Sonntag, 21. Januar 2018

Friss und stirb


Am Wochenende werden in Berlin wieder Zehntausende für eine »Agrar- und Ernährungswende« demonstrieren. Kontroverse um Glyphosat hält an

Von Jana Frielinghaus
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Als Lobbyist von Bayer, Monsanto und Co. wird Agrarminister Christian Schmidt kritisiert – hier mit glyphosathaltigem Roundup-Präparat für Hobbygärtner
Auftaktkundgebung zur Demo um 11 Uhr am Berliner Hauptbahnhof (Washingtonplatz)
Mehr Infos: wir-haben-es-satt.de
Die Forderung nach gesundem, umweltschonend und fair produziertem Essen bringt in der Bundesrepublik seit Jahren so viele Menschen in Bewegung und auf die Straße wie keine andere. Am Samstag werden zur inzwischen zum achten Mal in Folge zum Auftakt der Ernährungsmesse »Grüne Woche« in Berlin stattfindenden Demo »Wir haben es satt!« erneut Zehntausende Teilnehmer erwartet. Organisiert wird sie von einem Bündnis von mehr als 50 umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen sowie Verbraucherinitiativen und Bauernverbänden.
Besonders schlecht sind die Veranstalter auf den geschäftsführenden Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt zu sprechen. Geht es nach ihnen, muss der CSU-Politiker eher heute als morgen seinen Hut nehmen. Unter anderem wird ihm sein Alleingang in Sachen Glyphosat vorgeworfen. Ende November hatte Schmidt im Kreise seiner europäischen Kollegen für die Verlängerung der EU-Zulassung für den Unkrautvernichter gestimmt, obwohl die Regeln des »Groko«-Kabinetts eigentlich eine Enthaltung vorgesehen hätten. Denn SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks hatte sich immer wieder gegen eine erneute Genehmigung ausgesprochen. Im Zuge der Sondierungen für eine Neuauflage des Regierungsbündnisses ist inzwischen ein Ausstieg aus dem Einsatz des Herbizidwirkstoffs auf nationaler Ebene in Etappen verabredet worden. Hendricks hat erst am Dienstag ein Ende des Einsatzes in der BRD bis 2021 angekündigt.
Tatsächlich ist völlig offen, wie lange es dauern wird. Zum Auftakt der Grünen Woche am Donnerstag äußerte sich Minister Schmidt diesbezüglich äußerst vage. Zuerst müssten »Alternativen entwickelt werden«, sagte er. Gemeint sind nicht etwa grundlegend andere Arbeits- und Eigentumsverhältnisse auf dem Land, sondern die Verfügbarkeit neuer Pestizide bzw. Kombinationen von Wirkstoffen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) wandte sich derweil einmal mehr gegen ein Verbot. DBV-Präsident Joachim Rukwied sprach mit Blick auf die internationale Bürgerinitiative gegen Glyphosat von einer »Angstkampagne von Nichtregierungsorganisationen«, die eine schlechte Basis für politische Entscheidungen sei. Schädliche Auswirkungen seien bei »sachgemäßer Anwendung« nicht belegt, sagte Rukwied am Donnerstag in Berlin. »Es gibt keine einzige wissenschaftliche Analyse, die aussagt, dass Glyphosat krebserregend ist, auch nicht von der IARC.« Die UN-Krebsagentur IARC hatte im März 2015 erklärt, Glyphosat sei »wahrscheinlich krebserregend beim Menschen«. Zugleich sind jedoch zahlreiche negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt auf dem Acker, auf die Fruchtbarkeit und auf das Immunsystem von Mensch und Tier und sogar auf gegen den Wirkstoff via Genmanipulation resistent gemachte Kulturpflanzen nachgewiesen.
Umwelt- und Ökolandbauexperten sowie Politiker insbesondere von Grünen und Linkspartei fordern demgegenüber einen Ackerbau ohne Pestizide. Der Grünen-Europaparlamentarier Martin Häusling veröffentlichte am Freitag eine Broschüre, in der mehrere Autoren für eine »giftfreie Landwirtschaft« werben. Sie sehen neben einem Glyphosatverbot auch das Ende des Einsatzes von Insektiziden der Wirkstoffklasse der Neonikotinoide als vordringlich an. Diese gelten als maßgebliche Verursacher des Bienensterbens. Häusling forderte bei der Vorstellung der Studie, EU-Subventionen dürfe es langfristig nur noch für eine »chemiefreie Produktion« geben.
Auf der Demo am Samstag geht es derweil auch um viele andere Themen, im Mittelpunkt wird einmal mehr die Forderung nach »artgerechter Tierhaltung« und nach einer »globalen Agrarwende« stehen. Die Veranstalter zeigen sich im Aufruf zudem optimistisch, dass die neue Bundesregierung in ihrem Sinne handeln werde, wenn der »Protest auf der Straße unüberhörbar wird«. Am Samstag findet in Berlin auch ein internationales Treffen von Agrarpolitikern statt, das zehnte »Global Forum for Food and Agriculture« (GFFA). Mehr als 70 Landwirtschaftsminister aus aller Welt werden auf Einladung von Schmidt teilnehmen. Das Ministermeeting wird einer der Zielpunkte der Protestierenden sein. Sie wollen auf die verheerenden Folgen von Agrarexporten und »Freihandel« für die Bauern in den Ländern des Südens aufmerksam machen.

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