Sonntag, 16. Februar 2020

Vorratsdatenspeicherung in Europa: Wo sie in Kraft ist und was die EU plant


Dossier

Zeig der Vorratsdatenspeicherung die Rote Karte“Seit Jahren rangeln Gesetzgeber und Gerichte um die Vorratsdatenspeicherung. Der Europäische Gerichtshof hat die anlasslose Überwachung untersagt, viele EU-Staaten tun es trotzdem und der Rat startet jetzt einen neuen Anlauf auf EU-Ebene. Wir haben den Stand der Vorratsdatenspeicherung visualisiert und veröffentlichen eine Übersicht des Rates. (…) Diesen Donnerstag ist die anlasslose Massenüberwachung neuerlich Thema bei einem Treffen der EU-Minister*innen für Justiz und Inneres. Das Ziel des Rates ist es, eine Form der Speicherung finden, die nicht gleich wieder vom Europäischen Gerichtshof einkassiert wird. Der hatte nämlich strenge Vorgaben gemacht: keine Anlasslosigkeit, keine flächendeckende Speicherung. Doch die EU-Staaten wünschen offenbar weiterhin flächendeckende Datenspeicherung. Angedachte Änderungen, die bisher verlautet wurden, sind eher kosmetisch. Auf eine Informationsfreiheitsanfrage von Digitalcourage wurde bekannt, dass die europäische Polizeiagentur Europol vorschlägt, lediglich einige technische Daten wie die Antennenlänge des benutzten Telekom-Geräts nicht zu erfassen. Sensible Metadaten wie Verbindungsteilnehmer, Nummern und anderes sollen jedoch weiterhin gespeichert werden. Ob die VDS überhaupt dazu beiträgt, Straftaten besser aufzuklären, ist bis heute nicht bewiesen. Studien und Gutachten legen das Gegenteil nahe. (…) Die Minister*innen werden zunächst die EU-Kommission auffordern, bis 2020 eine Studie über die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung durchzuführen. Bis dahin werde der EuGH in neuen Urteilen vielleicht eine Rechtslücke für die Wiedereinführung öffnen, sagen EU-Diplomaten. Viele Mitgliedstaaten warten nicht auf eine gesamteuropäische Lösung, sie fahren mit der massenhaften Speicherung von Kommunikationsdaten fort oder haben neue Gesetze dazu erlassen. Von 25 EU-Mitgliedstaaten haben bereits 22 Länder eine Form der Vorratsdatenspeicherung in Gesetz gegossen – jedoch laufen davon in sechs Ländern Klagen gegen die VDS. Lediglich in Österreich, den Niederlanden und Slowenien gibt es bislang keine Massenspeicherung (mehr), meist aufgrund von Urteilen nationaler Gerichte. Der Stand der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung geht aus einem Arbeitspapier des Rates der Europäischen Union hervor, den wir hier als PDF veröffentlichen…” Beitrag von Lorenz Mrohs, Andre Meister, Anna Biselli und Alexander Fanta vom 4. Juni 2019 bei Netzpolitik externer Link. Siehe dazu:
  • EU-Vorratsdatenspeicherung: Digitalcourage veröffentlicht und kritisiert Position der Bundesregierung: Sie will EU-weite Vorratsdatenspeicherung New
    Mit einer Transparenz-Anfrage via fragdenstaat.de externer Link haben wir nach der Position der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung verlangt, die sie Anfang September 2019 bei mündlichen Verhandlungen vor dem EU-Gerichtshof geäußert hat. Erhalten haben wir die schriftliche vorbereitende Unterlage für die Anhörung (PDF externer Link  ). In diesem Artikel kritisieren wir die Argumente der Bundesregierung bei der mündlichen Verhandlungen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union am 9. September 2019 in den Rechtssachen C-623/17, C-511/18, C-512/18 und C-520/18…” Beitrag von Friedemann Ebelt vom 10.02.2020 bei Digitalcourage externer Link
  • EuGH-Generalanwalt: Nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig 
