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»Wir machen erst mal weiter«
Roßwein, rund 50 Kilometer westlich von Dresden gelegen, rund 7500 Einwohner. Anfang Juli nähert sich eine Gruppe durchtrainierter Männer dem »Jugendhaus« der Stadt, einem offenen Freizeit- und Jugendzentrum, das von einem gemeinnützigen Verein getragen wird. Das Gebäude liegt unweit des stillgelegten Bahnhofs. Die Vorderseite des Betonklotzes ist komplett von Graffiti zugedeckt, vor dem Eingang eine Skaterampe. Die Männer beginnen, Farbe abzuschrubben und Aufkleber zu entfernen. Auf ihrem Rücken steht der Schriftzug »Schutzzone«. Es sind Anhänger der NPD. Sie filmen sich bei der inszenierten »Reinigung«, offensichtlich handelt es sich um eine Propagandaaktion. Die Sozialarbeiterin Nicole Schröder befindet sich mit sechs Kindern im Gebäude. »Mir war schon mulmig«, sagt die 28-Jährige ein paar Wochen später. Einer der »Saubermänner« ist nicht nur Döbelner Stadtrat, sondern war auch an einem Überfall auf eine DGB-Kundgebung beteiligt.
Das »Jugendhaus« entstand 1994. Eine Initiative junger Erwachsener wollte ein selbstverwaltetes alternatives Kulturangebot ins Leben rufen - etwas, was in der Region selten war. Mittlerweile leisten hier zwei professionelle Sozialarbeiter pädagogische Jugendarbeit. Die Heranwachsenden sind in der Regel zwischen acht und 15 Jahre alt, kommen aus eher ärmeren Verhältnissen. Kräuterwanderungen, Jazztanzkurse oder Grußkartenbasteln werden angeboten. In der »Mampferia« wird wöchentlich gemeinsam gekocht, es gibt Kickertische, Proberäume und eine Kletterwand.
Jüngst fanden die »Blaulichttage« statt, Polizei und Feuerwehr kamen mit Fahrzeugen vorbei, beide wollten die Kinder für sich interessieren. Das, was hier alle versuchen. »Auch wir leiden unter dem typischen Nachwuchsproblem im ländlichen Raum«, sagt Vorstandsmitglied Isabel Spickenreuther. Viele ziehen aus Roßwein weg, nur manche kommen wieder. Seit im Ort die Außenstelle »Soziale Arbeit« der Hochschule Mittweida geschlossen wurde, ist es noch schwieriger geworden. Die lokale Oberschule klagt über Lehrermangel.
Am Wochenende finden im Jugendhaus meist Konzerte statt. »Wenn wir nicht selber Geld durch Veranstaltungen einspielen würden, könnte sich das Ding alleine durch die Fördermittel nicht halten«, sagt die 35-jährige Spickenreuther. Die vergangenen vier Jahre lief der Betrieb nur eingeschränkt. Das Landratsamt hatte umfangreiche Brandschutzauflagen erteilt, die Renovierungskosten beliefen sich auf rund 100 000 Euro. Mit Spenden und Solidaritätsauftritten schlug man sich durch die schwierige Zeit. Seit ein paar Monaten können die Musiker wieder auf mehreren Etagen spielen, nun sogar vor bis zu 500 Zuschauern.
