Mittwoch, 19. Februar 2020

Netflix: Isi & Ossi

Rezension zum Netflix Film „Isi und Ossi“: Eine Kritik an Großbourgeoisie und Lumpenproletariat im Namen des kleinbürgerlichen Individualismus.
Nicht nur die Arbeit, das Studium, die Schule, die Hausarbeit erschöpfen einen, sondern all die Sorgen, die damit verbunden sind, dass das Geld nicht reicht, weil alles teurer wird, nur nicht die eigene Arbeitskraft, machen einen mürbe, erschöpft und müde. Aber eben auch gestresst. In diesem bräsigen Zustand kann und will man dann weder abends noch am Wochenende viel machen, und schon seit es das Fernsehen gibt, lassen sich weite Teile des Volkes in ihrer Freizeit gerne „berieseln“. Besonders abends, denn zwar ist man im Sack, aber eben auch zu gestresst, um gut einschlafen zu können.
In den letzten Jahren wurde durch das Streamen auf Portalen wie Netflix die Filmwelt erheblich umgestaltet. Dieser Artikel befasst sich aber nicht mit Serien des neuen Typs der Post-Sopranos-Ära, in Zeiten von Netflix und Co. Denn der Netflix-Film, um den es hier geht, ist die erste deutsche Netflix-Filmproduktion, und bleibt bei sehr klassischen Tausend mal erzählten Mustern.
Die TAZ fasst es so zusammen:“ ‚Als Isi zehn Jahre alt war, belief sich das Vermögen ihrer Eltern auf exakt 2.347.867.513,27 Euro. Zum selben Zeitpunkt betrug das Vermögen der alleinerziehenden Mutter von Oskar 27,63 Euro‘, erfahren wir aus dem Off. Oskar, genannt „Ossi“, wohnt auch nicht im schmucken Heidelberg, auf der Sonnenseite des Lebens sozusagen, sondern in Mannheim, der etwas prolligen, migrantisch geprägten Nachbarstadt, die in Sachen Döner und Problemschulen durchaus Berliner Qualitäten hat – zumindest aus Sicht des Filmemachers. Nur dass, aus dessen Sicht, Berlin halt schon ziemlich durch ist, totgefilmt sozusagen.“
Recht hat die TAZ. Aber sie bleibt auch bei dieser formalistischen Kritik stehen. Denn dem ideologisch-politischen Gehalt des Films wird sich in ihr überhaupt nicht gewidmet.
Der Film ist eine kleinbürgerliche Kritik an Großbourgeoisie und der kleinbürgerlich bis lumpenproletarisch gezeichneten Unterschicht im Namen so hehrer Ideale wie Leistungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, Selbstverwirklichung und Anstand.
Gleichzeitig macht dieser Film was liberale Propaganda allzu oft tut. Indem alles ins Ironische kippend überzeichnet wird, meint man am Ende nichts ernst, und muss sich auch nichts vorwerfen lassen. Doch in jedem Witz steckt auch ein bisschen Ernst.
Isi ist die Tochter von Milliardären, die sie durch Privatunterricht und anwaltlichen Druck bis zum Abitur gemogelt haben. Jetzt sehen sie für sie ein Studium vor. Doch Isi, die schon in ihren Kindertagen mit den Bediensteten in der Küche gemenschelt hat und volksnah war, will Köchin werden. Dass ihr Abitur herbei betrogen wurde, wird ihr von ihrer migrantischen Lehrerin offenbart, die betrunken eine Rede für die Leistungsgerechtigkeit hält. Denn sie habe sich alles erarbeiten müssen! Daraufhin von sich und ihren Eltern enttäuscht eröffnet sie den Konflikt mit ihren Eltern, der die Handlung vorantreibt. Die Göre verlangt ihr „Depot“, um eine Ausbildung bei einem Starkoch in New York zu machen. Denn die Selbstverwirklichung des kleinbürgerlichen Individuums ist das höchste Gut, und die Eltern stehen diesem hehren Ideal mit ihren Versuch sie zu einem für eine Bourgeois vernünftigen Lebensweg zu zwingen entgegen. Während die Großbourgeoisie meint, man solle sein Leben so planen, dass es dem eigenen Profit- und Machtinteresse zuträglich ist, meint die kleinbürgerlich verbrämte Tochter, stellvertretend für den Drehbuchautor Oliver Kienle, man solle sein Leben so führen, dass das eigene Selbst in all seiner individuellen Herrlichkeit zur Geltung komme.
Auf der anderen Seite steht die Familie von Ossi (eigentlich Oscar). Ossi wird als neugieriges Kind eingeführt, dass von seiner asozialen Mutter und seinem faschistischen Lumpenopa vernachlässigt und nicht gefördert wird. Er will aber etwas aus sich machen, und strengt sich an, um eine Karriere als Boxer zu schaffen. Ein aufstiegswilliger, fleißiger Mensch! Ein Kleinbürger in Spe.