    “… Eine anlasslose und gegen alle gerichtete Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt in der EU verboten. Daran hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), Campos Sánchez-Bordona, die Gesetzgeber in Belgien, Frankreich und Großbritannien erinnert. Laut seinen am Mittwoch vorgelegten Schlussanträgen in mehreren viel beachteten Fällen verstoßen die dortigen nationalen Bestimmungen zum anlasslosen Protokollieren von Verbindungs- und Standortdaten inklusive IP-Adressen gegen die in der EU verbrieften Grundrechte. (…) Sánchez-Bordona betont in seiner Stellungnahme, dass eine “allgemeine und unterschiedslose Aufbewahrung aller Verbindungs- und Standortdaten aller Kunden und registrierter Nutzer unverhältnismäßig ist”. Vor allem die einschlägigen Auflagen für Provider in Frankreich gehen laut dem Spanier viel zu weit und verletzen daher die in der Grundrechtecharta verbrieften Freiheiten “besonders schwer”. Ähnlich kritisch beäugt er die umstrittenen belgischen und britischen Gesetze. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend, oft folgen die Richter aber der vorgezeichneten Linie. Mit ihrer Entscheidung ist in einigen Monaten zu rechnen. Der Generalanwalt bewegt sich mit seinem Plädoyer auch ganz auf der bisherigen EuGH-Linie. Die Luxemburger Richter hatten 2014 und 2016 klar geurteilt, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit den Grundrechten der Gemeinschaft ist. (…) Der Vorstandsvorsitzende des eco-Verbands der Internetwirtschaft, Oliver Süme, zeigte sich überzeugt, dass der EuGH “dem Votum des Generalanwalts folgen und der Vorratsdatenspeicherung erneut eine Absage erteilen” werde. Die deutschen Regeln zur Vorratsdatenspeicherung sind momentan im Lichte der EuGH-Rechtsprechung ausgesetzt und zugleich “Gegenstand von Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und vor dem Bundesverfassungsgericht…” Beitrag von Stefan Krempl vom 15. Januar 2020 bei heise online externer Link – wir erinnern an EuGh entscheidet zur Vorratsdatenspeicherung: Unvereinbar mit europäischen Grundrechten!
  • [Überblick] Scheinheilig: Regierungen und die Vorratsdatenspeicherung 
    “… In Deutschland und der EU versuchen Überwachungspolitiker mit scheinheiligen Argumenten eine neue Massenüberwachung von Kommunikationsdaten durchzudrücken. Dabei ignorieren sie Urteile des EU-Gerichtshofs, die EU-Grundrechtecharta, Datenschutzgesetze, Grundrechte, die tatsächliche Sicherheitslage, bessere Alternativen und die eigene Geschichte. (…) Die Regierungen der Mitgliedsländer behaupten, sich an die Vorgaben des EuGH halten zu wollen. Unsere Recherchen zeigen das Gegenteil (…) Die Suche nach Möglichkeiten für eine Vorratsdatenspeicherung soll sich vorgeblich im Rahmen der EU-Grundrechtecharta bewegen, die der EU-Gerichtshof in mehreren Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung interpretiert hat. Der EuGH hat seine Position unter anderem im Tele2-Urteil klar geäußert: Die Speicherung von Kommunikationsdaten ist möglich, muss aber zielgerichet und auf das Notwendige beschränkt sein. (…) Genau dieses Tele2-Urteil greifen die Regierungen der EU-Länder allerdings an und versuchen es zu umgehen, wie aus dem Bericht der Verhandlung Anfang September des Juristen Bastien Le Querrec hervorgeht. Ein Trick besteht darin, ausgerechnet den kaum kontrollierten und regulierten Geheimdiensten Zugang zu den Vorratsdaten geben zu wollen (…) An der Aussagekraft der Fallbeispiele der Mitgliedsländer, die das Argument der nationalen Sicherheit plausibilisieren sollten, hatten allerdings sowohl die Richter des EU-Gerichtshofs, als auch die vertretenen Grundrechte-Organisationen Zweifel. Weiter argumentierten die Regierungen, dass sie ihre Speicherpraktiken nicht konform mit dem Tele2-Urteil gestalten können und wollen – das Urteil sei nicht umsetzbar