So lange es der Staat erlaubt. Denn der sächsische Verfassungsschutz wacht in der Region mit Argusaugen über Aktivitäten, die im Verdacht stehen, »linksextrem« zu sein. Im März und Juni habe der Geheimdienst Druck ausgeübt, damit die Punkbands Fontanelle und One Step Ahead einige ihrer Songs im Jugendhaus nicht spielten, berichtet Vereinsmitglied Florian Morgenstern. Beide Musikgruppen gehören zu den elf sächsischen Punkbands, die im aktuellen Verfassungsschutzbericht als »Linksextremisten« ausführlich Erwähnung finden, zwei von ihnen haben dagegen geklagt. »Festivals oder Großstädte lassen sie in Ruhe«, sagt der 20-jährige Morgenstern über die staatlichen Politwächter. »Aber den selbstverwalteten Jugendzentren auf dem Land gehen sie auf die Nerven.«
Spickenreuther spricht von einer schwierigen Situation. »Wir können nicht einfach sagen, das interessiert uns nicht«, so die stellvertretende Vereinsvorsitzende. »Wir müssen schauen, wie wir Freiheit und Kunst verteidigen - andererseits sind wir abhängig vom Wohlwollen der Stadt.« Die Beziehung zum Bürgermeister sei zwar gut, doch die Mehrheit des Stadtrates konservativ, unabhängig von der Partei. »Wir müssen immer prüfen, wie weit wir uns aus dem Fenster lehnen können.« Die beiden Bands spielten schließlich doch, ließen die kritisierten Lieder jedoch weg. Die »Extremismusbeauftragte« des Landkreises sorgte in der Vergangenheit für einen Eklat, weil sie den Chef des nahe gelegenen alternativen Jugendzentrums Leißnig, auch ein Stadtrat der Linkspartei, als »Extremisten« bezeichnete.
Von Beginn an war das Jugendhaus mit Vorurteilen konfrontiert. Dieses sei eine Drogenhöhle, Kinder würden linksextremistisch indoktriniert, hier werde jeden Tag nur wild gefeiert, gibt Spickenreuther die Vorwürfe wieder. »Wenn in der Stadt irgendwas kaputtgemacht oder vollgesprayt wird, gibt man dem Jugendhaus die Schuld.« Auf der Facebookseite von »Roßwein wehrt sich« finden sich alle paar Tage solche Sprüche. Das schreckt viele ab. Für Spickenreuther hilft da nur Transparenz. Man arbeite unter anderem mit der Oberschule und dem Roßweiner Bürgerhaus zusammen. Bei Stadtfesten oder auf dem Marktplatz stelle man sich vor. Und man habe noch viele Pläne. Eine mobile Sozialarbeiterstelle wäre nötig. »Bestimmte Gruppen wie jugendliche Drogennutzer können wir gar nicht erreichen«, so das Vorstandsmitglied.
Mit welchen Gedanken blickt Spickenreuther auf die Landtagswahl am Sonntag? Die AfD wäre in der Landesregierung ohne Zweifel eine Gefahr. Mit vier Mitgliedern ist sie bereits in den neugewählten Stadtrat eingezogen. »Unsere Schließung steht auf ihrer Liste.« Wenn Sozialarbeiterstellen und Fördergelder wegfallen würden, müsste man nach anderen Wegen suchen, den Betrieb aufrechtzuerhalten. »Wichtig ist, dass wir politische Unterstützung erhalten«, sagt Spickenreuther. Notwendig sei darüber hinaus mehr Präsenz vor Ort, auch aus den Großstädten. Einfach mal im Jugendhaus einen Workshop anbieten, als Band hier einen Auftritt planen, als Besucher zum Tanzen rüberfahren. »Die Leute sollen aufs Land kommen.«
Ortswechsel: Wurzen, etwa 30 Kilometer östlich von Leipzig, rund 16 100 Einwohner. Rechtsradikale haben es hier leicht, rechte Übergriffe sind an der Tagesordnung. Ende August konstituierte sich der neugewählte Stadtrat, die AfD und die extrem rechte Vereinigung »Neues Forum Wurzen« kommen im Lokalparlament zusammen auf rund ein Viertel der Stimmen. Für die auf die DDR-Bürgerrechtsbewegung sich berufende Gruppe zieht Benjamin Brinsa, Kampfsportler und regionale Nazigröße, ins Rathaus. Eine Zusammenarbeit seiner Truppe mit der AfD scheint beschlossene Sache.
Rund 150 Antifaschisten demonstrieren am Tag der Konstituierung gegen die erste Stadtratssitzung. Begleitet werden sie von Dutzenden Rechtsradikalen, unter ihnen Brinsa, viele seiner Anhänger sind noch Jugendliche. Bei einigen ist unklar, ob sie zum Gaffen, Trinken oder Pöbeln gekommen sind. »Macht euch frei von der Judentyrannei«, »Macht die Gaskammern wieder an« und »Zeckenpack« wird krakeelt, Leute zeigen den Hitlergruß, einem Journalisten wird die Kamera aus der Hand geschlagen. Die Polizei greift nur gelegentlich ein. Abseits der Antifaschisten ist Zivilgesellschaft nicht zu sehen. »Unsere Demonstration wurde von Beginn an abfotografiert, bedrängt, bedroht und beleidigt«, sagt Sandra Merth vom Bündnis »Irgendwo in Deutschland«, das zu der Kundgebung mit aufgerufen hatte. Von der Polizei sei man wegen angeblicher Vermummung schikaniert worden.
Verloren ist das Muldental jedoch noch nicht. In der Nähe von Pfarramt und einem kleinen Schloss liegt das Vereinshaus und Bürgerzentrum »D5« vom Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK). Ein beige-farbener Altbau mit Torbogen und gelben Fenstern. 1999 wurde das Projekt von einer Handvoll Jugendlicher in einer unbeheizten Hinterhofwohnung gegründet, dabei waren Punks sowie Mitglieder der Jungen Gemeinde. Mittlerweile hat man am neuen Standort eine professionelle Arbeitsstruktur mit zehn hauptamtlichen Mitarbeitern in Teilzeit. Mit Bildungs- und Kulturprojekten versuchen die Engagierten demokratische Mitbestimmung zu fördern und gegen Vorurteile aufzuklären. Damit sind sie vielen ein Dorn im Auge.
Mehrfach wurde das NDK angegriffen, zuletzt Anfang August. Drei mutmaßliche Rechtsradikale hatten in der Nacht die Scheiben des Kellers eingeworfen, der Sachschaden liegt bei etwa 1000 Euro. Im Mai zogen rund 50 Neonazis nach einem Fußballspiel zum Bürgerzentrum, Kameras wurden zerstört, Flaschen auf die Fassade geworfen. »Die Angriffe auf unser Haus häufen sich wieder, und sie erfolgen in kürzeren Abständen«, sagt Geschäftsführerin Martina Glass. Bisher seien zwar keine Personen angegriffen worden, aber die Unsicherheit wachse. »Vor allem, weil diese Angriffe keine Konsequenzen haben.« Die Ermittlungsarbeit der Polizei sei »besorgniserregend«.
Das Vertrauen in die lokale Verwaltung ist gering. »Konflikte haben wir momentan nur wenige, aber leider erhalten wir auch nicht wirklich viel Unterstützung, Zuspruch oder Ermutigung«, sagt Glass. Es herrsche die »fatale Annahme, dass wenn es ruhig ist, das Ziel schon erreicht ist.« Diese Naivität sei das zentrale Problem in der Stadt. »Es fehlt mir an einer klaren Haltung der politischen Ebene den Rechten gegenüber, was auch die AFD einschließt«, so die Geschäftsführerin. Überhaupt müssten mehr Menschen den Mund aufmachen. Die öffentliche Unterstützung von wichtigen Personen aus der Stadt sowie eine langfristige verbindliche Finanzierung abseits einzelner Projekte seien ebenso wichtig.
Am Rande der Demonstration schüttelt der Wurzener Bürgermeister dem neuen Stadtrat Brinsa die Hand. Glass sieht eine große Gefahr, die von dem Kampfsportler ausgeht. »Er erhält eine Machtposition, die andere ermutigt, ihm zu folgen.« Die AfD trägt das Ihre bei.
Im neuen sächsischen Landtag werde die Rechtsaußenpartei die Einstellung der Projektfinanzierung anstreben, ist sich die Geschäftsführerin sicher. Material habe die AfD dafür bereits gesammelt. Auch gezielte Diskreditierungskampagnen seien denkbar. »Das Ergebnis wäre eine noch stärkere, fatale Einmischung in unsere Arbeit.« Anderseits werde die Welt nicht gleich untergehen, sagt Glass. »Wir arbeiten erst mal weiter und lassen uns nicht beirren.«
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