Dienstag, 19. August 2014

Immobilien-Doku über Berlin: Träumen und räumen

Schmierige Makler, entsorgte Mieter, Luxusbuden mit Pool auf dem Dach: Die ARD-Doku "Wem gehört die Stadt?" erzählt vom Immobilienboom in Berlin. Ein soziales Sittenbild über Gewinner und Verlierer. Da ist die sympathische Akademikerin, die berichtet, dass man sich am Ende doch gegen den Altbau und für ein Neubauprojekt in Friedrichshain entschieden hat, und die dann von ihren Sorgen erzählt: dass dieser Entscheidungsprozess "total anstrengend" war, auch weil man ihn mit dem eigenen Wertekanon - "so Ideen wie Nachhaltigkeit" - abgleichen musste und weil man sich aber trotzdem mit den benachbarten Besetzer-Punks von der Rigaer Straße verstehen möchte. Die besorgte Mutter und Bauherrin steht für eine Berliner Mittelschicht, die sich im Hauptstadtboom noch schnell einen Platz an der Sonne erkämpfen möchte - aber nachhaltig und möglichst gentrifizierungsarm soll er sein. Eines von vielen kleinen Porträts, die Kristian Kähler und Andreas Wilcke in ihrer anderthalbstündigen Dokumentation "Wem gehört die Stadt?" für die ARD gemacht haben. Kaum ein Segment eignet sich so gut, von den sozialen Verschiebungen in der Hauptstadt zu erzählen, wie der Wohnungsmarkt - auch weil seine Akteure gerne genau so klischeehaft agieren, wie man es von ihnen erwartet: Zum offenen weißen Hemdkragen trägt der Hauptstadt-Makler die Haare tatsächlich zurückgegelt, die Hipster haben wirklich Rauschebärte, und die neubürgerlichen Familien, die sich zu Dutzenden durch eine Schöneberger Altbauwohnung zwängen, sagen Sätze wie: "Diese Wohnung hat wirklich Charakter!" Im Unterschied zu den zahllosen 45-Minütern, die zum Thema Gentrifizierung, Mietenwahnsinn und Immobilienboom in den vergangenen Jahren gedreht wurden, kann sich "Wem gehört die Stadt" Zeit lassen und mehr machen, als bloß die Gier der Investoren und die Machtlosigkeit der Mieter zu skandalisieren. Die Dokumentation ist konventionell in der Machart, aber sehr hartnäckig und liebevoll, was die Schauplätze und Protagonisten angeht - und so entsteht eine Art Sittenbild Berlins zur Mitte des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts. Der Eigentümer ließ gnadenlos räumen Da sitzt Prinzessin Christa von Preußen bei der Pressekonferenz für die "Kronzprinzengärten" zwischen Gendarmenmarkt und Museumsinsel - ein retro-neoklassizistisches Stadtvillen-Luxusprojekt, das für 15.000 pro Quadratmeter Marmorkamin, Stuck und Dachpool kombiniert und schwärmt: "Die Entwicklung ist schon ganz großartig! Früher war mehr Paris und New York - jetzt ist es Berlin." Da ist Ali Gülbol, türkischer Familienvater, dessen Zwangsräumung aus einer Wohnung in Kreuzberg nur mit 850 Polizisten durchzusetzen war, weil Protestierende den Zugang versperrten. Der Malermeister, der seit seinem sechsten Lebensjahr in dem Haus wohnt, hatte nach jahrelangem Rechtsstreit gegen eine Mieterhöhung eine Nachzahlung versäumt - der Eigentümer kündigte gnadenlos und ließ räumen. Gülbol sagt: "Die Menschen verdienen zu wenig, um sich das leisten zu können. Wo sollen wir denn leben? Das ist eine Riesensauerei und Ungerechtigkeit, die von der Politik auch noch gedeckt wird." Und da ist die junge Londoner Schmuckdesignerin mit Kneipenjob, die bisher bei Freunden untergekommen ist und jetzt eine Wohnung sucht, zumal die Preise immer schneller steigen. Berlin sei cool, entspannt und so viel billiger als London, aber sie sagt auch: "Ich und meine Freunde, wir haben Kreuzberg ruiniert." Vermutlich weil Leute wie sie Luxussanierer und Privatisierer in den Szenestadtteil gelockt haben. Der Brachial-Entmieter filetiert die Häuser Und natürlich sind da auch die Investoren: Der norwegische Immobilienzar etwa - "I think you call it Verkaufswetter" - der Häuser im Dutzend kauft und davon schwärmt, wie preiswert Berlin im Unterschied zu anderen europäischen Hauptstädten ist. Oder da ist der Berliner Edelquartier-Spezialist, der Friedrichshain eine Kita stiften will, wenn der Bezirk ihn eine Baulücke bebauen lässt. Und auch der Brachial-Entmieter, der Häuser filetiert, indem er einzelne Wohnungen verkauft und die Altmieter herausekelt. In letzterem Fall gewinnt der Film - der hauptsächlich im Jahr 2013 gedreht wurde - auch eine gewisse Aktualität: Anders als zuvor haben Mieter seit April 2013 keine Möglichkeit mehr, Modernisierungen zu verhindern, wenn der Vermieter die Wohnung auf einen "zeitgemäßen Ausstattungsstandard" bringen will. Klingt harmlos, doch am Beispiel eines Hauses in der Kreuzberger Hasenheide erzählt die Doku von den Verwerfungen, zu denen diese Änderung in der letzten Mietrechtsreform der schwarzgelben Koalition auf dem Wohnungsmarkt führt. Mit dem neuen Modernisierungsrecht im Rücken schafft es der als "Brutal-Sanierer" bekannte Immobilienhai Sascha Klupp, die Mieten zu erhöhen und damit die Altmieter aus ihren Wohnungen zu treiben und den Weg freizumachen für den lukrativen Weiterverkauf. Zwar gibt es Indizien, dass der Investor die Modernisierungen nur ankündigt - und am Ende gar nicht durchführen wird. Doch zum Ende des Films unterliegt das freundliche Altmieter-Pärchen. Es hatte gegen die angekündigte Modernisierung geklagt und verloren. Das Modernisierungsanliegen sei "berechtigt", heißt es im Urteil. "Wir werden alle umdenken müssen", resümieren die beiden, "dass man eben, wenn man eine Wohnung hat, kein sicheres Zuhause hat". Das bittere Fazit einer sehenswerten Dokumentation. "Wem gehört die Stadt? Wenn das Geld die Menschen verdrängt", Dienstag, 22.45 Uhr, ARD

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen