Sonntag, 29. September 2013

J.W. Stalin Über dialektischen und historischen Materialismus

Der dialektische Materialismus ist die Weltanschauung der marxistisch-leninistischen Partei. Diese Weltanschauung heißt darum dialektischer Materialismus, weil ihr Herangehen an die Naturerscheinungen, ihre Methode der Erforschung der Naturerscheinungen, ihre Methode der Erkenntnis dieser Erscheinungen die dialektische ist, und weil ihre Deutung der Naturerscheinungen, ihre Auffassung der Naturerscheinungen, ihre Theorie materialistisch ist. Der historische Materialismus ist die Ausdehnung der Leitsätze des dialektischen Materialismus auf die Erforschung des gesellschaftlichen Lebens, die Anwendung der Leitsätze des dialektischen Materialismus auf die Erscheinungen des Lebens der Gesellschaft, auf die Erforschung der Gesellschaft, auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft. Bei der Charakterisierung ihrer dialektischen Methode berufen sich Marx und Engels gewöhnlich auf Hegel, als den Philosophen, der die Grundzüge der Dialektik formuliert hat. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Dialektik von Marx und Engels identisch ist mit der Dialektik Hegels. In Wirklichkeit haben Marx und Engels der Dialektik Hegels nur deren „rationellen Kern“ entnommen, die Hegelsche idealistische Hülle jedoch beiseite geworfen und die Dialektik weiterentwickelt, um ihr moderne wissenschaftliche Gestalt zu geben. „Meine dialektische Methode“, sagt Marx, „ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg“ (Schöpfer) „des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ (Karl Marx, Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes des „Kapital“, Dietz Verlag, Berlin 1947, S. 17/18.) Bei der Charakterisierung ihres Materialismus berufen sich Marx und Engels gewöhnlich auf Feuerbach, als den Philosophen, der den Materialismus wieder in seine Rechte eingesetzt hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Materialismus von Marx und Engels identisch ist mit dem Materialismus Feuerbachs. In Wirklichkeit haben Marx und Engels dem Materialismus Feuerbachs nur dessen „Grundkern“ entnommen, ihn zu einer wissenschaftlich-philosophischen Theorie des Materialismus weiterentwickelt und seine idealistischen und religiös-ethischen Überlagerungen weggeräumt. Bekanntlich wehrte sich Feuerbach, der im Grunde Materialist war, gegen die Bezeichnung Materialismus. Engels erklärte wiederholt, dass Feuerbach, „trotz der“ materialistischen „‚Grundlage’ in den überkommnen idealistischen Banden befangen“ blieb, dass der „wirkliche Idealismus Feuerbachs“ zutage tritt, „sobald wir auf seine Religionsphilosophie und Ethik kommen“. (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Dietz Verlag, Berlin 1946, S. 24 u. 26.) Dialektik stammt von dem griechischen Wort „dialego“, was ein Gespräch führen, eine Polemik führen heißt. Unter Dialektik verstand man im Altertum die Kunst, durch Aufdeckung der Widersprüche in den Urteilen des Gegners und durch Überwindung dieser Widersprüche zur Wahrheit zu gelangen. Im Altertum gab es Philosophen, die der Meinung waren, dass die Aufdeckung der Widersprüche im Denken und der Zusammenstoß entgegengesetzter Meinungen das beste Mittel zur Auffindung der Wahrheit seien. Diese dialektische Denkweise, die in der Folge auf die Naturerscheinungen ausgedehnt wurde, verwandelte sich in die dialektische Methode der Naturerkenntnis, die die Naturerscheinungen als in ewiger Bewegung und Veränderung befindlich und die Entwicklung der Natur als Resultat der Entwicklung der Widersprüche in der Natur, als Resultat der Wechselwirkung entgegengesetzter Kräfte in der Natur betrachtete. In ihrem Wesen ist die Dialektik der Metaphysik gerade entgegengesetzt. 1. Die marxistische dialektische Methode wird durch folgende Grundzüge charakterisiert: a) Im Gegensatz zur Metaphysik betrachtet die Dialektik die Natur nicht als zufällige Anhäufung von Dingen, von Erscheinungen, die voneinander losgelöst, voneinander isoliert und voneinander nicht abhängig wären, sondern als zusammenhängendes einheitliches Ganzes, wobei die Dinge, die Erscheinungen miteinander organisch verbunden sind, voneinander abhängen und einander bedingen. Darum geht die dialektische Methode davon aus, dass keine einzige Erscheinung in der Natur begriffen werden kann, wenn sie isoliert, außerhalb des Zusammenhangs mit den sie umgebenden Erscheinungen genommen wird, denn jede beliebige Erscheinung auf jedem Naturgebiet kann in Widersinn verwandelt werden, wenn sie außerhalb des Zusammenhangs mit den sie umgebenden Erscheinungen, losgelöst von ihnen, betrachtet wird, und, umgekehrt, jede beliebige Erscheinung kann verstanden und begründet werden, wenn sie in ihrem unlösbaren Zusammenhang mit den sie umgebenden Erscheinungen, in ihrer Bedingtheit durch die sie umgebenden Erscheinungen, betrachtet wird. b) Im Gegensatz zur Metaphysik betrachtet die Dialektik die Natur nicht als einen Zustand der Ruhe und Unbeweglichkeit, des Stillstands und der Unveränderlichkeit, sondern als Zustand unaufhörlicher Bewegung und Veränderung, unaufhörlicher Erneuerung und Entwicklung, in welchem immer irgendetwas entsteht und sich entwickelt, irgendetwas zugrunde geht und sich überlebt. Darum verlangt die dialektische Methode, dass die Erscheinungen nicht nur vom Standpunkt ihres gegenseitigen Zusammenhangs und Bedingtseins, sondern auch vom Standpunkt ihrer Bewegung, ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, vom Standpunkt ihres Entstehens und Vergehens betrachtet werden. Für die dialektische Methode ist vor allem nicht das wichtig, was im gegebenen Augenblick als fest erscheint, jedoch bereits abzusterben beginnt, sondern das, was entsteht und sich entwickelt, selbst wenn es im gegebenen Augenblick nicht fest aussieht, denn für die dialektische Methode ist nur das unüberwindlich, was entsteht und sich entwickelt. „… die gesamte Natur“, sagt Engels, „vom Kleinsten bis zum Größten, von den Sandkörnern bis zu den Sonnen, von den Protisten (lebendigen Urzellen. Die Red.) bis zum Menschen“ hat „in ewigem Entstehen und Vergehen, in unaufhörlichem Fluss, in rastloser Bewegung und Veränderung ihr Dasein.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur. Siehe Sonderband der Marx-Engels-Gesamtausgabe, Moskau 1935, S. 491.) Darum nimmt, wie Engels sagt, die Dialektik „die Dinge und ihre begrifflichen Abbilder wesentlich in ihrem Zusammenhang, ihrer Verkettung, ihrer Bewegung, ihrem Entstehen und Vergehen“. (Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft [Anti-Dühring], Dietz Verlag, Berlin 1948, S. 25/26.) c) Im Gegensatz zur Metaphysik betrachtet die Dialektik den Entwicklungsprozess nicht als einfachen Wachstumsprozess, in welchem quantitative Veränderungen nicht zu qualitativen Veränderungen führen, sondern als eine Entwicklung, die von unbedeutenden und verborgenen quantitativen Veränderungen zu sichtbaren Veränderungen, zu grundlegenden Veränderungen, zu qualitativen Veränderungen übergeht, in welcher die qualitativen Veränderungen nicht allmählich, sondern rasch, plötzlich, in Gestalt eines sprunghaften Übergangs von dem einen Zustand zu dem anderen Zustand eintreten, nicht zufällig, sondern gesetzmäßig, als Ergebnis der Ansammlung unmerklicher und allmählicher quantitativer Veränderungen. Darum ergibt sich aus der dialektischen Methode, dass der Entwicklungsprozess nicht als Kreisbewegung, nicht als einfache Wiederholung des Früheren, sondern als fortschreitende Bewegung, als Bewegung in aufsteigender Linie, als Übergang von einem alten qualitativen Zustand zu einem neuen qualitativen Zustand, als Entwicklung von Einfachem zu Kompliziertem, von Niederem zu Höherem aufgefasst werden muss. „Die Natur“, sagt Engels, „ist die Probe auf die Dialektik, und wir müssen es der modernen Naturwissenschaft nachsagen, dass sie für diese Probe ein äußerst reichliches, sich täglich häufendes Material geliefert und damit bewiesen hat, dass es in der Natur, in letzter Instanz, dialektisch und nicht metaphysisch hergeht, dass sie sich nicht im ewigen Einerlei eines stets wiederholten Kreises bewegt, sondern eine wirkliche Geschichte durchmacht. Hier ist vor allen Darwin zu nennen, der der metaphysischen Naturauffassung den gewaltigsten Stoß versetzt hat durch seinen Nachweis, dass die ganze heutige organische Natur, Pflanzen und Tiere und damit auch der Mensch, das Produkt eines durch Millionen Jahre fortgesetzten Entwicklungsprozesses ist.“ (Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft [Anti-Dühring], S. 26.) In seiner Charakterisierung der dialektischen Entwicklung als eines Übergangs von quantitativen Veränderungen zu qualitativen Veränderungen sagt Engels: „In der Physik … ist jede Veränderung ein Umschlagen von Quantität in Qualität, eine Folge quantitativer Veränderung der dem Körper innewohnenden oder mitgeteilten Bewegungsmenge irgendwelcher Form. ‚So ist z. B. der Temperaturgrad des Wassers zunächst gleichgültig in Beziehung auf dessen tropfbare Flüssigkeit; es tritt dann aber beim Vermehren oder Vermindern der Temperatur des flüssigen Wassers ein Punkt ein, wo dieser Kohäsionszustand sich ändert und das Wasser einerseits in Dampf und andrerseits in Eis verwandelt wird.’ … So gehört eine bestimmte Minimalstromstärke dazu, den Platindraht des elektrischen Glühlichts zum Glühen zu bringen; so hat jedes Metall seine Glüh- und Schmelzwärme, so jede Flüssigkeit ihren bei bekanntem Druck feststehenden Gefrier- und Siedepunkt – soweit unsere Mittel uns erlauben, die betreffende Temperatur hervorzubringen; so endlich auch jedes Gas seinen kritischen Punkt, wo Druck und Abkühlung es tropfbar flüssig machen … Die so genannten Konstanten der Physik (Punkte des Umschlagens von dem einen Zustand in einen anderen Zustand. Die Red.) sind größtenteils nichts andres als Bezeichnungen von Knotenpunkten, wo quantitative (Veränderung) Zufuhr oder Entziehung von Bewegung qualitative Änderung im Zustand des betreffenden Körpers hervorruft, wo also Quantität in Qualität umschlägt.