und wieder dienen die Geheimdienste als Hebel (…) Während sich die Mitgliedsländer nicht bereit zeigen, ein Urteil des EU-Gerichtshofs zu akzeptieren, fordert mindestens Frankreich den Gerichtshof offen dazu auf, sein grundrechteverteidigendes Urteil zu revidieren (…) In wissenschaftlichen Studien konnte bisher kein Beleg dafür gefunden werden, dass die Vorratsdatenspeicherung überhaupt zur Bekämpfung von Kriminalität geeignet ist. Notwendig für den Schutz von Grundrechnung ist die Erstellung einer Überwachungsgesamtrechnung, um den ständig steigenden Überwachungsdruck gegen die Bevölkerung überhaupt zu erfassen. (…) Die Position des EuGH in seinen bisherigen Urteilen ist grundrechtefreundlich, aber dennoch realpolitisch ausbaufähig, angesichts des bereits bestehenden staatlichen und kommerziellen Überwachungsdrucks, der auf der Bevölkerung in der EU lastet. Der EuGH ist die einzige Instanz in der EU, die die Bevölkerung vor neuen Grundrechtsverletzungen durch Vorratsdatenspeicherungen schützen kann. Aus unserer Sicht muss die Linie lauten: Ermittlung ja, aber Überwachung nein. Ein QuickFreeze-Verfahren oder die Schaffung weiterer Sonderermittlungsbehörden sind der richtige Weg. Die Regierungen der EU-Länder folgen aber einem anderen Kurs: Gespeichert werden sollen so viele Daten wie möglich, für so viele Straftatbestände wie möglich. Dieser Kurs ist der falsche Weg für Demokratien und Rechtsstaaten…” Beitrag vom 6. Dezember 2019 von und bei Digitalcourage externer Link
  • Das Bundesverwaltungsgericht gibt Frage zur deutschen Vorratsdatenspeicherung an EU-Gerichtshof ab – Auf EU-Ebene fordern Regierungen kompromisslos Massenüberwachung
    Mit dem heutigen Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die Frage über die Rechtmäßigkeit des deutschen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung an den EU-Gerichtshof abgegeben. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht die Revisionsverfahren ausgesetzt. (https://www.bverwg.de/pm/2019/66 externer Link) Die von Digitalcourage, dem Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung und prominenten Mitbeschwerdeführenden ist davon nicht betroffen. Die Klage ist weiterhin beim Bundesverwaltungsgericht in Karlsruhe anhängig. Bürgerinnen und Bürger können die Verfassungsbeschwerde online unterstützen: https://digitalcourage.de/weg-mit-vds externer Link
    Vom EuGH wird für Anfang 2020 eine Entscheidung über Klagen mehrerer EU-Mitgliedsländer erwartet. Digitalcourage warnt vor neuer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und der EU. „Wir wünschen uns, dass sich die Bundesregierung, speziell das Justiz- und  Innenministerium, für eine massenüberwachungsfreie Lösung in der EU einsetzen,“ sagt Friedemann Ebelt von Digitalcourage. „Alles, was wir aktuell auf EU-Ebene sehen ist, dass Regierungen der EU-Länder einen kompromisslosen Kurs in Richtung Massenüberwachung fahren. Grundrechte und Urteile werden ignoriert – Deutschland macht mit.“ Die Pläne für eine Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene sind eine akute Bedrohung für die Grundrechte aller Menschen. Mit einer, bereits vom Bundesverfassungsgericht angenommen, Verfassungsbeschwerde will Digitalcourage das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung entgültig kippen – auch auf EU-Ebene
    …” Bewertung von Digitalcourage vom 25.9.2019. Siehe dazu:
    • Bundesverwaltungsgericht: Die Vorratsdatenspeicherung bleibt weiter ausgesetzt