Doch seine Mutter bindet ihn immer wieder in den Betrieb ihrer Tankstelle ein, und hängt wie ein Klotz an seinem Bein. Doch er hält zu ihr, wie er in einem Streit mit Isi erklärt, aus der Not heraus. Eine der wenigen Feststellungen des Films, die etwas mit den realen Lebensbedingungen des Volkes zu tun haben. In der Familie hält man zusammen, weil man sich zumindest auf irgendwen verlassen muss, um in der bürgerlichen Konkurrenz bestehen zu können.
Die beiden begegnen sich in einem Fast Food Restaurant. Dort wird das einzige Mal im Film ein Standpunkt vertreten, der nicht vor bürgerlicher Ideologie trieft. Der arabische Freund von Ossi sagt, dass er gerne auf dem Bau arbeitet, weil das ein ehrlicher Job ist. Die Angestellten im Restaurant sind offenbar völlig schwachsinnig, womit der Kleinbürger sich bestätigt, was er ohne hin schon weiß, nämlich dass in dieser Gesellschaft im Grunde jeder an dem für ihn vorgesehenen Platz ist, wenn man von ein paar Ungerechtigkeiten absieht.
Der Chef in dem Fast Food Restaurant dient dazu, die These zu verbreiten, dass Fast Food nicht etwa ungesund ist, weil der Gebrauchswert dem Zweck damit möglichst viel Geld zu verdienen untergeordnet wird, sondern weil manche Gastronomen eben anteilnahmslose, verantwortungslose Idioten sind. Niemand braucht die Revolution, wir brauchen nur Bio-Siegel und mehr Moral.
Im Verlauf des Eltern-Tochter Konfliktes konfrontiert Isi ihre Mutter mit dem Vorwurf, dass sie sich einen reichen Mann geschnappt habe, und somit das hehre Ideal der wahren Liebe verraten habe (und sich zwecks Heiratsaussichten umbenannt habe). Schon wieder werden die Kriterien der Großbourgeoisie am kleinbürgerlichen Ideal blamiert. Man liebt eben Leute, egal aus welchen Gründen. Hauptsache, diese ergeben sich aus der eigensten Innerlichkeit, dann dürfen sie auch gerne unverstanden und unbenannt bleiben.
Doch dann kommt ein unfassbarer Plottwist. Die Mutter, die aussieht wie Katja Suding von der FDP und sich auch so verhält, hatte eine asoziale Mutter, die sie im Auto eingesperrt hatte, um feiern zu gehen, und wurde als damals 2-jährige von der Polizei gerettet. Daher wollte sie mit ihr nichts mehr zu tun haben, anders sein als sie, und eben auch anders heißen. Folglich liegt auch hier kein unanständiger Verrat der eigenen Wurzeln vor, sondern die Distanzierung von einer asozialen und unanständigen Rabenmutter. So sind sie halt, die armen Leute.
Doch nicht alle armen Leute sind gleich. Quasi als Ehrenretter des Volkes dient der lumpenproletarische und faschistische Opa von Ossi. Als ordentlicher Brandenburger ist der natürlich Nazi, was sonst. Er war im Knast, weil er sich bei Raubüberfällen dumm angestellt hat, und fing im Knast an zu rappen. Jetzt hat er einen Plattenvertrag und ist nicht mehr kriminell. Dafür hat er mindestens ein Integrationsbambi verdient, aber dazu fehlt wohl noch das Praktikum bei der CDU.
Derweil sitzt Isi mit lauter abgehobenen Bonzen im Garten einer Villa und hadert mit ihrem Schicksal. Denn wenn man reich geboren wurde, wie soll man dann jemals den Stolz eines Kleinbürgers genießen aus eigener Kraft etwas aufgebaut zu haben? Hier wird der Grundstein gelegt für ihre Entscheidung nicht den abgehobenen Weg der Ausbildung in New York zu wählen, sondern ganz bodenständig den Burger-Laden zu kaufen… womit sich dort dann vermutlich alles zum Guten wendet, weil jetzt eine fähige, pflichtbewusste Person die Führung hat.
Doch das weiß man nicht genau. Denn der Film schließt mit dem Satz „Keiner weiß, wie es kommen wird, und das ist gut so, denn so ist das verdammte Leben!“ um noch mal abschließend klar zu machen, dass der Film eine cineastische Stellungnahme ist, für eine Gesellschaft in der jeder gegen jeden konkurriert, und man beim Schmieden des eigenen Glücks den umstehenden die Schädel einschlagen muss. Das ist nämlich der Grund, dass man nicht weiß, ob die vorgestellten Figuren ökonomischen Erfolg haben, sei es als kleinbürgerliche Gastronomin, oder als gescheiterte Tankstellenbetreiberin, die auf Jobsuche ist. Denn man muss sich halt anstrengen, und hoffen gegen die anderen zu bestehen. Das ist das Leben! Nein, das ist eine ökonomische Konkurrenz unter der Herrschaft des Kapitals.
Wen interessiert, inwiefern Liebe zum Thema in proletarischer Kultur gemacht wird, und wie es dargestellt wird, wenn Menschen in ihrem Leben einen anderen Sinn als ihr eigenes Ego haben, dem sei "Die Junge Garde" von Fadejew empfohlen.

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