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, a. a. O., S. 502/03.) Weiterhin zur Chemie übergehend, fährt Engels fort: „Man kann die Chemie bezeichnen als die Wissenschaft von den qualitativen Veränderungen der Körper infolge veränderter quantitativer Zusammensetzung. Das wusste schon Hegel selbst …Gleich der Sauerstoff: vereinigen sich drei Atome zu einem Molekül, statt der gewöhnlichen zwei, so haben wir Ozon, einen Körper, der durch Geruch und Wirkung von gewöhnlichem Sauerstoff sehr bestimmt verschieden. Und gar die verschiednen Verhältnisse, mit denen Sauerstoff sich mit Stickstoff oder Schwefel verbindet, und deren jedes einen von allen andern qualitativ verschiednen Körper bildet!“ (Ebenda, S. 503.) Schließlich sagt Engels in seiner Kritik Dührings, der Hegel aufs gröbste anpöbelt und ihm doch gleichzeitig stillschweigend den bekannten Satz entlehnt, dass der Übergang aus dem Reich der empfindungslosen Welt in das Reich der Empfindung, aus dem Reich der unorganischen Welt in das Reich des organischen Lebens ein Sprung in einen neuen Zustand sei: „Dies ist ganz die Hegelsche Knotenlinie von Maßverhältnissen, wo bloß quantitative Steigerung oder Abnahme an gewissen bestimmten Knotenpunkten einen qualitativen Sprung verursacht, z. B. bei erwärmtem oder abgekühltem Wasser, wo der Siedepunkt und der Gefrierpunkt die Knoten sind, an denen der Sprung in einen neuen Aggregatzustand – unter Normaldruck – sich vollzieht, wo also Quantität in Qualität umschlägt.“ (Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft [Anti-Dühring], S. 52/53.) d) Im Gegensatz zur Metaphysik geht die Dialektik davon aus, dass den Naturdingen, den Naturerscheinungen innere Widersprüche eigen sind, denn sie alle haben ihre negative und positive Seite, ihre Vergangenheit und Zukunft, ihr Ablebendes und sich Entwickelndes, dass der Kampf dieser Gegensätze, der Kampf zwischen Altem und Neuem, zwischen Absterbendem und neu Entstehendem, zwischen Ablebendem und sich Entwickelndem, den inneren Gehalt des Entwicklungsprozesses, den inneren Gehalt des Umschlagens quantitativer Veränderungen in qualitative bildet. Darum ergibt sich aus der dialektischen Methode, dass der Prozess der Entwicklung von Niederem zu Höherem nicht in Form einer harmonischen Entfaltung der Erscheinungen verläuft, sondern in Form eines Hervorbrechens der Widersprüche, die den Dingen und Erscheinungen eigen sind, in Form eines „Kampfes“ gegensätzlicher Tendenzen, die auf der Grundlage dieser Widersprüche wirksam sind. „Im eigentlichen Sinne ist die Dialektik“, sagt Lenin, „die Erforschung der Widersprüche im Wesen der Dinge selbst.“ (Lenin, Aus dem philosophischen Nachlas, S. 188.) Und ferner: „Entwicklung ist ‚Kampf’ der Gegensätze.“ (Ebenda, S. 286.) Dies sind in kurzem die Grundzüge der marxistischen dialektischen Methode. Es ist nicht schwer zu begreifen, welche gewaltige Bedeutung die Ausdehnung der Leitsätze der dialektischen Methode auf die Erforschung des gesellschaftlichen Lebens, auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft hat, welche gewaltige Bedeutung der Anwendung dieser Leitsätze auf die Geschichte der Gesellschaft, auf die praktische Tätigkeit der Partei des Proletariats zukommt. Wenn es in der Welt keine isolierten Erscheinungen gibt, wenn alle Erscheinungen miteinander verbunden sind und einander bedingen, so ist es klar, dass jede gesellschaftliche Ordnung und jede gesellschaftliche Bewegung in der Geschichte nicht vom Standpunkt „ewiger Gerechtigkeit“ oder irgendeiner andern vorgefassten Idee einzuschätzen ist, wie dies nicht selten die Historiker tun, sondern vom Standpunkt der Bedingungen, die diese Ordnung und diese gesellschaftliche Bewegung hervorgebracht haben und mit denen sie verbunden sind. Die auf Sklaverei beruhende Gesellschaftsordnung ist unter modernen Bedingungen ein Unsinn, eine widernatürliche Dummheit. Die Sklaverei unter den Bedingungen der sich zersetzenden Urgemeinschaft ist eine völlig verständliche und gesetzmäßige Erscheinung, weil sie im Vergleich mit der Urgesellschaft einen Schritt vorwärts bedeutet. Die Forderung der bürgerlich-demokratischen Republik war unter den Bedingungen der Existenz des Zarismus und der bürgerlichen Gesellschaft in Russland, sagen wir im Jahre 1905, eine völlig verständliche, richtige und revolutionäre Forderung, denn die bürgerliche Republik bedeutete damals einen Schritt vorwärts. Die Forderung der bürgerlich-demokratischen Republik ist für unsere gegenwärtigen Bedingungen in der Sowjetunion eine unsinnige und konterrevolutionäre Forderung, denn im Vergleich mit der Sowjetrepublik wäre die bürgerliche Republik ein Schritt zurück. Alles hängt ab von den Bedingungen, von Ort und Zeit. Es ist verständlich, dass ohne ein solches historisches Herangehen an die gesellschaftlichen Erscheinungen die Existenz und die Entwicklung einer Wissenschaft von der Geschichte unmöglich ist, denn nur ein solches Herangehen bewahrt die historische Wissenschaft davor, in ein Chaos von Zufälligkeiten und in einen Haufen unsinnigster Irrtümer verwandelt zu werden. Ferner. Wenn die Welt sich in ununterbrochener Bewegung und Entwicklung befindet, wenn das Absterben des Alten und das Heranwachsen des Neuen ein Entwicklungsgesetz ist, so ist es klar, dass es keine „unerschütterlichen“ gesellschaftlichen Zustände, keine „ewigen Prinzipien“ des Privateigentums und der Ausbeutung, keine „ewigen Ideen“ der Unterwerfung der Bauern unter die Gutsbesitzer, der Arbeiter unter die Kapitalisten mehr gibt. Also kann man die kapitalistische Ordnung durch die sozialistische Ordnung ersetzen, ebenso wie die kapitalistische Ordnung seinerzeit die Feudalordnung ersetzt hat. Also darf man sich nicht auf diejenigen Schichten der Gesellschaft orientieren, die sich nicht mehr entwickeln, auch wenn sie im gegenwärtigen Augenblick die vorherrschende Kraft darstellen, sondern muss sich auf diejenigen Schichten orientieren, die sich entwickeln, die eine Zukunft haben, auch wenn sie im gegenwärtigen Augenblick nicht die vorherrschende Kraft darstellen. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in der Epoche des Kampfes der Marxisten gegen die Volkstümler, stellte das Proletariat in Russland eine unbedeutende Minderheit im Vergleich zur Einzelbauernschaft dar, die die gewaltige Mehrheit der Bevölkerung ausmachte. Aber das Proletariat, als Klasse, entwickelte sich, während die Bauernschaft, als Klasse, zerfiel. Und eben weil das Proletariat sich als Klasse entwickelte, orientierten sich die Marxisten auf das Proletariat. Und sie gingen nicht fehl, denn bekanntlich wuchs das Proletariat dann aus einer unbedeutenden Kraft zu einer erstrangigen historischen und politischen Kraft heran. Um also in der Politik nicht fehlzugehen, muss man vorwärts schauen und nicht rückwärts. Ferner. Wenn das Umschlagen langsamer quantitativer Veränderungen in rasche und plötzliche qualitative Veränderungen ein Entwicklungsgesetz darstellt, so ist es klar, dass die von unterdrückten Klassen vollzogenen revolutionären Umwälzungen eine völlig natürliche und unvermeidliche Erscheinung darstellen. Also kann der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus und die Befreiung der Arbeiterklasse vom kapitalistischen Joch nicht auf dem Wege langsamer Veränderungen, nicht auf dem Wege von Reformen, sondern einzig und allein auf dem Wege qualitativer Veränderung der kapitalistischen Ordnung, auf dem Wege der Revolution verwirklicht werden. Um also in der Politik nicht fehlzugehen, muss man Revolutionär sein und nicht Reformist. Ferner. Wenn die Entwicklung in Form des Hervorbrechens der inneren Widersprüche, in Form von Zusammenstößen gegensätzlicher Kräfte auf der Basis dieser Widersprüche verläuft mit dem Ziel, diese Widersprüche zu überwinden, so ist es klar, dass der Klassenkampf des Proletariats eine völlig natürliche und unvermeidliche Erscheinung ist. Also darf man die Widersprüche der kapitalistischen Zustände nicht verkleistern, sondern muss sie aufdecken und entwirren, darf man den Klassenkampf nicht eindämmen, sondern muss ihn zu Ende führen. Um also in der Politik nicht fehlzugehen, muss man eine unversöhnliche proletarische Klassenpolitik, nicht eine reformistische Politik der Interessenharmonie zwischen Proletariat und Bourgeoisie, nicht eine Paktiererpolitik des „Hineinwachsens“ des Kapitalismus in den Sozialismus durchführen. So verhält es sich mit der marxistischen dialektischen Methode, wenn man sie in ihrer Anwendung auf das gesellschaftliche Leben nimmt, in ihrer Anwendung auf die Geschichte der Gesellschaft. Was den marxistischen philosophischen Materialismus betrifft, so ist er in seinem Wesen dem philosophischen Idealismus gerade entgegengesetzt. 2.Der marxistische philosophische Materialismus wird durch folgende Grundzüge charakterisiert: a) Im Gegensatz zum Idealismus, der die Welt als Verkörperung der „absoluten Idee“, des „‘Weltgeistes“, des „Bewusstseins“ auffasst, geht der philosophische Materialismus von Marx davon aus, dass die Welt ihrer Natur nach materiell ist, dass die mannigfaltigen Erscheinungen in der Welt verschiedene Formen der sich bewegenden Materie darstellen, dass der wechselseitige Zusammenhang und die wechselseitige Bedingtheit der Erscheinungen, die durch die dialektische Methode festgestellt werden, Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der sich bewegenden Materie darstellen, dass die Welt sich nach den Bewegungsgesetzen der Materie entwickelt und keines „Weltgeistes“ bedarf. „Allerdings heißt materialistische Naturanschauung weiter nichts als einfache Auffassung der Natur so wie sie sich gibt, ohne fremde Zutat…“ (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Anhang, S.60.) Zu der materialistischen Auffassung des antiken Philosophen Heraklit: „Die Welt, eine und dieselbe aus allem, hat keiner der Götter noch Menschen gemacht, sondern sie war und ist und wird sein ewig lebendes Feuer, nach Maß sich entzündend und nach Maß erlöschend“, bemerkt Lenin: „Eine sehr gute Darlegung der Prinzipien des dialektischen Materialismus.