Mittwoch, 26. Februar 2020

Landgericht beschäftigt sich mit der energetischen Sanierung von Mietwohnungen

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Die Verdämmten dieser Erde

Als eine »Verdämmte dieser Erde« fühlt sich Anke Hahn, Pankower Mieterin der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau, nicht nur an diesem Dienstag, als sie am Landgericht Berlin in der Littenstraße in Mitte zum Prozesstermin eintrifft. Seit sieben Jahren, seit der Ankündigung der Arbeiten zur energetischen Sanierung, kämpft sie mit dem Wohnungsunternehmen vor allem wegen der Umlage der Kosten auf ihre Miete. »Das raubt Lebenszeit und Lebensqualität«, sagt Hahn, die mit ihrem Mann und zwei gemeinsamen Kindern in der Pestalozzistraße 4 wohnt. Statt früher 450 Euro Bruttowarmmiete soll die Familie nun monatlich 805 Euro an die Gesobau überweisen.
Eigentlich hatte Anke Hahn bereits 2015 vom Amtsgericht Pankow/Weißensee bestätigt bekommen, dass sie den Großteil der Maßnahmen, vor allem die Dämmung der Fassade, nicht zu dulden hat. »Selbst unter Zugrundelegung der von der Klägerin dargelegten und von der Beklagten bestrittenen Zahlen der Einsparung der Energie würde unter Hinzunahme der Fenster und der Heizung eine Energieersparnis von 68,78 Euro im Monat einer Mieterhöhung von 249,29 Euro gegenüberstehen«, hieß es in der schriftlichen Urteilsbegründung.
»Praktisch gibt es überhaupt keine nennenswerte Energieeinsparung«, sagt Hahn. Seit vier Jahren seien inzwischen drei Viertel des Hauses saniert. »Deswegen haben wir die Möglichkeit, mit den echten Verbräuchen zu arbeiten«, so die Mieterin. Und tatsächlich unterscheiden sich diese kaum zwischen dem unsanierten und dem sanierten Teil des Hauses.
Die Gesobau lässt allerdings nicht locker. Am Dienstag kommt vor dem Landgericht ausführlich der Sachverständige Michael Krätschell zu Wort. »Jede Berechnung bleibt der Realität hinterher«, räumt dieser ein. Bedeutet: Das individuelle Heiz- und Lüftungsverhalten hat konkret einen sehr großen Einfluss auf den konkreten Energieverbrauch und dementsprechend auch auf die Einsparmöglichkeiten. »Die hohen Diskrepanzen werden in der Wissenschaft untersucht«, erklärt Krätschell. Ob die realen Verbrauchs- oder Bedarfswerte rechtlich relevant seien, könne er allerdings nicht beurteilen. »Es findet eine Einsparung statt«, stellt er fest. »Ob diese für die Höhe der Investition angemessen ist, ist eine andere Frage.«
Der Ingenieur Krätschell benennt einen aus Mietersicht erheblichen Schwachpunkt der vom Bundesgesetzgeber erlassenen Energie-Einsparverordnung: »Es gibt in der EnEV einen Parameter, der leider nicht geregelt ist: Nämlich die Frage der Zeitspannen, wann es sich rentiert.« Die Immobilienwirtschaft halte Maßnahmen teilweise nur dann für wirtschaftlich, wenn die Kosten bereits nach einem Jahrzehnt eingespielt würden, während Nachhaltigkeitsforscher auch bei Amortisationszeiten von einem halben Jahrhundert von einer Sinnhaftigkeit ausgingen.
Vor der Verhandlung wurde auch demonstriert. »Wir haben mittlerweile zahlreiche Modernisierungsankündigungen und Nebenkostenabrechnungen aus allen Berliner Bezirken gesichtet«, berichtet Roger Bach von der von Berliner Mietern gegründeten Arbeitsgemeinschaft Modernisierung. Die Erkenntnis daraus: »Die gesetzlichen Grundlagen wurden, beziehungsweise werden sehr oft nicht eingehalten.« Dies und die fehlende Transparenz hätten damit auch ungerechtfertigte Mieterhöhungen zur Folge. »Weg mit der Modernisierungsumlage« und eine »sofortige Überarbeitung und Änderung der Energie-Einsparverordnung« lauten die Forderungen. Gerade in Altbauten mit besonders starken Ziegelmauerwerken gebe es oft kaum nennenswerte Energieeinsparungen.
Das Sanierungsvorhaben der Gesobau in Pankow hatte einiges losgetreten. Der Pankower Mieterprotest formierte sich, es wurden Abfederungsregelungen für Härtefälle vereinbart. Auch in die Kooperationsvereinbarung zwischen Senat und landeseigenen Wohnungsunternehmen von 2017 sind erweiterte Regelungen zum Schutz vor Mieterhöhungen eingeflossen. »Davon haben wir allerdings nichts, denn wir sind Mittelschichtsverdiener«, sagt Hahn. Sie werde daher so lange prozessieren, wie die Rechtsschutzversicherung das finanziert.
Ein Urteil gibt es diesen Dienstag nicht, es soll in vier Wochen verkündet werden. Möglicherweise wird es auch einen Vergleich geben.

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