Freitag, 13. November 2009

Neues zum Krieg in Afghanistan

Am Samstag 28.11. findet in Stuttgart eine Demonstration gegen den
Afghanistan-Krieg statt:

"Keine Mandatsverlängerung! Bundeswehr und NATO Raus aus Afghanistan!"
13 Uhr am Hauptbahnhof (Lautenschlagerstr.)

Alle weiteren Infos finden sich unter: http://www.ot-gegenkrieg.de.vu/

Hinweisen möchten wir in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die
jüngst erschienene Afghanistan-Broschüre, die hier heruntergeladen
werden kann:
http://imi-online.de/download/Afghanistanbroschuere-Web.pdf

Es folgt nun der neueste Artikel zum Kriegseinsatz:

IMI-Analyse 2009/044
Permanenter Bürgerkrieg im autoritären Militärstaat: Die westlichen
Strategen planen für Afghanistan "Zukunft"
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2042
11.11.2009, Jürgen Wagner


Bereits im März 2009 hatte die frisch gewählte US-Regierung unter Barack
Obama eine neue Afghanistan-Strategie angekündigt. Sie setzte im
Wesentlichen auf umfangreiche Truppenerhöhungen, eine Ausweitung der
Kampfhandlungen auf Pakistan ("AFPAK"), eine größere Beteiligung der
Verbündeten und -- immer wichtiger -- den massiven Aufbau afghanischer
Repressionsapparate.

Nachdem diese Maßnahmen den Krieg wie absehbar noch weiter eskaliert
haben, ist in Washington eine heftige Debatte um das weitere Vorgehen
entbrannt. Auf der einen Seite findet sich US-General Stanley
McChrystal, Kommandeur der NATO Truppen in Afghanistan. Obwohl
mittlerweile mehr als 100.000 westliche Soldaten am Hindukusch
stationiert sind (etwa 70.000 unter NATO- und 30.000 unter US-Kommando),
fordert er nachdrücklich 40.000 weitere Kämpfer. Auf der anderen Seite
plädiert Vizepräsident Joseph Biden dafür, das Engagement künftig auf
die Bekämpfung von Al-Kaida zu beschränken und damit die Präsenz
deutlich zu reduzieren. Mittlerweile deutet sich an, dass sich Obama --
und damit wohl auch die NATO -- für einen schlechten Kompromiss aus
diesen beiden Ansätzen entscheiden wird: Zunächst wird die Truppenzahl
nochmals erhöht, perspektivisch soll aber der massive Ausbau der
afghanischen Repressionsapparate es ermöglichen, die Präsenz in Richtung
der Biden-Lösung zu verringern.

Auch Deutschland ist -- wie meistens -- mit dabei. Der neue
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verkündet, man wolle
(sprich: könne) schließlich nicht ewig in Afghanistan bleiben,
perspektivisch müsste über einen (Teil)Abzug nachgedacht werden.
Kurzfristig wird aber die US-Truppenaufstockung begrüßt und wohl auch
unterstützt werden. Da man aber außerdem dort aber unbedingt auch
künftig ein pro-westliches Regime an der Macht halten möchte, muss die
Zentralregierung über den Aufbau der Repressionsorgane in die Lage
versetzt werden, sich an der Macht zu halten. Gerade Deutschland macht
sich hierfür besonders stark. Den Großteil der "Drecksarbeit" sollen
künftig also einheimische Kräfte übernehmen, um die allerspätestens nach
den jüngsten Wahlen völlig diskreditierte Karzai-Regierung an der Macht
zu halten. Für diese Afghanisierung des Krieges wurde die Zielgröße für
die afghanische Polizei und Armee von ursprünglich 150.000 auf
inzwischen 400.000 angehoben. Afghanistan droht damit aber zu einem
autoritären Militärstaat zu werden, in dem die vom Westen aufgebauten --
und beaufsichtigen -- Regierungstruppen einen permanenten Bürgerkrieg
gegen den paschtunischen Widerstand führen werden. Nicht zuletzt, weil
dies auch Guttenberg klar ist, argumentierte er, eine Reduzierung der
Präsenz erfordere es einzugestehen, "dass man in Afghanistan an seine
Grenzen stößt, wenn man von einer Demokratie westlichen Stils zu träumen
beginnt." (FAZ, 11.11.2009)


Washington: Eskalationskonsens

Laut New York Times (11.11.2009) wurden Barack Obama inzwischen vier
verschiedene Optionen vorgelegt. Sie sehen einen Truppenaufwuchs von
entweder 20.000, 25.000 oder 30.000 Soldaten vor (die letzte Option wird
nicht näher beschrieben, scheint aber keine Truppenerhöhungen zu
beinhalten).

