Mittwoch, 14. März 2018

Landkreis Sächsische Schweiz- Osterzgebirge muss mehr Geld geben


Eine Hartz IV-Empfängerin machte höhere Wohnkosten geltend und bekam vorm Landessozialgericht recht. Erledigt ist der Fall damit nicht.

Von Domokos Szabó
105 Euro mehr als ursprünglich angedacht stehen einer Hartz IV-Empfängerin zu.
105 Euro mehr als ursprünglich angedacht stehen einer Hartz IV-Empfängerin zu.
© Symbolbild/dpa
Sächsische Schweiz- Osterzgebirge.Schon fast zwei Jahre zieht sich das Verfahren hin. Für eine Arbeitslose aus Pirna hat es nun zumindest vorläufig ein positives Ende. Nach einem Beschluss des Landessozialgerichts Chemnitz muss ihr der Landkreis ihre tatsächlichen Wohnkosten bezahlen und damit 105 Euro mehr im Monat als ihr aus Sicht des Landratsamtes zustehen würden. Die Entscheidung des Landessozialgerichts fiel im Dezember 2017. Hier fasst die SZ die Konsequenzen zusammen.
Worum genau wurde bei dem Verfahren gestritten?
Die Pirnaerin wohnt in einer 55 Quadratmeter großen Wohnung und wollte vom Landkreis 441 Euro pro Monat für Miete und Betriebskosten bekommen. Das sei zu viel, so das Landratsamt. Der Alleinstehenden würden nur 336 Euro zustehen. Dieser Wert stammt aus einer Verwaltungsvorschrift von 2013/14, in der angemessene Wohnkosten der Alg II-Empfänger enthalten sind. Die Frau klagte vor dem Sozialgericht Dresden und bekam bereits 2017 recht. Aus Sicht der Richter würde der Vorschrift „kein schlüssiges Konzept“ zugrunde liegen. Dagegen ging der Landkreis in Berufung. Ein Urteil gibt es noch nicht. Im Rahmen von einstweiligem Rechtsschutz hat jedoch das Landessozialgericht dem Landkreis auferlegt, die Differenz zunächst einmal zu zahlen. Diese Entscheidung wiederum ist nicht anfechtbar.
Bekommen jetzt noch weitere Hartz IV-Empfänger mehr Geld?
Nein, sagt die für soziale Angelegenheiten zuständige Beigeordnete des Landrates, Kati Hille (CDU). Das scheitert allein schon daran, dass die Verwaltungsvorschrift 2016 erneuert wurde. Dazu gibt es erst recht kein Urteil. Zwar könnte der Landkreis nun die höheren Werte aus der Wohngeldtabelle nehmen, so wie das auch das Sozialgericht getan hat. Doch das würde ihm erhebliche Mehrkosten bescheren. Ferner rechnet Hille damit, dass dies die Vermieter ermuntern würde, ihrerseits die Mieten anzuheben. „Es kann nicht der Sinn von Sozialpolitik sein, Mieten künstlich in die Höhe zu treiben“, sagt die Beigeordnete. Daher gilt: Mehr bekommt nur, wer klagt und Erfolg hat. Nach jüngsten Angaben waren zuletzt über 180 Verfahren aus dem Landkreis anhängig. Insgesamt ging es um gut 100 000 Euro.
Wie gehen die Politiker mit der verfahrenen Situation um?
Den Linken-Kreisrat André Hahn ärgert das Ganze. Nicht nur, dass die Justiz hinterherhinkt und ein Urteil zur aktuellen Vorschrift wieder Jahre dauern würde. Er sieht auch die fehlende Information an die Kreisräte kritisch. Sein Fraktionskollege Lutz Richter hat die Angelegenheit mit einer Anfrage im Kreistag am Montag öffentlich gemacht. Er sprach fälschlicherweise von einem Urteil, das es so nicht gibt. Trotzdem: In der Sache sieht nun Richter Handlungsbedarf. Von der Firma, die im Auftrag des Kreises das „schlüssige Konzept“ zur Ermittlung der angemessenen Wohnkosten erarbeitet hat, müsse man sich trennen. Es handelt sich um Analyse & Konzept aus Hamburg. Die Linke wird nun einen Antrag von 2017 aufgreifen, um Analyse & Konzept zu feuern und gegen sie Regressforderungen zu prüfen. Bis ein schlüssiges Konzept vorliegt, sollte der Landkreis die Wohngeldtabelle anwenden, so die Linke. Aus Sicht des Landkreises sind die Wohnkosten bei jeder zehnten der 9 500 Hartz-IV-Familien unangemessen hoch.
Wie reagiert die Landkreisverwaltung auf den Gerichtsbeschluss?
Die Beigeordnete Kati Hille sieht ebenfalls ein Problem: „Angemessenheit“ und „Schlüssiges Konzept“ sind unbestimmte Rechtsbegriffe. Manche Richter bejahen, dass ganz unterschiedliche Städte und Gemeinden zu einer Vergleichseinheit zusammengefasst werden, so wie das der Landkreis tut, andere nicht. Zwecks einer rechtssicheren und einheitlichen Gestaltung hofft sie auf eine Gesetzesnovelle, so wie das auch der Sächsische Landkreistag fordert. Ein Ende der Zusammenarbeit mit Analyse & Konzept lehnt sie indes ab. Würde man ein neues Unternehmen beauftragen, müsste man dafür 30 000 Euro auf den Tisch legen. Für eine Fortschreibung des Konzeptes dagegen nur 8 000. Kati Hille weist zudem den Vorwurf zurück, die Kreisräte nicht informiert zu haben. Sie sagt, Ende November 2017 sei das Thema im zuständigen Ausschuss besprochen worden. Im Kreistag zeigte sich nun selbst Landrat Michael Geisler (CDU) überrascht über die Chemnitzer Entscheidung. Er versprach einen neuen Anlauf zur Klärung der Sache. Kreisrat Lutz Richter hält das für extrem schwierig. Denn belastbare Vergleichsdaten zum Wohnungsmarkt, so wie sie für ein schlüssiges Konzept nötig wären, gebe es gerade mal aus Pirna, Heidenau und Freital. Richter: „Ich möchte nicht in der Lage der Kreisverwaltung sein.“

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