Chance für Irland
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Nach dem Anschlag: Ermittler am Tatort in Derry
Foto: Clodagh Kilcoyne/Reuters
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Dieter Reinisch ist Historiker und lehrt an der privaten Webster University Vienna und den Universitäten Wien und Salzburg. Er ist Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift Studi Irlandesi. 2017 erschien seine Studie »Die Frauen der IRA« beim Wiener Promedia-Verlag.
In den Tagen nach dem Attentat wurden sieben Mitglieder der republikanischen Partei Saoradh (Befreiung) in Derry und drei weitere in Belfast verhaftet. Saoradh wurde 2016 in Newry gegründet, ihr werden Kontakte zur »Neuen IRA« nachgesagt. Im Gespräch mit junge Welt berichtet Paddy Gallagher, seit November Pressesprecher der Partei: »Wenige Minuten nach dem Anschlag veröffentlichte Saoradh eine Stellungnahme zu der Tat. In den folgenden Tagen wurden die Häuser einiger unserer Aktivisten durchsucht. Es wurde nichts gefunden. Die Briten hatten nichts in der Hand, und alle wurden wieder freigelassen.«
Der Saoradh wird oft nachgesagt, sie bestehe nur aus älteren, unzufriedenen IRA-Veteranen. Gallagher ist allerdings erst 26 Jahre alt. Er hatte 1998, dem Jahr der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendete, gerade die Schule begonnen: »Ich wuchs in einem republikanischen Viertel auf und habe die Situation hier schon früh miterlebt.« Die Hausdurchsuchungen seien keine Ausnahme: »Wenn man hier lebt, spürt man täglich die britische Besatzung. Es gibt regelmäßig Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, und fast täglich wird man beim Fahren angehalten und das Auto durchsucht.«
Gallagher wurde bereits als Jugendlicher politisch aktiv und schloss sich später der Saoradh an. »Die republikanischen Gebiete in Derry gehören zu den ärmsten Regionen Westeuropas. Es gibt starken Drogenmissbrauch, eine hohe Selbstmordrate und eine Vielzahl an psychischen Erkrankungen. Das sind alles Folgen des Friedensprozesses. Heute sitzen ehemalige Republikaner an der Macht. Sie unterstützen den britischen Staat, aber für die Leute hier in Derry machen sie nichts.« Deshalb wenden sich viele Menschen der Saoradh zu: »Die Unterstützung in der Bevölkerung ist stark.«
Zu Ostern 2017 organisierte die Partei in Derry einen Gedenkmarsch in Erinnerung an den Aufstand von 1916. In der 85.000-Einwohner-Stadt nahmen daran knapp 3.000 Personen teil, und Gallagher betont, dass die Unterstützung bis heute weiter gewachsen sei. Daran ändert auch die Haltung der Partei zu den Anschlägen der »Neuen IRA«, die sie als »revolutionäre Tat« feierte, nichts. Gallagher betont aber, die Saoradh sei eine vollständig unabhängige Organisation und er könne nicht für die »Neue IRA« sprechen. Auf die Frage, was er über die Autobombe denke, betont er, dass es sich bei den Attentätern um »revolutionäre Republikaner« gehandelt habe. »Doch wenn ich sage, was ich wirklich darüber denke, würde ich sofort im Gefängnis landen.«
Der Bombenanschlag verschärfte die politische Krise in der Region. Seit zwei Jahren tagt das nordirische Parlament nicht mehr, und der bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens erhöht die Gefahr, dass es wieder eine bewachte Grenze auf der irischen Insel. »Die Schwierigkeiten Englands sind immer eine Chance für Irland«, bewertet das Gallagher. Langfristig sei es der Saoradh egal, ob es eine durchlässige oder eine bewachte Grenze zwischen Nord- und Südirland gibt: »Wir wollen eine vereinigte sozialistische Republik in Irland.« Die politische Krise und der »Brexit« würden sie diesem Ziel einen Schritt näher bringen.


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