Dienstag, 22. Januar 2019

Bei der Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes geht es um mehr als um Museen.





Als Mnyaka Sururu Mboro zum ersten Mal auf die Neuköllner Wissmannstraße traf, war er schockiert. In seinem Geburtsland Tansania ist der Namensgeber dieser Straße, Hermann von Wissmann, nur als »maafa« bekannt. Das heißt so viel wie Katastrophe. In Deutschland hingegen gibt es kaum eine kollektive Erinnerung an Wissmann, seinerzeit Gouverneur der Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Ähnliche gesellschaftliche Erinnerungslücken existieren hierzulande nicht nur hinsichtlich der sogenannten anthropologischen Sammlung der Charité - dort werden bis heute menschliche Skelette und Schädel aus den deutschen Kolonien aufbewahrt -, sondern auch bezüglich der Herkunft des Brachiosaurus im Naturkundemuseum oder der ethnologischen Sammlungen in Dahlem.
Letztere soll nun im Berliner Humboldt Forum gezeigt werden, dessen Eröffnung Ende 2019 bevorsteht. Die afrodeutsche Historikerin Fatima El-Tayeb bezeichnete das Gebäude einmal als den Versuch, die Geschichte der deutschen Teilung zu überschreiben und an eine lineare deutsche Geschichte vor dem Nationalsozialismus anzuknüpfen. Das will jedoch nicht so recht gelingen. Der Plan, die außereuropäischen Sammlungen unter dem Dach des nachgebauten Hohenzollernschlosses auszustellen - kaiserliche Residenz während der deutschen Kolonialzeit - wurde von der Initiative No Humboldt 21 spätestens mit ihrer 2013 veröffentlichten Resolution öffentlichkeitswirksam kritisiert. Diese forderte die Unterbrechung des Projekts und setzte sich für die Rückgabe von im Kolonialismus geraubten Kulturgütern ein.
Die Gründungsintendanten des Humboldt Forum, Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp, interessierte das zunächst nur wenig. Sie warfen postkolonialer Kritik »Eindimensionalität« vor. Im Vergleich zu NS-Raubgut sei die Objektaneignung im kolonialen Kontext komplizierter gewesen, Herkunftsdokumentationen fragmentarisch und strittig, wer im Fall einer Rückgabe rechtmäßige*r Empfänger*in sei - so MacGregor unlängst in der »Zeit«.
Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hält die Sache hingegen für so kompliziert nicht. Auf vielen Dokumenten in deutschen Archiven stehe ganz klar »Kriegsbeute«, so die Expertin für die Translokation von Kunst- und Kulturgütern. Savoy war 2017 aus der Expertenkommission des Humboldt Forums ausgeschieden. Eine reine »Pro-forma-Veranstaltung« sei das gewesen, innerhalb derer ihre Kritik an unzureichender Provenienzforschung und fehlender Verknüpfung von Ausstellungspraxis und Wissenschaft kein Gehör fand.
Das findet sie nun in der öffentlichen Debatte nun um so mehr. Ende 2017 hatte der französische Präsident Emmanuel Macron an der Universität von Ouagadougou in Burkina Faso verkündet, innerhalb von fünf Jahren die Bedingungen für eine temporäre oder endgültige Restitution afrikanischer Kulturgüter schaffen zu wollen. Mit der Frage, wie das aussehen könnte, beauftragte er den senegalesischen Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr und Bénédicte Savoy. Das Papier der beiden wurde im November 2018 veröffentlicht und könnte den Umgang europäischer Museen mit ihren außereuropäischen Sammlungen grundlegend verändern.
Auf die Frage, wer denn Restitutionen empfangen sollte, antworten sie sehr einfach: zunächst die heutigen Nationalstaaten. Auch dem Einwand, es gebe oft gar keine Rückforderungen, setzen sie etwas entgegen: Die entscheidende Empfehlung lautet, die Beweislast künftig umzukehren.
Damit nehmen sie die französischen Museen in die Verantwortung, Transparenz darüber zu schaffen, was sich überhaupt in ihren Beständen befindet - und im Zweifelsfall zu beweisen, dass ihre Objekte keine Raubkunst sind. »Temporäre Restitutionen« halten Sarr und Savoy für genauso vage wie Leihgaben oder das gern genutzte Bild von der »Zirkulation« der betreffenden Kulturgüter. Denn dabei klingt ja immer mit, dass die europäischen Museen ihren Zugriff auf die Objekte nicht aufgeben wollen.
Das Ziel von Sarr und Savoy ist klar: die endgültige Restitution all jener Objekte, die unter gewaltsamen Bedingungen in französischen Besitz gelangt sind. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, eine Änderung des Kulturerbegesetzes zu fordern. Die Restitution wollen sie in drei Phasen erreichen. Die erste Phase, welche die Aushändigung umfangreicher Inventarlisten an die betroffenen afrikanischen Staaten sowie die förmliche Restitution besonders bedeutsamer Stücke umfasst, hat bereits begonnen: Macron hat die Rückgabe von 26 Werken an Benin beschlossen. Bis 2022 soll eine zweite Phase andauern, bestehend aus fortlaufender Inventarisierung, dem Freigeben digitaler Inhalte und einem intensiven transnationalen Dialog, moderiert von gemeinsamen Kommissionen, an denen auch die betroffenen Akteur*innen aus Museen und Zivilgesellschaft teilhaben sollen. Als letzte Phase benennen sie die eigentlichen Restitutionen, die von der Fünfjahresagenda Macrons zeitlich unberührt bleiben sollen.
Die beiden Expert*innen wollen die europäischen Museen also nicht leeren. Doch sie wollen sichergehen, dass ihre Botschaft diesmal ankommt. Denn Macron ist nicht der Erste, der die Restitution des afrikanischen Kulturguts aufnimmt. Bereits Ende der 1970er Jahre hatte der senegalesische Politiker Amadou-Mahtar M’Bow, der damalige Generaldirektor der UNESCO, eine Debatte über die Restitution afrikanischer Werke angestoßen. Ein Bericht des Generalinspektors der französischen Museen, Pierre Quoniam, kam damals zu dem Schluss, dass Restitutionen ein notwendiger Akt der Solidarität und der Fairness seien. Umgesetzt wurden seine Empfehlungen jedoch nicht.
Auch heute liegt nicht allen daran, dass »das Ende der Arroganz uns erreicht«, so Savoy. In Berlin, wo die Probleme so unähnlich nicht sind, kündigt Hermann Parzinger nun »maximale Transparenz« an. Umso erstaunlicher ist es, dass die offiziellen Berater*innen des französischen Präsidenten nicht etwa von ihm aufgefordert wurden, ihre Ergebnisse hier zu präsentieren. Sie folgten sie der Einladung seiner Kritiker*innen, dem zivilgesellschaftliche Bündnis DECOLONIZE BERLIN und des Centre Français.
Der Ausstellung afrikanischer Werke in europäischen Museen steht nicht nur ihre Abwesenheit in den Herkunftsgesellschaften gegenüber. Die Objekte haben auch teilweise andere Bedeutungen angenommen, Funktionen eingebüßt und waren Blicken ausgesetzt, vor denen sie möglicherweise sogar durch rituelle Gebote geschützt werden sollten. Stattdessen wurden aus ihnen Kunstwerke gemacht, die konserviert werden müssten. In einem Workshop in Dakar betonte der Kurator Simon Njami einmal, dass die Restitution den Objekten wieder eine neue soziale Funktion geben könnte. Was mit ihnen nach der Rückgabe passiert, lässt der Bericht offen.
Auch darin liegt seine Stärke. So tut sich eine Möglichkeit auf, die eurozentrische Sichtweise auf die Organisation von Wissen zu verlassen und Museumspraxis zu verändern. Was mit den Objekten passiert, wäre den Herkunftsgesellschaften überlassen. Das würde aber auch bedeuten, ernst zu nehmen, was die französischen Filmemacher Alain Resnais und Chris Marker schon in den 1950er Jahren wussten: »Statues also die.«
Der Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr erscheint in den kommenden Monaten in deutscher Übersetzung bei Matthes & Seitz.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110322.kolonialismus-auch-statuen-sterben.html

Schlagwörter zu diesem Artikel:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen