Dienstag, 21. April 2015

TTIP & Co: Vor dem großen Beschiss?

Quelle: Solidar-Werkstatt Österreich Es zeichnet sich ab, dass Kanzler Faymann und die EU-Kommission TTIP & Co mit taktischen Winkelzügen gegen den wachsenden Bevölkerungswiderstand durchsetzen wollen. Wie können wir dem wirksam entgegentreten? Der letzte EU-Gipfel im März 2015 hat wieder einmal ein Lehrstück in Sachen „Europapolitik“ geboten. Bei diesem Gipfel stand das EU-US-Freihandelsabkommen TTIP auf der Tagesordnung. In Österreich ist die große Mehrheit der Bevölkerung aus guten Gründen gegen TTIP. Entsprechend groß waren die Erwartungen, dass Kanzler Faymann in Brüssel resolut die Meinung dieser großen Mehrheit vertreten werde, die Nachteile dieses Freihandelsabkommen herausstreichen und entsprechend auf die Bremse bei den Verhandlungen zwischen EU und USA treten werde. Rausgekommen ist das glatte Gegenteil. Der Kanzler hat sich in Brüssel dazu verpflichtet, aufs Gaspedal bei den Verhandlungen zu steigen, und der Bevölkerung die Vorteile des Abkommens zu vermitteln, damit TTIP möglichst bald auf Schienen ist. Wer das nicht glaubt, möge sich die Schlussfolgerungen des EU-Gipfels vom 19./20.3.2015 zu Gemüte führen: „Der Europäische Rat hat über den Stand der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) beraten. Die EU und die Vereinigten Staaten sollten alles daran setzen, die Verhandlungen über ein ehrgeiziges, umfassendes und für beide Seiten vorteilhaftes Abkommen bis Jahresende zum Abschluss zu bringen. Die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten sich verstärkt darum bemühen, die Vorteile des Abkommens zu vermitteln und den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu verbessern“ (Schlussfolgerungen des Europ. Rates, 19./20.3.2015). Kaum wieder in Österreich zurückgekommen, versucht der Kanzler freilich diesen Bauchfleck zu überspielen. Er habe in Brüssel zu Protokoll gegeben, dass er „gegen die Einrichtung von Sondergerichten bei TTIP“ sei. Für den Bundeskanzler ist der Kampf gegen TTIP also bereits auf einen Kampf gegen die Sonderschiedsgerichte zusammengeschrumpft. Nun sind diese privaten Schiedsgerichte sicherlich ein besonders ätzendes Beiwerk solcher Freihandelsverträge, da sie eine Art Paralleljustiz für Konzerne etablieren, sie sind jedoch bloß die Spitze des Eisbergs. Freihandelsverträge entfalten grundsätzlich eine fatale Dynamik: Mehr Macht und mehr Profite für die Großkonzerne, Druck auf ökologische und soziale Standards, Lohndumping und Niederkonkurrieren kleinerer Betriebe, Privatisierungsdruck, Aushebelung demokratischer Souveränität. Konzerne müssen in aller Regel, Regulierungen, die ihnen lästig sind, gar nicht vor Schiedsgerichte bringen, sie werden in 99% der Fälle „freiwillig“ geschliffen, denn wer nicht mitmacht beim gegenseitigen Unterbieten, bleibt wirtschaftlich auf der Strecke – oder wird politisch zur Strecke gebracht. Zu hoffen, dass die EU-Gerichtsbarkeit weniger Parteilichkeit zugunsten von Konzerninteressen an den Tag legen, ist zudem nicht unbedingt begründet, wenn man sich die Spruchpraxis des EuGH vor Augen hält. Das EU-Primärrecht ist bekanntlich eine wahre Lobeshymne an Freihandel und ungehemmte Kapitalmobilität. „… ein Leichtes, auch die restlichen Länder an Bord zu holen.“ Die EU-Kommission hat offensichtlich erkannt, dass es eine Chance bietet, TTIP gegen den vielfältigen Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen, wenn man in einem nicht unbedingt essentiellen Punkt nachgibt, um damit den Kerngehalt des Abkommens zu retten. Und der Kerngehalt für die Eliten dürfte bei TTIP vor allem im geopolitischen Bereich liegen. Bereits im Vorfeld des EU-Gipfels hat die EU-Handelskommissarin Malmström daher „vorläufige Ideen“ zur Reform der Schiedsgerichte vorgelegt, um den Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen. So könne sich Malmström vorstellen, dass sich die Konzerne entscheiden müssen, ob sie vor nationalen Gerichten oder Sondergerichtsstellen klagen wollen, eine Liste von Streitschlichtern könnten bereits im vorhinein erstellt, Berufungsmöglichkeiten eingeräumt werden, usw. Dass die österreichische Bevölkerung TTIP besonders ablehnend gegenüber steht, will die EU-Kommission sogar nutzen, um TTIP EU-weit durchzusetzen zu können. Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans: „Könne man Österreich überzeugen, dass TTIP gut für Europa sei, dann wäre es ein Leichtes, auch die restlichen Länder an Bord zu holen“ (Der Standard, 18.12.2014). Der von Faymann aufgebaute Pseudowiderstand, der sich auf eine Nebenfrage konzentriert, passt perfekt in diese Strategie. Sollten die Schiedsgerichte fallen gelassen werden bzw. in neuer Verkleidung auftauchen, droht der große Beschiss: Kanzler und Boulvard feiern das als großen Erfolg der Anti-TTIP-Bewegung, um sie im selben Moment für beendet zu erklären und grünes Licht für das EU-/US-Abkommen zu geben. Manche benutzen die Kritik an den Sondergerichten sogar, um Druck für neue Institutionen auf internationaler Ebene zu machen, über die die wirtschaftlich und politisch Starken die nationalstaatliche Souveränität der Schwächeren noch effizienter aushebeln können. Der deutsche Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel geht daher bereits einen Schritt weiter. Er möchte anstelle der Schiedsgerichte einen Internationalen Investitionsgerichtshof installieren, um jene abzuurteilen, die sich den Segnungen der unbeschränkten Kapitalfreiheit in den Weg stellen. Der Vorschlag von Gabriel wurde von der EU-Kommission sehr wohlwollend aufgenommen. Man sieht in einem solchen Gerichtshof wohl die Chance, jenes Regelwerk, das derzeit die EU-Verträge bestimmt, zu einer globalen Agenda zu machen: „Offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. 119, 120, 127 VAEU), „Abbau internationaler Handelshemmnisse“ (Art. 21, VEU),„Beseitigung der Beschränkung im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen“ (Art. 206, VAEU). Der Vorstoß des deutschen Wirtschaftsministers unterstreicht diegeopolitische Kampfansage von EU und USA an die Schwellen- und Entwicklungsländer, die hinter TTIP steht (sh. unten). Volksabstimmung über TTIP, CETA & Co! Gibt es eine Chance für die Bewegungen gegen TTIP, CETA & Co, diesem sich abzeichnenden Beschiss durch Kommission, Kanzler & Konsorten etwas entgegenzuhalten? Ja, es gibt sie. Wir dürfen uns einerseits in unserer Kritik nicht auf Einzelaspekte dieser Verträge reduzieren. Aber vor allem: Wir müssen uns auf die Frage des Ratifikationsprozesses konzentrieren. Es macht wenig Sinn, Bittbriefe an die EU-Kommission zu richten. Auch im EU-Parlament kann dieses Abkommen mit größter Wahrscheinlichkeit nicht aufgehalten werden, wohl auch nicht im österreichischen Parlament, wenn wir uns daran erinnern, wie beim EU-Fiskalpakt die Dominosteine gefallen sind: Erst fällt der Kanzler um, dann die Partei, dann die Gewerkschaft. Und wo eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist, fällt die erforderliche Anzahl von Oppositionsabgeordneten gleich mit um (sh. ESM!). Unsere wirkliche Chance besteht darin, die Forderung nach einer Volksabstimmung über TTIP und die anderen Freihandelsverträge in den Mittelpunkt der Bewegung zu stellen. Das ist nicht nur politisch, sondern auch rechtlich geboten. Nur die österreichische Bevölkerung hat das Recht über Verträge mit derart weitreichenden Folgen zu entscheiden. Ähnlich wie beim EU-Fiskalpakt gilt: Diese Verträge bedeuten die nahezu irreversible Entmündigung des Parlaments in zentralen Politikbereichen. Vielen Abgeordneten mag es ja egal sein, ob sie entmündigt werden oder nicht. Das ist traurig genug, aber die österreichische Verfassung hat gerade in weiser Voraussicht, dass eine derartige Verlotterung der politischen Klasse nicht ausgeschlossen werden kann, für solche Fälle Vorsorge getroffen: Tiefgreifende Verfassungsänderungen können nur durch eine Volksabstimmung entschieden werden. Was wenn nicht die dauerhafte Entmündigung des Parlaments in zentralen Fragen der Wirtschafts- und Handelspolitik gehört dazu! Solche Freihandelsverträge betreffen schließlich fast alle Lebensbereiche. Deswegen müssen wir den Parlamentariern laut und deutlich sagen: Ihr habt nicht das Mandat und nicht das Recht, die Entmündigung des Parlaments zu beschließen! Die Verweigerung einer Volksabstimmung war schon beim EU-Lissabon-Vertrag und beim EU-Fiskalpakt klarer Verfassungsbruch. Und genauso ist das der Fall bei so weitreichenden Handelsverträgen wie TTIP, CETA & Co!

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