Dem Bericht zufolge haben sich Verteidigungsminister Robert Gates,
Generalstabschef Mike Mullen und Außenministerin Hillary Clinton
inzwischen darauf verständigt, die 30.000er-Option zu befürworten.
Deshalb sei damit zu rechnen, dass sich auch Obama in diese Richtung
entscheiden werde (allerdings sind damit auch die Vorschläge Joseph
Bidens keineswegs vom Tisch, s.u.). Damit bleibt die US-Regierung --
etwas -- unter den Forderungen des NATO-Kommandeurs, scheint sich aber
dennoch zu einer erheblichen Ausweitung des Engagements entschieden zu
haben. Zumal man bestrebt ist, die NATO-Verbündeten mit ins
Eskalationsboot zu hohlen und so McChrystals "Wunschzahl" von 40.000
Soldaten erreichen zu können.


Kuhhandel: Deutsche Ausbilder statt Kämpfer?

Wiederholt hat die Obama-Administration den EU-Verbündeten ins Stammbuch
geschrieben, sie erwarte von ihnen gefälligst eine stärkere militärische
Unterstützung der Kriegsanstrengungen. Auch bei der nun anstehenden
Entscheidung, noch mehr Truppen an den Hinduksuch zu entsenden, dürften
die USA von den anderen NATO-Staaten ebenfalls Mehrleistungen erwarten.

Von deutscher Seite wurde allerdings bereits von Verteidigungsminister
Franz-Josef Jung und nun nochmals von seinem Nachfolger Guttenberg
klargestellt, eine Truppenerhöhung werde es vor der Anfang 2010
stattfinden internationalen Afghanistan-Konferenz nicht geben --
vielleicht stimmt das sogar. Denn es müssen nicht unbedingt Soldaten mit
einem direkten Kampfauftrag sein, um Washington zufrieden zu stellen.
Schon beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister betonte der
Generalsekretär der Allianz, Anders Fogh Rasmussen, dass für die
angestrebte Afghanisierung des Kriegs die von NATO und Europäischer
Union (EUPOL Afghanistan) unternommenen Anstrengungen zum Aufbau der
Repressionsapparate erheblich intensiviert werden müssten: "'Wir werden
mehr Ausbilder brauchen, und wir werden mehr Mittel brauchen, um die
afghanischen Sicherheitskräfte zu stärken', sagte Rasmussen. Das habe er
den Ministern sehr deutlich gesagt. Jetzt in die Fähigkeiten
Afghanistans zu investieren, bedeute, dass es später weniger nötig sei.
Der Nato-Einsatz ende dann, wenn die Afghanen in der Lage seien, die
Verantwortung für ihr Land selbst zu übernehmen." (Reuters, 23.10.2009)

Und genau in diese Richtung scheint nun der Hase zu laufen: "Washington
hofft, die NATO-Verbündeten davon überzeugen zu können, zumindest
zusätzliche Ausbilder für die afghanische Armee und Polizei zu
entsenden. Diese Beiträge könnten die Gesamtgröße nahezu auf das Niveau
der 40.000 bringen, die McChrystal gefordert hat", berichtet die
Nachrichtenagentur Reuters (10.11.2009). Vor diesem Hintergrund sind
auch für Deutschland allerlei Kuhhandel denkbar, Washington bei der
weiteren Eskalation unter die Arme zu greifen, ohne Truppen direkt mit
einem Kampfauftrag entsenden zu müssen. So könnte man einfach
Polizeiausbilder entsenden, da diese ohne Mandat -- und damit den ganzen
Medienrummel um das hierfür erforderliche Bundestagsmandat - entsendet
werden können. Da aber zweifelhaft ist, ob sich hierfür genug
Freiwillige finden, könnte man auch ein separates Mandat beschließen,
indem groß verkündet wird, die Ausbilder seien strikt getrennt vom
restlichen NATO-Auftrag zu sehen, da sie kein Kampfmandat hätten
(sondern nur die ausbilden sollen, die das für sie übernehmen).

Unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht, dass Deutschland im
Ausbildungsbereich erheblich aufstocken könnte. Viel sagend merkte auch
US-Außenministerin Hillary Clinton an: "Es gibt also eine Reihe von
Möglichkeiten, wie Deutschland mitmachen kann." Deshalb hoffe sie,
"dass, was auch immer Präsident Obama entscheiden wird, so überzeugend
sein wird, dass wir gemeinsam weitermachen werden." (Die Welt,
11.11.2009) Der Spiegel berichtete bereits am 12. Oktober, an die
Bundesregierung sei die US-Forderung ergangen, 1.200 weitere Ausbilder
für die NATO-Trainingsmission nach Afghanistan zu entsenden.


Übergabestrategie in Verantwortung?

Ganz ähnlich wie Guttenberg, der meinte man könne ja schließlich nicht
bis zum "Sankt-Nimmerleins-Tag" am Hinduksuch bleiben, äußerte sich auch
Kanzlerin Angela Merkel in ihrer jüngsten Regierungserklärung. Der
Bundeswehreinsatz in Afghanistan müsse nun "in eine neue Phase" geführt
werden. Es gelte nun auszuarbeiten, "wie und mit welchen konkreten
Schritten" die neue Phase gestaltet werden könne. "Wir wollen eine
Übergabestrategie in Verantwortung festlegen." (Die Welt, 11.11.2009)

Unverkennbar macht sich auch in der Bundesregierung eine gewisse
Kriegsmüdigkeit breit. Man bereitet sich derzeit auf einen geordneten
Teilrückzug vor, die Truppen sollen -- nicht zuletzt aufgrund der
ablehnenden Haltung zum Kriegseinsatz in der Bevölkerung -- möglichst
bald auf ein möglichst geringes Maß reduziert werden, indem der Großteil
der Kampfhandlungen auf die künftig bereitstehende afghanische Armee und
Polizei abgewälzt werden soll. 2015, dieser Termin wird immer wieder als
Datum genannt, an dem man spätestens die afghanische Polizei und Armee
soweit aufgebaut haben will, um das Land sich dann buchstäblich sich
selbst und dem mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
entflammenden Bürgerkrieg zu überlassen. Von einer "Übergabestrategie in
Verantwortung" kann hier jedoch keinerlei Rede sein, das voraussehbare
Drama wird jedoch offenbar billigend in Kauf genommen - die grusligen
Szenarien, was passiert, wenn man diesen Weg weiter beschreitet, liegen
bereits auf dem Tisch.


Afghanistans Zukunft: Dauerbürgerkrieg

Der "Center for a New American Security", eine Denkfabrik mit engsten
Verbindungen zur Obama-Administration, veröffentlichte unlängst ein
Papier, in dem drei mögliche Zukunftsszenarien für Afghanistan
präsentiert wurden (Exum, Andrew: Afghanistan 2011: Three Scenarios,
CNAS Policy Brief, 22.10.2009). Unwahrscheinlich aber möglich sie eine
nachhaltige Stabilisierung des Landes ebenso wie der -- aus westlicher
Sicht -- schlimmste Fall, ein Sieg der Widerstandsgruppen über die
Karzai-Regierung und die Etablierung neuer, dezidiert anti-westlicher
Machthaber.

Vermutlich werde die Entwicklung aber in folgende Richtung gehen: "Im
wahrscheinlichsten Szenario wird die Obama-Regierung vorsichtig zu einer
koordinierten Anti-Terror-Mission übergehen, bei der das alliierte
Engagement sich auf das Training der afghanischen Armee, die
Durchführung von Präzisionsangriffen aus der Luft und Spezialoperationen
am Boden beschränkt. [..] Dieses wahrscheinlichste Szenario erlaubt es
den USA und ihren Verbündeten weiterhin Einfluss in Zentralasien
auszuüben und eine vollständige Rückkehr der Taliban zu verhindern."
Damit wären dann auch die Präferenzen Joseph Bidens berücksichtigt, der,
wie bereits erwähnt, das US-Engagement genau hierauf beschränkt wissen
will. Allerdings betont das CNAS-Papier auch: "Eine kurzfristiger
Truppenerhöhung wird diesem Übergang vorausgehen." Genau dies ist nun
ebenfalls eingetreten, indem McChrystals Forderung nach mehr Soldaten
offenbar nachgekommen wird.