      Der Europäische Gerichtshof soll klären, ob die deutsche Vorratsdatenspeicherung gegen EU-Recht verstößt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden. Damit müssen Provider auch weiterhin keine Daten speichern. Deutschland ist trotzdem eines der sichersten Länder. Die ewige Saga der Vorratsdatenspeicherung geht in eine weitere Runde. Das Bundesverwaltungsgericht hat heute entschieden, zwei Klagen gegen das deutsche Gesetz dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Das Gericht in Luxemburg soll klären, ob eine nationale Speicherpflicht erlaubt ist. Bis dahin müssen Kommunikations-Anbieter weiterhin keine Daten speichern. (…) Die Kernfrage ist weiterhin, ob die anlasslose Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung mit den Grundrechten vereinbar ist. Die Masse an Daten ist extrem aufschlussreich und kann mehr über unsere Gewohnheiten und Verhaltensmuster aussagen als uns selbst bewusst ist. Deshalb haben die obersten Gerichte wiederholt klargestellt, dass diese sensiblen Daten nicht über Menschen gespeichert werden dürfen, die noch nichtmal ansatzweise etwas mit schwerer Kriminalität zu tun haben. Genau das ist aber das Konzept von Speicherung auf Vorrat: Erstmal speichern, vielleicht können wir es später gebrauchen. Immerhin haben die Vertreter:innen der Bundesregierung vor Gericht zugegeben, dass bereits die Speicherung ein Grundrechtseingriff ist. Das ist Konsens unter Jurist:innen, wird aber in der politischen Debatte gerne ignoriert. Die Rechtfertigung der Bundesregierung ist: Ja, die Vorratsdatenspeicherung greift in Grundrechte ein, aber die neue Version ist nicht ganz so schlimm wie die alte…” Artikel von Andre Meister vom 25.09.2019 bei Netzpolitik externer Link
  • Achtung Vorratsdatenspeicherung: Es wird ernst – EU-Länder greifen EuGH-Urteile an, Grundrechte-Standard der EU massiv bedroht 
    Vor dem Europäischen Gerichtshof werden die grundrechtewahrenden Urteile gegen die Massenüberwachung von Kommunikation angegriffen. Regierungen der EU-Länder, Geheimdienste und „Sicherheitspolitiker“ erhöhen zusätzlich den politischen Druck. Gegen diese Überwachungs-Kampagne arbeitet Digitalcourage unter anderem mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung – Unterstützung ist dringend notwendig! (…) Die Große Kammer des EuGH verhandelte am 9. und 10. September 2019 rechtliche Fragen zur Vorratsdatenspeicherungen von Kommunikationsdaten. Dem EuGH wurden drei Beschwerden aus Belgien, Großbritannien und Frankreich vorgelegt. Die Länder wollen im Wesentlichen ihren Geheimdiensten den Zugang zu den Daten erleichtern, den EuGH zum Umdenken bewegen und argumentieren unter anderem: EU-Recht ist nicht bindend, weil es um die nationale Sicherheit geht. Unserer Einschätzung nach wird auf diesem Weg versucht, den Grundrechte-Standard in der EU abzusenken, die Schutzpflicht des Staats gegen die Überwachung der Bevölkerung zu ignorieren und die grundrechtsfreundlichen EuGH-Urteile zu umgehen…” Aufruf auf der Aktionsseite von Digitalcourage externer Link – siehe dazu:
  • Digitalcourage veröffentlicht ein Europol-Dokument, in dem eine Vorratsdatenspeicherung von 487 Datenkategorien vorgeschlagen wird 
    Das Dokument von März 2018 externer Link  gibt Einblicke in die Pläne des EU-Rats für eine Massenüberwachung der Kommunikation aller Menschen in der EU. Europol hat den Mitgliedsstaaten eine Matrix mit 487 Kategorien von Kommunikationsdaten externer Link  vorgelegt. In einer 45-seitigen Tabelle breitet Europol aus, welche Daten sie für relevant für eine neue, EU-weite Vorratsdatenspeicherung halten. Von Standortdaten über IP-Adressen bis hin zu Verbindungsdaten sind nahezu sämtliche Informationen aufgeführt, die Provider demnach längerfristig speichern müssten…” Aus der Pressemitteilung vom 15.8.2019 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=149929

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