Dienstag, 15. Januar 2019

Veränderung nur durch Beteiligung der Massen«


13.01.19
saadatFür neue Befreiungsbewegung: Sichtweisen eines inhaftierten palästinensischen Linken. Ein Gespräch mit Ahmed Saadat

Ahmed Saadat ist seit 2001 Generalsekretär der marxistischen »Volksfront für die Befreiung Palästinas« (PFLP). Er wurde wegen »Terrorismus« zu 30 Jahren Haft verurteilt und sitzt seit 2006 in einem israelischen Gefängnis
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Palästina und das Verhalten der US-Regierung unter Präsident Donald Trump?
Wir betrachten die USA und die Trump-Regierung als eine gefährliche Macht. Nicht nur für das palästinensische Volk, sondern für alle Völker der Welt. Der einzige Unterschied zwischen Trump und seinen Amtsvorgängern ist, dass er klar und deutlich das wahre Gesicht des Kapitalismus und des Imperialismus zeigt, indem er Ausbeutung und Vorherrschaft bis zum äußersten treibt.
Welche Strategie würde heute die Wiederherstellung einer starken palästinensischen Befreiungsbewegung erlauben?
Das Hauptziel unseres Kampfes betrifft vor allem die Rückkehr der Flüchtlinge und die Schaffung eines einheitlichen freien, demokratischen und laizistischen Staates in Palästina. Unser Engagement gilt dem Neuaufbau der nationalen Befreiungsfront, das heißt der PLO. Wir sehen uns in der Mitte zwischen Fatah und Hamas, um ein Gleichgewicht zu schaffen und die nationale Einheit zu retten, indem wir unsere progressive, linke Idee der Repräsentanz des Volkes einbringen. Alle palästinensischen Klassen müssen Teil dieses Einheitsprozesses sein. Die unteren Klassen dürfen nicht von der Führung der Bewegung ausgeschlossen werden, wie es in den letzten 40 Jahren der Fall war.
Welche politische Alternative empfiehlt die PFLP also?

Wir denken, dass Veränderung nur durch die Beteiligung der Massen zu erreichen ist. Das verlangt nicht nur der Kampf gegen die Besatzung, sondern auch der Kampf um das Recht aller Palästinenser, daran zu partizipieren. Damit meine ich zum Beispiel die mehr als vier Millionen Palästinenser in Jordanien, aber auch jene im Libanon oder in Syrien, in Europa oder in den anderen Teilen der Welt. Wenn unsere Communities immer wieder durch Kriminalisierung, repressive Gesetze und Angriffe von seiten der Rechten bedroht sind, dann werden unsere Ziele schwerer zu verwirklichen sein.
2017 hat die PFLP den 50. Jahrestag ihrer Gründung gefeiert. Wie schätzen Sie ihre gegenwärtige Rolle ein?
Die Front hat ihren siebten Parteitag Anfang 2014 abgeschlossen, und nun nähern wir uns dem achten. Das wird für alle unsere Genossen eine Gelegenheit sein, unsere Fortschritte und unsere Niederlagen einzuschätzen. In den letzten Jahren war die PFLP im Hinblick auf politische und finanzielle Repression mit furchtbaren Schwierigkeiten konfrontiert. Die Verfolgungen, die Massenverhaftungen und die Tötung unserer Kader sind ein deutliches Beispiel dafür. Trotzdem haben wir uns in unseren militärischen Fähigkeiten in Gaza verbessert, weil wir dort nicht mit denselben Bedingungen zu kämpfen haben wie im Westjordanland. Dort leiden wir sowohl unter der Besatzung als auch unter der Sicherheitskoordination der Palästinensischen Autonomiebehörde. Zahlreiche Genossen, wie ich, sitzen gerade aufgrund dieser Zusammenarbeit mit den Besatzern im Gefängnis.
Welche Rolle spielt die Bewegung der Inhaftierten in den israelischen Gefängnissen?
Die Bewegung der Gefangenen in den israelischen Knästen nimmt, historisch gesehen, eine zentrale Rolle im Kampf gegen die Unterdrückung ein. Nicht nur in unserer täglichen Konfrontation zwischen Besatzern und Gefangenen als »vorderster Front«, sondern auch auf der politischen Bühne. Man muss daran erinnern, dass das palästinensische nationale Einheitsabkommen innerhalb der Gefängnisse verfasst wurde und die Grundlage aller nachfolgenden Diskussionen des Widerstandes bildet.
Die Bewegung der Gefangenen hat verschiedene Kampferfahrungen erlebt: Hungerstreiks, Folter, den Tod zahlreicher Gefangener. Wir politischen Häftlinge wurden immer als das Herz der palästinensischen Revolution bezeichnet. Der Grund dafür besteht in dem Versuch Israels, dem palästinensischen Kampf und seinen Führern durch Inhaftierung zu begegnen, indem es jeglichen Widerstand unterdrückt, egal ob es sich um studentische, feministische, gewerkschaftliche oder Jugendbewegungen handelt.
Interview: Stefano Mauro, junge Welt 11.1.2018

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