Recht unverblümt wird zudem beschrieben, was ein solches Szenario für
Afghanistan bedeuten würde: "Afghanistan bleibt im Bürgerkrieg zwischen
der Regierung in Kabul, die im Wesentlichen von den Politikern und
Warlords geführt wird, die das Land zwischen 1992 und 1996 befehligten,
und einer entrechteten paschtunischen Gesellschaft im Süden und Osten
gefangen." Zwar wird eingeräumt, dass von allen denkbaren Entwicklungen
diese für die afghanische Bevölkerung die mit Abstand nachteiligste
wäre, das scheint die westlichen Strategen jedoch nicht davon
abzuhalten, genau diesen Pfad nun einzuschlagen. Erfreulicherweise gibt
es aber selbst im US-Militär vereinzelte Stimmen, die sich mehr als
deutlich hiergegen aussprechen.


Pro-westlicher Militärstaat

Vor kurzem quittierte der US-Militär Matthew P. Hoh, der in Afghanistan
an prominenter Stelle für den zivilen Wiederaufbau zuständig war, seinen
Dienst. In seinem Rücktrittsgesuch begründete er seine Entscheidung
folgendermaßen: "Der paschtunische Aufstand, der sich aus zahlreichen,
scheinbar endlosen lokalen Gruppen zusammensetzt, wird durch das
gespeist, was die paschtunische Bevölkerung als einen andauernden
Angriff auf ihre Kultur, Traditionen und Religion durch interne und
externe Feinde ansieht, der seit Jahrhunderten anhält. Die amerikanische
und die NATO Präsenz und Operationen in paschtunischen Tälern und
Dörfern stellen ebenso wie die afghanischen Polizei- und Armeeeinheiten,
die nicht aus Paschtunen bestehen, eine Besatzungsmacht dar, vor deren
Hintergrund der Aufstand gerechtfertigt ist. Sowohl im Regionalkommando
Ost als auch Süd habe ich beobachtet, dass der Großteil des Widerstands
nicht das weiße Banner der Taliban, sondern eher gegen die Präsenz
ausländischer Soldaten und gegen Steuern kämpft, die ihm von einer
Regierung in Kabul auferlegt werden, die sie nicht repräsentiert."

Anschließend listet Hoh die Defizite der Karzai-Regierung auf, die von
der US-Regierung geschützt wird. Sie zeichne sich u.a. durch "eklatante
Korruption und unverfrorene Bestechlichkeit" aus sowie "einen
Präsidenten, dessen Vertraute und Chefberater sich aus Drogenbaronen und
Kriegsverbrechern zusammensetzen, die unsere Anstrengungen zur
Drogenbekämpfung und zum Aufbau eines Rechtsstaats lächerlich machen."
Vor diesem Hintergrund kommt Hoh zu dem vernichtenden Fazit: "Unsere
Unterstützung für diese Art von Regierung, gepaart mit dem Unverständnis
für die wahre Natur des Widerstands, erinnert mich fatal an unser
Engagement in Südvietnam; eine unpopuläre und korrupte Regierung, die
wir auf Kosten des inneren Friedens unseres eigenen Landes gegen einen
Aufstand unterstützt haben, dessen Nationalismus wir arrogant und
ignorant als Rivalen unserer Kalten-Kriegs-Ideologie misinterpretiert
hatten." (http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=110168&sectionid=3510304 )

Auch wenn den engagierten Ausführungen Hohs weitestgehend zuzustimmen
ist, an einem Punkt dürfte er den Zynismus der westlichen Strategen
unterschätzen. Denn es hat eher den Anschein, als dass Afghanistans
Zukunft als autoritärer Militärstaat im Dauerkriegszustand weniger aus
Dummheit denn aus strategischem Kalkül billigend in Kauf genommen wird.
Hauptsache die Herrscher in Kabul bleiben weiterhin pro-westlich, alles
andere scheint mittlerweile weitgehend egal zu sein. Ein treffender
Kommentar in der taz (13.9.2009) fasste das Kalkül folgendermaßen
zusammen: "Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen
kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu dem
US-amerikanischen Bonmot 'Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser
Hurensohn', der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält.
Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror
sich dann 'nur' gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen
Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet." Kein Wunder also,
dass Neu-Verteidigungsminister Guttenberg ankündigte, man müsse sich in
Afghanistan endlich von hehren Demokratievorstellungen verabschieden.

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