“ (Lenin, Aus dem philosophischen Nachlas, S. 276.) b) Im Gegensatz zum Idealismus, der behauptet, dass nur unser Bewusstsein wirklich existiere, dass die materielle Welt, das Sein, die Natur nur in unserem Bewusstsein, in unseren Empfindungen, Vorstellungen, Begriffen existiere, geht der marxistische philosophische Materialismus davon aus, dass die Materie, die Natur, das Sein die objektive Realität darstellt, die außerhalb des Bewusstseins und unabhängig von ihm existiert, dass die Materie das Primäre, das Ursprüngliche ist, weil sie Quelle der Empfindungen, Vorstellungen, des Bewusstseins ist, das Bewusstsein aber das Sekundäre, das Abgeleitete ist, weil es ein Abbild der Materie, ein Abbild des Seins ist, dass das Denken ein Produkt der Materie ist, die in ihrer Entwicklung einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hat, und zwar ein Produkt des Gehirns, das Gehirn aber das Organ des Denkens ist, dass man darum das Denken nicht von der Materie trennen kann, ohne in einen groben Irrtum zu verfallen. Die „höchste Frage der gesamten Philosophie“, sagt Engels, ist die „Frage nach dem Verhältnis des Denkens zum Sein, des Geistes zur Natur…“ „Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei große Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geistes gegenüber der Natur behaupteten, … bildeten das Lager des Idealismus. Die andern, die die Natur als das Ursprüngliche ansahen, gehören zu den verschiednen Schulen des Materialismus.“ (FriedrichEngels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, S. 16/17.) Ferner ist „die stoffliche, sinnlich wahrnehmbare Welt, zu der wir selbst gehören, das einzig Wirkliche …“ Unser „Bewusstsein und Denken, so übersinnlich es scheint“, ist „das Erzeugnis eines stofflichen, körperlichen Organs, des Gehirns … Die Materie ist nicht ein Erzeugnis des Geistes, sondern der Geist ist selbst nur das höchste Produkt der Materie.“ (Ebenda, S. 20.) Auf die Frage von Materie und Denken eingehend, sagt Marx: „Man kann den Gedanken nicht von einer Materie trennen, die denkt. Sie ist das Subjekt aller Veränderungen.“ (Marx-Engels-Gesamtausgabe, Erste Abteilung, Bd. 3, S. 305.) Den marxistischen philosophischen Materialismus charakterisierend, sagt Lenin: „Der Materialismus überhaupt erkennt das objektiv reale Sein (die Materie) als unabhängig von dem Bewusstsein, der Empfindung, der Erfahrung … an… Das Bewusstsein ist … nur das Abbild des Seins, bestenfalls sein annähernd getreues (adäquates, ideal-exaktes) Abbild.“ (Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, S. 316/17.) Und ferner: „… Materie ist das, was durch seine Wirkung auf unsere Sinnesorgane die Empfindung erzeugt; die Materie ist die objektive, uns in der Empfindung gegebene Realität … Materie, Natur, Sein, Physisches sind das Primäre, während Geist, Bewusstsein, Empfindung, Psychisches das Sekundäre sind.“ (Ebenda, S.134 und 135/36.) „Das Weltbild ist ein Bild dessen, wie sich die Materie bewegt und wie ‚die Materie denkt’.“ (Ebenda, S. 345.) „… das Gehirn“ ist „das Organ des Denkens …“ (Ebenda, S.141.) c) Im Gegensatz zum Idealismus, der die Möglichkeit der Erkenntnis der Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten bestreitet, der nicht an die Zuverlässigkeit unseres Wissens glaubt, der die objektive Wahrheit nicht anerkennt und der Ansicht ist, dass die Welt voll sei von „Dingen an sich“, die niemals von der Wissenschaft erkannt werden können, geht der marxistische philosophische Materialismus davon aus, dass die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten durchaus erkennbar sind, dass unser Wissen von den Naturgesetzen, durch die Erfahrung, durch die Praxis geprüft, zuverlässiges Wissen ist, das die Bedeutung objektiver Wahrheit hat, dass es in der Welt keine unerkennbaren Dinge gibt, wohl aber Dinge, die noch nicht erkannt sind, und diese werden durch die Kräfte der Wissenschaft und der Praxis aufgedeckt und erkannt werden. In seiner Kritik der These Kants und anderer Idealisten von der Unerkennbarkeit der Welt und den unerkennbaren „Dingen an sich“ und in seiner Verfechtung der bekannten These des Materialismus von der Zuverlässigkeit unseres Wissens schreibt Engels: „Die schlagendste Widerlegung dieser, wie aller andern philosophischen Schrullen ist die Praxis, nämlich das Experiment und die Industrie. Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kantschen unfassbaren ‚Ding an sich’ zu Ende. Die im pflanzlichen und tierischen Körper erzeugten chemischen Stoffe blieben solche ‚Dinge an sich’, bis die organische Chemie sie einen nach dem andern darzustellen anfing; damit wurde das ,Ding an sich’ ein Ding für uns, wie z. B. der Farbstoff des Krapps, das Alizarin, das wir nicht mehr auf dem Felde in den Krappwurzeln wachsen lassen, sondern aus Kohlenteer weit wohlfeiler und einfacher herstellen. Das kopernikanische Sonnensystem war dreihundert Jahre lang eine Hypothese, auf die hundert, tausend, zehntausend gegen eins zu wetten war, aber doch immer eine Hypothese; als aber Leverrier aus den durch dies System gegebenen Daten nicht nur die Notwendigkeit der Existenz eines unbekannten Planeten, sondern auch den Ort berechnete, wo dieser Planet am Himmel stehen müsse, und als Galle dann diesen Planeten wirklich fand, da war das kopernikanische System bewiesen.“ (Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, S. 18.) Lenin, der Bogdanow, Basarow, Juschkewitsch und andere Anhänger Machs des Fideismus (reaktionäre Theorie, die dem Glauben vor der Wissenschaft den Vorzug gibt) beschuldigt und die bekannte These des Materialismus verficht, dass unsere wissenschaftliche Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Natur zuverlässiges Wissen ist, dass die Gesetze der Wissenschaft objektive Wahrheit darstellen, sagt in diesem Zusammenhang: „Der moderne Fideismus verwirft die Wissenschaft durchaus nicht; er verwirft nur die ‚übermäßigen Ansprüche’ der Wissenschaft, und zwar den Anspruch auf objektive Wahrheit. Wenn es eine objektive Wahrheit gibt (wie die Materialisten meinen), wenn nur die Naturwissenschaft allein, die die Außenwelt in der menschlichen ‚Erfahrung’ abbildet, fähig ist, uns die objektive Wahrheit zu vermitteln, so ist damit jeglicher Fideismus unbedingt verworfen.“ (Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, S. 114.) Dies sind in kurzem die charakteristischen Züge des marxistischen philosophischen Materialismus. Es ist leicht zu begreifen, welche gewaltige Bedeutung die Ausdehnung der Leitsätze des philosophischen Materialismus auf die Erforschung des gesellschaftlichen Lebens, auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft hat, welche gewaltige Bedeutung der Anwendung dieser Leitsätze auf die Geschichte der Gesellschaft, auf die praktische Tätigkeit der Partei des Proletariats zukommt. Wenn der Zusammenhang der Naturerscheinungen und ihre wechselseitige Bedingtheit Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Natur darstellen, so folgt daraus, dass der Zusammenhang und die wechselseitige Bedingtheit der Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens ebenfalls nichts Zufälliges, sondern Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Gesellschaft darstellen. Also hört das gesellschaftliche Leben, die Geschichte der Gesellschaft auf, eine Anhäufung von „Zufälligkeiten“ zu sein, denn die Geschichte der Gesellschaft wird zur gesetzmäßigen Entwicklung der Gesellschaft, und die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft verwandelt sich in eine Wissenschaft. Also darf sich die praktische Tätigkeit der Partei des Proletariats nicht auf die frommen Wünsche „hervorragender Persönlichkeiten“, nicht auf Forderungen der „Vernunft“, der „allgemeinen Moral“ usw. gründen, sondern muss sich auf die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Gesellschaft, auf die Erforschung dieser Gesetzmäßigkeiten gründen. Ferner. Wenn die Welt erkennbar ist und unser Wissen von den Entwicklungsgesetzen der Natur zuverlässiges Wissen ist, das die Bedeutung objektiver Wahrheit hat, so folgt daraus, dass das gesellschaftliche Leben, die Entwicklung der Gesellschaft ebenfalls erkennbar ist und dass die Ergebnisse der Wissenschaft bezüglich der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft zuverlässige Ergebnisse sind, die die Bedeutung objektiver Wahrheiten haben. Also kann die Wissenschaft von der Geschichte der Gesellschaft trotz aller Kompliziertheit der Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens zu einer genau so exakten Wissenschaft werden wie, sagen wir, die Biologie, zu einer Wissenschaft, die imstande ist, die Entwicklungsgesetze der Gesellschaft in der Praxis auszunutzen. Also darf sich die Partei des Proletariats in ihrer praktischen Tätigkeit nicht von irgendwelchen zufälligen Beweggründen leiten lassen, sondern muss sich von den Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft, von praktischen Schlussfolgerungen aus diesen Gesetzen leiten lassen. Also verwandelt sich der Sozialismus aus einem Traum von einer besseren Zukunft der Menschheit in eine Wissenschaft. Also muss die Verbindung von Wissenschaft und praktischer Tätigkeit, die Verbindung von Theorie und Praxis, ihre Einheit zum Leitstern der Partei des Proletariats werden. Ferner. Wenn die Natur, das Sein, die materielle Welt primär sind, das Bewusstsein, das Denken aber sekundär, abgeleitet, wenn die materielle Welt die objektive Realität darstellt, die unabhängig von dem Bewusstsein der Menschen existiert, das Bewusstsein aber ein Spiegelbild dieser objektiven Realität ist, so folgt daraus, dass das materielle Leben der Gesellschaft, ihr Sein ebenfalls das Primäre, das Ursprüngliche ist, ihr geistiges Leben aber das Sekundäre, das Abgeleitete, dass das materielle Leben der Gesellschaft eine objektive Realität ist, die unabhängig vom Willen der Menschen existiert, das geistige Leben der Gesellschaft aber eine Widerspiegelung dieser objektiven Realität, eine Widerspiegelung des Seins ist. Also darf man die Quelle der Gestaltung des geistigen Lebens der Gesellschaft, den Ursprung der gesellschaftlichen Ideen, der gesellschaftlichen Theorien, der politischen Anschauungen, der politischen Einrichtungen nicht in den Ideen, Theorien, Anschauungen, politischen Einrichtungen selbst suchen, sondern muss sie in den Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft, in dem gesellschaftlichen Sein suchen, dessen Abbild diese Ideen, Theorien, Anschauungen usw. sind. Wenn also in verschiedenen Perioden der Geschichte der Gesellschaft verschiedene gesellschaftliche Ideen, Theorien, Anschauungen, politische Einrichtungen zu beobachten sind, wenn wir in der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung die einen gesellschaftlichen Ideen, Theorien, Anschauungen, politischen Einrichtungen antreffen, unter dem Feudalismus andere, unter dem Kapitalismus wieder andere, so erklärt sich das nicht aus der „Natur“, aus der „Eigenschaft“ der Ideen, Theorien, Anschauungen, politischen Einrichtungen selbst, sondern aus den verschiedenen Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft in den verschiedenen Perioden der gesellschaftlichen Entwicklung. Wie das Sein der Gesellschaft, wie die Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft, so sind ihre Ideen, Theorien, politischen Anschauungen, politischen Einrichtungen. In diesem Zusammenhang sagt Marx: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ (Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, Dietz Verlag, Berlin 1950, S. 13.) Um also in der Politik nicht fehlzugehen und nicht in die Lage weltfremder Träumer zu geraten, muss die Partei des Proletariats in ihrer Tätigkeit ausgehen nicht von abstrakten „Prinzipien der menschlichen Vernunft“, sondern von den konkreten Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft als der entscheidenden Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung, nicht von den frommen Wünschen „großer Männer“, sondern von den realen Bedürfnissen der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft. Das Scheitern der Utopisten, darunter der Volkstümler, Anarchisten, Sozialrevolutionäre, erklärt sich unter anderem dadurch, dass sie die primäre Rolle der Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft in der Entwicklung der Gesellschaft nicht anerkannten und – in Idealismus verfallend – ihre praktische Tätigkeit nicht auf der Grundlage der Bedürfnisse der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft aufbauten, sondern unabhängig von ihnen und im Gegensatz zu ihnen auf der Grundlage „idealer Pläne“ und „allumfassender Projekte“, die von dem realen Leben der Gesellschaft losgelöst waren. Stärke und Lebenskraft des Marxismus-Leninismus bestehen darin, dass er sich in seiner praktischen Tätigkeit eben auf die Bedürfnisse der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft stützt, ohne sich jemals von dem realen Leben der Gesellschaft loszulösen. Aus den Worten von Marx folgt jedoch nicht, dass die gesellschaftlichen Ideen, Theorien, politischen Anschauungen, politischen Einrichtungen im Leben der Gesellschaft keine Bedeutung haben, dass sie auf das gesellschaftliche Sein, auf die Entwicklung der materiellen Lebensbedingungen der Gesellschaft nicht zurückwirken. Wir haben hier zunächst von dem Ursprung der gesellschaftlichen Ideen, Theorien, Anschauungen, politischen Einrichtungen, von ihrer Entstehung gesprochen, davon, dass das geistige Leben der Gesellschaft ein Abbild der Bedingungen ihres materiellen Lebens ist. Was die Bedeutung der gesellschaftlichen Ideen, Theorien, Anschauungen, politischen Einrichtungen betrifft, was ihre Rolle in der Geschichte betrifft, so wird ihre gewichtige Rolle und Bedeutung im Leben der Gesellschaft, in der Geschichte der Gesellschaft, vom historischen Materialismus nicht nur nicht bestritten, sondern im Gegenteil hervorgehoben. Es gibt verschiedene gesellschaftliche Ideen und Theorien. Es gibt alte Ideen und Theorien, die sich überlebt haben und den Interessen der absterbenden Kräfte der Gesellschaft dienen. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie die Entwicklung der Gesellschaft, ihre Vorwärtsbewegung hemmen. Es gibt neue, fortschrittliche Ideen und Theorien, die den Interessen der fortschrittlichen Kräfte der Gesellschaft dienen. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie die Entwicklung der Gesellschaft, ihre Vorwärtsbewegung erleichtern, wobei sie um so größere Bedeutung erlangen, je genauer sie die Bedürfnisse der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Neue gesellschaftliche Ideen und Theorien entstehen erst, nachdem die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft diese vor neue Aufgaben gestellt hat. Aber nachdem sie entstanden sind, werden sie zu einer höchst bedeutenden Kraft, die die Lösung der neuen, durch die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft gestellten Aufgaben erleichtert, die Vorwärtsbewegung der Gesellschaft erleichtert. Gerade hier äußert sich die gewaltige organisierende, mobilisierende und umgestaltende Rolle neuer Ideen, neuer Theorien, neuer politischer Anschauungen, neuer politischer Einrichtungen. Neue gesellschaftliche Ideen und Theorien entstehen im Grunde genommen eben darum, weil sie für die Gesellschaft notwendig sind, weil es ohne ihr organisierendes, mobilisierendes und umgestaltendes Wirken unmöglich ist, die herangereiften Aufgaben der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft zu lösen. Entstanden auf der Basis der neuen Aufgaben, welche die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft stellt, bahnen sich die neuen gesellschaftlichen Ideen und Theorien den Weg, werden sie zum Gemeingut der Volksmassen, mobilisieren diese, organisieren sie gegen die absterbenden Kräfte der Gesellschaft und erleichtern auf diese Weise den Sturz der absterbenden Kräfte der Gesellschaft, die die Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft hemmen. So wirken die gesellschaftlichen Ideen, Theorien, politischen Einrichtungen, die auf der Basis der herangereiften Aufgaben der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft, der Entwicklung des gesellschaftlichen Seins entstanden sind, in der Folge selber auf das gesellschaftliche Sein, auf das materielle Leben der Gesellschaft zurück, indem sie die Bedingungen schaffen, die notwendig sind, um die Lösung der herangereiften Aufgaben des materiellen Lebens der Gesellschaft zu Ende zu führen und seine ‘Weiterentwicklung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang sagt Marx: „Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“ (Marx-Engels-Gesamtausgabe, Erste Abteilung, Bd. 1, Erster Halbbd., S. 614.) Um also die Möglichkeit zu haben, auf die Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft einzuwirken und die Entwicklung dieser Bedingungen zu beschleunigen, ihre Verbesserung zu beschleunigen, muss die Partei des Proletariats sich auf eine gesellschaftliche Theorie, eine gesellschaftliche Idee stützen, welche die Bedürfnisse der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft richtig zum Ausdruck bringt und infolgedessen fähig ist, die breiten Massen des Volkes in Bewegung zu setzen, sie zu mobilisieren und aus ihnen die große Armee der proletarischen Partei zu organisieren, die bereit ist, die reaktionären Kräfte niederzuschlagen und den fortschrittlichen Kräften der Gesellschaft den Weg zu bahnen. Das Scheitern der „Ökonomisten“ und Menschewiki erklärt sich u. a. daraus, dass sie die mobilisierende, organisierende und umgestaltende Rolle der fortschrittlichen Theorie, der fortschrittlichen Idee nicht anerkannten, und – in Vulgärmaterialismus verfallend – deren Rolle fast auf ein Nichts reduzierten, dass sie folglich die Partei zur Passivität, zum Dahinvegetieren verurteilten. Stärke und Lebenskraft des Marxismus-Leninismus bestehen darin, dass er sich auf die fortschrittliche Theorie stützt, die die Bedürfnisse der Entwicklung des materiellen Lebens der Gesellschaft richtig zum Ausdruck bringt, die Theorie auf die ihr gebührende Höhe erhebt und es für seine Pflicht hält, ihre mobilisierende, organisierende und umgestaltende Kraft restlos auszunutzen. So löst der historische Materialismus die Frage des Verhältnisses zwischen dem gesellschaftlichen Sein und dem gesellschaftlichen Bewusstsein, zwischen den Bedingungen der Entwicklung des materiellen Lebens und der Entwicklung des geistigen Lebens der Gesellschaft. 