Samstag, 31. Januar 2015

Warum ich so politisch bin – über Domenico Losurdos Buch: “Nietzsche – Der aristokratische Rebell”, Argument Verlag, Berlin 2009

Von Peter Ostertag, Salzburg. Um es ohne Umschweife zu sagen: dieses Buch liefert nichts weniger als einen Generalschlüssel zu Nietzsches Denken. Das Verhältnis der Linken zu Nietzsche ist ambivalent: obwohl er der Nähe zum Nationalsozialismus verdächtig ist, gibt es nicht wenige Linke, die von ihm fasziniert sind (zB. Althusser mit seinem “Antihumanismus”). Dieses Buch zeigt, worauf sie sich dabei einlassen, denn es gibt bei allen Windungen und Wendungen von Nietzsches Denken eine Konstante, die zu kennen das Verständnis sehr erleichtert: das ist sein Hass auf die Idee der Egalität, auf alles, was er mit Sozialismus oder gar Kommunismus identifiziert. Man muss Nietzsche im historischen Kontext sehen, ja, das ist nicht neu, aber in welchem? Man kann Nietzsche im Dialog mit den großen Philosophen sehen, mit Platon und Sokrates, Luther und Rousseau; so sehen sich die Philosophen selbst gern, im Gespräch mit den großen Geistern, über die Jahrhunderte hinweg. Bei Losurdo merkt man schnell, dass man (auch) bei Nietzsche besser vorankommt, wenn man ihn auf das Denken seiner Zeit bezieht. Losurdo zeigt in bester Tradition materialistisch-dialektischer Philosophie(geschichte) auf, dass man Nietzsche sehr gut als politischen Denker lesen kann, der sich durchaus auf die Denker des politischen Tagesgeschäfts bezieht, etwa auf Toqueville, Burke oder Constant. Dann erweisen sich scheinbar metaphysische Brocken als konkrete Antworten auf die Diskussionen um die Sklaverei oder die Französische Revolution. Auch dort, wo Nietzsche moralistisch ist, ist er politisch. Und so “unzeitgemäß”, wie er sich immer inszeniert, ist er keinesfalls. Die Darstellung ist (wie immer bei Losurdo) gewohnt detailreich, das ist nicht die Skizze einer Idee, Losurdo folgt den Windungen von Nietzsches Denken in alle Verästelungen (man muss sich auf über 1000 Seiten Lektüre einlassen!). Das taugt weniger für den schnellen Überblick, ist aber immer lehrreich und faszinierend, weil es ein spannender Überblick über philosophische Diskurse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem in politischer Hinsicht, ist. Und im Vorübergehen lernt man das ganze Spektrum konservativer und reaktionärer Positionen kennen: was hat man zum Beispiel nicht alles schon zusammengetragen, um Sklaverei und Ungleichheit, das Elend der Massen zu rechtfertigen! So sei eben die Ordnung der Dinge, hohe Kultur müsse eben auf die Arbeit der Vielen bauen (Aristoteles), nur wenigen großen Geistern (Genius) wäre es gegeben, die Fackel der Kultur weiterzutragen, außerdem würden die arbeitenden Massen ihr Elend sowieso nicht spüren (weil nicht so sensibel wie die großen Geister), und wären überdies auch noch glücklich dabei; es wirke andererseits das Gesetz der Evolution, Fressen und Gefressen werden, sodass nur die besten überleben könnten usw. Alles nur Ressentiments der Zu-kurz- Gekommenen! Die Argumente zu kennen ist schon deswegen von Vorteil, weil sie immer wiederkehren, zum Beispiel in der Debatte um Sarrazins Buch. Ein typisches Denkmuster, das Losurdo aufdeckt, ist, dass Nietzsche – ausgehend von einer zeitgenössischen “Verfallserscheinung” – diese immer weiter zurückdatiert, um sie schließlich irgendwo am Beginn unserer Kultur zu verorten. Beispiel: seine “Ideologiekritik” (Kritik des Gleichheits- und Gerechtigkeitsdenkens), die bei der Französischen Revolution ansetzt und schließlich beim Gründungsmythos des Judentums endet, den er als “ersten und verheerenden Sklavenaufstand der Geschichte” auffasst (s441). Somit hilft Losurdo, Nietzsches Texte zu dechiffrieren: da erklären sich viele Schwierigkeiten bei der Lektüre, weil Nietzsche seine Spuren verwischt hat oder diese der heutigen Leserin nicht präsent sind. Aber bei der Philosophie handelt es sich eben nicht um einen zeitlosen Diskurs! Eindrucksvoll führt Losurdo im Detail vor, wo Nietzsche auf Hegel antwortet, wo auf Lassalle, oder wo er auf Pariser Kommune anspielt usw. Gerade letztere hat in jenen Jahren und eben auch bei Nietzsche tiefere Spuren hinterlassen, als uns Heutigen meist bewusst ist: als traumatische Erfahrung des Bourgeois, dass die unteren Klassen sich tatsächlich organisieren und die Herrschaft übernehmen könnten. Immer wieder kommt Nietzsche auf sie zurück (ohne ihr aber die Ehre zu machen, sie zu benennen). Nietzsches Denken ist für den Einsteiger verwirrend: sein Denken hat mehrmals den Schwerpunkt gewechselt, er schrieb für und gegen Wagner, für und gegen Deutschtum, für und gegen Christentum, gegen, für und wieder gegen Aufklärung, usw. Das lässt sich recht gut in drei große Phasen gliedern, aber noch wichtiger ist, dass es bei allen Transformationen seines Denkens einen Fixpunkt gibt, sein Hass auf die Idee der Gleichheit und des Sozialismus. Entgegen der Tendenz vieler Nietzsche-Interpreten, die seine Texte allegorisch oder metaphorisch lesen wollen, besteht Losurdo darauf, Nietzsche beim Wort zu nehmen: er wusste, was er schrieb, wenn er etwa Sklaverei oder Menschenzüchtung forderte! Losurdo schreckt nicht davor zurück (wie die Hagiographen der Postmoderne), die “historisch-politische Bedeutung der philosophischen Propositionen zu rekonstruieren” (s604). Diese politische Deutung Nietzsches liest sich sehr überzeugend, zumal Losurdo nicht den Fehler macht, ihn auf diese Weise als Nazi darzustellen. Das ist historisch nicht sinnvoll, weil Nietzsche sich auf die Diskussion des 19. Jahrhunderts bezieht, und damit keinesfalls alleine dasteht, sondern Teil eines europäisch-amerikanischen Diskurses ist. Wie schon gesagt, so unzeitgemäß, wie er sich selbst inszeniert, ist Nietzsche gar nicht. Er ist Teil “jener großen konservativen Reaktion” (s667), die damals Preußen, Russland und Amerika erfasste. Keinesfalls handelte es sich um ein spezisch deutsche Argumentation. Nietzsche hat freilich seinen reaktionären Ansatz sehr konsequent zu Ende gedacht, konsequenter als die meisten das auch heute tun. Er hat sich wie kaum ein anderer von jedem “socialistischem Mitleid” getrennt, bis zum Extrem eines “aristokratischen Radikalismus”. Er erfindet sich als Denk-Aristokrat neu, nachdem er sich alle anderen Möglichkeiten, des Blutes, des Volkes, des Geldes versagt hat. Er fühlt sich als Rebell, weil er Solidarität nicht kennt, nicht einmal mit seiner Klasse (bzw. der Klasse, mit der er sich verbunden fühlt). Die nächste Stufe dieser Entwicklung war bekanntlich der Wahnsinn.

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