisierte »Europäische Bürgerinitiative«, machen wir den Regierenden deutlich, dass die Mehrheit diese Abkommen nicht will, sagte sie. Der europaweite Aktionstag am 11. Oktober müsse ein unübersehbares Zeichen für den Protest werden.
„Breiter Protest hat MAI und ACTA verhindert. Auch TTIP und CETA werden an »Bischöfen, Nicht-Regierungsorganisationen und Ami-Go-Home-Altgruppen« und dem Protest breiter Kreise der Bevölkerung scheitern“, zeigt sie sich überzeugt. Sie setzt aber auch dazu, dass diese Anschläge auf die Demokratie so lange weitergehen werden, solange die unkontrollierte Macht der Multis nicht eingeschränkt und gebrochen werde.
txt: lm
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