Freitag, 10. September 2010

September-Rundbrief der Wildcat

COMMONS, COMMON WEALTH, KOMMONISMUS


**Hot Stuff**

Der letzte BUKO* hatte die Commons als Schwerpunkt. Auch analyse&kritik
schreibt seit einem Jahr fast kontinuierlich zum Thema Commons (siehe
besonders Ausgabe 549); Negri/Hardts letztes Buch heißt Common Wealth; die
Ökonux/Common Peer Production-Szene bezieht sich verstärkt auf das Thema;
Eleonore Ostrom bekam für ihre Forschungen zu »Allmendestrukturen« den
Nobelpreis; viele andere bürgerliche Gruppierungen hoffen – ausgehend von der
(finanziellen) Krise der Kommunen und der ökologischen Krise – auf
(günstigere) Lösungen jenseits von Markt und Staat.
Das ist einerseits Ausdruck davon, wie tief die Krise der »kapitalistischen
Hauptinstitutionen« Markt und Staat geht und wie sehr die »Linke des
Kapitals« nach kapitalistischen Auswegen sucht; andererseits gibt es
Suchbewegungen von unten, die ebenfalls in diese Richtung gehen. Unter
anderem sortieren sich die Reste der sogenannten »Antiglobalisierungs-
bewegung« entlang der Commons neu, und zwar grob in drei Richtung-
en: »Exodus«: »solidarische Ökonomie« und Wohnprojekte sind bereits
Vorwegnahme einer anderen Gesellschaft; »Aufstand«: die Commons sind Weg zum
Ziel (Infrastruktur aufbauen, Lebensmittelproduktion...); wieder andere sehen
die »communisation« erst im Aufstand.
Mit dem Ansatz von enclosures/Commons** können Rohstoffengpässe,
Nahrungsmittelkrisen, Klimakatastrophe, die soziale Polarisierung usw. in
einem Zusammenhang erklärt werden; Kämpfe gegen Privatisierung,
Bürgerentscheide um öffentliche Güter wie Wasser und Verkehr, urban
gardening, Tauschläden, Umsonst-Kampagnen, Wohnprojekte usw. werden als ein
zusammenhängender Kampf begriffen, der zudem eine globale Perspektive hat:
urban gardening z.B. steht dann in einer Front mit den weltweiten Kämpfen um
das Land.


**Neue Antworten auf alte Fragen?**

Die Kämpfe der letzten Jahre blieben auf den (Sozial-)Staat und seine
Institutionen bezogen: Arbeitskämpfe gegen Betriebsschließungen blieben im
Tarifrecht und der gewerkschaftlichen Repräsentanz gefangen; Mobilisierungen
gegen HartzIV in der Forderung auf staatliches Mindesteinkommen; die Bewegung
gegen die Globalisierung zwischen event hopping und NGOisierung...
Die »Commons« suchen nach Organisations- und Vergemeinschaftungsformen
jenseits vom Staat und seinen Institutionen; sie wollen das Entweder-Oder
von »Privat« oder (staatlich organisierter) Öffentlichkeit umgehen.
»Funktionierende Commons« sollen bessere Handlungsmöglichkeiten gegen die
Auswirkungen der kapitalistischen Krise ermöglichen, z.B. die
OpelarbeiterInnen »weniger erpressbar« machen (siehe ak 549). Allerdings
scheint dieser Anspruch, mit den Commons gesellschaftliche, soziale
Zusammenhänge aufzubauen, bisher wenig mit der Realität zu tun zu haben. Gibt
es hier Öffnungstendenzen?

Wir haben uns drei Sachen vorgenommen:
- genauer gucken, was diese Bewegung real (aus-)macht
- die historischen Bezüge aufhellen (siehe z.B. in der Wildcat 87 die
Besprechung des Buchs von Zibechi und die Kritik an seinem Bezug auf die
Ayllus)
- die theoretische Auseinandersetzung führen (siehe den angehängten
Aufheben-Artikel).



**Theoretische Kritik, historische Aufarbeitung, soziale Bezüge**

Die Aktivisten und die Schreibenden, die Bewegung und die Parteiprojekte sind
erstmal nicht die selben. Trotzdem finden wir ein Gemisch von Leuten, die
eher »machen« und anderen, die »theoretisieren«, ohne klare Trennungen, aber
auch ohne deutlichen Bezug aufeinander. Eine politische Bestimmung ist zudem
schwierig, weil sowohl soziale Bezüge wie das theoretische Selbstverständnis
der »Machenden« sehr diffus sind. Sie wollen hier und jetzt praktisch
eingreifen können. Deshalb ist die politisch/ideologische Debatte »von unten«
relativ unterentwickelt. Deren Lücken werden dann mit nostalgischen
Rückbezügen auf die Gemeinschaften in der Vergangenheit, mit bürgerlichen
Utopien von der Gleichheit auf dem Markt oder mit frühsozialistischen
Vorstellungen einer gerechteren Verteilung der Gebrauchswerte ohne Umwälzung
der Produktionsbedingungen aufgefüllt. Der Rückbezug auf die
mittelalterlichen Allmende oder die südamerikanischen Ayllus soll
die »Alternative« einer anderen Gesellschaftlichkeit aufzeigen, ohne dass man
sich theoretisch groß einen Kopf machen müsste. Schnell geraten die konkreten
sozialen Verhältnisse und vor allem Menschen aus dem Blick, die eigene Nische
wird als »Systemalternative« aufgepeppt. Aber was können wir heute von den
Allmenden, Ayllus usw. tatsächlich lernen? Sie entwickelten sich unter ganz
anderen Produktionsbedingungen und sozialen Verhältnissen. Und sie waren nur
halb so gemeinschaftlich, wie oft angenommen wird.

