Samstag, 8. Februar 2020

Brief einer Lehrerin

Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Leserbrief, den wir erhalten haben:
Leserbrief zum Behördenbrief von Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe
„Liebe Kolleginnen und Kollegen an Hamburgs Grund- und Staddteilschulen, in den letzten Jahren hat die Bildungsforschung sehr deutlich herausgearbeitet, dass der Bildungserfolg von Kindern nicht erst in der Oberstufe, sondern in allen Schulstufen und insbesondere in der Grundschule nachhaltig geprägt wird“, schreibt mir Ties Rabe mitte Dezember 2019 als Mitteilung an meine Arbeitsstelle. Ich bin Lehrerin einer Grundschule in Hamburg.
 
 Ich wundere mich sehr, dass der Senator mit einer selbstbewussten Allgemeingültigkeit behauptet, dass diese glorreiche Erkenntnis erst „in den letzten Jahren der Bildungsforschung“ aufgekeimt ist. Ach, wirklich Herr Ties Rabe, insbesondere die Grundschule prägt ein Kind? Ja natürlich und für diese Erkenntnis braucht es in erster Linie keine groß angelegten Studien und diese Idee ist auch nicht neu. Die frühkindliche Prägung war einer der ersten Gründe, warum ich mich dazu entschieden habe Grundschullehrer zu werden. Von meinen Kommilitonen im Lehramtsstudium wurde ich belächelt: „Warum wirst du nicht Gymnasiallehrer? Da verdienst du mehr Geld!“ Und zwar die Gehaltsstufe A13. Zu meinen Studienzeiten war vollkommen klar, dass man in der Grundschule als fertig ausgebildeter Lehrer „nur“ A12 verdienen wird. Das war mir egal, ein Lehrergehalt ist trotz dessen hoch und mir war es am wichtigsten den Kindern eine nachhaltige Begleiterin in den ersten prägenden Schuljahren zu werden. Ich habe mich aus meinem Idealismus heraus dazu entschieden mit Kindern im Alter von sechs bis zwölf zu arbeiten, bzw. bis zum Alter von zehn Jahren, wenn die Grundschule bis zur 4. Klasse geht. Klar, meine Freunde aus dem Studium, die nun Gymnasiallehrer sind, sind im Frühjahr nicht zu gebrauchen: Sie konzipieren und korrigieren die Klausuren der Abiturjahrgänge bis spät in die Nacht und verdienen und rechtfertigen sich so ihr ca. 400€ höheres A13 Gehalt. „Ich habe einmal ein Praktikum in der Grundschule gemacht, das fand ich nervig mit den ganzen lauten Kindern und ihren zahlreichen Bedürfnissen. Respekt, dass du dir das antust mir wäre das viel zu anstrengend?“, sagte mir mein eigener Gymnasiallehrer einst im Vertrauen. Nach außen hin hörte man – auch und vor allem von Nicht-Lehrern – dass es doch ein reiner Frauenjob sei bis mittags mit den Kindern in der Schule zu spielen und dann nach Hause zu gehen und sich um die eigenen Kinder zu kümmern. Ach, ist es das? Wenn zum Beispiel ein Kind in der Schule krank wird, rufen wir die Eltern an und betreuen das kranke Kind – nehmen wir an es zeigte sich unerwartet ein Magen-Darm Infekt – kotzend und mit Durchfall so lange in der Klasse mit, bis es abgeholt wird. Außerdem zeigt sich zumindest in Hamburg, dass es kaum noch Schulen gibt, die um 13 Uhr schließen. Meistens geht der Betrieb bis 16 Uhr am Nachmittag. Meine Kolleginnen und ich arbeiten häufig auch bis zum Nachmittag. Alleine dieser Fakt zeigt, dass den klausurintensiven Wochen der Gymnasiallehrer doch ein vollgepacktes stressiges Alltagsleben einer Grundschullehrerin gegenübersteht. Zudem ist es bei uns in der Grundschule mit Klausurenschreiben und Notenzusammenrechenen zum Erstellen eines Jahreszeugnisses nicht getan. In der Grundschule ist es vielerorts Tradition Textzeugnisse abzugeben: Dort muss jeder Satz verständlich für die jungen Schülerinnen und Schüler formuliert sein und den Eltern Erkenntnis über den Wissensstand ihres Kindes zeigen. Hier tut sich ebenso eine Menge schriftlicher Arbeit zum