3. Der historische Materialismus. Bleibt noch die Frage zu klären: was ist vom Standpunkt des historischen Materialismus unter den „Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft“ zu verstehen, die in letzter Instanz das Gepräge der Gesellschaft, ihre Ideen, Anschauungen, politischen Einrichtungen usw. bestimmen? In der Tat – was sind das für „Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft“, welcher Art sind ihre charakteristischen Züge? Ohne Zweifel gehört zu dem Begriff „Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft“ vor allem die die Gesellschaft umgebende Natur, das geographische Milieu, das eine der notwendigen und ständigen Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft ist und natürlich auf die Entwicklung der Gesellschaft einwirkt. Welcher Art ist die Rolle des geographischen Milieus in der Entwicklung der Gesellschaft? Ist nicht das geographische Milieu jener Hauptfaktor, der das Gepräge der Gesellschaft, den Charakter der gesellschaftlichen Ordnung der Menschen, den Übergang von einer Ordnung zur anderen bestimmt? Der historische Materialismus beantwortet diese Frage verneinend. Das geographische Milieu ist unbestreitbar eine der ständigen und notwendigen Bedingungen der Entwicklung der Gesellschaft, und es übt natürlich auf die Entwicklung der Gesellschaft seine Wirkung aus – es beschleunigt oder verlangsamt den Entwicklungsgang der Gesellschaft. Aber sein Einfluss ist kein bestimmender Einfluss, da die Veränderungen und die Entwicklung der Gesellschaft unvergleichlich rascher vor sich gehen als die Veränderungen und die Entwicklung des geographischen Milieus. In einem Zeitraum von nur dreitausend Jahren sind in Europa drei verschiedene Gesellschaftsordnungen vom Schauplatz abgetreten: die Ordnung der Urgemeinschaft, die auf Sklaverei beruhende Gesellschaftsordnung, die Feudalordnung, und im östlichen Teil Europas, in der Sowjetunion, sind sogar vier Gesellschaftsordnungen vom Schauplatz abgetreten. Indessen haben sich in derselben Periode die geographischen Bedingungen in Europa entweder gar nicht oder derart unbedeutend verändert, dass die Geographie es nicht einmal für nötig hält, davon überhaupt zu sprechen. Das ist auch verständlich. Für einigermaßen bedeutsame Veränderungen des geographischen Milieus sind Millionen von Jahren erforderlich, dagegen genügen einige hundert oder ein paar tausend Jahre sogar für überaus bedeutsame Veränderungen der menschlichen Gesellschaftsordnung. Hieraus folgt aber, dass das geographische Milieu nicht die Hauptursache, nicht die bestimmende Ursache der gesellschaftlichen Entwicklung sein kann, denn das, was im Laufe von Zehntausenden von Jahren fast unverändert bleibt, kann nicht Hauptursache der Entwicklung dessen sein, was im Laufe von Jahrhunderten tiefgehende Veränderungen durchmacht. Es ist ferner unzweifelhaft, dass das Wachstum der Bevölkerung, diese oder jene Bevölkerungsdichte, ebenfalls zu dem Begriff „Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft“ gehört, denn die Menschen bilden ein notwendiges Element der Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft, und ohne das Vorhandensein einer gewissen Mindestzahl von Menschen kann es keinerlei materielles Leben der Gesellschaft geben. Ist nicht das Wachstum der Bevölkerung jener Hauptfaktor, der den Charakter der gesellschaftlichen Ordnung der Menschen bestimmt? Der historische Materialismus beantwortet diese Frage ebenfalls verneinend. Natürlich hat das Wachstum der Bevölkerung Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft, es erleichtert oder verlangsamt die Entwicklung der Gesellschaft, aber es kann nicht der Hauptfaktor der Entwicklung der Gesellschaft sein, und sein Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft kann nicht der bestimmende Einfluss sein, da das Wachstum der Bevölkerung an und für sich nicht den Schlüssel zur Erklärung dessen liefert, weshalb eine gegebene Gesellschaftsordnung gerade von einer so gestalteten neuen Ordnung, und nicht von irgendeiner anderen, abgelöst wird, warum die Urgemeinschaft abgelöst wird gerade von der Sklaverei, die Sklaverei von der Feudalordnung, die Feudalordnung von der bürgerlichen Ordnung, und nicht von irgendeiner anderen Gesellschaftsordnung. Wäre das Wachstum der Bevölkerung die bestimmende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung, so müsste eine größere Bevölkerungsdichte unbedingt einen entsprechend höheren Typus der Gesellschaftsordnung ins Leben rufen. In Wirklichkeit ist dies jedoch nicht der Fall. Die Bevölkerungsdichte in China ist viermal so groß wie die in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber die Vereinigten Staaten stehen in der gesellschaftlichen Entwicklung höher als China, denn in China herrscht immer noch eine halbfeudale Gesellschaftsordnung, während die Vereinigten Staaten schon lange das höchste Stadium der Entwicklung des Kapitalismus erreicht haben. Die Bevölkerungsdichte in Belgien ist 19mal so groß wie in den Vereinigten Staaten und 26mal so groß wie in der Sowjetunion, aber die Vereinigten Staaten stehen in der gesellschaftlichen Entwicklung höher als Belgien, und hinter der Sowjetunion ist Belgien um eine ganze historische Epoche zurückgeblieben, denn in Belgien herrscht die kapitalistische Ordnung, während die Sowjetunion bereits mit dem Kapitalismus Schluss gemacht und die sozialistische Gesellschaftsordnung errichtet hat. Daraus folgt aber, dass das Wachstum der Bevölkerung der den Charakter der Gesellschaftsordnung, das Gepräge der Gesellschaft bestimmende Hauptfaktor der Entwicklung der Gesellschaft weder ist noch sein kann. a) Worin besteht denn also der Hauptfaktor in dem System der Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft, der das Gepräge der Gesellschaft, den Charakter der Gesellschaftsordnung, die Entwicklung der Gesellschaft von einer Ordnung zur andern bestimmt? Diesen Faktor sieht der historische Materialismus in der Art und Weise der Gewinnung der Mittel für den Lebensunterhalt, die für die Existenz der Menschen notwendig sind, in der Produktionsweise der materiellen Güter - Nahrung, Kleidung, Schuhwerk, Wohnung, Heizung, Produktionsinstrumente u. ä. -, die notwendig sind, damit die Gesellschaft leben und sich entwickeln kann. Um zu leben, muss man Nahrung, Kleidung, Schuhwerk, Wohnung, Heizung u. ä. haben, um diese materiellen Güter zu haben, muss man sie produzieren, um sie aber zu produzieren, muss man Produktionsinstrumente haben, mit deren Hilfe die Menschen Nahrung, Kleidung, Schuhwerk, Wohnung, Heizung u. ä. produzieren, muss man diese Instrumente zu produzieren verstehen, muss man diese Instrumente zu gebrauchen verstehen. Produktionsinstrumente, mit deren Hilfe materielle Güter produziert werden, Menschen, die diese Produktionsinstrumente in Bewegung setzen und die Produktion der materiellen Güter dank einer gewissen Produktionserfahrung und Arbeitsfertigkeit bewerkstelligen – alle diese Elemente zusammen bilden die Produktivkräfte der Gesellschaft. Aber die Produktivkräfte bilden nur eine Seite der Produktion, eine Seite der Produktionsweise, die das Verhältnis der Menschen zu den für die Produktion der materiellen Güter benutzten Gegenständen und Naturkräften zum Ausdruck bringt. Die andere Seite der Produktion, die andere Seite der Produktionsweise, bilden die Wechselbeziehungen der Menschen im Produktionsprozess, die Produktionsverhältnisse der Menschen. Die Menschen führen einen Kampf mit der Natur und benutzen die Natur zur Produktion materieller Güter nicht voneinander isoliert, nicht als voneinander losgelöste Einzelwesen, sondern gemeinsam, in Gruppen, in Gesellschaften. Darum ist die Produktion immer und unter allen Bedingungen eine gesellschaftliche Produktion. Im Prozess der Produktion der materiellen Güter stellen die Menschen untereinander diese oder jene Wechselbeziehungen innerhalb der Produktion, diese oder jene Produktionsverhältnisse her. Diese Verhältnisse können Verhältnisse der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe von Menschen sein, die von Ausbeutung frei sind, sie können Verhältnisse der Herrschaft und Unterordnung sein, sie können endlich Übergangsverhältnisse von einer Form der Produktionsverhältnisse zu einer anderen Form sein. Aber welchen Charakter die Produktionsverhältnisse auch tragen mögen, sie bilden – immer und in allen Gesellschaftsordnungen – ein ebenso notwendiges Element der Produktion wie die Produktivkräfte der Gesellschaft. „In der Produktion“, sagt Marx, „wirken die Menschen nicht allein auf die Natur, sondern auch aufeinander. Sie produzieren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Tätigkeiten gegeneinander austauschen. Um zu produzieren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zueinander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse findet ihre Einwirkung auf die Natur, findet die Produktion statt.“ (Karl Marx, Lohnarbeit und Kapital, Dietz Verlag, Berlin 1950, S. 27.) Folglich umfasst die Produktion, die Produktionsweise, sowohl die Produktivkräfte der Gesellschaft als auch die Produktionsverhältnisse der Menschen, sie ist somit die Verkörperung ihrer Einheit im Prozess der Produktion der materiellen Güter. b) Die erste Besonderheit der Produktion besteht darin, dass sie niemals für längere Zeit an einer Stelle verharrt, sondern sich immer im Zustand der Veränderung und Entwicklung befindet, wobei Veränderungen in der Produktionsweise unvermeidlich eine Veränderung der gesamten Gesellschaftsordnung, der gesellschaftlichen Ideen, der politischen Anschauungen, der politischen Einrichtungen, eine Umwälzung der gesamten gesellschaftlichen und politischen Struktur hervorrufen. Auf verschiedenen Entwicklungsstufen bedienen sich die Menschen verschiedener Produktionsweisen oder, gröber gesprochen, führen sie eine verschiedene Lebensweise. Im urwüchsigen Gemeinwesen besteht die eine Produktionsweise, unter der Sklaverei eine andere, unter dem Feudalismus eine dritte Produktionsweise usw. Dementsprechend sind auch die Gesellschaftsordnung der Menschen, ihr geistiges Leben, ihre Anschauungen, ihre politischen Einrichtungen verschieden. Wie die Produktionsweise einer Gesellschaft, so ist im Wesentlichen auch die Gesellschaft selber, so sind ihre Ideen und Theorien, ihre politischen Anschauungen und Einrichtungen. Oder gröber gesprochen: wie die Lebensweise der Menschen, so ist ihre Denkweise. Das bedeutet, dass die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft vor allem die Entwicklungsgeschichte der Produktion ist, die Geschichte der Produktionsweisen, die einander im Laufe der Jahrhunderte ablösen, die Entwicklungsgeschichte der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse der Menschen. Also ist die Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung zugleich auch die Geschichte der Produzenten der materiellen Güter, die Geschichte der werktätigen Massen, die der Hauptfaktor des Produktionsprozesses sind und die Produktion der für die Existenz der Gesellschaft notwendigen materiellen Güter besorgen. Also kann die Geschichtswissenschaft, will sie eine wirkliche Wissenschaft sein, nicht mehr die Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung auf die Handlungen von Königen und Heerführern, auf die Handlungen von „Eroberern“ und „Staatenbezwingern“ reduzieren, sondern muss sich vor allem mit der Geschichte der Produzenten der materiellen Güter, mit der Geschichte der werktätigen Massen, mit der Geschichte der Völker beschäftigen. Also darf man den Schlüssel zur Erforschung der Gesetze der Geschichte der Gesellschaft nicht in den Köpfen der Menschen, nicht in den Anschauungen und Ideen der Gesellschaft suchen, sondern muss ihn in der Produktionsweise suchen, die die Gesellschaft in jeder gegebenen historischen Periode anwendet, in der Ökonomie der Gesellschaft. Also ist die allererste Aufgabe der Geschichtswissenschaft die Erforschung und Aufdeckung der Gesetze der Produktion, der Entwicklungsgesetze der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse, der ökonomischen Entwicklungsgesetze der Gesellschaft. Also muss die Partei des Proletariats, will sie eine wirkliche Partei sein, sich vor allem die Kenntnis der Entwicklungsgesetze der Produktion, die Kenntnis der ökonomischen Entwicklungsgesetze der Gesellschaft aneignen. Um also in der Politik nicht fehlzugehen, muss die Partei des Proletariats sowohl im Aufbau ihres Programms als auch in ihrer praktischen Tätigkeit vor allem von den Entwicklungsgesetzen der Produktion ausgehen, von den ökonomischen Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft. c) Die zweite Besonderheit der Produktion besteht darin, dass ihre Veränderungen und ihre Entwicklung immer mit Veränderungen und mit der Entwicklung der Produktivkräfte beginnen, vor allem mit Veränderungen und mit der Entwicklung der Produktionsinstrumente. Die Produktivkräfte sind folglich das beweglichste und revolutionärste Element der Produktion. Zuerst verändern und entwickeln sich die Produktivkräfte der Gesellschaft und dann, in Abhängigkeit von diesen Veränderungen und in Übereinstimmungmit ihnen, verändern sich die Produktionsverhältnisse der Menschen, ihre ökonomischen Beziehungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Produktionsverhältnisse nicht auf die Entwicklung der Produktivkräfte einwirken und dass diese nicht von jenen abhängen. Die Produktionsverhältnisse, die sich in Abhängigkeit von der Entwicklung der Produktivkräfte entwickeln, wirken ihrerseits zurück auf die Entwicklung der Produktivkräfte, beschleunigen oder verlangsamen ihre Entwicklung. Hierbei muss erwähnt werden, dass die Produktionsverhältnisse nicht allzu lange hinter dem Wachstum der Produktivkräfte zurückbleiben und mit ihnen in Widerspruch stehen können, da sich die Produktivkräfte nur dann in vollem Umfang entwickeln können, wenn die Produktionsverhältnisse dem Charakter, dem Zustand der Produktivkräfte entsprechen und der Entwicklung der Produktivkräfte freien Spielraum gewähren. Wie sehr daher auch die Produktionsverhältnisse hinter der Entwicklung der Produktivkräfte zurückbleiben mögen, sie müssen früher oder später in Übereinstimmung kommen – und kommen wirklich in Übereinstimmung – mit dem Entwicklungsniveau der Produktivkräfte, mit dem Charakter der Produktivkräfte. Im entgegengesetzten Falle käme es zu einer tiefgehenden Störung der Einheit der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse im Produktionssystem, zu einer Sprengung der Produktion in ihrer Gesamtheit, zu einer Krise der Produktion, zu einer Zerstörung von Produktivkräften. Ein Beispiel der Nichtübereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte, ein Beispiel des Konflikts zwischen ihnen sind die Wirtschaftskrisen in den kapitalistischen Ländern, wo das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln sich in schreiender Nichtübereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Charakter des Produktionsprozesses, mit dem Charakter der Produktivkräfte befindet. Ergebnis dieser Nichtübereinstimmung sind die Wirtschaftskrisen, die zur Zerstörung von Produktivkräften führen, wobei eben diese Nichtübereinstimmung die ökonomische Grundlage der sozialen Revolution darstellt, deren Bestimmung es ist, die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse zu zerstören und neue, dem Charakter der Produktivkräfte entsprechende, hervorzubringen. Und umgekehrt – ein Beispiel völliger Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte ist die sozialistische Volkswirtschaft in der Sowjetunion, wo das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln sich in völliger Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Charakter des Produktionsprozesses befindet und wo es infolgedessen weder Wirtschaftskrisen noch eine Zerstörung von Produktivkräften gibt. Folglich sind die Produktivkräfte nicht nur das beweglichste und revolutionärste Element der Produktion. Sie sind gleichzeitig auch das bestimmende Element der Entwicklung der Produktion. Wie die Produktivkräfte, so müssen auch die Produktionsverhältnisse sein. Während der Stand der Produktivkräfte anzeigt, mit welchen Produktionsinstrumenten die Menschen die für sie notwendigen materiellen Güter produzieren, zeigen die jeweiligen Produktionsverhältnisse bereits etwas anderes an: in wessen Besitz sich die Produktionsmittel (der Boden, die Waldungen, die Gewässer, die Bodenschätze, die Rohmaterialien, die Produktionsinstrumente, die Betriebsgebäude, die Verkehrsmittel, das Nachrichtenwesen u. ä.) befinden, in wessen Verfügung sich die Produktionsmittel befinden, in der Verfügung der gesamten Gesellschaft oder in der Verfügung einzelner Personen, Gruppen, Klassen, die sie zur Ausbeutung anderer Personen, Gruppen, Klassen gebrauchen. Im Folgenden ein schematisches Bild der Entwicklung der Produktivkräfte von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage. Übergang von groben Steinwerkzeugen zu Bogen und Pfeil und in Verbindung damit Übergang von der Lebensweise der Jäger zur Zähmung von Tieren und zu Urformen der Viehzucht; Übergang von Steinwerkzeugen zu Metallwerkzeugen (eiserne Axt, Pflug mit eiserner Pflugschar u. ä.) und dementsprechend Übergang zur Pflanzenkultur und zum Ackerbau; weitere Verbesserung der Metallwerkzeuge zur Bearbeitung von Materialien, Übergang zum Blasebalg der Schmiede, Übergang zur Töpferei und dementsprechend Entwicklung des Handwerks, Trennung des Handwerks vom Ackerbau, Entwicklung der selbständigen Handwerks- und späterhin der Manufakturproduktion; Übergang von handwerklichen Produktionsinstrumenten zur Maschine und Verwandlung der Handwerks- und Manufakturproduktion in maschinelle Industrie; Übergang zum Maschinensystem und Aufkommen der modernen maschinellen Großindustrie – das ist das allgemeine, bei weitem nicht vollständige Bild der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte im Verlaufe der Geschichte der Menschheit. Hierbei ist es verständlich, dass die Produktionsinstrumente von den Menschen, die zur Produktion in Beziehung standen, entwickelt und verbessert wurden, und nicht unabhängig von den Menschen – daher veränderten und entwickelten sich zugleich mit der Veränderung und Entwicklung der Produktionsinstrumente auch die Menschen, das wichtigste Element der Produktivkräfte, veränderten und entwickelten sich ihre Produktionserfahrung, ihre Arbeitsfertigkeit, ihre Fähigkeit, die Produktionsinstrumente zu handhaben. In Übereinstimmung mit der Veränderung und Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft im Verlaufe der Geschichte veränderten und entwickelten sich die Produktionsverhältnisse der Menschen, ihre ökonomischen Verhältnisse. Die Geschichte kennt fünf Grundtypen von Produktionsverhältnissen: die Produktionsverhältnisse der Urgemeinschaft, der Sklaverei, des Feudalismus, des Kapitalismus, des Sozialismus. In der Urgemeinschaft war die Grundlage der Produktionsverhältnisse das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln. Dies entspricht im Wesentlichen dem Charakter der Produktivkräfte in jener Periode. Die Steinwerkzeuge sowie Bogen und Pfeil, die später aufkamen, schlossen die Möglichkeit aus, dass der Kampf mit den Naturkräften und wilden Tieren von einzelnen allein geführt werde. Um Früchte im Walde zu sammeln, in den Gewässern Fischfang zu treiben, irgendeine Behausung zu bauen, sind die Menschen genötigt, gemeinsam zu arbeiten, wenn sie nicht Hungers sterben, wilden Tieren oder benachbarten Gemeinschaften zum Opfer fallen wollen. Die gemeinsame Arbeit führt zu Gemeineigentum an den Produktionsmitteln ebenso wie an den erzeugten Produkten. Hier ist der Begriff des Privateigentums an den Produktionsmitteln noch unbekannt, wenn wir absehen von dem persönlichen Eigentum an einzelnen Produktionsinstrumenten, die zugleich Waffen zur Verteidigung gegen wilde Tiere sind. Hier gibt es keine Ausbeutung, keine Klassen. In der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung ist die Grundlage der Produktionsverhältnisse das Eigentum des Sklavenhalters an den Produktionsmitteln, aber auch an dem Produzenten, dem Sklaven, den der Sklavenhalter verkaufen, kaufen, töten kann wie ein Stück Vieh. Derartige Produktionsverhältnisse entsprechen im Wesentlichen dem Stand der Produktivkräfte in jener Periode. An Stelle der Steinwerkzeuge hatten die Menschen jetzt Metallwerkzeuge zu ihrer Verfügung, an Stelle der armseligen und primitiven Jagdwirtschaft, die weder Viehzucht noch Ackerbau kannte, kamen Viehzucht, Ackerbau, Handwerk und die Arbeitsteilung unter diesen Produktionszweigen auf, kam die Möglichkeit des Austausches von Produkten zwischen einzelnen Personen und Gemeinschaften auf, die Möglichkeit der Anhäufung von Reichtümern in den Händen weniger, die tatsächliche Anhäufung von Produktionsmitteln in den Händen einer Minderheit, die Möglichkeit einer Unterwerfung der Mehrheit durch eine Minderheit und der Verwandlung der Angehörigen dieser Mehrheit in Sklaven. Hier gibt es bereits keine gemeinsame und freie Arbeit aller Mitglieder der Gesellschaft im Produktionsprozess, hier herrscht die Zwangsarbeit von Sklaven, die von den nichtarbeitenden Sklavenhaltern ausgebeutet werden. Daher gibt es auch kein Gemeineigentum an den Produktionsmitteln sowie an den erzeugten Produkten. Es wird abgelöst durch das Privateigentum. Hier erscheint der Sklavenhalter als der erste, der grundlegende vollwertige Eigentümer. Reiche und Arme, Ausbeuter und Ausgebeutete, Vollberechtigte und Rechtlose, heftiger Klassenkampf zwischen ihnen – das ist das Bild der auf Sklaverei beruhenden Gesellschaftsordnung. In der Feudalordnung ist die Grundlage der Produktionsverhältnisse das Eigentum des Feudalherrn an den Produktionsmitteln und beschränktes Eigentum an dem Produzenten, dem Leibeigenen, den der Feudalherr zwar nicht mehr töten darf, den er aber verkaufen und kaufen kann. Neben dem Feudaleigentum existiert- das individuelle Eigentum des Bauern und des Handwerkers an den Produktionsinstrumenten und an seiner auf persönlicher Arbeit beruhenden privaten Wirtschaft. Derartige Produktionsverhältnisse entsprechen im Wesentlichen dem Stand der Produktivkräfte in jener Periode. Weitere Verbesserung der Gewinnung und Verarbeitung des Eisens; Verbreitung des eisernen Pfluges und des Webstuhls; weitere Entwicklung des Ackerbaus, der Gartenwirtschaft, des Weinbaus, der Ölgewinnung; das Aufkommen von Manufakturbetrieben neben den Werkstätten der Handwerker – das sind die charakteristischen Kennzeichen des Standes der Produktivkräfte. Die neuen Produktivkräfte erfordern, dass der Arbeitende eine gewisse Initiative in der Produktion und Lust zur Arbeit habe, in gewissem Maße an der Arbeit interessiert sei. Darum verzichtet der Feudalherr auf den Sklaven, als auf einen Produzenten, der nicht an der Arbeit interessiert und jeder Initiative bar ist, und zieht es vor, mit dem Leibeigenen zu tun zu haben, der eine eigene Wirtschaft, eigene Produktionsinstrumente hat und der in gewissem Maße an der Arbeit interessiert ist, was notwendig ist, um den Boden zu bestellen und aus seinem Ernteertrag dem Feudalherrn Naturalabgaben zu leisten. Das Privateigentum erfährt hier eine weitere Entwicklung. Die Ausbeutung ist fast ebenso grausam wie unter der Sklaverei, sie ist nur ein wenig gemildert. Der Klassenkampf zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten bildet den Grundzug der feudalen Gesellschaftsordnung. In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist die Grundlage der Produktionsverhältnisse das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln ohne Eigentum an den Produzenten, den Lohnarbeitern, die der Kapitalist weder töten noch verkaufen kann, denn sie sind frei von persönlicher Abhängigkeit, sind aber der Produktionsmittel beraubt und, um nicht Hungers zu sterben, gezwungen, ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten zu verkaufen und das Joch der Ausbeutung auf ihrem Nacken zu tragen. Neben dem kapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln besteht das Privateigentum des von fronherrlicher Abhängigkeit befreiten Bauern und Handwerkers an den Produktionsmitteln, das auf persönlicher Arbeit beruht und in der ersten Zeit weit verbreitet ist. An Stelle der Werkstätten der Handwerker und der Manufakturbetriebe sind große, mit Maschinen ausgerüstete Fabriken und Werke aufgekommen. An Stelle der Adelsgüter, die mit primitiven bäuerlichen Produktionsinstrumenten bestellt werden, sind große kapitalistische Wirtschaften aufgekommen, die auf der Grundlage der agronomischen Technik betrieben werden und mit landwirtschaftlichen Maschinen versehen sind. Die neuen Produktivkräfte erfordern, dass die Produzenten auf höherer Kulturstufe stehen und anstelliger seien als die eingeschüchterten und unwissenden Leibeigenen, dass sie fähig seien, die Maschine zu verstehen und richtig mit ihr umzugehen. Darum ziehen die Kapitalisten die von feudalen Fesseln freien Lohnarbeiter vor, die auf hinreichend hoher Kulturstufe stehen, um mit den Maschinen richtig umzugehen. Aber indem der Kapitalismus die Produktivkräfte bis zu kolossalen Ausmaßen entwickelte, verstrickte er sich in Widersprüche, die für ihn unlösbar sind. Dadurch, dass der Kapitalismus immer mehr Waren produziert und die Warenpreise senkt, verschärft er die Konkurrenz, ruiniert er die Massen der kleinen und mittleren Privateigentümer, verwandelt er sie in Proletarier und verringert ihre Kaufkraft, wodurch es unmöglich wird, die produzierten Waren abzusetzen. Dadurch, dass der Kapitalismus die Produktion erweitert und Millionen Arbeiter in gewaltigen Fabriken und Werken zusammenballt, verleiht er dem Produktionsprozess gesellschaftlichen Charakter, wodurch er seine eigene Basis untergräbt, da der gesellschaftliche Charakter des Produktionsprozesses gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln erfordert, während das Eigentum an den Produktionsmitteln privatkapitalistisch bleibt, was mit dem gesellschaftlichen Charakter des Produktionsprozesses unvereinbar ist. Diese unversöhnlichen Gegensätze zwischen dem Charakter der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen tun sich in periodischen Überproduktionskrisen kund, in deren Verlauf die Kapitalisten, die infolge des von ihnen selbst verursachten Ruins der Massen der Bevölkerung keine zahlungsfähige Nachfrage finden, gezwungen sind, Produkte zu verbrennen, fertige Waren zu vernichten, die Produktion stillzulegen, Produktivkräfte zu zerstören, indessen Millionen der Bevölkerung gezwungen sind, unter der Arbeitslosigkeit und dem Hunger zu leiden, nicht weil es an Waren mangelt, sondern weil zuviel Waren produziert worden sind. Dies bedeutet, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufgehört haben, dem Stand der Produktivkräfte der Gesellschaft zu entsprechen und in unversöhnlichen Gegensatz zu ihnen geraten sind. Dies bedeutet, dass der Kapitalismus mit der Revolution schwanger geht, die berufen ist, das gegenwärtige kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln durch das sozialistische Eigentum zu ersetzen. Dies bedeutet, dass der schärfste Klassenkampf zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten den Grundzug der kapitalistischen Gesellschaftsordnung bildet. In der sozialistischen Gesellschaftsordnung, die vorerst nur in der Sowjetunion verwirklicht ist, ist die Grundlage der Produktionsverhältnisse das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln. Hier gibt es keine Ausbeuter und keine Ausgebeuteten mehr. Die erzeugten Produkte werden nach der Arbeitsleistung verteilt gemäß dem Prinzip: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.“ Die Wechselbeziehungen der Menschen im Produktionsprozess haben hier den Charakter kameradschaftlicher Zusammenarbeit und sozialistischer gegenseitiger Hilfe von Produzenten, die von Ausbeutung frei sind. Hier befinden sich die Produktionsverhältnisse in voller Übereinstimmung mit dem Stande der Produktivkräfte, denn der gesellschaftliche Charakter des Produktionsprozesses wird untermauert durch das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln. Darum kennt die sozialistische Produktion in der Sowjetunion keine periodischen Krisen der Überproduktion, noch die mit ihnen verbundenen Absurditäten. Darum entwickeln sich die Produktivkräfte hier in beschleunigtem Tempo, da die ihnen entsprechenden Produktionsverhältnisse den Produktivkräften zu einer solchen Entwicklung freien Spielraum lassen. Das ist das Bild der Entwicklung der Produktionsverhältnisse der Menschen im Verlaufe der Geschichte der Menschheit. Solcherart ist die Abhängigkeit der Entwicklung der Produktionsverhältnisse von der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft, vor allem von der Entwicklung der Produktionsinstrumente, wodurch die Veränderungen und die Entwicklung der Produktivkräfte früher oder später zu entsprechenden Veränderungen und entsprechender Entwicklung der Produktionsverhältnisse führen. „Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln“ [Unter „Arbeitsmitteln“ versteht Marx in der Hauptsache die Produktionsinstrumente. Die Red.], sagt Marx, „obgleich im Keim schon gewissen Tierarten eigen, charakterisieren den spezifisch menschlichen Arbeitsprozess, und Franklin definiert daher den Menschen als … ein Werkzeug fabrizierendes Tier. Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntnis der Organisation untergegangner Tiergeschlechter, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurteilung untergegangner ökonomischer Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird.“ (Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, S. 187/88.) Und ferner: „Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften. Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ (Karl Marx, Das Elend der Philosophie, Dietz Verlag, Berlin 1947, S. 127.) „Wir leben inmitten einer beständigen Bewegung des Anwachsens der Produktivkräfte, der Zerstörung sozialer Verhältnisse, der Bildung von Ideen; unbeweglich ist nur die Abstraktion von der Bewegung.“ (Ebenda, S. 127.) Bei der Charakterisierung des historischen Materialismus, wie er im „Manifest der Kommunistischen Partei“ formuliert ist, sagt Engels, „dass die ökonomische Produktion und die aus ihr mit Notwendigkeit folgende gesellschaftliche Gliederung einer jeden Geschichtsepoche die Grundlage bildet für die politische und intellektuelle Geschichte dieser Epoche; dass demgemäß (seit Auflösung des uralten Gemeinbesitzes an Grund und Boden) die ganze Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen ist, Kämpfen zwischen ausgebeuteten und ausbeutenden, beherrschten und herrschenden Klassen auf verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung; dass dieser Kampf aber jetzt eine Stufe erreicht hat, wo die ausgebeutete und unterdrückte Klasse (das Proletariat) sich nicht mehr von der sie ausbeutenden und unterdrückenden Klasse (der Bourgeoisie) befreien kann, ohne zugleich die ganze Gesellschaft für immer von Ausbeutung, Unterdrückung und Klassenkämpfen zu befreien…“ (Engels, Vorwort zur deutschen Ausgabe des „Manifest“ von 1883, Dietz Verlag, Berlin 1950, S. XVII/XVIII.) d) Die dritte Besonderheit der Produktion besteht darin, dass neue Produktivkräfte und die ihnen entsprechenden Produktionsverhältnisse nicht losgelöst von der alten Gesellschaftsordnung entstehen, nicht nach dem Verschwinden der alten Ordnung, sondern im Schoße der alten Gesellschaft, nicht als Ergebnis vorsätzlicher, bewusster Tätigkeit der Menschen, sondern elementar, unbewusst, unabhängig vom Willen der Menschen. Sie entstehen elementar und unabhängig vom Willen der Menschen aus zwei Gründen: Erstens darum, weil die Menschen nicht frei sind in der Wahl dieser oder jener Produktionsweise, denn jede neue Generation, die ins Leben tritt, findet bereits fertige Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse als Resultat der Arbeit vergangener Generationen vor, so dass sie für die erste Zeit alles das übernehmen muss, was sie in fertiger Gestalt auf dem Gebiete der Produktion vorfindet, und sich diesen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen anpassen muss, um die Möglichkeit zu erhalten, die materiellen Güter zu produzieren. Zweitens darum, weil die Menschen bei der Verbesserung dieses oder jenes Produktionsinstruments, dieses oder jenes Elements der Produktivkräfte sich dessen nicht bewusst sind, nicht verstehen und sich keine Gedanken darüber machen, zu welchen gesellschaftlichen Resultaten diese Verbesserungen führen müssen, sondern nur an ihre Alltagsinteressen denken, nur daran, sich die Arbeit zu erleichtern und irgendeinen unmittelbaren, greifbaren Vorteil für sich zu erlangen. Als einzelne Mitglieder der Urgemeinschaft allmählich und tastend von den Steinwerkzeugen zu eisernen Werkzeugen übergingen, wussten sie natürlich nicht und machten sich keine Gedanken darüber, zu welchen gesellschaftlichen Resultaten diese Neuerung führen werde, verstanden sie nicht und waren sie sich dessen nicht bewusst, dass der Übergang zu Metallwerkzeugen eine Umwälzung in der Produktion bedeutete, dass er schließlich zur Sklaverei führen werde – sie wollten sich einfach die Arbeit erleichtern und einen nächstliegenden, fühlbaren Vorteil erlangen, ihre bewusste Tätigkeit war auf den engen Rahmen dieses persönlichen Alltagsvorteils beschränkt. Als in der Periode der Feudalordnung die junge europäische Bourgeoisie neben den kleinen Zunftwerkstätten große Manufakturbetriebe zu bauen begann und auf diese Weise die Produktivkräfte der Gesellschaft vorwärtstrieb, wusste sie natürlich nicht und machte sich keine Gedanken darüber, zu welchen gesellschaftlichen Folgen diese Neuerung führen werde: sie war sich dessen nicht bewusst und verstand nicht, dass diese „kleine“ Neuerung zu einer Umgruppierung der gesellschaftlichen Kräfte führen werde, die mit einer Revolution enden musste sowohl gegen die Königsmacht, deren Gnade sie so hoch schätzte, als auch gegen die Adligen, in deren Reihen aufzusteigen nicht selten der Traum ihrer besten Vertreter war, – sie wollte einfach die Warenproduktion verbilligen, möglichst viel Waren auf die Märkte Asiens und des soeben entdeckten Amerikas werfen und möglichst viel Profit erlangen: ihre bewusste Tätigkeit war auf den engen Rahmen dieser Alltagspraxis beschränkt. Als die russischen Kapitalisten gemeinsam mit den ausländischen Kapitalisten in Russland in verstärktem Maße die moderne maschinelle Großindustrie einführten, wobei sie den Zarismus unangetastet ließen und die Bauern den Gutsbesitzern zur Ausplünderung auslieferten, wussten sie natürlich nicht und machten sich keine Gedanken darüber, zu welchen gesellschaftlichen Folgen dies bedeutsame Anwachsen der Produktivkräfte führen werde: sie waren sich dessen nicht bewusst und verstanden nicht, dass dieser bedeutsame Sprung auf dem Gebiete der gesellschaftlichen Produktivkräfte zu einer Umgruppierung der gesellschaftlichen Kräfte führen werde, die es dem Proletariat ermöglicht, die Bauernschaft in seinen Kampf .einzureihen und die siegreiche sozialistische Revolution zu vollbringen, – sie wollten einfach die Industrieproduktion aufs äußerste erweitern, den kolossalen inneren Markt erobern, zu Monopolisten werden und möglichst viel Profit aus der Volkswirtschaft herauspressen; ihre bewusste Tätigkeit ging nicht über ihre eng praktischen Alltagsinteressen hinaus. Dementsprechend sagt Marx: „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens (das heißt in der Produktion der für das Leben der Menschen notwendigen materiellen Güter. Die Red.) gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige[Von der Redaktion hervorgehoben.] Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen.“ (Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 13.) Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Veränderungen der Produktionsverhältnisse und der Übergang von alten Produktionsverhältnissen zu neuen sich glatt, ohne Konflikte, ohne Erschütterungen vollziehen. Im Gegenteil, ein solcher Übergang vollzieht sich gewöhnlich auf dem Wege des revolutionären Sturzes der alten Produktionsverhältnisse und der Herstellung und Verankerung neuer. Bis zu einer gewissen Periode vollziehen sich die Entwicklung der Produktivkräfte und die Veränderungen auf dem Gebiete der Produktionsverhältnisse als elementarer Prozess, unabhängig vom Willen der Menschen. Aber dies nur bis zu einem gewissen Augenblick, bis zu dem Augenblick, wo die neu entstandenen und sich entwickelnden Produktivkräfte die notwendige Reife erlangt haben. Nachdem die neuen Produktivkräfte ausgereift sind, verwandeln sich die bestehenden Produktionsverhältnisse und ihre Träger, die herrschenden Klassen, in das „unüberwindliche“ Hindernis, das nur aus dem Wege geräumt werden kann durch die bewusste Tätigkeit der neuen Klassen, durch gewaltsame Handlungen dieser Klassen, durch die Revolution. Hier zeigt sich besonders klar die gewaltige Rolle der neuen gesellschaftlichen Ideen, der neuen politischen Einrichtungen, der neuen politischen Macht, die berufen sind, die alten Produktionsverhältnisse gewaltsam zu beseitigen. Auf der Grundlage des Konflikts zwischen den neuen Produktivkräften und den alten Produktionsverhältnissen, auf der Grundlage der neuen ökonomischen Bedürfnisse der Gesellschaft entstehen neue gesellschaftliche Ideen, die neuen Ideen organisieren und mobilisieren die Massen, die Massen schließen sich zusammen zu einer neuen politischen Armee, schaffen eine neue revolutionäre Macht und benutzen sie, um die alten Zustände auf dem Gebiet der Produktionsverhältnisse gewaltsam zu beseitigen und neue Zustände herzustellen und zu verankern. Der elementare Entwicklungsprozess macht der bewussten Tätigkeit der Menschen Platz, die friedliche Entwicklung der gewaltsamen Umwälzung, die Evolution der Revolution. „… das Proletariat“, sagt Marx, vereint „im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse“, macht „durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse“ und hebt „als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse auf …“ („Manifest der Kommunistischen Partei“, S.34.), Und ferner: „Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ (Ebenda, S.32.) „Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“ (Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, S. 791.) Hier die geniale Formulierung des Wesens des historischen Materialismus, die Marx im Jahre 1859 in dem historischen „Vorwort“ zu seinem berühmten Buch „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ gegeben hat: „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. So wenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dankt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue, höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.“ (Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 13/14.) So verhält es sich mit dem marxistischen Materialismus, wenn man ihn in seiner Anwendung auf das gesellschaftliche Leben nimmt, in seiner Anwendung auf die Geschichte der Gesellschaft. Das sind die Grundzüge des dialektischen und des historischen Materialismus. Daraus ist ersichtlich, welchen theoretischen Reichtum Lenin gegen die Anschläge der Revisionisten und Entarteten für die Partei behauptet hat und welche große Bedeutung das Erscheinen von Lenins Buch „Materialismus und Empiriokritizismus“ für die Entwicklung unserer Partei hatte.

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