Epaulette und sächsisches Ego
Von Hendrik Lasch 26.11.2019, 17:35 Uhr Lesedauer: 4 Min.
Die Epaulette ist weg. 20 große und 216 kleine Diamanten zieren die Achselschleife, die bis vorgestern im Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes in Dresden in einer Vitrine lag. In der Stadt bleibt vorerst nur der Name des Schmuckstücks erhalten: »Epaulette« heißt die Sonderkommission der Polizei, deren 20 Mitglieder einen der spektakulärsten Einbrüche der jüngeren Zeit in ein deutsches Museum aufklären sollen.
Mindestens zwei Täter waren am Montagmorgen in die Sammlung eingedrungen; hatten, wie von der Polizei veröffentlichte Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, mit einer Axt das Sicherheitsglas einer Vitrine zertrümmert und sich an drei Garnituren von Schmuckstücken bedient, die Marion Ackermann, Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), als eine Art »Staatsschatz« des 18. Jahrhunderts bezeichnete: mit Brillanten besetzte Orden, Schleifen, eine Kette aus 177 Perlen und selbst einen mit 770 kleinen Diamanten besetzten Degen.
Das Entsetzen über den Einbruch ist auch in der Landespolitik groß; Sachsens SPD-Kunstministerin Eva-Maria Stange etwa sprach bei einem Besuch im Grünen Gewölbe kurz nach der Tat betroffen von »großem kulturpolitischen Schaden«, falls es nicht gelinge, die Kunstgegenstände wieder aufzuspüren. Bei ihrem für Wirtschaft zuständigen Kabinettskollegen und Parteifreund Martin Dulig war von einem Verlust »unermesslicher« Schätze und einem »schwarzen Tag« die Rede.
Eine gänzlich andere Dimension verliehen dem Kunstdiebstahl indes prominente CDU-Politiker. Innenminister Roland Wöller sprach nicht nur von einem »bitteren Tag« für das kulturelle Erbe, sondern sah in dem Einbruch nicht weniger als einen »Anschlag auf die kulturelle Identität aller Sachsen«. Der Einbruch in ein Museum wurde damit verbal in eine Reihe mit Terrorakten gestellt - und die Juwelen und Brillanten im Grünen Gewölbe quasi zum essenziellen Teil des sächsischen »Wesens« verklärt.
Wöller griff indes nur eine Erzählung auf, an der CDU-Regierungschef Michael Kretschmer bereits in seiner ersten Reaktion auf den Diebstahl gestrickt hatte. Bestohlen worden seien nicht nur die SKD, schrieb er mit Pathos im Kurznachrichtendienst Twitter, sondern »wir Sachsen!«. Man könne »die Geschichte von Sachsen nicht verstehen« ohne das Grüne Gewölbe, fügte er hinzu. »Die Werte, die hier zu finden sind, wurden von den Menschen in unserem Freistaat über viele Jahrhunderte hart erarbeitet.« Auch bei der Standortkampagne des Freistaats »So geht sächsisch« wurde der Diebstahl als »Angriff auf unsere Kultur und Identität« bezeichnet.
Die Reaktionen auf diese Überhöhung des Einbruchs reichten von Sarkasmus über Fassungslosigkeit bis zu harscher Kritik. »Lokalnationalismus trifft Geschichtsfünf«, lautete das prägnanteste Urteil. Kommentatoren fühlten sich zum Hinweis bemüßigt, korrekterweise müsse davon die Rede sein, dass die Schatzsammlung auf finanzieller Ausbeutung und Frondiensten der Untertanen feudaler Herrscher in Sachsen und anderswo beruhe. Verwiesen wurde auf die Herkunft vieler Edelsteine aus Kolonien; die Kunstwerke seien zum Teil »Raubschätze«. Rico Gebhardt, Fraktionschef der Landtags-LINKEN, warf dem Regierungschef »unzutreffend-verklärende Aussagen« vor; dieser hätte wissen sollen, dass die Juwelensammlung »weit vor der Existenz des Freistaats entstanden und auch nicht einer Arbeitswelt nach heutigen Vorstellungen entsprungen« sei.
Noch schärfer reagierten Kritiker auf die These, der Kunstklau sei ein Angriff auf eine sächsische »kulturelle Identität«. Der »museale Supergau«, kommentierte ein Leser, werde auf diese Weise zum »nationalreaktionären Besinnungsmoment« stilisiert; auch »politische Instrumentalisierung« wird Kretschmer & Co. vorgeworfen. Das Bündnis »Dresden nazifrei« erklärte, wenn »jede Gelegenheit genutzt wird, nationalistischen Mief zu bedienen, dann ist man in Sachsen«. Eine grüne Stadträtin aus Freital erklärte, ihr »blutet zwar das Herz« wegen des Kunstdiebstahls, ihre »kulturelle Identität als Sächsin« sei dadurch aber nicht angegriffen; das hätten, fügt sie an, »Pegida und 2015 Freital nachhaltiger geschafft«. In dem Jahr gab es in der Stadt ausländerfeindliche Kundgebungen, in deren Umfeld auch die rechtsterroristische »Gruppe Freital« entstand. Kritiker merken jetzt an, dass von Minister Wöller aus jener Zeit keine ähnlich drastischen Worte überliefert sind, obwohl Freital in seinem Wahlkreis lag.
Ungeachtet solcher Debatten über die Deutung des Kunstdiebstahls gibt es von den Tätern noch keine Spur. Das Historische Grüne Gewölbe bleibt vorerst geschlossen, das Neue Grüne Gewölbe soll voraussichtlich ab Mittwoch wieder öffnen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129190.gruene-gewoelbe-epaulette-und-saechsisches-ego.html
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