Jahresende auf. Und das ist auch keine Erkenntnis „aus den letzten Jahren“ Herr Ties Rabe! Übrigens gehen Jugendliche die das Abitur machen freiwillig, bzw. qualifiziert auf diese Schulstufe. Zeigen die Schülerinnen und Schüler auf dem Gymnasium nicht die entsprechenden Leistungen, kann ihnen angeraten werden das Gymnasium wieder zu verlassen. Nagut, ganz so einfach ist das auch nicht und oft „schlagen sich“ meine Kolleginnen und Kollegen am Gymnasium mit Schülerinnen und Schülern herum, die nur aufgrund der Meinung der Eltern, oder weil erstmal kein Schulwechsel vorgesehen ist mit ihnen herum, aber in der Grundschule und in der Stadteilschule wollen und müssen wir allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden. Wir gestalten unseren Unterricht differenziert. Wir planen jedes Thema und erstellen alle Arbeitsaufgaben mindestens in zwei Niveaustufen: Selbsterklärend und herausfordernd. Unsere Kinder können in den ersten Schulstufen noch nicht flüssig und sinnentnehmend lesen. Es ist selbstverständlich, dass wir Symbole finden müssen und uns Arbeitsaufträge überlegen, deren Lösung die Kinder zeichnen, erklären oder basteln können. Das erfordert viel Vorbereitung und Geschick und starke Nerven in der Durchführung. Wird eine Schulklasse in der Grundschule nicht abwechslungsreich zu einem Thema in nur einer 45-minütigen Schulstunde gefordert, drehen die Kinder schlichtweg durch. Werden unkonzentriert, werfen mit Sachen, schlafen sogar in den ersten Klassen öfter einmal ein, oder prügeln sich. Und auch das alles ist nicht neu. Da ist es lächerlich, wenn der Senator behauptet, dass sich Hamburg aufgrund der jüngsten Bildungsforschung „auf den Weg gemacht hat“, um die Lehrerinnen und Lehrer besser zu bezahlen. Das zeigt mir, dass der Bildungssenator und das ganze Gesocks in der Bildungsbehörde entweder die letzten Jahrzehnte keinen Menschenverstand besaßen oder, dass andere Gründe dahintersteckten, warum die Grundschullehrer bis jetzt immer schlechter bezahlt wurden. Zu meinen Studienzeiten gab es in meinem Studiengang zwei männliche Studierende im Studienzweig der Lehrer für die Grundschule. Das „Gender Pay Gap“ und die Macht des Patriachats ist kein Geheimnis. In der Grundschule arbeiten immer noch überwiegend Frauen. Wenn man den Zahlen der Initiative „Männer in die Grundschule“ glauben schenkt, gab es in Bremen zum Beispiel 2017 an 19 Grundschulen keinen einzigen studierten männlichen Grundschullehrer. Nun in Hamburg leben wir mit dem Lehrer-Arbeitszeit-Modell. Das berechnet jede gehaltene Schulstunde in sogenannte WAZ (Wochen-Arbeitszeitstunden). Eine 100% Stelle bedeuten zurzeit ein 40 Stunden Woche. Wobei jede 45-minütig gehaltene Unterrichtsstunde einen Faktor bekommt, der die Vor- und Nachbereitung der Stunde mit einschließt. Im Vergleich von Gymnasium und Grundschule ergeben sich hier auch höhere Vergütungen für die Gymnasiallehrer: Die krasse Klausurenphase wurde also schon längst mitbedacht, denn den Lehrern am Gymnasium wird mehr Zeit für ihre Tätigkeiten vergütet. Wenn ein Gymnasiallehrer eine Schulstunde Unterricht gibt (das sind 45 Minuten), dann werden ihm weitere 63 Minuten für die Vor- und Nachbereitung angerechnet. Einem Grundschullehrer werden für jede 45-minütig gehaltene Unterrichtsstunde weniger Vor- und Nachbereitungszeiten angerechnet, es sind 33 Minuten. Bis jetzt hat ein Lehrer am Gymnasium also für das volle A13 Gehalt (Einstiegsgehalt ca. 3.350€ netto) 22 Stunden in der Schule im Unterricht vor der Klasse unterrichtet. Eine Grundschullehrerin (es sind ja meistens Frauen) hat bisher für ein volles A12 Gehalt (Einstiegsgehalt ca. 2.950€ netto) 31 Stunden direkt mit den Kindern im Unterricht verbracht.