Wo Bewegung ist, sind die Aasgeier nicht weit; u.a. wurde im ak 548 darauf
hingewiesen, dass jede Menge Parteiprojekte die Commons über das Kommunale
wieder an den Staat zu binden versuchen. Die theoretischen Schwächen der
Bewegung verkaufen Negri&Hardt in gewohnter Manier in Common Wealth als neue
heiße Theorie: die Multitude habe bereits einen gemeinschaftlichen Reichtum,
ein gemeinschaftliches Tun, das nur noch befreit werden muss. Usw.
Kritik und theoretische Auseinandersetzung ist also nötig, damit die
Ambivalenz der neuen Ansätze nicht über solche Theorien schwuppdiwupp wieder
in Richtung Parteien, Staat und EU (wie im Falle Negris) aufgelöst wird.
Hier liegt für uns selber ein dicker Brocken im Weg, denn aus der
operaistischen Strömung (von deren »Untersuchungsfraktion« wir selber viel
gelernt haben) heraus, ist in den letzten zehn Jahren gerade über die
Thematisierung der Commons (siehe z.B. die online-Zeitschrift »The Commoner«)
eine Abwendung vom Klassenkampf begründet worden. Deshalb haben wir einen
Text der englischen Zeitschrift Aufheben übersetzt, in dem sie die
politischen Schwächen des Commons-Konzepts von Massimo de Angelis (einem der
Gründer von commoner.org und inzwischen auch Mitglied der Midnight Notes, die
sich seit Jahren mit enclosures und commons beschäftigen) auf theoretische
Schwächen des Operaismus zurückführt. Auch wenn wir ihre Operaismuskritik
oberflächlich und langweilig finden, können wir mit ihrer Kritik des
commons-Ansatzes viel anfangen.

Wenn wir »vom Tun« der Leute ausgehen und das mit den nötigen politischen
Debatten in Beziehung setzen wollen, um die Basisbewegungen gegen ihre
ideologische Vereinnahmung und natürlich vor allem gegen ihre staatliche
Rückbindung zu verteidigen, müssen wir genauer rausbekommen, was tatsächlich
passiert. Führt die Thematisierung der Commons dazu, dass die Leute vor dem
Hintergrund der Krise tatsächlich zusammenkommen? Fließen womöglich durch die
Dynamik der Krise bisher nebeneinander laufende Debatten zusammen? Werden
Lösungen gesucht und ausprobiert, die über den eigenen Teller-/Szene-Rand
hinausgehen? Oder läuft es drauf raus, dass die Linke ihre Privilegien zur
Wirkung bringt und sich in Projekten engagiert, die letztlich nur ihr selber
nutzen?


**Wie eingreifen?**

Zeigen die Commons eine neue Dynamik zwischen (Klassen-)Kämpfen
und »eingreifender« Gruppe auf, die z.B. weit über das »Vermitteln von
Bewußtsein« rausgeht?
Sind sie Infrastruktur für den Kampf oder »Freiraum« für den Rückzug?
Können sie neue Formen sozialer Reproduktion vermassen, oder sind sie Ansätze
einer neuen Alternativökonomie?
Was passiert mit den Erfahrungen, die heute gemacht werden? Werden sie
privatisiert, oder können sie mitgeteilt und »vermasst« werden?


**Schreibt uns!!**

Für die übernächste Wildcat planen wir einen Schwerpunkt zum Thema. Unsere
bisherigen Überlegungen muten wir Euch zu, weil wir auf Anregungen hoffen:
was denkt Ihr zu dem Thema? Überlegen wir in die falsche Richtung?
Was haltet Ihr von dem Aufheben-Text? Regt er zu Diskussionen an, oder ist er
zu abgehoben bzw. für ein deutschsprachiges Publikum, das Massimo de Angelis'
Buch nicht kennt, unverständlich?
Was habt Ihr von der Commons-Debatte bisher mitbekommen? Und fast am
wichtigsten: in welchen diesbezüglichen Aktivitäten steckt Ihr selber drin?


ANMERKUNGEN:

* Bundeskoordination Internationalismus; entstanden aus der internationalen
Solidaritätsbewegung der 1970er Jahre. Der jährliche BUKO-Kongress ist seit
Mitte der 1990er Jahre zu einem der wenigen regelmäßigen Treffpunkte der
radikalen Linken geworden, ein Wochenende, an dem um die 500 Leute aktuelle
Themen und Mobilisierungen bearbeiten.

** zum Begriff der »Enclosures«, wie ihn die Midnight Notes benutzen, siehe
http://www.wildcat-www.de/thekla/14/t14enclo.htm. Wir finden ihn einerseits
wichtig, um die fortdauernde »ursprüngliche Akkumulation«, die Kombination
von Industrien mit höchster organischer Zusammensetzung mit der Ausbeutung
in Klitschen, Landwirtschaft bis hin zu Formen von Sklavenarbeit zu
verstehen. Andererseits muss man von heute aus sagen, dass das Begriffspaar
enclosures/Commons die Abkehr der Midnight Notes vom Klassenkampf und die
Suche nach Kämpfen »außerhalb« befördert hat.


* * * * *
Redaktion Wildcat
www.wildcat-www.de

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