Eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Die
Republik schaut nervös auf den Osten. Wahlprognosen werden im
Stundentakt veröffentlicht, jedes Wort liegt auf der Goldwaage. Die
progressive Zivilgesellschaft nutzt die Aufmerksamkeit für ein
Aufbäumen. Zehntausende werden diesen Samstag zur Großdemonstration des
»Unteilbar«-Bündnisses in Dresden erwartet. Die Parade für eine
»solidarische, offene und freie Gesellschaft« ist der Höhepunkt einer
monatelangen Mobilisierung. 283 Bewegungen, Organisationen, Vereine,
Parteien und linke Gruppen haben auf diesen Tag hingearbeitet. Es gilt,
sich Mut für alles Kommende zu machen; sich in der versammelten Vielfalt
besser kennenzulernen - und ein politisches Angebot zu unterbreiten.
Ein Gegenangebot zum Status quo, vor allem aber zur programmatischen
Hetze der AfD. Ihr zu erwartender Machtzuwachs wird mit oder ohne
Regierungsoption eine Zäsur darstellen.
Besonders in Sachsen fürchten viele Demokraten einen Dammbruch. Hier
gilt die CDU zumindest in den mittleren und unteren Rängen als relativ
offen gegenüber einer Koalition mit der AfD. Die Rechtsaußenpartei
könnte generell stärkste Kraft werden, im östlichen Landesteil erwartet
sie zahlreiche Direktmandate. Mehrere Initiativen haben die Gefahr
erkannt und nach Gegenstrategien gesucht.
Eine kleine Auswahl: Die von »Unteilbar« unterstützte Markt- und
Konzerttour »WannWennNichtJetzt« führt von Juli bis Oktober durch zwölf
ostdeutsche Städte. In Sachsen machte sie in Zwickau, Plauen, Bautzen
und Annaberg-Buchholz halt, kommendes Wochenende wird noch in Grimma
gefeiert. Die Besucherzahlen mögen mit jeweils einigen Hundert
Teilnehmern überschaubar geblieben sein, doch darum geht es den
Veranstaltern nicht primär. Sie wollen eine längerfristige Vernetzung
progressiver Projekte im ländlichen Raum vorantreiben. Und den Menschen
Aufmerksamkeit verschaffen, die die Provinz noch nicht aufgegeben haben.
Daran gemessen haben sie Erfolg.
Einige Mitglieder der Linkspartei, der Grünen und der SPD haben
darüber hinaus die Initiative »Umkrempeln« gestartet. Sie werben für ein
rot-rot-grünes-Bündnis als Regierungsalternative zu CDU sowie AfD. Rund
1500 Personen unterstützen das Vorhaben mit einer Online-Petition. Die
Parteimitglieder geben jedoch selbst zu, dass die Prognosen in den
meisten sächsischen Orten derzeit ein solches Bündnis kaum realistisch
erscheinen lassen. Der Initiative dürfte eher an einer längerfristigen
Wegbereitung gelegen sein.
In eine andere Richtung geht das Projekt »Zukunft Sachsen«. Hier will
man eine Regierungsbeteiligung der Rechtsaußenpartei verhindern, indem
man für eine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen wirbt - die aus
Sicht der Initiatoren einzige »realistische Option«. Durch taktisches
Wählen sollen entsprechend Direktmandate der AfD verhindert werden. Die
Initiative gibt sich als »überparteilich«, doch ist ihre Stoßrichtung
fragwürdig. Sie verweigert nicht nur der Linkspartei als relevanter
fortschrittlicher Kraft im Osten die Unterstützung, sondern setzt
letztlich auch auf die CDU. Eine Partei, die in ihrer Regierungspolitik
der vergangenen Jahrzehnte jene autoritären sächsischen Verhältnisse
geschaffen hat, die der Zivilgesellschaft kaum Luft zum Atmen lassen.
Studenten drohen derweil mit einem Bildungsstreik im Herbst, sollte
die AfD an die Macht kommen. Der Leipziger Student*innenrat hat mit
großer Mehrheit einen entsprechenden Beschluss verabschiedet. Die
Rechtsaußenpartei stört sich bekanntermaßen an den Gender Studies und
der Zivilklausel an den Universitäten. Die Initiative »wirstreiken« ruft
zum General- und Sozialstreik auf, falls Verhandlungen zur
Regierungsbildung mit der AfD aufgenommen werden sollten. Plakate hängen
in verschiedenen Großstädten. Die Ankündigung kann vor allem als
symbolisches Druckmittel auf die CDU angesehen werden.
Die sächsische Vernetzung der bundesweiten antifaschistischen
Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« gibt sich indes mit einer
Kritik an der AfD nicht zufrieden. Die Aktivisten wenden sich auch
gegen eine bürgerliche Politik von Ausbeutung und Abschottung.
»Vaterlandslose Gesellen, Zecken, Staatsfeinde und sonstige Querulanten«
werden aufgerufen, sich vom 26. bis zum 30. August an einer
Aktionswoche zu beteiligen. Man könne dort dem »Begehren nach einer
vernünftig eingerichteten und selbstverwalteten Gesellschaft« Ausdruck
verleihen, »gegen die AfD agieren«, an den Sozialabbau und die
Abschiebepolitik durch R2G etwa in Thüringen erinnern, oder der CDU
zeigen, »dass sie keine Immunität gegen antifaschistische Interventionen
genießt«. Einen Vorgeschmack lieferten Dresdner Antifaschisten am
Freitag. Aktivisten in weißen Maleranzügen brachten an der Eingangstür
des CDU-Kreisverbands ein Transparent an. Die Aufschrift: »Eure Heimat
ist unser Alptraum. Antifaschismus- und Antirassismuskoalition statt
Werte-Union.«
Wie die Wahlen auch ausgehen mögen - nach den Abstimmungen und
erwartbaren Reaktionen wird die öffentliche Aufmerksamkeit für den Osten
wohl wieder zurückgehen. Die Züge und Busse der
»Unteilbar«-Demonstranten sind dann längst zurückgekehrt. Ein Erfolg
wäre schon, wenn bei einigen hängen bleibt: Die ostdeutsche
Zivilgesellschaft braucht langfristig Sichtbarkeit und Unterstützung.
Juristisch, finanziell, politisch und medial. Und selbst, wenn gerade
keine Wahlen, Gedenkjahre oder rassistische Ausschreitungen stattfinden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124802.unteilbar-demokraten-formieren-sich.html
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