Nachrichtentext
Angehalten und abgeschoben
taz vom 12.12.2017
von Jörg Wimalasena
In Texas werden viele Menschen nach
Straßenkontrollen abgeschoben. Auch im Rest der USA gehen die
Behörden härter gegen Migranten vor.
BERLIN/MIAMI taz
| Alles beginnt mit einer Verkehrskontrolle. Im März wird Ruth
Ramirez nach dem sonntäglichen Kirchenbesuch in El Paso, Texas
von der Polizei angehalten. Die Scheiben ihres Autos seien zu
dunkel getönt, sagt man der 30-Jährigen. Doch schnell dreht sich
die Kontrolle um etwas ganz anderes – nämlich Ramirez’
Aufenthaltsstatus. Die Polizisten halten ihren Führerschein für
gefälscht und nehmen die vierfache Mutter fest.
Auf der Wache stellen die Beamten fest:
Ramirez ist illegal im Land. Zwei Monate lang wird sie in einem
texanischen Abschiebegefängnis festgehalten, dann lässt sie sich
zur freiwilligen Ausreise überreden. Obwohl Ramirez seit
fünfzehn Jahren in den USA lebt und damit die Hälfte ihres
Lebens nördlich des Rio Grande verbracht hat, muss sie nun im
von Drogengangs beherrschten Ciudad Juarez in Mexiko leben.
Die Schicksale von Ramirez und vielen
anderen Migranten, die nach Verkehrskontrollen in Texas
abgeschoben wurden, hat das Rechercheportal
The Intercept dokumentiert und am Sonntag
veröffentlicht. Die Verkehrskontrollen sind jeweils per Video
vom Armaturenbrett („Dashcam“) des Polizeiautos dokumentiert,
die Journalisten haben die Aufnahmen bei den Behörden
angefordert und nun veröffentlicht. Verfolgt man die Verhöre am
Straßenrand, drängt sich der Eindruck auf, dass die
vermeintlichen Verkehrsverstöße nur als Vorwand dienen, um
illegale Einwanderer aufzuspüren.
Bis Oktober 2016 übergab die
Polizeibehörde DPS (Department of Public Safety) monatlich
durchschnittlich 13 Personen an die Grenzschutzbehörde. Das
änderte sich im November 2016. Donald Trump gewann mit einer
dezidiert migrationsfeindlichen Agenda die Präsidentschaftswahl
– und in Texas wurden immer mehr Verkehrssünder in Abschiebehaft
genommen, im Dezember 2016 waren es bereits 40.
Nicht nur in Texas wird nun härter gegen
illegale Einwanderer vorgegangen. Vergangene Woche
veröffentlichte die Organisation Human
Rights Watch einen Bericht zu Abschiebungen seit Beginn
der Trump-Präsidentschaft. Seit Trump die Amtsgeschäfte
übernahm, sind demnach 42 Prozent mehr (110.568) Menschen im
Landesinneren – also nicht bei der illegalen Einreise an der
Grenze – festgenommen worden, als im entsprechenden
Vorjahreszeitraum (77.806).
Abgeschoben nach 29 Jahren
Drei Mal so häufig wie zuvor traf es
Menschen, die keinerlei Vorstrafen hatten. Die
Menschenrechtsorganisation schildert zum Beispiel den Fall
Manuel G. Nach 29 Jahren in den USA wurde er wegen eines zu
weiträumigen Wendemanövers in seinem Fahrzeug von der Polizei
angehalten, festgesetzt und abgeschoben.
Diese Gefahr droht auch Julio Calderón. Der
28-Jährige stammt aus Honduras und engagiert sich in Miami bei
der Florida Immigrant Coalition für die Rechte illegaler
Einwanderer. „70 Prozent der Abschiebungen kommen wegen Fahrens
ohne Führerschein zustande“, gibt Calderón an.
Ohne Papier sei es für Migranten schwer,
den Führerschein zu erwerben, der das einzige Ausweisdokument
vieler US-Amerikaner darstellt. Seit Donald Trumps Amtsantritt
hätten die Kontrollen zugenommen, sagt er. Calderón selbst fährt
deshalb kein Auto mehr, um der Polizei keinen Anlass für eine
etwaige Kontrolle zu liefern. Doch ein effektiver Schutz gegen
Abschiebung ist auch das nicht. Bei Verkehrskontrollen werden
auch die Beifahrer befragt.
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