Die monetäre Vergütung möchte der Bildungssenator also erstmal ändern. Aber warum zeigt er sich gerade jetzt vermeintlich gütig und hebt die Bezahlung der Grundschul- und Stadtteillehrerinnen und -lehrer an? Dass es an den neusten „Bildungsforschungen“ liegt ist ein Märchen. Es liegt daran, dass andere Bundesländer wie Bremen und Niedersachsen schon damit angefangen haben auf A13 zu erhöhen. Und in Hamburg fehlen im Moment auch nicht nur die männlichen Grundschullehrer, sondern überhaupt Lehrerinnen und Lehrer, die in den Grundschulen arbeiten wollen. Die Presse berichtet, dass in ganz Deutschland Lehrermangel herrscht. Und um attraktiv zu bleiben für Lehrer anderer Bundesländer, insbesondere für Grundschullehrer aus dem Nachbarland Schleswig-Holstein (bei ihnen ist ein A13 Gehalt in der Grundschule laut GEW, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, bereits umgesetzt), wird nun schnell angekündigt, dass es bald – um wettbewerbsfähig zu bleiben – auch in Hamburg A13 geben wird. Politisch und wirtschaftlich wichtig ist es auch, dass es genug Betreuer für Hamburgs minderjährige Kinder in den Grundschulen gibt. Darum zeigt sich der Senator großzügig und „belohnt“ uns für unseren „Verdienst im Bildungserfolg der Kinder“ wie er uns in dem Schreiben weismachen will. Das hinter dieser Lohnerhöhung die ehrliche Anerkennung der Lehrerinnen und Lehrer steckt ist Heuchelei! Diese Lohnanpassung ist Strategie, um die Schulen nicht schließen zu müssen, um nicht wieder von einem Ganztagsgrundschulmodell auf ein Halbtagsmodell umschalten zu müssen. Denn was wäre denn, wenn es wirklich immer weniger Grundschullehrer geben würde und die Schulen im Extremfall nicht mehr genug Personalabdeckung hätten, um fünf Tage die Woche bis 16- oder sogar 18 Uhr zu betreuen? Dann müsste ein Elternteil halbtags arbeiten, denn die kleinen Kinder können und dürfen schon jetzt nicht auf dem Schulhof rumlungern, wenn mal eine Schulstunde ausfällt, weil ein Lehrer krank oder abwesend ist. Die Schule sieht sich selbst in der Verantwortung, die Kleinen davor zu bewahren alleine die Zeit zu Hause verbringen, bis die Eltern von der Arbeit nach Hause kommen. Und gerade in den Gebieten in Hamburg, wie zum Beispiel im Hamburger Süden, einem Arbeitergebiet, in dem ich Lehrerin bin, könnte Papa seinen Putzjob nicht mehr den ganzen Tag flexibel und abrufbar verrichten, wenn er sein Kind ab 13 Uhr von der Schule abholen und betreuen müsste.  Eine gute Abdeckung mit Grundschullehrern und -lehrerinnen ist essentiell, um die Wirtschaft – vor allem im Niedriglohnsektor, der sich nicht selten als kinderreiches Familiengebiet aufweist – zu versorgen. Nagut, ich muss fair bleiben, so lange es noch genug Erzieherinnen (ja es sind auch in diesem Job überwiegend Frauen) gäbe, könnte Ties Rabe ja an jeder Schule eine Notfallbetreuung für den Großteil der Kinder einrichten lassen. Aber nicht, dass die Erzieherinnen dann am Ende noch abspringen würden und er auch ihre Gehälter signifikant erhöhen müsste. Meine Erzieherinnenkolleginnen und ich arbeiten an derselben Schule und sind ähnlichen Belastungen ausgesetzt. Aber das scheint dem Patriachart im Moment noch nicht um die Ohren zu fliegen.
Zurück zu der Gehaltserhöhung der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer: Ties Rabe versucht mir in seinem Brief noch zu verstehen zu geben, dass „eine solche Besoldungserhöhung ein großer finanzieller Kraftakt“ sei und „einer Landesregierung und ihren Ministern viel abverlange“ und sich darum erst ab dem Jahre 2023 die volle Gehaltserhöhung bemerkbar mache.
Herr Ties Rabe, ich möchte Sie hiermit daran erinnern, dass es Jahrzehntelang ein Kraftakt für alle Grundschullehrerinnen und Staddteilschullehrer war sich mit einer Gehaltsstufe weniger zufrieden zu geben, Vorurteilen ausgesetzt zu sein (nur mit Kindern auf der Arbeit spielen, typischer Frauenjob) und aufgrund des Arbeitszeitmodells sowieso mehr in der Schule arbeiten zu müssen und sich dieser strukturellen Ungerechtigkeit ausgesetzt zu sehen.
Ties Rabe schreibt als Abschlussformel tatsächlich noch, dass er hoffe, mir mit diesem Brief die kommende Zeit etwas verschönert zu haben. Ja, da ich mich jetzt totlachen kann und schwarz auf weiss habe, welch berechnende Idioten er und seine Regierung sind. Danke für nichts, denn diese Lohnerhöhung ändert nichts an den kapitalistischen Bedingungen in denen wir leben und löst erst Recht nicht die Ungleichheit, die bis in die tiefsten Schichten reicht. Wir Lehrer freuen uns über mehr Wertschätzung im finanziellen Sinne, aber diese beruht auf einer soliden strukturellen Ungleichheit. Am Ende hat es ein Bourgeoiskind (womöglich auf dem Gymnasium) immer einfacher, als ein Arbeiterkind (besucht auf jeden Fall die Grundschule). Ein noch kritischerer Schluss sei also, dass die ganze Debatte um Lehrergehälter bedeutet: Das hier Geld in unsere Lehrer-Wähler-Ärsche fließt, anstatt die Säule der Gesellschaft – das Proletariat – strukturell besser zu bezahlen. Könnten alle Schichten der Gesellschaft sich auch von einem Halbtagsjob ernähren, wäre eine vorübergehende Halbtagsbeschulung eine machbare Idee zu Zeiten eines Lehrermangels. Dann könnte wirklich daran gearbeitet werden diesen Beruf in seiner Gänze attraktiv zu machen.

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